Produzent: Metro Boomin, Regie: Colin Tilley, Darsteller: Deyana Mounira, Amber Rose
2021.07.17
Über Orte
Durch das Stadtviertel Dornbusch gehend frage ich mich, woran es liegt, dass ich unmittelbar merke, in einer anderen Kultur zu sein. Natürlich, die Weise, wie man Straßen baut, die fehlenden Absperrungen an den Fußgängerwegen, das Pflaster etc. All das zeigt mir an, dass ich in Frankfurt am Main und in Deutschland bin. Dazu das üppige Grün, die allgegenwärtig in die Stadt hineinwachsende Natur, die schönen Bäume, der Vogelgesang inmitten der Stadt. Es ist auch die Akustik, die Klangfarben, es sind auch die Wolken und deren Formen, das Klima ist anders. Alles ist viel lauter, was auch an den billigen Straßen liegt, die keinen Flüsterasphalt benutzen.
Es wäre naiv, Klima nur nach Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck messen zu wollen. Es hat auch einen Geschmack, einen Geruch, man fühlt das Klima auf der Haut. Das geht bis hinein in die Winde, wie sie wehen, die Brisen sind schon andere, ihre Haptik differiert. Merkwürdigerweise sprachen die Menschen, an denen ich zuerst vorbeilief, gar kein Deutsch. Gerade das ist typisch für Frankfurt. Diese Sprachenvielfalt, die es in Tōkyō, sowieso seit Corona, nicht gibt. Diese kitzelnde Inhomogenität. Fast niemand trägt draußen Masken, das Leben ist nach außen gerichtet und aktiver, man wird davon affiziert. Alles ist heller und auf Helligkeit ausgerichtet. Im Supermarkt dreht sich alles um die Ware, die möglichst günstig, mit Verkäuferinnen, die ausgebeutet werden, veräußert werden soll. Man klatscht sie auf das Fließband. Die Früchte sind sowieso von schlechter Qualität, man muss schon Glück haben, um etwas Leckeres zu erwischen, die Äpfel kommen vom anderen Ende der Welt. In Japan steht der Kunde im Zentrum. Die Verkäuferinnen sortieren alles schön vom Einkaufskörchen in ein zweites Körbchen, reihen es auf, stapeln es sorgsam. Die Früchte werden ständig kontrolliert, es gibt frische (d.h. teure) Früchte und etwas ältere (d.h. preiswertere). Alles hat Gourmet-Geschmacksqualität, ist dazu noch gegen Druckstellen mit einem PVC-Netz gesichert. Stimmt man an der Kasse der Frage zu, ob man eine Tragetasche benötige, wird diese dann nach Wunschgröße ausgewählt und die Verkäuferin legt sie an die Seite und faltet sie auf, so dass man sie leicht öffnen kann. Man mag diesen Service belächeln, aber er erzeugt eine Komfortstimmung. Auch sind die Verkäuferinnen sicherlich glücklicher, es ist responsiv.
2021.07.16
Ghost Riders - Gitarrendonner
Überschwemmung
Die schlimmen Überschwemmungen in Deutschland, vor allem in Rheinland Pfalz, Nordrhein-Westfalen, in der Eifel, im Westerwald werden derzeit zum Anlass genommen, um die Klimapolitik wieder ins Spiel zu bringen und die Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung zu installieren. Das ist alles richtig, aber man kann diese Debatte als eine um die zweite Kausalität beschreiben. Wem hilft es und wann, wenn wir die Klimaerwärmung stoppen? Und wird das das Wetter wieder ändern und berechenbarer machen? Das ist technokratisch gedacht und stellt die Abstraktion vor die Erfahrung. Die erste Kausalität wird nahezu ausgeblendet. Es ist die der konkreten Ablaufsysteme, der schlecht gewarteten Kanäle, Staudämme und Talsperren, die aus Kostengründen unterdimensionierte Infrastruktur. Das alles wäre viel dringlicher als die Debatte um das CO2, dessen Drosselung uns in hundert Jahren hilft.
2021.07.15
Anmerkungen zum Flug Haneda-Frankfurt
Der Flughafen in Haneda, ich war um 20.00 Uhr dort, wie ausgestorben. Kein Geschäft offen, kein Duty Free, das Sushi-Restaurant schloss gerade. Von meinem Gate 107B aus konnte ich die anderen überblicken. Wo sonst blühendes Konsumleben herrscht, da waren nun die Rolläden geschlossen. Nur wenige Menschen in der riesigen Halle. Geisterhafte Atmosphäre. Immer, wenn ich meine Wohnung in Japan verlasse, fühle ich mich diebisch. Der Dieb darf keine Fehler machen. Und so ist es auch wichtig, wenn man einige Wochen abwesend ist, alles genau zu überprüfen. Ein vergessener Wasserhahn, ein versehentlich eingeschalteter Timer der Klimaanlage, ein nicht richtig zugezogenes Fenster, vergessene Nahrungsmittel etc. können verheerende Auswirkungen haben. Geisterflughafen
Im Flieger dann kaum Menschen. Eine ganze Dreierreihe für mich, immerhin konnte ich so gut schlafen. Der Flug ab 0.10 Uhr ist von seiner Sicht aus uninteressant, weil man in der Nacht fliegt, keinen Sonnenauf- oder untergang erlebt. Aber der Vorteil ist tatsächlich die Zeitsynchronisation. Man schläft und ist, wenn man den nächsten Tag durchmacht, bereits im Rhythmus der deutschen Zeit. Essen gibt es bei diesem Flug nur wenig, ein Mini-Wrap zum Abendbrot, immerhin leckeren Roten, aber die gute Zeitumstellung ist für den Körper nicht zu unterschätzen. Einreiseanmeldung für Risikogebiete
Die Einreiseanmeldung in Deutschland ist wie so vieles in den letzten Jahrzehnten schlecht organisiert. Sie sollte eigentlich, wenn man von einem Risikogebiet aus einreist (Japan ist glücklicherweise keines) digital erfolgen oder durch Beamte geprüft werden. Dann aber heißt es im Schreiben: »Sollte Ihnen aufgrund fehlender technischer Ausstattung oder aufgrund technischer Störung eine digitale Einreiseanmeldung nicht möglich sein, müssen Sie stattdessen eine Ersatzmitteilung ausfüllen.« (Regelungen für nach Deutschland Einreisende im Zusammenhang mit dem Coronavirus, 13.5.2021) Und diese solle man dann »unverzüglich per Post [...] übermitteln«. Ja, bis dahin hat das Virus mehrfach seine Runde gemacht. Nochmal: Impftermin
Immerhin klappte die Buchung des Impftermins. Die Menschen in der Hotline, die ich mehrfach anrief, verstanden kaum die Zahlen meines Geburtsdatums, verwechselten die Uhrzeiten, notierten die Vorgangsnummer falsch etc., aber sie waren extrem nett und hilfsbereit. So klappte alles wirklich gut. Aus Deutschland kann man die Unterlagen sogar abrufen, was aus Japan nicht funktioniert. Ist es absichtliches Geoblocking? Oder liegt es an der mangelnden Server-Kapazität? Naja, mal sehen, wie die Impfung wird, denke ich... Oneiroide Existenzerfahrung
Wer zwischen den Zeitzonen lebt, wird das Phänomen kennen. Man weiß nicht genau, wo man ist, wenn man in der Nacht aufwacht. Da die biologische Uhr noch querläuft, kommt das häufiger vor. Die Traumrealität hinkt offenbar der Wachzeit hinterher, ist viel träger. Noch gesteigerter ist das Ganze, wenn man aufwacht und noch nicht ganz klar ist, also sich noch nicht orientieren kann. Im Halbschlaf sehend fasst man das an sich banale Geschehen, etwa das Öffnen der Türe, als Traum auf. Dann passiert es, dass man mitunter ziemlich irritiert ist und auch Angst erlebt, weil man überzeugt ist, dass man noch träumt und nicht aufwachen kann. Ich habe allerdings eine Bewusstseinstechnik gefunden, um das zu verhindern. Ich denke beim Einschlafen dauerhaft daran, wo ich bin. Dann ist das Echo dieses Gedankens so stark, dass ich bei dem Halbschlaf-Aufwachen noch so viel Orientierungsbewusstsein habe, dass ich weiß, wo ich bin und damit auch, dass ich wach bin. Das sind nur wenige Sekunden, aber sie sind ganz entscheidend. Überhaupt vollzieht sich das Träumen ja außerhalb der Zeit. Ich kann in Sekunden des Schlafs, also in der Traumzeit, Träume haben, die Wochen dauern (geträumte Zeit). Ich habe mich nicht nur an diese Phänomene gewöhnt, sondern genieße sie mitunter. Ich weiß, was mich erwartet. Besonders schön ist es, wenn man mit Jetlag ins Kino geht, dann kippt man kurz weg und fabuliert die Schwarzphasen viel freier aus, gestaltet sie um.
2021.07.11
Impftermin
Habe nach wenigen Tagen per E-Mail meinen Impftermin vom Impfzentrum Frankfurt am Main erhalten. Allein der Link ließ sich, trotz Browserwechsels und stündlicher Wiederholung, nicht öffnen. So viel zum Thema ›Impfschwänzer‹. Die Dame in der Hotline verwechselte 11.30 Uhr mit ›halb elf‹, was ich aber durch Nachfrage herausfand. So hoffe ich, dass ich bald per Post eine Bestätigung mit den Unterlagen erhalte. Die mRNA im Blut bzw. deren Syntheseprodukte und molekulare Immunreaktionen etc. werden dann das Killervirus neutralisieren.
Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 68)
Die Gestrandeten - über die mediale Abwesenheit positiv Getesteter. Staatliche Gewalt
Die Millionen von im Urlaub oder im Ausland positiv getesteten Menschen, die es geben muss, tauchen in den Medien nicht auf. Es werden nur die gezeigt, die ein negatives Resultat haben. So ist das Urteil gesprochen. Die Schwierigkeit besteht eben gerade darin, dass etwas offensichtlich nicht gezeigt wird, man also über etwas Abwesendes urteilen muss. Der Kritische, der dann ins Grübeln kommt, wird mit den bekannten Argumenten aus dem Diskurs ausgeschlossen. Und ganz offenbar blendet man auch die Schikanen, die die Nasentests, die Quarantäne-Gefängnisse etc. bedeuten, aus. Sie dienen einem höheren Zweck, ihre Wirkung wäre aber auch anders zu erzielen, sanfter, würde man denn eine Diskussion zulassen. Aber die Virologen haben hier nur ein Kriterium angelegt: Welches ist der sicherste Test. Ob dadurch die Nasenschleimhaut verletzt wird, ob die Stäbchen durch die hauchdünne Knochenhaut auch mal ans Gehirn stoßen, das ist ihnen egal. Sie tun so, als wüssten sie es nicht. Und wer von den Kollegen wird schon untersuchen wollen, wie gefährlich das ist? Es käme einem Affront gleich.
Der Mensch ist längst nicht mehr das Maß der Dinge, sondern das Virus ist es bzw. die virologische Definition davon. Diese autoritäre Haltung, die dazu noch von den meisten Menschen gelassen hingenommen wird wie eine stille Heldentat am eigenen Leib, ist der Demokratie unwürdig. Sie hat kein Maß mehr, sondern ordnet alles ihrer technokratischen Weltsicht unter. Und das Parlament macht mit, sucht sogar noch die Nähe der Berater-Virologen, weil man sich dadurch aus der Verantwortung stehlen kann. Es war Expertenmeinung.
Der Kitt des Kapitalismus war vor Corona die Event-, Gastronomie- und Tourismusbranche. Sie dienten als Belohnung dafür, dass man in der Lohnarbeit so manches ertrug. Sobald diese geschlossen wurden, traten Polizei und staatliche Gewalt an deren Stelle. Der Staat handelt nun ganz offensichtlich repressiv. Das Modell wurde durch die Antiterrorabwehr etabliert und nun auf ein weiteres Feld angewandt. Aber warum schweigt die Mehrheit? Die Medien bauen jetzt schon wieder Angstszenarien auf, obwohl die Inzidenz, das willkürliche Maß, bei 6 liegt.
Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 69)
Wohin geht die Energie?
Da haben sich weltweit emotionale Energien angestaut und aufgeladen. Diese werden sich entladen. Es kann nicht anders sein. Wohin werden sie gehen? Wer kann sie lenken? Sind sie schöpferisch oder zerstörerisch?
2021.07.10
Prinzäss off the daun
Roman 1. Sternentraum von heute Nacht
Heute Nacht träumte mir dieser Traum. Ich schrieb ihn auf und sprach ihn im Gewitter.
Das Schöne in Zitaten
»Mit jeder Handlung verhält es sich folgendermaßen: keine ist an sich selbst schön oder verwerflich. So zum Beispiel was wir jetzt tun, trinken oder singen oder uns unterhalten,- nichts von dem allen ist, an sich betrachtet, etwas Gutes und Schönes, sondern es wird dazu erst durch die Art der Ausführung; auf schöne und richtige Weise ausgeführt, wird es zu etwas Schönem, im Gegenteil aber etwas Verwerflichem. So ist es denn auch mit dem Lieben, und nicht jeder Eros ist edel und einer Lobrede würdig, sondern nur der, welcher uns antreibt, auf eine schöne Weise zu lieben.«
Aus: Platon,Das Gastmahl, übersetzt von Franz Susemihl, in: ders.: Werke, Erster Band, Berlin 1950, S. 657-727, zit. S. 670 [180Cf.]
Platon * 428/427 v. Chr.; † 348/347 v. Chr., griechischer Philosoph, Schüler des Sokrates.
08 Das Schöne ist das, was ohne Begriffe als Object eines
09 allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird.
10 Diese Erklärung des Schönen kann aus der vorigen Erklärung desselben,
11 als eines Gegenstandes des Wohlgefallens ohne alles Interesse,
12 gefolgert werden. Denn das, wovon jemand sich bewußt ist, daß das Wohlgefallen
13 an demselben bei ihm selbst ohne alles Interesse sei, das kann
14 derselbe nicht anders als so beurtheilen, daß es einen Grund des Wohlgefallens
15 für jedermann enthalten müsse. Denn da es sich nicht auf irgend
16 eine Neigung des Subjects (noch auf irgend ein anderes überlegtes Interesse)
17 gründet, sondern da der Urtheilende sich in Ansehung des Wohlgefallens,
18 welches er dem Gegenstande widmet, völlig frei fühlt: so kann er
19 keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden, an die
20 sich sein Subject allein hinge, und muß es daher als in demjenigen begründet
21 ansehen, was er auch bei jedem andern voraussetzen kann; folglich
22 muß er glauben Grund zu haben, jedermann ein ähnliches Wohlgefallen
23 zuzumuthen. Er wird daher vom Schönen so sprechen, als ob Schönheit
24 eine Beschaffenheit des Gegenstandes und das Urtheil logisch (durch Begriffe
25 vom Objecte eine Erkenntniß desselben ausmachend) wäre; ob es
26 gleich nur ästhetisch ist und bloß eine Beziehung der Vorstellung des
27 Gegenstandes auf das Subject enthält: darum weil es doch mit dem logischen
28 die Ähnlichkeit hat, daß man die Gültigkeit desselben für jedermann
29 daran voraussetzen kann. Aber aus Begriffen kann diese Allgemeinheit
30 auch nicht entspringen. Denn von Begriffen giebt es keinen Übergang zum
31 Gefühle der Lust oder Unlust (ausgenommen in reinen praktischen Gesetzen,
32 die aber ein Interesse bei sich führen, dergleichen mit dem reinen Geschmacksurtheile
01 nicht verbunden ist). Folglich muß dem Geschmacksurtheile
02 mit dem Bewußtsein der Absonderung in demselben von allem Interesse
03 ein Anspruch auf Gültigkeit für jedermann ohne auf Objecte gestellte
04 Allgemeinheit anhängen, d. i. es muß damit ein Anspruch auf
05 subjective Allgemeinheit verbunden sein.
Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft [1790], S. 211-212, [Link]
Immanuel Kant, * 22. April 1724 in Königsberg, Preußen; † 12. Februar 1804 ebenda, deutscher Philosoph der Aufklärung
»Sagten wir nun, die Schönheit sei eine Idee, so ist Schönheit und Wahrheit einerseits dasselbe. Das Schöne nämlich muß wahr an sich selbst sein. Näher aber unterscheidet sich ebensosehr das Wahre von dem Schönen. Wahr nämlich ist die Idee, wie sie als Idee ihrem Ansich und allgemeinen Prinzip nach ist und als solches gedacht wird. Dann ist nicht ihre sinnnliche und äußere Existenz, sondern in dieser nur die allgemeine Idee für das Denken. Doch die Idee soll sich auch äußerlich realisieren und bestimmte vorhandene Existenz als natürliche und geistige Objektivität gewinnen. Das Wahre, das als solches ist, existiert auch. Indem es nun in diesem seinem äußerlichen Dasein unmittelbar für das Bewußtsein ist und der Begriff unmittelbar in Einheit bleibt mit seiner äußeren Erscheinung, ist die Idee nicht nur wahr, sondern schön. Das Schöne bestimmt sich dadurch als das sinnliche Scheinen der Idee.«
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästhetik, Bd. 1, Berlin und Weimar 1965, S. 117.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, * 27. August 1770 in Stuttgart; † 14. November 1831 in Berlin, deutscher Idealismus, Dialektik
»Beauty is no quality in things themselves: It exists merely in the mind which contemplates them; and each mind perceives a different beauty. One person may even perceive deformity, where another is sensible of beauty; and every individual ought to acquiesce in his own sentiment, without pretending to regulate those of others.«
David Hume: Of the Standard of Taste, London 1757, §7.
David Hume, * 26. April/ 7. Mai 1711 in Edinburgh; † 25. August 1776 ebenda, schottischer Philosoph, Ökonom und Historiker
»But to cut off all pretence for cavilling, I mean by the word Taste no more than that faculty or those faculties of the mind, which are affected with, or which form a judgment of, the works of imagination and the elegant arts. […] however paradoxical it may seem to those, who on a superficial view imagine, that there is so great a diversity of tastes, both in kind and degree, that nothing can be more indeterminate.«
Edmund Burke: Burke: A Philosophical Inquiry Of The Sublime And Beautiful, London 1889 [1757], S. 6.
Edmund Burke, *Januar 1729 in Dublin; † 9. Juli 1797 in Beaconsfield, irisch-britischer Schriftsteller, Konservativismus
»All men are agreed to call vinegar sour, honey sweet, and aloes bitter ; and as they are all agreed in finding these qualities in those objects, they do not in the least differ concerning their effects with regard to pleasure and pain. They all concur in calling sweetness pleasant, and sourness and bitterness unpleasant.«
Ebenda, S. 7
»The principle of pleasure derived from sight is the same in all. Light is more pleasing than darkness.«
Ebenda, S. 8
»[…] the mind of man possesses a sort of creative power of its own ; either in representing at pleasure the images of things in the order and manner in which they were received by the senses, or in combining those images in a new manner, and according to a different order. This power is called imagination; and to this belongs whatever is called wit, fancy, invention, and the like. But it 'must be observed, that this power of the imagination is incapable of producing anything absolutely new ; it can only vary the disposition of those ideas which it has received from the senses. Now the imagination is the most extensive province of pleasure and pain, as it is the region of our fears and our hopes, and of all our passions that are connected with them ; and whatever is calculated to affect the imagination with these commanding ideas, by force of any original natural impression, must have the same power pretty equally over all men. For since the imagination is only the representation of the senses, it can only be pleased or displeased with the images, from the same principle on which the sense is pleased or displeased with the realities ; and consequently there must be just as close an agreement in the imaginations as in the senses of men. A little attention will convince us that this must of necessity be the case.«
Ebenda, S. 10
»The object therefore of this mixed passion, which we call love, is the beauty of the sex. Men are carried to the sex in general, as it is the sex, and by the common law of nature ; but they are attached to particulars by personal beauty, I call beauty a social quality; or where womyn and men, and not only they, but when other annals give us a sense of joy and pleasure in beholding them, (and there are many that do so,) they inspire us with sentiments of tenderness and affection towards them persons; we like to have them near us, and we enter willingly into a kind of relation with them, unless we should have strong reasons to the contrary.«
Ebenda, S. 29
»The passion of love has its rise in positive pleasure; it is, like all things which grow out of pleasure, capable of being mixed with a mode of uneasiness, that is, when an idea of its object is excited in the mind with an idea at the same time of having irretrievably lost it.«
Ebenda, S. 37
»By beauty I mean that quality or those qualities in bodies, by which they cause love, or some passion similar to it.«
Ebenda, S. 65
»But surely beauty is no idea belonging to mensuration; nor has it anything to do with calculation and geometry. If it had, we might then point out some certain measures which we could demonstrate to be beautiful, either as simply considered, or as relating to others; and we could call in those natural objects, for whose beauty we have no voucher but the sense, to this happy standard, and confirm the voice of our passions by the determination of our reason. But since we have not this help, let us see whether proportion can in any sense be considered as the cause of beauty, as hath been so generally, and by some so confidently, affirmed. If proportion be one of the constituents of beauty, it must derive that power either from some natural properties inherent in certain measures, whieh operate mechanically; from the operation of custom; or from the fitness which some measures have to answer some particular ends of conveniency.«
Ebenda, S. 67
»Very justly is use called a second nature ; and our natural and common state is one of absolute indifference, equally prepared for pain or pleasure.«
Ebenda, S. 76
»Beauty in distress is much the most affecting beauty.«
Ebenda, S. 81
»Beauty is a thing much too affecting not to depend upon some positive qualities.«
Ebenda, S. 83
»But as perfectly beautiful bodies are not composed of angular parts, so their parts never continue long in the same right line. They vary their direction every moment, and they change under the eye by a deviation continually carrying on, but for w hose beginning or end you will find it difficult to ascertain a point. The view of a beautiful bird will illustrate this observation.«
Ebenda, S. 85
»It is smooth and downy; its parts are (to use that expression) melted into one another; you are presented with no sudden protuberance through the whole, and yet the whole is continually changing. Observe that part of a beautiful woman where she is perhaps the most beautiful, about the neck and breasts; the smoothness; the softness; the easy and insensible swell; the variety of the surface, which is never for the smallest space the same; the deceitful maze, through which the unsteady eye slides giddily, without knowing where to fix or whither it is carried.«
Ebenda, S. 86
»First, the colours of beautiful bodies must not be dusky or muddy, but clean and fair. Secondly, they must not be of the strongest kind. Those which seem most appropriated to beauty, are the milder of every sort; light greens ; soft blues; weak whites; pink reds; and violets.«
Ebenda, S. 87
»When any body is composed of parts smooth and polished, without pressing upon each other, without showing any ruggedness or confusion, and at the same time affecting some regular shape, I call it elegant.«
Ebenda, S. 90
»The next source of pleasure in this sense, as in every other, is the continually presenting somewhat new; and we find that bodies which continually vary their surface, are much the most pleasant or beautiful to the feeling, as any one that pleases may experience. The third property in such objects is, that though the surface continually varies its direction, it never varies it suddenly.«
Ebenda, S. 91
»I believe, to conclude, that the passion called love is produced by this relaxation. By the same method of reasoning which we have used in the inquiry into the causes of the sublime, we may likewise conclude, that as a beautiful object presented to the sense, by causing a relaxation of the body, produces the passion of love in the mind; so if by any means the passion should first have its origin in the mind, a relaxation of the outward organs will as certainly ensue in a degree proportioned to the cause.«
Ebenda, S. 113
»see figure 4, plate 12, where that sort of proportioned winding line, which will hereafter be called the precise serpentine line, or line of grace is represented by a fine wire properly twisted round the elegant and varied figure of a cone.«
William Hogarth: The analysis of beauty, Pittsfield/Massachusetts 1909 [1753], S. 75
William Hogarth, * 10. November 1697 in London; † 26. Oktober 1764 ebenda, sozialkritischer englischer Maler und Grafiker, Satire
»If anyone should ask, what it is that constitutes a fine proportioned human figure? how ready and seemingly decisive is the common answer; a just symmetry and harmony of parts with respect to the whole.«
Ebenda, S. 129
»Die Vollkommenheit in so ferne sie eine Erscheinung ist, oder in so ferne sie durch den Geschmack in der weitern Bedeutung bemerkt werden kan, ist die Schönheit (pulcritudo), und die Unvollkommenheit in so ferne sie eine Erscheinung ist, oder in so ferne sie durch den Geschmack in der weitern Bedeutung bemerkt werden kan, ist die Häßlichkeit (deformitas). Folglich ergötzt das Schöne, in so ferne es schön ist, denjenigen der es anschauet, und das Häßliche verursacht ihm ein Mißvergnügen.«
Alexander Gottlieb Baumgarten: Metaphysik, übers. von Georg Friedrich Meier, Jena 2004 [1783]S. 154-155 (§ 488).
Alexander Gottlieb Baumgarten, * 17. Juli 1714 in Berlin; † 27. Mai 1762 in Frankfurt (Oder), deutscher Philosoph, Aufklärungsphilosophie, Begründer der Ästhetik als philosophischer Disziplin
2021.07.09
Leonardos Bär
2021.07.08
Jürgen Trittin, Krista Sager über Guttenbergs Plagiate. Aktuelle Stunde auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vom 23.2.2011
Zweierlei Risiken. Freiheit und Infektion. Impfschwänzer
Zweierlei Risiken
Die Frage ist, wie man Risiken abwägt und welche Daten man hat. Da ist einerseits das Risiko einer Corona-Infektion und andererseits das Risiko einer langfristigen Nebenwirkung der Impfung. Die Politik tendiert eindeutig dazu, die Risiken der Corona-Infektion wesentlich größer darzustellen als die der Impfungs-Nebenwirkungen. Das ist in der momentanen Situation aber eigentlich nicht sinnvoll, denn die Inzidenz in Deutschland liegt bei 5. Aber was heißt das? Fünf von 100.000 Menschen wurden positiv getestet, mehr nicht. Hatten sie Symptome? Das erscheint nicht in der Statistik. So beruht die Impfempfehlung auf einem Herbst-Szenario, das besagt, dass die Zahlen wieder steigen werden. Das sind also alles Prognosen. Das fehlende Vertrauen in die Impfung wird von Test-Maßnahmen, die die Städte und Länder durchziehen, wettgemacht. Willst du dich nicht impfen lassen, so musst du diese Marter ertragen. Es gibt zu viele Unsicherheitsfaktoren in all diesen Rechnungen. Freiheit und Infektion
Dazu kommt noch die Frage der Freiheit. Diese steht im Westen nicht mehr hoch im Kurs. Man ist bereit, sie sehr schnell aufzugeben, und zwar von der einfachsten Freiheit der räumlichen Bewegung (Quarantäne) bis hin zur abstrakten Freiheit der Meinungsäußerung, die jeden, der eine fundamentale Kritik übt, verdächtig macht. Es werden da auch keine Kompromisse gesucht. Es ist preiswerter und einfacher, Menschen in Quarantäne zu schicken, als alternative Methoden zu finden, mit dem Virus umzugehen.
Ich erinnere mich an das Papier des BMI, in dem es heißt: »Konsequent getestet werden sollten Bürger mit Eigenverdacht und der gesamte Kreis der Kontaktpersonen von positiv getesteten Bürgern. Großflächiges Testen vermittelt den von Ausgangsbeschränkungen betroffenen Bürgern ein aktives Krisenhandeln des Staates.« (BMI: Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen, 28.4.2020, S. 1, [Link]). Weiter heißt es dann: »Sollten die hier vorgeschlagenen Maßnahmen zur Eindämmung und Kontrolle der Covid-19-Epidemie nicht greifen, könnten im Sinne einer ›Kernschmelze‹ das gesamte System in Frage gestellt werden. Es droht, dass dies die Gemeinschaft in einen völlig anderen Grundzustand bis hin zur Anarchie verändert.« (Ebenda, S. 8) Impfschwänzer
Skeptisch macht mich auch, wie die Medien berichten. Da wird gedroht, man solle die ›Impfschwänzer‹ eine Strafgebühr zahlen lassen. Immerhin hat man das dann verworfen. Aber nirgendwo las ich, wie schlecht das in Hessen organisiert ist. Man meldet sich an und dann erhält man eine E-Mail, in der es heißt: »Ihnen werden in den kommenden Wochen zwei Termine für Ihre Erst- und Zweitimpfung per E-Mail zugesendet.« Klar, wenn man weder den Termin wählen kann und dazu noch warten muss, wieso sollte man sich dann verpflichtet fühlen, den Termin wahrzunehmen? In Japan ist das wieder viel besser organisiert. Zum einen lokal. Der Stadtteil schreibt allen Bürgern einen Brief. Darin sind dann die Codes, mit denen man sich anmelden kann. Wieso schafft man das in Deutschland nicht?
2021.07.05
Game of Thrones
John Carpenter. Marissa Nadler. Great!
Klaus Heinrichs...
Dahlemer Vorlesungen, 2007 im Stroemfeld-Verlag erschienen, eine Fundgrube von Ideen zur Philosophie-, Theater- und Religionsgeschichte.
Auf ins All!
2021.07.02
Ein Corona-Traum von der Zeta-Variante
Heute Nacht träumte mir, die ›Zeta-Variante‹ müsse bekämpft werden. Sie sei zigmal ansteckender als alle vorhergehenden Corona-Viren, tödlicher noch dazu, löse Long Covid aus und springe zwischen Mensch und Tier hin und her. Spahn teilte dazu per Post an jeden Bürger 100 Spritzen aus. Auch in Japan erhielt jeder Post von ihm. »Wir müssen das ganze Tierreich impfen, und zwar im Eiltempo. Impfen Sie ihren Hund, ihre Katze vor dem Herbst, schnappen sie sich den Spatzen, verabreichen sie ihm eine Dosis Impfstoff, locken sie die wild lebenden Katzen an, drücken sie ihr die Nadel in das Fell, impfen sie auch die Fische und Fledermäuse. Wenn wir das nicht tun, erleben wir einen Lockdown, eine Welle, die alles in den Schatten stellt, was die Welt je gesehen hat, ein Infektions-Tsunami.« Als ich nach draußen blickte, sah ich schon die Nachbarn mit der Spritze in der Hand durch den Garten schleichen. Sie hatten sowohl die Schutzmauer wie auch den Stacheldrahtzaun der nachbarlichen Privatuniversität kletternd überwunden. Einer hielt die Katze, die ich immer vom Schreibtisch aus sehe, am Schlawittchen. Die Nachbarin, die Blumen so gern mag, verabreichte einem bunten Vogel eine Dosis, lachte mir zu und rief - ganz unjapanisch, wie unter Drogen, grölend durch die Häuserzeile: »Machen sie mit, es macht Spaß!« Dabei holte sie schon die nächste Spritze aus dem Umschlag. Das erinnerte mich an das Anzünden von Silvesterraketen in Deutschland, kurz nach Jahreswechsel. Es herrschte eine gute Stimmung, als sei das endlich mal ein Anlass zum Feiern. Ein Ojisan hatte ein Schüsselchen mit Süßem aufgestellt und lockte so die Hunde an, gab vor, sie zu streicheln und verpasste ihnen dann die vielleicht schon zigfache Dosis. »Bei solch einer Impfeuphorie kann doch nichts passieren«, dachte ich mir. Da sah ich, dass der Ojisan sich selbst eine Nadel injizierte, die Augen kurz zusammenkniff, »Yappari« sagte und dann wie ein Derwisch um die Ecke sprang.
2021.07.01
Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 66)
Parametergesundheit und gefühlte Gesundheit
Wenn Feiern tötet. Die Anti-Welt der Virologen
Virologen messen Gesundheit nach getesteten Parametern. Ob jemand Symptome hat oder nicht, spielt da kaum mehr eine Rolle. Was der Test sagt, gilt. Und wer nicht infiziert ist, also einen negativen Test hat, gilt im Umkehrschluss als gesund, so kläglich auch das Leben in Quarantäne sein mag. Wenn auch die Messverfahren und Tests der Virologen sehr kompliziert sein mögen, die Geräte zum Neuesten gehören, was die Pharmaindustrie zu bieten hat, die dahinter stehende Argumentation ist sehr einfach:
Gesundheit ist die Abwesenheit von Viren und Erregern.
Damit Menschen gesund bleiben, müssen sie vor gefährlichen Viren und Erregern geschützt werden.
Damit ist die Deutungshoheit gesetzt, denn was gefährlich ist, wird fortan von Virologen bestimmt, durch in Virologen-Clubs vorausgewählte statistische Messzahlen und selbst erfundene Tests etc. Das wäre nicht schlimm, würde man denn die eigenen Grenzen kennen. Aber man wendet das Modell mit Hilfe der Politik gesamtgesellschaftlich an, setzt es absolut und behandelt den Menschen nicht mehr als ein fühlendes Wesen, sondern als einen Krankheitsträger, der nach Belieben mit Nasenstäbchen malträtiert werden kann, um das Virus nachzuweisen, den man in Quarantäne sperrt, wenn er oder sie infiziert sein könnte etc. Damit ist also eine Art polizeiliche Befugnis gesetzt, eine quer zu den Instanzen stehende Beratungsmacht der Mediziner. Die so installierte Deutungsschule ist zwar simpel und brüchig, aber sie lässt es zu, die bekannte Welt in sich zu verkehren. Es entsteht eine virologische Anti-Welt. Ein freudiges Ereignis wie die Europameisterschaft wird, ohne dass Beweise vorlägen, die man sonst doch so achtet, vorschnell als Super-Spreading-Event betrachtet. Krankheitsexperte Karl Lauterbach twittert am 1. Juli: »Die UEFA lässt es zu, dass die Delta Variante über volle Stadien weiter zunimmt. Damit übernimmt sie die Verantwortung für zahlreiche Todesfälle. Eine Schande für den Sport.«[Link] Da fragt man sich natürlich auch, welcher Politiker denn mit der UEFA das so geplant hat. Sicherlich wurde das nicht autonom entschieden. Siehe dazu auch den Beitrag von Tagesschau.de Volle Stadien - volles Risiko[Link] Aus Hotels werden Quarantäne-Zellen
Eine große Gruppe von Schülern hat nach langer Zeit wohl mal wieder auf Mallorca gefeiert und sich dabei infiziert. Reinhard Spiegelhauer schreibt auf Tagesschau.de:
»Auf Mallorca sitzen rund 250 Teenager in einem Quarantänehotel fest - ein Viertel von ihnen ist positiv getestet worden. Diejenigen, bei denen ein erster Test negativ ausgefallen ist, haben den Sinn der Quarantäne offenbar nicht verstanden. ›Wir sind negativ, wir wollen raus‹, skandieren sie von den Hotelbalkonen: ›Uns ist langweilig, wir können nichts machen, wir sitzen hier was ab, das wir nicht verdient haben‹, sagt ein Schüler.«
[Link]
Im Nu wurde aus einem Hotel eine Zelle für mögliche Infizierte, selbst vor Jugendlichen macht man nicht Halt, sie haben es offenbar nicht verstanden, heißt es eingestreut in den Bericht. Die Logik dahinter ist aber immer die tiefschwarze: Alles, was Spaß macht, ist potentiell infektiös. Arbeit macht keinen Spaß, zu ihr darf man hingehen.
Welches Risiko für unseren Lebensstil sind wir bereit einzugehen?
Man kann das alles rechtfertigen, fragt sich nur, welchen Preis das für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für das Vertrauen in den Staat bei den Jugendlichen hat. Wenn potentiell kranke Touristen und Schüler zu Insassen von Quarantänezellen werden, wohin soll das führen? Und haben die Jugendlichen solch ein großes Risiko? Welche anderen Formen des Schutzes wären denkbar? Muss man sie schützen? Ist das nicht auch eine Freiheit, zu wählen, ob man geschützt werden will?
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass nur wenige (etwa die genannten Jugendlichen) in den kapitalistischen Gesellschaften bereit sind, für den Lebensstil (globales Reisen, Großveranstaltungen, Öffentlichkeiten, Partykultur) ein Risiko einzugehen bzw. im Worst-Case für den Lebensentwurf zu sterben. Statistiken, Angst- und Drohszenarien, die, zunächst ganz abstrakt, rein medial verkündet wurden, genügten schon, damit grundlegende demokratische Rechte von der Mehrheit der Menschen sang und klanglos aufgegeben wurden, man sich einer Testmaschinerie fügte, ohne auch nur zu fragen, ob es Alternativen gäbe, man Milliarden um Milliarden für die Test-Infrastruktur ausgab, wo sonst um jeden Cent gefeilscht wurde. Die globalen Reiserouten wurden quasi von einem auf den anderen Tag stillgelegt, alle öffentlichen Veranstaltungen für Monate abgesagt und mit Polizeigewalt wurde der öffentliche Raum, selbst der städtische, entleert, Kritikerinnen und Kritiker wurden aus dem Diskurs ausgeschlossen. Wer dem entfliehen will, setzt sich einer unvorhersehbaren Maschinerie von Tests, Quarantäne-Erlassen quasi aus dem Nichts, einer regelrechten Bestrafung im Namen der Virologen aus. Die Speicheltests, die es gibt, wendet man nicht an. Stattdessen die sehr unangenehmen (und bei schlechter Ausführung gefährlichen) Tests durch die Nase. Wie im Mittelalter wischt man die Achtung vor dem Anderen und vor dem Patienten im Namen des Infektionsschutzes beiseite. Die Medienberichte filmen die Feiernden wie Täter. Lachen ist verdächtig, nahezu kriminell, denn da könnten Tröpfchen mit Corona fliegen.
Die Frage ist nur, welchen Gegenentwurf die Virologen und die Politiker haben, die uns vor uns selbst schützen. Ich meine, sie haben keinen. Es gibt keine positive Botschaft in ihren Reden und Empfehlungen mehr. Es ist einzig das Versprechen, sich nicht anzustecken. Und warten wir den Herbst ab.
2021.06.30
Sprache in Valeska Grisebachs Western (2017)
Philosophie der Sprache. Über instrumentelle Sprache
Sprache dient im Alltag als ein Mittel zur Kommunikation. Wir verwenden die Sprache instrumentell, benennen Dinge und Zusammenhänge und machen sie so intellektuell verfügbar. Sätze wie »Siehst du den Tisch?« verweisen auf etwas und die Sprache behauptet die Einsinnigkeit zum Vermeinten. Sie bezeichnet eben diesen Tisch, den sie als Bedeutung intentional trägt, ist also ihre eigene Differenz (Signifikant-Signifikat). Im Wort drückt sich die Bedeutung aus, um es mit Edmund Husserl zu sagen. Um etwas als Sprache zu beschreiben, braucht es Selbstreflexivität auf die Sprache. Die Sprache muss sich als Sprache wie ein Ding zum Gegenstand machen können. Hat sie das getan, so entstehen Meta-Begriffe wie Semantik, Grammatik, können Strukturen, auch in der Musik etc. beschrieben werden. Der Computer ist eine Rechenmaschine, die dieses instrumentelle Verständnis von Sprache universalisiert und die in der Lage ist, Muster zu erkennen, Äquivalente von instrumentellen Sätzen zu übertragen. Der Computer kann nicht verstehen, aber es gibt Zuordnungsmuster, die sehr komplex werden können, so dass wir getäuscht werden, denken, das Gerät sei intelligent. Etwas, das von diesem instrumentellen Gebrauch der Sprache abweicht, kann die ›künstliche Intelligenz‹ nicht zuordnen. Dazu gehört alles, was mit Gefühlen zu tun hat, Leiblichkeit, Alltag, Deixis, Weltbezug, auch das Verschweigen, die Lüge, die Andeutung, metaphorische, symbolische und allegorische Zuordnungen, Rhetorik, Fremdwörter, bewusst gesetzte Fehler, Ironie etc., das sind Gebiete, die jenseits des instrumentellen Charakters von Sprache liegen, sowieso alles Poetische.
Bauerarbeitersprache und die Hand
In Valeska Grisebachs Western (2017) wird die Sprache der Bauerarbeiter inszeniert. Das ist faszinierend, weil es niemals abwertend, sondern mit Respekt geschieht. Die Hierarchisierung von Hochsprache und proletarischer Sprache ist aufgehoben. Mit Laiendarstellern gearbeitet, ohne Drehbuch, nimmt sich der Film die Freiheit, Situationen herzustellen, in denen die Protagonisten in der Sprache des Baus sprechen. Und dabei sehen wir, dass, wie bei der Boulevard-Sprache, dieses Sprechen eine eigene Komplexität hat. Schon zu Beginn, bei der Rekrutierung durch Vincent (Reinhardt Wetrek), sprechen die Männer teilweise Kauderwelsch. Sie verwenden das Deutsche fehlerhaft und roh, legen aber einen selbstbewussten und selbstbehaupteten Gestus in sie hinein, als hätten sie sie erfunden. Die Männer in der Gemeinschaftsunterkunft der umfunktionierten Jugendherberge sagen nicht ›danke‹, als Meinhard (Meinhard Neumann) das Essen bringt, sondern »Mir ist der Appetit vergangen« [00.01.46] und Vincents Aufforderung, sich für die Arbeit zu melden, heißt: »Männer, Schlüssel greifen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.« [00.01.49] Und ein Kartenspieler sagt, weil er zu verlieren beginnt: »Jetzt bin ich schon wieder tot.« [00.02.13] Es ist eine Semantik, die chiffriert und eigentümlich düster und negativ ist. Entweder ist sie so robust, dass es nahezu egal ist, was der Ingenieur (?) Vincent sagt, oder man kennt die verlangte Wendung bereits, ruft sie hin wie ein Shibboleth. Es ist eine stereotype, brutale und die Gefühle eigentümlich missachtende Sprache voller Schimpfwörter und Beleidigungen. Sie ist nicht gemacht, damit man vom Anderen verstanden wird, sondern geht im Grunde gerade vom absoluten Missverständnis aus, was aber gleichzeitig heißt, dass sie geerdet ist in einem nonverbalen Alltag. Es liegt stets eine Portion Konflikt darin, denn wenn die auf Handlungsanweisungen bedachte Sprache nicht verstanden wird (die Handlung also ausbleibt) dann geht sie sehr schnell in ein Schimpfen oder in einen Streit über. In dieser Hinsicht ist das Idiom körperlich und konkret. Es gibt ein Kontinuum vom Missverständnis, zur Beleidigung hin zum Rassismus und Nationalismus, das von einem zum anderen Satz durchmessen wird.
Bliebe Western nur in einer Sprache, würde man das alles schwerlich schätzen können. Aber weil die Bauarbeiter in Bulgarien in einem nahezu ausgetrockneten Flussbett ein Wasserkraftwerk errichten sollen, prallt die deutsche Geschichte auf die bulgarische und das Thema der Übersetzung wird konkret. Als Meinhard sich mit dem Einheimischen Adrian (Syuleyman Alilov Letifov) anfreundet, erweist sich die Rudimentärsprache des Baus als eine, die Kulturen verbindet. Der folgende Dialog ist im Film nicht übersetzt, Adrians Passage also nur auf Bulgarisch zu hören. Meinhard kennt diese Sprache nicht, aber beide unterhalten sich, als ob sie einander verstehen würden. Sie nicken einander zu wie Kumpels, der Wunsch nach Verstehen ist deren Klammer. Es gibt dazu eine gestische Choreographie, die das Gespräch umfängt. Dazu natürlich die Stimmung, beide rauchen, trinken, die Grillen Zirpen, ein schöner Sommerabend. Im Untertitel wird der Dialog, als Text also, für uns transparent. Und wir sehen, dass das gemimte Verständnis dem semantischen Gehalt entspricht. Natürlich ist das auch durch andere Gesten, das Zählen mit den Fingern, das Bedeuten des Körpers und des Himmels etc. geerdet. Aber es ist auch das gefühlsmäßige Vertrauen, das Einstimmen in den Anderen, das hier am Beginn wirklichen Verstehens steht. Bevor also die Sprache gelernt wird, tänzeln die Menschen um ihre Gefühle herum:
Adrian: »Kinder?«
Meinhard: »No. Drei?«
Adrian: »Amerika, England, allein.«
Meinhard: »Problem?«
Adrian: »Das Leben gibt die das eine und nimmt die das andere. Freiheit. Kinder... nein. Amerka, England, Deutschland. Erzähl etwas von dem Planeten. Planet. Du bist rumgekommen. Hier, da, da. Wie findest du diese bunte Welt? Du bist überall gewesen.«
Meinhard: »Die Welt ist wie ein... Wie soll ich das sagen? Wie Tiere. Fressen oder gefressen werden. Der Stärkere gewinnt immer. Und das sind wir, wir sind stark genug für die Welt. Du bist stark, ich bin stark. Für Planet.«
Adrian: »Wer der Stärkere ist...«
Meinhard: »Ich trage Familie immer im Herzen. Auch meinen Bruder. Meinen Brat. Ich hab einen Bruder verloren.«
Adrian: »Du erzählst etwas Trauriges. Gibt es deinen Bruder nicht mehr?«
Adrian hat also alles verstanden, genauso wie Meinhard. Es ist eine wunderbare Idee, dass das Wort Planet, ein Fremdwort aus dem Griechischen, dazu dient, das philosophische Gespräch zwischen den Sprachen zu beginnen. Da gibt es ein Einverständnis, ein Gefühl des Einverständnisses, des Sich-Einlassen-Wollens, das hier Übersetzung ermöglicht. Adrian entschuldigt sich dann sogar für seine Frage. Die beiden Proletarier haben also, im Alltag stehend, die Sprache transzendiert.
2021.06.29
2021.06.28
Alexander Kluges Zoom-Lesung Im Apparat ist nun online
Die Schule hat mich jedenfalls nicht erzogen. Herbert Marcuse - Cool Man!
Hier gibt's ein schönes Video mit einem langen Interview von Wiltrud Mannfeld mit Cool Man Herbert Marcuse, Autor u.a. von Der eindimensionale Mensch[Link]
Zwei moderne Schamanen
Frühere Schamanen haben meines Wissens mit ihrer Fähigkeit nie geworben oder diese herausgestellt. Die modernen Zauberer sind da schon anders. Sie zeigen via Musikvideo, was sie können! Bei Madonna war es Chris Cunningham, der Regie führte, bei Donovan gar David Lynch.
Donovan mit Pete Seeger, 1966
Über gefährliches Wissen im Westen und in Japan
Das Sensei-Prinzip
Dass es gefährliches Wissen gibt, ist offensichtlich, man denke an die Atombombe und die Anleitung zum Bau derselben. Die Frage ist nur, wie Kulturen damit umgehen. Die westlichen Kulturen, gerade die deutsche, gehen damit sehr unvorsichtig um. Sie möchten Wissen maximal generieren, sehen darin einen Selbstzweck und erst, wenn die Katastrophe geschieht, reagiert man mit Verboten, Zensur, meistens in übertriebener Weise. Auch im Individualismus und dem damit einhergehenden Interesse liegt ein dynamischer Antrieb, ein unerschöpflicher Wissensdurst. Niemand würde im Westen von sich aus das Wissen einschränken wollen, die Ausbreitung von neuen Ideen wird in Öffentlichkeiten potentiert und scheint niemals genug Beschleunigung zu erfahren. In Japan ist das ganz anders. Zunächst gibt es hier, und das ist auch heute noch so, ein Lehrer (sensei) Prinzip. Das heißt, dass der Lehrer in Person für das Wissen wie für den Schüler und dessen gelingenden Lernprozess Verantwortung trägt. Damit ist auch gesetzt, dass der Schüler nur das lernt, was der Lehrer ihm vorgibt. Das scheint eigentümlich beschränkt und altmodisch. Aber es hat auch Vorteile. Zum einen können so Schulen über Jahrzehnte und Jahrhunderte bestehen, weil es nicht um Expansion, sondern um Erhalt geht. Zum anderen ist das Wissen personell verbürgt. Jeder weiß, dass der Sensei es weiß. Wenn etwas passiert, wird das an ihn adressiert. Außerdem wird das Wissen stabil gehalten. Neues Wissen gerät nicht so leicht in die Kultur und damit auch nicht die technischen Katastrophen. Neuerungen sickern allmählich ein, werden dann aber, zur Schule geworden, blitzschnell adaptiert. Aber dann sind die Katastrophen anderswo längst geschehen und man kann aus ihnen lernen. Man ist also skeptisch gegenüber Neuem, weil man es noch nicht durchdrungen hat. Dabei geht es weniger um ein hermeneutisches Verstehen, sondern um eine Ordnung von Erklärungen. Ganzheitlichkeit ist nicht so wichtig, auch das Argument eher als erläuterndes. Lerninteresse und Lernpflicht
Man lernt auch nicht nur aus individuellem Interesse, sondern sieht darin eine gesellschaftliche Aufgabe, zu der man bestimmt wurde, sei es von den Lehrern, von den Eltern oder der Familie. Es ist also eher eine Lernpflicht. Damit einher geht auch eine Homogenisierung des Lernraums. Auch das scheinbar Unwichtige wird gelernt. Wie gesagt: Gelernt. Weil die japanische Kultur eher mnemotechnisch denn hermeneutisch ist, sind die Leistungen, die in der Entdeckung von Ähnlichkeiten und Verwandtschaften liegen, enorm. Sprachmagie und Lernen
Dazu kommt, dass man alles spirituell denkt. Beispielsweise habe ich es oft erlebt, dass Studenten schlechte Wörter, wie etwa »hässlich« oder Wörter, die mit dem Tod zusammenhängen, nicht aussprechen wollen. Sie zögern, geben Unverständnis vor etc. Es liegt darin die Erkenntnis der Sprache als magisches Instrument. Wer Schlechtes spricht, infiziert sich gleichsam damit. Man ist stets auf das Gute, die Harmonie bedacht und würde niemals so kopflos das Schlechte und Negative darstellen wie im Westen. Jeder japanische Film beweist das. Es geht also immer um die Frage, was Sprache macht. Man lässt wenig zu. Während man im Westen individuell lernt, von der Aktivität ausgeht, ist es in Japan die Passivität. Es braucht viel Geduld, eine aktive Fragestellung herauszukitzeln, aber es ist ganz leicht, in einen kollektiven Lernchor einzustimmen. Das macht in diesem Sinne keinen Spaß, ist kein Erlebnis wie das eine Interpretation ist, sondern es ist ein gemeinsames Einüben in den Lernraum, ein kollektives Betreten des Neuen. Die Geister der Vergangenheit. Exhuminierung des vergangenen Wissens
Ich habe es oft erlebt, dass man Dinge wissen will, aber sie nicht anwendet. Man weiß, dass man das Internet nutzen kann, nutzt es aber nicht. Man verzichtet auf den Informationsschatz. Auch das Verhältnis zur kulturellen Vergangenheit ist so. Im Westen kann man eine Digitalisierungswut beobachten. Man möchte alles in den digitalen Raum bringen, glaubt, dass man sonst der Konkurrenz nicht stand hält ob der Geschwindigkeit, die man sich selbst auferlegt hat. In Japan gibt es eine vergleichbare Digitalisierung historischer Dokumente, Schriften, Bilder nicht. Das ist keine Nachlässigkeit oder Trägheit, sondern meiner Meinung nach hat man Angst davor, dass mit den Geschichten, die in den Schriften liegen, die Geister der Vergangenheit gewissermaßen exhumiert werden. Das würde bedeuten, dass man einer diffusen Gespensterarmee ausgesetzt wäre. Das vermeidet man tunlichst. Hier ist man sehr vorsichtig. Und ist das wirklich so falsch?
2021.06.26
Woran erkennt man technokratische Denkweisen?
In den letzten Jahren haben wir eine rapide Zunahme von technokratischen Denkweisen beobachtet. Da diese oftmals verkleidet präsentiert werden, von légeren Trägern verkörpert, von einem märchenhaften und vertrauensvollen Tonfall in der Stimme dargebracht etc., erkennt man sie nicht sofort. Die, die die Haltung prägen bzw. selbst von ihr geprägt werden, wissen um die Notwendigkeit von Inszenierungen. Würden sie ihr technokratisches Modell, das fachlich hoch kompliziert sein mag, einmal in seiner Struktur und seinen möglichen Folgewirkungen konkret darstellen, niemand würde es wählen. Es würde unmittelbar auf größten Widerspruch stoßen ob seiner offensichtlich falschen Prämissen und der ihm inhärenten Gewalt. Es braucht daher ein Fading, eine Sympathie, eine institutionelle Anbindung und natürlich auch den Erfolg. Wir beziehen uns in unseren Ausführungen auf Theodor W. Adorno und Max Horkheimers Dialektik der Aufklärung, auf Jürgen Habermas. Letzterer hat in einer sehr präzisen Diagnose der EU folgende Analyse vorgelegt:
»Einer demokratisch entwurzelten Technokratie fehlen sowohl die Macht wie das Motiv, die Forderungen der Wahlbevölkerung nach sozialer Gerechtigkeit, Statussicherheit, öffentlichen Dienstleistungen und kollektiven Gütern im Konfliktfall gegenüber den systemischen Erfordernissen von Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum ausreichend zu berücksichtigen.« (Jürgen Habermas: Im Sog der Technokratie, Kleine Politische Schriften XII, Berlin 2013, 2013, S. 92)
Der Philosoph Günther Anders hat, mit Bezug auf Heidegger und Husserl, dieses typisch moderne Verhältnis des Menschen zur Technik herausgearbeitet und als ›prometheisches Gefälle‹ beschrieben:
»›Technokratie‹ versteht Anders im etymologischen Wortsinne: Herrschaft einer verabsolutierten Technik, die zum eigentlichen Subjekt geworden, demgegenüber Menschen zu Objekten degradiert sind: ›die Subjekte von Freiheit und Unfreiheit sind ausgetauscht. Frei sind die Dinge: unfrei ist der Mensch.‹« (Wolfgang Kramer: Technokratie als Entmaterialisierung der Welt, Münster 1998, S. 3. Dort zitiert: Günther Anders: Über prometheische Scham, aus: Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1, München 1983, S. 33)
Peter Hübner untersuchte in einem Aufsatz die Technokratie in der DDR. Diese Studie kann uns als wichtiger Leitfaden dienen, um die aktuellen Entwicklungen in Zeiten von Corona zu beschreiben. Es ist auffällig, dass die technokratischen Zumutungen von Vertretern von Gremien, Forschungsstellen, Experten etc. verlautbart werden bzw. sich in einem regelrechten Dickicht von Fachtermini und Andeutungen verbergen. Ein Wesenszug der Technokratie sei, laut Hübner, die »›Nicht-Politik-Politik‹« (Peter Hübner: Menschen-Macht-Maschinen. Technokratie in der DDR, in: Eliten im Sozialismus, hrsg. von Peter Hübner, Köln 1999, S. 325-360, zit. S. 327). Das scheint uns ganz bedeutend, um technokratische Modelle und deren Macht zu erschließen. Es ist erstmal deren ›Alternativlosigkeit‹, die scheinbar neutrale Expertenmeinung, die dann vom Politiker nur noch übernommen wird, weil sie so gut begründet und wissenschaftlichn fundiert ist, wenn zum Beispiel in Zeiten von Corona von ›systemrelevanten‹ Gesellschaftsbereichen gesprochen wird und damit der gesamte Kulturbetrieb als systemirrelevant geschlossen wird.
Habermas spricht auch von einer ›Hintergrundideologie‹ (zit. bei Hübner, a.a.O., aus: Jürgen Habermas: Technik und Wissenschaft als ›Ideologie‹, Frankfurt am Main, 1969, S. 81). Es sind diese Experten, die sich im Hintergrund halten, manchmal als Gentlemen und elegante Damen in die Öffentlichkeit treten, die aussehen, wie man es von Wissenschaftlern erwartet und die scheinbar nur helfen wollen, »›alles ist technisch lösbar, berechenbar und planbar - man muß nur den Fachleuten glauben. Politik interessierte fast gar nicht‹« (Hübner, a.a.O., S. 329, dort zit. Radoslav Selucky: Das ostdeutsche Wunder, in: Deutschland Archiv 5, 1971, S. 1076). Ursprung hat der Begriff und die Methode der Technokratie in den USA der 1930er Jahre (Hübner, a.a.O., S. 332), Vorläufer gibt es freilich überall und Deutschland war an Technokraten niemals arm: »Technokratisches Denken bildete, so gesehen, eine geistige Brücke, über die Experten der NS-Kriegswirtschaft unter Bewahrung einer beruflichen Kontinuität aus dem Zusammenbruch in die Nachkriegszeit gelangten.« (Hübner, a.a.O., S. 335).
Dass in Zeiten der Digitalisierung technokratisches Denken populärer denn je ist, überrascht nicht, sind doch die Diskurse bereits über Algorithmen gesteuert und die Lehranstalten durch und durch von einer Leistungsberechnung durch Credit Points etc., d.h. einer ›Computerisierung‹ getrieben.
Abgesehen aber von diesem eher akademisch-theoretischen Diskurs geht es uns im folgenden darum, die konkreten Inszenierungsformen und Methoden der Technokratinnen und Technokraten zu konturieren. Man muss immer daran denken, dass auch die Technokraten in systemische Ordnungen eingelassen sind. Sie sind in diesem Sinne für ihr Tun nur bedingt verantwortlich, lassen sich eher als Stellvertreter begreifen, die jederzeit durch andere, konkurrierende im Apparat ersetzt werden können (und werden). Aber sie sind zunächst die Agenten, die uns gegenübertreten und an deren Sprach- und Verhaltensmustern, an deren Termini wir die dahinter stehende Ideologie schattenhaft erkennen können. Wenn auch die folgende Aufzählung sehr grob ist, so stellt sie vielleicht eine erste Orientierung dar, um technokratische Denkweisen zu erkennen, deren Materialisation durch die Repräsentantinnen und Repräsentanten zu beschreiben:
- Beanspruchung der Wahrheit, nicht durch Klarheit der Argumente, sondern durch quasi-staatliches Auftreten, Repräsentation, übertriebene Ernsthaftigkeit. Einfachste Wahrheiten können verdreht sein.
- Das Kollektiv ist wichtiger als das Individuum.
- Abstrakta, sprachliches Expertentum, Arkanöffentlichkeiten, Verfachlichung. Es geht mehr um eine Vermittlung, Erklärung denn um eine argumentative Darstellung oder Rechtfertigung. Das Publikum ist prinzipiell unwissend und unfähig, die Expertenurteile einzusehen. Aus diesem Grund muss der Experte didaktisch werden und verständnisvoll auftreten, um es der Allgemeinheit zu erklären, wie gut begründet das alles ist. Dass er verstanden wird, setzt er oder sie nicht voraus. Es geht nur um eine Erläuterung. Diese ist eine Gunst seinerseits.
- Sachliches Auftreten, merkwürdig gesetzte Position, typisches Erscheinungsbild, Unanfechtbarkeit durch Auslobungen, Preise, Zuwendungen seitens der Mächtigen, mitunter ein gestresstes Äußeres, je nach Lage.
- Verallgemeinerung des Fachwissens auf den Kosmos, Kurzschlusstheorien.
- Ingenieurhafte Lösungen und eindimensionale Logiken, etwa:
Der Klimawandel wird durch CO2 erzeugt - CO2 erhöht die Temperatur - Senkung von CO2 senkt die Temperatur - alles wird gut.
Das Virus infiziert die Menschen - wir müssen das Virus durch Anwendung technischer Methoden auslöschen - die Menschen werden gesund.
- Technokraten haben auf alles eine Antwort, obwohl sie nur über ein Spezialwissen verfügen. Aus ihren Minimalmodellen heraus erklären sie die Welt, ohne dass sie eine schlüssige Theorie oder eine geordnete Begrifflichkeit haben. Sie sind de facto nur extern (d.h. politisch) legitimiert, weil sie funktionieren und sich instrumentalisieren lassen, zeigen dies aber nicht.
- Nicht-Politik-Politik, Schein-Neutralität, Beanspruchung einer höheren Wahrheit jenseits politischer Lager.
- Verschleierung der Gewalt der Maßnahmen, die durch Anwendung der zu einfachen Logik entsteht.
- Der Geltungsbereich der Argumente ist radikal vereinfacht auf das Messbare, Objektive, Faktenhafte. Unsicherheiten, Unklarheiten, Diskussion der Prämissen und Perspektiven, auch eine Reflexion auf die eigene Position, deren Bedingungen und deren Sprech- und Denkweise wird als unwissenschaftlich abgelehnt. Eine Interpretation oder eine Kritik wird nicht gestattet, sondern diskreditiert, da sie von außerhalb kommt. Auffällig ist der Bezug zu Daten, Statistiken, Programmen, Maßzahlen, Quoten, Diagrammen etc., deren Geltung eine bloße Setzung ist. Es gibt eine klare Distanz zur Kultur, zur Literatur, zur Ästhetik und zum Genuss. Wissenschaft wird als das dargestellt, was im Labor geschieht, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sie macht keinen Spaß, ist eine ernste Angelegenheit.
- Das Auftreten der Experten (weniger der Expertinnen) in der Öffentlichkeit ist betont léger, sicher, selbstbewusst, durchschnittlich, dem Massengeschmack gemäß. Der Experte weiß sich in seiner Rolle sicher und möchte seine wissenschaftlichen Erkenntnisse vermitteln. Eine Kritik wiederum verbietet er sich, indem er sie geduldig, aber phrasenhaft goutiert. Er versteckt sich hinter dem Politiker, wenn es um die Auswirkungen seiner Theorie geht.
- Es gibt dahinter stehende ökonomische Potentiale, Labore, Testformen, Infrastrukturen, Forschungsbereiche und Gelder in Millionenhöhe, die aber niemals beziffert werden.
- Technokratische Denkweisen treten als beratende auf, sie sind resistent gegen Kritik, Kritik, die die Prämissen hinterfragt, philosophische also, gilt per se als unwissenschaftlich, sowieso Selbstkritik. Zugelassen wird diese nur im Hinblick auf Zahlen und Interpretationen innerhalb der Systeme.
- Experten stehen eigentümlich im Hintergrund, wenn es um die Ausübung der Macht geht. Sie können zwar Podcasts machen, Interviews, Pressekonferenzen geben, treten in aufwendigen Dokumentationen auf etc., aber ihre eigentliche Beratungsmacht wird nie deutlich, auch die Beziehungen zwischen den Experten untereinander, die ökonomischen und personellen Geflechte und Clubs, die politischen Kontakte etc. werden nie explizit.
- Die Technokraten sind nicht gewählt, Transparenz, Verlagerung in Fachjournale etc., in die die Allgemeinheit schon aus institutionellen und ökonomischen Gründen keine Einsicht hat, Intransparenz, Ausschluss von Öffentlichkeit.
- Behauptung von einem einfachen Wahrheitssystem, statistischen Methoden, Messverfahren, Erfindung derselben, die einer allgemeinen Kritik enthoben sind.
- Es gibt eine eigentümliche Diskrepanz zwischen dem fachlich eingeschränkten Spezialwissen und den Auswirkungen ihrer Aussagen. Verantwortung für den Rat braucht der Technokrat nicht zu übernehmen.
- Sie erzeugen Wahrheitsregime und neue Technokratien, wenden das Modell auf alles Mögliche an, expandieren.
- Förderung des Spezialistentums und der Autoritäten, Hierarchien, Tendenz zur Autokratie.
- Die Disziplinierung, Vereinheitlichung auf ein simples System innerhalb des Faches hat Scheinobjektivität zur Folge: Alle Experten eines Faches sagen das Gleiche, was von der Öffentlichkeit als Wahrheit interpretiert wird.
- Beanspruchung der Deutungshoheit zusammengezimmerter Wahrheiten. Diese äußert sich in dem Platz, den sie in der Öffentlichkeit einnehmen.
- Krankheit wird etwa als Testergebnis verstanden, nicht als Gefühl. Klimaschutz wird über die Maßzahl des CO2-Werts gesucht, Leistung im akademischen Kontext wird beziffert durch Indices der Zitation etc.
- Die Technokraten schützen die Bürger vor sich selbst im Namen der Gesundheit, der Terrorismusabwehr, des Jugendschutzes etc. Alkohol, Nikotin, Virus, gesellschaftiche Gefahren und Verrohungen dienen dazu, Überwachungssysteme zu installieren.
- Technokratische Positionen erkennt man auch daran, dass sie mit Angstszenarien arbeiten, der andere will uns auch vernichten (Kalter Krieg), das Virus tötet uns, wenn wir jetzt nicht die Kultur abschalten etc.
- Es geht nicht darum, die Fähigkeiten der Anderen auszubilden, sondern es erfolgt eine klare bipolare Ordnung, eine Elitengesellschaft ist die Bedingung der Technokraten.
- Die Macht der Technokraten wird als Bestätigung für die Richtigkeit von deren Aussagen aufgefasst.
- Die Anwendung von künstlichen Experimenten, Laborergebnissen, verkürzten Darstellungen auf die Gesellschaft. Technokraten schrecken nicht davor zurück, die ganze Gesellschaft zu einem Experimentierfeld Ihrer Ideen zu machen.
2021.06.25
Anaphylaktischer Schock und Tod einer Krankenschwester in Georgien nach der AstraZeneca-Impfung im März 2021
Offenbar schon im März 2021 kam es in Georgien zum Tod einer Krankenschwester, in der Freitag heißt es dazu:
»Die georgische Impfkampagne mit AstraZeneca begann nämlich so: Der erste Impfling in Achalziche, die 28-jährige Krankenschwester Megi Bakradze, sagte in eine Fernsehkamera, man muss sich nicht fürchten, jedes Medikament kann Nebenwirkungen haben. Unmittelbar danach erlitt sie einen anaphylaktischen Schock und starb.« (Martin Leidenfrost: Sie wollte Vorbild sein und starb, der Freitag, 26.6.2021 [Link])
Man fragt sich, wieso diese Nachricht erst jetzt in den deutschen Medien erscheint. In Georgien ist die Impfbereitschaft seit diesem Vorfall verständlicherweise an einem Tiefpunkt angelangt.
2021.06.24
Über Falschlicht und Linsen-Lichtschein
Dieser Tage besprachen wir Thomas Arslans Film Helle Nächte im Seminar. Es gibt bei den Autofahrten wunderschöne Gegenlichteffekte (Screenshot aus Helle Nächte, .46 Minute). Begriffe, die man zu deren Beschreibung benutzen könnte, sind: Falschlicht, herumirrendes, vagabundierendes Licht, Lichtflecke, Gegenlicht, Linsenreflexionen, Geisterflecke, Streulicht, Lens Flare, Linsen-Lichtschein, Blendenflecke.
Handlungsperspektiven für die Wissenschaftskommunikation. Informationen vom BMBF
Was man wirklich will mit diesen Veranstaltungen und Broschüren, das kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl niemand sagen. Es ist so ungenau wie damals, als man BA- und MA-Studiengänge und die Evaluierung der Studiengänge etc. einführte. Das Wörtchen ›Kommunikation‹ an Stelle von Diskussion, Gespräch, Dialog lässt ahnen, worauf das hinausläuft.
Das Papier #FACTORYWISSKOMMHANDLUNGS-PERSPEKTIVEN FÜR DIE WISSENSCHAFTS-KOMMUNIKATION ist [hier] als Download verfügbar. Weitere Informationen finden sich [hier]
Die geringe Aussagekraft von PCR-Tests, eine neue Studie an der Medizinischen Fakultät der Univ. Düsseldorf bei Prof. Dr. Andreas Stang
Die Ergebnisse von PCR-Tests, und nicht die Symptome wie seit dem Asklepios-Kult der Antike üblich, bildeten die Grundlage für die Corona-Maßnahmen. Jetzt hat eine Studie an der Univ. Düsseldorf auch statistisch die geringe Aussagekraft dieser Tests bewiesen, es heißt:
»Forschende der Medizinischen Fakultät der UDE weisen im renommierten Journal of Infection* darauf hin, dass die Ergebnisse von RT-PCR-Tests allein eine zu geringe Aussagekraft haben, um damit Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu begründen. Gemäß ihrer Untersuchung beweisen positive Testergebnisse nicht hinreichend, dass mit SARS-CoV-2 Infizierte andere Personen mit dem Coronavirus anstecken können. Zusammen mit Wissenschaftler:innen der Universität Münster und dem MVZ Labor Münster hatten sie zuvor rund 190.000 Ergebnisse von mehr als 160.000 Menschen dahingehend ausgewertet« (Martin Rolshoven: Ergebnisse allein ungeeignet als Grundlage für Pandemie-Maßnahmen, Pressemitteilung 18.06.2021 [Link] Link zur Studie [Link])
Rechtsanwalt Christian Solmecke über neue Abmahnungen
2021.06.23
Große Gitarristen
RAF Camora im Interview
Prof. Dr. Hans-Peter Lipp erklärt die Zubereitung des Impfstoffs von Biontech
2021.06.22
Not Vampires. Great Work!
Die Sounds auf Not Vampires sind einfach großartig!
[Link]
Prof. Dr. Sabine Poeschels Gespräch Lieblingsbilder - was Kunst zeigen kann nun online!
2021.06.21
Millionen von Einsamkeiten. Günther Anders über den Erfolg der Massenmedien
In seinem philosophischen Essay Die Welt als Phantom und Matrize beschreibt Günther Anders sehr weitsichtig die Ursache für den Erfolg der Massenmedien: »Keine Entprägung, keine Entmachtung des Menschen als Menschen ist erfolgreicher als diejenige, die die Freiheit der Persönlichkeit und das Recht der Individualität scheinbar wahrt. Findet die Prozedur des ›Conditioning‹ bei jedermann gesondert statt: im Gehäuse des Einzelnen, in der Einsamkeit, in den Millionen Einsamkeiten, dann gelingt sie noch einmal so gut.« (Günther Anders: Die Welt als Phantom und Matrize, in: ders.: Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. I, München 1983, § 3, S. 104)
Darin liegt, dass die Massenmedien an der Einsamkeit ansetzen. Und diese Einsamkeit wurde ökonomisch produziert, könnte man mit Marx sagen, durch die Industrialisierung der Arbeit. Anders geht noch davon aus, dass die Privatsphäre gewahrt bleibt, was auch damals noch der Fall war. Heute wird auch diese noch zum Gegenstand ökonomischen Interesses.
Die Millionen von Einsamkeiten sind auch das Objekt der Pandemiebekämpfung. Es ergeht eine moralisch-politische Aufforderung der Infektionsschützer an alle, ein virologischer Imperativ: Seid einsam, zieht euch zurück! Es ergehen Strafen gegenüber denjenigen, die nicht gewillt sind, sich zu isolieren. Deren Verhalten, sich in die Öffentlichkeit zu begeben, ist im Zuge der ausbreitenden Infektion verantwortungslos. Die Pandemiebekämpfung ist im Kern eine Zementierung der Millionen von Einsamkeiten, die Umfunktionierung der Wohnung und der Hotels in Quarantäne-Zellen. Die sinkenden Fallzahlen künden davon, wie erfolgreich es die Menschen vermochten, sich selbst zu vereinsamen, die Einsamkeit anzunehmen, sie als eine Pflicht gegenüber der Gemeinschaft zu begreifen, diese soziale Paradoxie auszuhalten, sich mit den Milliarden Menschen zeitgleich in die Milliarden von Einsamkeiten zu vertiefen.
Peter Brandes' Vortrag Das mobile Bett ist jetzt online!
Formen des Tanzens - die südkoreanische Boygroup BTS und Eddy Kenzo aus Uganda
Interessante Seiten zur Biolumineszenz
Biolumineszenz, also die Fähigkeit einiger Arten, Licht zu emittieren, ist ein ästhetisch sehr interessantes Phänomen. Da entstehen gespensterhafte Lichtformen und Gestalten aus dem Nichts, die Nacht und die Tiefsee kehren sich um. Traumhafte Szenarien. Sehr zu empfehlen ist The Bioluminescence Web Page [Link] mit schönen Photos
[Link]. Chemisch wird das Phänomen an der Uni Jena untersucht [Link], René Spierling betreibt eine Homepage zu den Leuchtkäfern im deutschsprachigen Raum [Link].
2021.06.19
Ameisenhaftigkeit ist überall. Insekten und Schmerz. Ameisen, Bienen und der Superorganismus
Uns scheinen die Insekten diejenige Spezies zu sein, die des Schmerzempfindens unfähig ist. Sie besitzen auch kein Mitleid, wie man das bei Säugetieren doch vermuten kann, fressen Artgenossen etc. Die Organisation erfolgt durch Superorganismen, wie Bert Hölldobler es nennt. Es sind dies aber in Kasten organisierte Quasi-Staaten, Meta-Wesen, die eine rigide Organisation aufweisen, eine Arbeitsteilung etc. Solch Ameisen- und Bienen-Superorganismen entwickeln ihre Intelligenz erst im Verbund, verfügen aber als einzelnes Insekt nur über ganz spezifische Fähigkeiten. Imposant sind die Größenverhältnisse der Nester zu den einzelnen Insekten. Für uns ist es kaum vorstellbar, wie das gelingt, die Überschreitung von Ameise zu Ameise hin zum Superwesen. In uns sind diese Fähigkeiten verinnerlicht, aber die äußerliche Anschauung stellt uns immer noch vor Rätsel, wo wir das Gebilde doch erkennen müssten in seiner Organisation. Die Evolutionstheorie sagt, dass wir uns aus diesen entwickelt haben, aber da gab es auch Vergessensprozesse, Abspaltungen. Das Internet führt diese Art von Ameisenhaftigkeit wieder ein. Schon die Akustikkoppler, die man früher brauchte, klangen ameisenhaft, wie das Zirpen von Heuschrecken oder das intensive Flattern von Bienen im Stock. Daher ist das Verständnis dieser Wesen für uns heutige Menschen wieder viel wichtiger, als es das früher war. Ameisenhaftigkeit ist heute überall. Heuschreckenschwärme von Informationen schwirren umher, Werbung flattert, Bienentänzen gleich, um uns herum.
Corona-Impfung für Kinder - ein Rat von Dr. Jost Deerberg
Interview mit Prof. Dr. Ulrike Guérot (Donau Univ.) über die Öffentlichkeit in Zeiten von Corona
Interessante Dokumentarfilme von Ralph Steiner, Jean Painlevé
Zwei Mal Baseballkappe - Mark Forster und RAF Camora
2021.06.18
Justin Frankel-Performance
Hier geht es zu Justin Frankels Homepage [Link]
Einer der vielen schönen Songs, Not Vampires 09[Link]
2021.06.16
Angela Merkels Corona-Beratungsgremium
Schon vor einigen Monaten veröffentlichte Der Spiegel eine Liste der Fachleute, die Angela Merkel in Sachen Corona beraten. Diese sind:
- Lothar Wieler, Chef des Robert Koch-Instituts (RKI)
- Christian Drosten, Chef der Virologie an der Charité
- Michael Meyer-Hermann, Abteilungsleiter System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI)
- Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI)
- Cornelia Betsch, Psychologieprofessorin an der Universität Erfurt im Bereich Gesundheitskommunikation
- Rolf Apweiler, Direktor des Europäischen Instituts für Bioinformatik (EMBL-EBI)
- Melanie Brinkmann, Professorin für Virologie an der TU Braunschweig
- Kai Nagel, Professor für Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik an der TU Berlin
(Jörg Römer: Diese Fachleute beraten Bundesregierung und Länderchefs, Der Spiegel, 18.1.2021 [Link])
Hätte man diese Liste von Regierungsseite publiziert oder die Fachleute gleich in den Pressekonferenzen neben Merkel gesetzt, hätte alles arrangiert gewirkt. So aber gaben die Experten gewissermaßen aus dem Hintergrund heraus Interviews, ohne dass die Öffentlichkeit explizit in Kenntnis gesetzt wurde, dass es sich hierbei um ein einziges, und zwar technokratisches Gremium handelte. Die Philosophin Olivia Mitscherlich-Schönherr hat kürzlich in einem Interview mit Jacob Augstein diese Strategie und deren Schwächen klar benannt (und sogar noch eine weitere Expertin aufgeführt, die dem Spiegel entging):
»Bis heute ist es so, dass die Beratungsgremien der politischen Exekutive primär von den Bio-Wissenschaften geprägt sind. Das beeinflusst unser Bild von uns selbst als Menschen und macht es schwer, andere Perspektiven zu berücksichtigen. [...] Hier wird mit einem verkürzten Rationalitätsverständnis gearbeitet und eine politische Praxis ausgebildet, die unsere politische Freiheit beschränkt. [...] Ich finde es sehr interessant, dass im wissenschaftlichen Beirat der Bundeskanzlerin mit Viola Priesemann auch eine Physikerin sitzt, die in den Hirnwissenschaften arbeitet und künstliche neuronale Netze – also: Künstliche Intelligenz – baut, um Theorien über menschliche Hirnaktivitäten aufzustellen. Sie hat nun ihre Theorien darüber, wie Informationen in neuronalen Netzen funktionieren, egal ob im Computer oder im Gehirn, auf das Pandemiegeschehen angewendet und daraus Schlüsse für die Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung gezogen. Unter anderem daraus hat sie auch ihre Forderung nach ›No-Covid‹ abgeleitet. Wir erklären uns also das gesellschaftliche Leben in der Pandemie anhand einer Verschränkung von Bio- und Computerwissenschaften.« (Olivia Mitscherlich-Schönherr, Jacob Augstein: »Wir waren lange gelähmt« Interview, der Freitag, 9.6.2021,
[Link])
2021.06.15
Dr. Frank Brose: Zum Stand des Wiederaufbaus in Nordostjapan 10 Jahre nach der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011
›Schwerpunkt des Vortrags ist die Situation in den vom Tsunami besonders stark verwüsteten Städten an der Sanriku-Küste (Iwate- und Miyaki-Präfektur) und die dort aus der Katastrophe gezogenen Lehren. Berichtet wird über den Wiederaufbau der Infrastruktur, die Hochwasserschutzmaßnahmen, den privaten und sozialen Wohnungsbau, aber auch über soziale Projekte und Initiativen zur Wiederbelebung des Gemeinschaftslebens.‹
Video auf Vimeo [Link]
2021.06.14
Nebenwirkungen der COVID-Impfungen, umgerechnet in den Inzidenz-Wert
Matthias Rüb berichtet in der FAZ vom 11. Juni 2021 über Nebenwirkungen der Vaxzevria-Impfung: »Die Achtzehnjährige hatte sich am 25. Mai im Rahmen eines von der nordwestitalienischen Region Ligurien organisierten ›Open Day‹ mit Impfmöglichkeit für alle Altersgruppen die erste Dosis Vaxzevria verabreichen lassen. Am 3. Juni hatte sie erstmals über Kopfschmerzen und starke Lichtempfindlichkeit geklagt. Am 5. Juni wurde sie ins Krankenhaus von Genua gebracht. Zwei Operationen zur Entfernung der Thrombosen im Gehirn sowie zur Minderung des Gehirndrucks blieben erfolglos. Am Donnerstagabend [10.6.2021] starb die Frau.« (Matthias Rüb: Debatte um Vaxzevria nach Tod einer Frau, FAZ, 11.6.2021 [Link])
In seinen Sicherheitsberichten gibt das Paul-Ehrlich-Institut regelmäßig Daten der Nebenwirkungen frei. Diese dürften allerdings für ein allgemeines Publikum, durch deren Fachsprache und Termini, nahezu unverständlich sein. Dazu sind die Daten unübersichtlich angeordnet und wenig aufbereitet. Immerhin konturiert der Bericht zwischen den Zeilen ein realistisches Szenario und beschreibt die gemeldeten Nebenwirkungen und auch die tödlichen Verläufe.
Über das in der FAZ berichtete Thrombosen-mit-Thrombozytopenie-Syndrom, kurz TTS heißt es: »Die sehr seltene, gleichwohl schwerwiegende Nebenwirkung eines TTS ist stets im Kontext des nachgewiesenen Nutzens der Impfung, nämlich Schutz vor schweren und tödlichen COVID-19-Erkrankungen, zu sehen.« (Sicherheitsbericht, 10.6.2021, S. 5 [Link], sie dazu auch den Rote-Hand-Brief, [Link])
Eine solche Interpretation ist aus zwei Gründen irreführend:
Erstens handelt es sich bei dem Risiko der Impfung um einen ›geschlossenen‹ Wahrscheinlichkeitskorridor. Das heißt, dass man weiß, dass Nebenwirkungen mit eben jener statistischen Häufigkeit auftreten werden. Man setzt sich diesem Risiko bewusst aus. Eine Erkrankung mit COVID ist aber ein offener Wahrscheinlichkeitsraum. Niemand kennt die Wahrscheinlichkeit, sich mit COVID zu infizieren. Wer vorsichtig ist, kann das Risiko, etwa durch Tragen einer Maske, senken. Aus diesem Grund wäre die Frau, und das ist hier konkret gemeint, mit großer Wahrscheinlichkeit noch am Leben, wäre sie nicht geimpft worden. Es nutzt ihr und ihrer Familie überhaupt nichts, wenn Wissenschaftler auf die Wahrscheinlichkeit und den Nutzen für die Allgemeinheit verweisen. Das klingt so, als sollten sich die jungen Frauen (und Männer) für ein größeres Ziel, die Herdenimmunität, opfern, indem sie sich impfen lassen. Sie müssen es nicht!
Der zweite Grund ist allerdings noch viel weitreichender. Es gibt unseres Wissens keine Statistik, die die Symptome von COVID und deren Schwere statistisch erfasst, auch wird unseres Wissens das Alter und die Dauer der Intensivbehandlung nicht erhoben. Dies wäre aber notwendig, um ein neutrales Urteil fällen und gewissenhaft abwägen zu können. Bei allem, was wir lasen, haben junge Menschen nahezu kein Risiko, an COVID zu sterben.
Die Tabelle 2 im PEI-Bericht ([Link], S. 8) listet dann die Melderate für schwerwiegend pro 1.000 Impfungen auf. Wohlgemerkt, das sind nur die gemeldeten Fälle! Welche Dunkelziffer gibt es? Dort ist die Rate bei Comirnaty und Moderna bei 0.1 und bei Vaxzevria gar bei 0,4. Was heißt das konkret? Es heißt, dass von 10.000 Menschen einer bei Comirnaty und Moderna schwerwiegende Nebenwirkungen hat und bei Vaxzevria gar einer von 2.500 Menschen. Man rechne das in den für COVID so gerühmten Inzidenz-Wert um, dieser berechnet sich wie folgt: (Meldefälle / Anzahl Einwohner) * 100.000 ([Link]). Setzt man die Zahl der Geimpften für Einwohner ein, dann erhält man bei Comirnaty und Moderna: (0.1/1.000)*100.000=10 und bei Vaxzevria (0,4/1.000)*100.000=40. Übersteigt die Inzidenz der Nebenwirkungen einer Impfung gar bald die der COVID-Inzidenz? Dabei wird die Inzidenz von COVID-Infektionen ja nur nach positiven Tests berechnet, Symptome haben diese Menschen oftmals keine. Man kann hier nur den guten Georg Christoph Lichtenberg aus den Sudelbüchern zitieren: »Wenn man einmal Nachrichten von Patienten gäbe, denen gewisse Bäder und Gesundheitsbrunnen nicht geholfen haben, und zwar, mit eben der Sorgfalt, womit man das Gegenteil tut, es würde niemand mehr hingehen, wenigstens kein Kranker.«[Link]
2021.06.12
Artikel zum Ursprung des Corona-Virus
Bereits in einem Artikel aus dem Jahr 2017 im Magazin Nature schreibt David Cyranoski über das Hochsicherheitslabor in Wuhan und spekuliert über Gefahren: »Tim Trevan, founder of CHROME Biosafety and Biosecurity Consulting in Damascus, Maryland, says that an open culture is important to keeping BSL-4 labs safe, and he questions how easy this will be in China, where society emphasizes hierarchy.« (David Cyranoski: Inside the Chinese lab poised to study world's most dangerous pathogens, Nature, 2017, Vol. 542, S. 399–400, [Link])
Im Zuge der COVID-Pandemie wurden die Bedenken zunächst weggewischt. Nun gibt es einige Artikel, deren Sachlichkeit niemand wird ernsthaft anzweifeln wollen, die aber gute Argumente vorbringen, um eben jene Herkunft des Virus erneut zu untersuchen. Dabei geht es nicht um Schuld, sondern um eine Verhinderung von Katastrophen in der Zukunft. Besonders lesenswert ist Nicholas Wades The origin of COVID: Did people or nature open Pandora’s box at Wuhan? im Bulletin of the Atomic Scientists (5. Mai 2021) [Link]
Exorzistische Narrative in der Corona-Pandemie
Exorzismen, wörtlich Hinausbeschwörungen von Teufeln und Dämonen, so wie sie im Mittelalter üblich waren, sind nie wirklich verschwunden. Auch im religiösen Leben finden sie heute noch sporadisch statt. Sie haben in der Corona-Pandemie ein neues Narrativ gefunden. Die Maßnahmen gegen Corona sind alle wissenschaftlich beglaubigt, statistisch belegt und gerechtfertigt. Es haftet ihnen aber eine zweite Bedeutungsschicht an, um die es uns hier geht. Natürlich muss die Infektion festgestellt werden - und dazu hat die moderne Medizin Verfahren gefunden. Aber dass es ausgerechnet eine Praxis ist, die ein langes Stäbchen in die Nase sticht, teilweise in den Rachen, verursacht eine leichte Verletzung, zumindest eine Reizung der Schleimhäute im Massenmaßstab. Jeder, dem diese Prozedur widerfuhr, wird sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass man eine gewisse Aggression bereits denen entgegenbringt, die nur verdächtig sind, infiziert zu sein. Auch die Idee der Quarantäne beruht auf einem Aussperren des möglich Infizierten. Das Besuchsverbot, die Vermummung und Maskierung sind aus eben jenen exorzistischen Arsenalen bekannt, wenn sie auch dort eine andere Funktion haben. Man kann aber nicht anders. Sobald man sich vermummt und maskiert, wird man ein Anderer. Man gibt die gewohnte Vertrautheit auf und verobjektiviert den Anderen. Es entstehen so neue Symbolordnungen, ein Vertrauen in die Maske, dass diese schütze. Es sind dies auch Formen moderner Beschwörung des Virus. Auch die Impfung wird nicht neutral betrachtet, sondern wie ein Heilsversprechen gepriesen. Man unterschlägt die Nebenwirkungen oder verharmlost sie, wischt Gefahrenpotentiale seinerseits als Verschwörungstheorien beiseite. Was wäre, wenn die COVID-Impfung, ähnlich wie die Grippeimpfung, die neuen Infektionswellen nicht aufhalten würde? Dann wird man das gleiche Narrativ nochmals anwenden, sagen, dass es schlimmer gekommen wäre, hätte man nicht geimpft. Man denke an den Aderlass, der bis ins 19. Jahrhundert noch Menschen mit eben jenem medizinischen Narrativ in Behandlung nahm. Die Spritzen, das Wegspritzen von Krankheiten, hat etwas Kriegerisches, man bringt die Medizin in Stellung. Was in der Familie, bei Erkältungskrankheiten etwa, heilt, ist die Liebe zum Anderen, die Achtsamkeit. All das scheint man aufgeben zu müssen, um COVID zu ›besiegen‹. All den Behandlungsformen liegt eine emotionale Kälte zugrunde, die Angst vor der Ansteckung. Dieses Isolieren, die Wiederholung, das Programmartige und Formelhafte ist eben ein Merkmal von Exorzismen. Es wäre ein wichtiger Beitrag für die Humanität moderner Medizin, wenn diese anerkennen würde, in welchen spirituellen Zusammenhängen sie steht und wie sie eine moderne Religion längstens geworden ist, die das Erbe des alten Glaubens verprasst wie der verlorene Sohn.
Über das Klima, Windräder und die Klimaerwärmung
Die vier Elemente und das Klima. Fūdo
In Europa denken wir die Welt traditionell von den vier Elementen her: Feuer, Wasser, Erde und Luft. In Japan spricht man an Stelle von ›Luft‹ lieber vom ›Wind‹. Ich finde diese Idee sehr konsequent, denn damit werden die Elemente leichter als Transformationskräfte vorstellbar. In der modernen Naturwissenschaft versucht man, alle Aspekte des Lebens als ›Gegenstände‹ zu denken, als ›Natur‹, so als finde man diese vor. Der japanische Philosoph Watsuji Tetsurō hat diese Lehre, mit Bezug auf Herder und Heidegger, abgelehnt: »Ich möchte hier nun diese natürliche Umgebung des Menschen nicht als ›Natur‹, sondern als ›Klima‹ (fūdo) fassen.« (Watsuji Tetsurō: Fudō, Berlin 2017, S. 28). Im Folgenden nennt er dann diesen charakteristischen Aspekt eine Beziehung und spricht vom Moment des ›Zwischen‹. Es ist doch auch so, dass Kälte niemals nur die Temperatur ist, sondern eine spezifische Leiberfahrung, ohne die wir überhaupt nie auf die Idee kämen, die Temperatur messen zu wollen. Geht man also weg von dieser verobjektivierenden Sichtweise, die die Bedingung dafür ist, dass wir von einer Klimaerwärmung sprechen, so erweist sich das Klima der Erde derzeit als chaotischer, unvorhersagbarer, in seinen Peaks und Extremen als größer, Dürren und Regenzeiten können einander wechseln, nördliche Breiten können subtropisch warm werden etc. Man könnte nun versuchen, sich schlichtweg an diese modernen Klimata anzupassen. Man könnte sie hinnehmen, so wie man hinnimmt, dass die Sonne am Abend untergeht. Aber stattdessen, und das ist das eigentümlich Moderne und Aggressive, wendet man ebenjene naturwissenschaftlich-technischen Methoden an, die man seit der Renaissance nutzte, und möchte mit Hilfe eines globalen Ingenieursgeschäftes diese Entwicklungen zurückdrehen. Man kundet einen Feind aus, das Kohlendioxid, das seit Jahrmillionen durch den Menschen und seine Kultivierung des Feuers entstand, und möchte dessen Produktion reduzieren, letztlich durch Anwendung jener Methoden, die erst zur Erwärmung führten, aber nun im negativen, begrenzenden Sinne. Die Abkehr vom mythopoetischen Narrativ
Eine Methode, die man nun empfiehlt, ist die Erzeugung von Energie durch Windräder. Die menschliche Kultur verabschiedet sich damit von so etwas Einfachem wie ein Feuer machen, zugleich auch von der Koexistenz der menschlichen Zivilisation und diesem Element. Das hat mythopoetische Dimension - und allein schon aus diesem Grunde glauben wir, dass die Windrad-Technologie niemals sich wird durchsetzen können. Sie wetteifert mit einer bis in Urzeiten reichenden Verbindung von Mensch und Feuer. Sie ist dazu viel zu kompliziert und auch die Frage der Entsorgung, der Schäden, der Produktion dieser gigantischen Anlagen, wird gerne ausgeblendet. Fraglich ist ohnehin, welchen wiederum negativen Einfluss der Einsatz der Windrad-Technologie auf das Klima, d.h. die Winde, hat. Dass dieser unmittelbar ästhetische Zerstörung verursacht, der Infraschall ein Leben in der Nähe nahezu unmöglich macht, ist sowieso schon offensichtlich. Aber ist es nicht denkbar, dass gerade der Einsatz der Windrad-Propeller jene chaotischen Aspekte des Klimas, die wir derzeit beobachten, noch vergrößert? Es wäre eine Untersuchung wert! Sie müsste aber langfristig erfolgen, durch Beobachtung, durch Fährtenlesen. Tugend der Gelassenheit
Es ist aber auch irritierend, dass man den Fortschrittsgedanken offenbar in keinster Weise aufzugeben bereit ist. Man erzieht schon die Kinder mit Zuckerkonzentraten dazu, mit der eigenen Körperenergie verschwenderisch umzugehen. Und das setzt sich fort in der Manie, Städte rund um die Uhr beleuchten zu wollen, Wohnungen vom Klima zu entkoppeln, beliebig sich von Ort zu Ort zu bewegen. All das gibt man nicht auf, sondern glaubt, durch eine solch plötzliche Abkehr vom Verbrennungsgedanken (und damit vom Feuer) die Lösung herbeirufen zu können. Was wäre die Alternative? Wir meinen eine radikale Abkehr und Umänderung der Tugenden. Dies wäre eine nichttechnische Antwort auf das Problem. Man müsste also eine Erziehung der Ruhe pflegen. Die Menschen müssten belohnt werden, wenn sie sich zurückziehen, schlafen, still verhalten, nicht miteinander konkurrieren und sich im Einklang mit dem Klima verhielten. Es wäre auch eine Tugend der Hinnahme von jahreszeitbedingter Kälte und Hitze, eine Gelassenheit gegenüber Verlusten, die durch das Klima erzeugt werden.
2021.06.11
Auf Glühwürmchenjagd in Nishi-Kamakura, Teil II
2021.06.05
Auf Glühwürmchenjagd in Nishi-Kamakura
2021.06.03
2021.06.01
Havelock Ellis und Japan
Henry Havelock Ellis (* 2. Februar 1859; † 8. Juli 1939) hatte eine Beziehung zu Margaret Higgins Sanger (* 14. September 1879; † 6. September 1966), diese traf die japanische Feministin Shizue Katō (japanisch 加藤 シヅエ; * 2. März 1897 als 広田 静枝 Hirota Shizue; † 22. Dezember 2001).
Isaac Newtons Idee der Kraft und Gegenkraft
Newton hat in seinen Mathematischen Principien der Naturlehre (Philosophiae Naturalis Principia Mathematica, 1687) Kraft immer in Symmetrie zur Gegenkraft gedacht, lat. actio - reactio. Man spricht auch vom Wechselwirkungsprinzip. Er schreibt:
»3. Gesetz. Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich, oder die Wirkungen zweier Körper auf einander sind stets gleich und von entgegengesetzter Richtung
Jeder Gegenstand, welcher einen andern drückt oder zieht, wird eben so stark durch diesen gedrückt oder gezogen. Drückt Jemand einen Stein mit dem Finger, so wird dieser vom Steine gedrückt. Zieht ein Pferd einen an ein Seil befestigten Stein fort, so wird das erstere gleich stark gegen den letzteren zurückgezogen, denn das nach beiden Seiten gespannte Seil wird durch dasselbe Bestreben schlaff zu werden, [33] das Pferd gegen den Stein und diesen gegen jenes drängen; es wird eben so stark das Fortschreiten des einen verhindern, als das Fortrücken des andern befördern. Wenn irgend ein Körper auf einen andern stösst und die Bewegung des letztern irgendwie verändert, so wird ersterer, in seiner eigenen Bewegung dieselbe Aenderung, nach entgegengesetzter Richtung, durch die Kraft des andern (wegen der Gleichheit des wechselseitigen Druckes) erleiden. Diesen Wirkungen werden die Aenderungen nicht der Geschwindigkeiten, sondern der Bewegungen nämlich bei Körpern, welche nicht anderweitig verhindert sind, gleich. Die Aenderungen der Geschwindigkeiten, nach entgegengesetzten Richtungen, sind nämlich, weil die Bewegungen sich gleich ändern, den Körpern umgekehrtproportional. Es gilt dieses Gesetz auch bei den Anziehungen, wie in der nächsten Anmerkung gezeigt werden wird.«
(Mathematische Principien der Naturlehre (1872) [1671] von Isaac Newton, übersetzt von Jakob Philipp Wolfers [Link])
Es ist klar, dass Newton dieses Gesetz, das später als Impulserhaltungssatz noch präziser definiert wurde, braucht. Es ist notwendig, um einen mathematischen Raum zu definieren, der geschlossen sein muss. Ich kann die Lebenswelt nicht physikalisch mathematisieren, ohne diese Annahme zu machen. Aber das Problem an dem Wechselwirkungsprinzip ist dessen phänomenologische Paradoxie. Kraft wird nicht auf diese Weise erfahren. Wenn ich einen Ball bewegen will, so stoße ich ihn an und spüre zunächst einen Widerstand, der aber bei größerer Krafteinwirkung meinerseits verschwindet: Der Ball bewegt sich. Wo ist da die Gegenkraft? Sie ist eine reine Hypothese. Die Beispiele, die Newton bringt, ließen sich auf eben jene Weise dekonstruieren. Soll die Gegenkraft größer werden, wenn ich mehr Kraft aufwende? Und warum bewegt sich der Ball überhaupt? Je größer meine Kraft, desto größer die Gegenkraft! Das beste Beispiel ist sicherlich das mit den anstoßenden Körpern. Aber in diesem Falle hat man an Stelle einer Erklärung nur die Dopplung/Transformation, also die Weitergabe der Kraft beschrieben. Worin soll diese Gegenkraft bestehen, die nur vom Objekt aus oder vom Anderen her beschrieben werden kann? Ich meine, die Berechnung führt dazu, das Wesen der Kraft, dass Kraft den Raum polarisiert, ihn willentlich auf mich umordnet, durchstreicht. Berechenbar wird die Kraft, wenn ich sie nicht mehr als Leibeskraft, sondern als Vektor verstehe, als physikalische Spur von Körpern. Aber sollte man dem noch den Begriff der Kraft geben? Im Internet gibt es immer wieder Beispiele dafür, dass etwa zwei Menschen, einander gegenüber stehend an einem Seil ziehen. Üben sie die gleiche Kraft aus, so bewegen sie sich nicht, Kraft und Gegenkraft neutralisieren sich. Das ist aber wieder ein Beispiel für zwei Kräfte. Übt jemand eine Kraft auf einen Gegenstand aus, so ist die Gegenkraft nicht phänomenologisch aufweisbar. Man denke auch an Kants Kraftbegriff [Link]
Der Staat wird im Marxismus als Herrschaftsform über das Proletariat verstanden. Mit dem Sozialismus und der Vergemeinschaftung der Produktionsmittel wird dieser überflüssig. In einer berühmten Stelle heißt es:
»Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt - die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft - ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht ›abgeschafft‹, er stirbt ab.« (Friedrich Engels: Anti-Dühring, 3. Aufl., 1894, MEW Bd. 20, S. 262)
Wir beobachten derzeit das Entgegengesetzte. Zwar übernimmt der Staat sämtliche Corona-Schulden bzw. hilft mit Krediten in ungeahnter Höhe aus, aber das Wirtschaftssystem des Konkurrenzkapitalismus bleibt dennoch bestehen. Stattdessen beobachten wir eine Transformation hin zu einem Digitalstaat. Staatlichkeit diffundiert bis in die Privatsphäre hinein und reguliert über eine digitale Rechteverwaltung und Filter etc. den medialen Alltag. Noch sind diese Möglichkeiten der Digitalpolizei fehlerhaft (und sie werden es immer bleiben), aber ihre Effizienz wird sich steigern. Damit wird das imaginative Schauspiel der Medien, das auf einer freien Auswahl beruhte, immer mehr zu einem restriktiven. Dies fällt nicht auf, weil das verbleibende Angebot so ungeheuer groß ist. Aber die wichtigen Medien, die Ordnung, die Menschen stifteten (und das ist die einzig relevante) wird von abstrakten Datenstrukturen überlagert. Wir können in diesen Datenstrukturen frei suchen, erhalten aber nur Gefiltertes. Zum ersten Mal beobachten wir zudem eine Monopolisierung, die sich gleichzeitig tarnt, die also keineswegs oberflächlich homogen erscheinende Massenware liefert, sondern die den Anschein des Fragmentarischen hat, Arkanbereiche erschafft.
2021.05.22
Über die Kulturtechnik des Meldens
In der Schule und sogar schon im Kindergarten lernen wir in Deutschland die Kulturtechnik des Meldens. Man hebt seinen Arm, wenn man etwas sagen möchte und wird dann von der hierarchisch höher gestellten Autoritätsperson ›drangenommen‹. Diese ist der abstrakte Verwalter des Diskurses. Das Sich-Melden ist also eine Verfahrensweise, eine Methodik, um Diskussionen in einer Gruppe durch Rollenverteilung zu organisieren. Man könnte das auf der einen Seite demokratisch nennen, da jeder, der in der Gruppe ist, das gleiche Recht hat und erst einmal zeichenhaft, durch Heben der Hand, andeutet, dass er/sie etwas sagen möchte. Es liegt aber auf eine Weise eine irritierende Formalisierung darin, die jedwede Spontaneität und jeden selbstbestimmten, auch selbstbewussten Einwand verhindert. Letztlich ist es die Reihenfolge der Sich-Meldenden, die dann den Diskurs als Rede-Chronologie bestimmt und auf eine Weise die Argumente zeitlich durcheinander mischt, einen direkten Aufeinanderbezug verhindert. Auch jede emphatische Betonung fällt hierdurch aus, man muss sich zurücknehmen. Durch die autoritäre Rolle des Lehrers ist der Diskurs dadurch auch bis zu einem gewissen Grad undemokratisch. Es kann ja nicht jeder die Rolle einnehmen und die Auszeichnung des Lehrers, die Schüler aufzurufen, ist alleine seine amtliche Funktion. In Japan kennen die Studierenden diese Funktion des Sich-Meldens in der Regel nicht, was mich am Anfang meiner Arbeit sehr irritiert hat. Es liegt darin aber ein sehr schönes Moment. Zum einen stimmt sich die Gruppe sehr leicht aufeinander ein, wie bei einem Chor. Zum anderen ist damit eine Egalität gesetzt, eine Harmonie innerhalb der Gruppe, in die der Lehrer eingelassen ist.
2021.05.20
Thanatose
Klimaerwärmung
Um der Klimaerwärmung zu begegnen, legen die Staaten ungeheure Programme auf, krempeln ganze Industriezweige um, übersäen Landschaften mit Windrädern, konstruieren kleine Atomreaktoren etc. Dabei bleibt immer eines gesetzt: Der Lebensstil, d.h. das Konsumverhalten, soll sich so wenig wie möglich ändern. Man reagiert auf den Klimawandel durch technische Dynamiken und mit Hilfe gigantischer technischer Infrastrukturen. Dabei wäre es doch viel einfacher. Man könnte den Lebensstil ändern und die jetzigen Techniken beibehalten. Aber hierfür sind die Menschen offenbar zu träge. Die Idee, durch Neuproduktion und Umstellung der Produktion bei Beibehaltung des Lebensstils das Klima zu retten, ist eigentümlich aktiv. Dabei ist doch offensichtlich, dass es ebenjener Aktivismus ist, der die Klimaerwärmung verursachte. Man müsste also im Grunde passiv sein, länger schlafen, sich mehr zurückziehen, dann würden ohne Einsatz jedweder Technik die Emissionen geringer.
2021.05.19
Japanische Schminkkunst
Fleiß und Pflicht. Industrialisierung, Protestantismus und die japanische Kultur
Das Wort Industrialisierung kommt aus dem Lateinischen, industria, und meint wörtlich Verfleißigung. Fleiß gilt als eine Tugend. Fleißige Menschen tun mehr, als sie tun müssen. Der Ursprung des systematischen Fleißes liegt in dem Einsatz der Maschinen im 19. Jahrhundert. Die Dampfmaschine machte große Teile der Bevölkerung durch maschinellen Ersatz von Arbeit überflüssig. Es entstanden, wie Marx es nannte, ›industrielle Reservearmeen‹. Wer fleißig war, wurde ausgewählt und bekam den Job. Fleiß wurde eine Tugend. Protestantismus (Max Weber).
Erziehung zum Fleiß erfolgt über Belohnungssysteme. Wenn das Kind mehr macht, als erwartet wurde, die Erwartungen sprengt, wird es gelobt. Fleiß wird zu einer internalisierten, individualisierten Tugend.
In Japan die Pflicht (義務, gimu): Man soll das tun, was von einem erwartet wird, im Geiste des Erwarteten leben. Pflicht ist in der Regel ein Verhältnis von jemandem, der mich verpflichtet, dem ich verpflichtet bin, und mir, dem Verpflichteten. Pflicht ist also eine soziale Beziehung. Ich kann die Pflicht auch internalisieren, dann wird sie zur Disziplin. Erziehung zur Pflicht bedeutet ebenso Belohnung, aber für die Erfüllung dessen, was von einem erwartet wurde. In der Verfleißigung liegt eine Dynamik, letztlich eine Auswahl, eine Konkurrenz, hingegen ist die Verpflichtung eine kollektive Tugend. Hat man seine Pflicht erfüllt, kann man tun, was man will. Man wird bei der Verfleißigung für die Erzeugung von etwas Neuem belohnt, bei der Verpflichtung für die Wiederholung des Alten. Die Verfleißigung endet nie. Immer denkt man, man hätte noch zu wenig getan. Belohnter Fleiß erzeugt Neid, belohnte Pflicht erzeugt Starrheit, Perpetuieren des Alten, Zuverlässigkeit. Die Pflicht erzeugt Tugendbäumchen. Der Fleiß nagt an den anderen Tugenden. Es entstehen Ungleichgewichte, wo bei der Pficht Harmonien entstehen.
2021.05.18
Über die drei Versetzungen
Das Hessische Kultusministerium stellt im Angesicht der Pandemie drei verschiedene Versetzungen für Schülerinnen und Schüler vor, diese sind: »1. Pädagogische Versetzung. Eine Versetzung kann in besonders begründeten Ausnahmefällen auch ohne Ausgleich nicht ausreichender Leistungen erfolgen, wenn besondere Umstände vorliegen, die die Schülerin oder der Schüler auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie nicht zu vertreten hat. [...] 2. Freiwillige Wiederholung. In einer allgemein bildenden Schule können Schülerinnen und Schüler eine Jahrgangsstufe freiwillig wiederholen, wenn zu erwarten ist, dass sie dadurch in ihrer Lernentwicklung besser gefördert werden können. [...] 3. Nachträgliche Versetzung. Eine nachträgliche Versetzung ist in den Jahrgangsstufen ab Klasse 6 bis zum Ende der Mittelstufe höchstens zweimal, aber nicht in zwei aufeinander folgenden Jahrgangsstufen möglich. Die Möglichkeit einer Nachprüfung wird auch im Falle mangelhaft bewerteter Leistungen in drei Fächern eingeräumt.« [Link] Fraglich ist, ob nicht gerade die Schüler, die betroffen sind, nämlich die aus Elternhäusern mit wenig oder schlechten Deutschkenntnissen, diese Sprache verstehen können. Das Behördendeutsch grenzt also jene Leistungsschwachen nochmals aus.
Die Bewertung des Internets
Früher, als das Internet jung war (meine Generation erlebte dessen Geburt), vertraute man dem Internet. Man suchte auf Youtube Filme, die man sonst nirgendwo fand, gab Stichworte auf Google ein und fand doch immer Information, die dilettantisch war und der man eben deshalb vertraute. Das Internet war auch deshalb vertrauenswürdig, weil es vorbei an Staatlichkeit eine Kommunikation von Mensch zu Mensch war. Es war nicht gefiltert und in der Frühzeit textbasiert. Man musste die Information selbst bewerten, aber das fiel nicht schwer. Heute hat sich die veröffentlichte Meinung gegenüber dem Internet ins Gegenteil verkehrt. Man sieht in ihm den Ursprung von Hass, Verschwörungstheorien, Fake News, Diebstahl geistigen Eigentums und betrachtet es als einen Hort von Verbrechern, Schändern und Dealern, die im Geheimen operieren. Und das, was gerade seine Qualität war, die Unabhängigkeit von Staatlichkeit, seine libertäre Färbung, wird nun zurückgenommen. Der Staat durchdringt das Internet. Es wandelt sich von einem Organ der Assoziation zu einem polizeilichen Modul der Überwachung und Steuerung. Schüler und Studenten müssen ihre Aufgaben in Systeme, zeitlich getaktet, uploaden. Bewertungen werden gespeichert und die Lehre durchtestet. Wo hat das begonnen? Warum? Wieso merkt niemand darauf auf, wie sich hier die Koordinaten verschieben? Wie sinnlos ist der Versuch, durch Zensur eines Mediums Gesellschaft regulieren zu wollen? Die Konflikte liegen doch viel tiefer. Man zerstört aber Oberflächen, Informationshäute und Membranen des Wissens, man friert Prozesse ein.
Eroberungen des Mikro- und Makrokosmos
Wir erweitern unsere Sphären hinein in den Mikro- und Makrokosmos technisch. Wir können kleinste Viren und Antikörper bauen, unseren Körper zu einer gentechnischen Fabrik umfunktionieren, zum Mars reisen und jenseits des Alls. Dieser Erweiterung unserer physischen Sphäre hält aber unser intellektuelles Vermögen nicht Schritt. Es sind dies Implosionsprozesse des Geistes.
Momente des Glücks
Sie sind nur bedingt herstellbar. Man begibt sich in eine Situation, hofft auf Unverhofftes. Es mag sich einstellen. Es braucht Geduld. Zuversicht. Glaube an den Andern, das Offene. Denken ohne Denken. Sprechen ohne Sprache. Dann geschieht etwas. Blicke treffen sich. Gemeinsames Lachen. Im Nachhinein erst merkt man, wie schön das war. Genießen der Zeit. Tropfende Sekunden.Rotweinrauschen.
2021.05.15
Virologen über Corona und die Geschichte der Viren
Tagesspiegel-Diskussion über Allesdichtmachen
Der Tagesspiegel-Autor Harald Martenstein, Joachim Huber, Leiter des Medienressorts, Sascha Karberg, Leiter der Tagesspiegel Wissenschafts-Redaktion, und Anna Sauerbrey, Stellvertretende Chefredakteurin, diskutieren mit Paul Brandenburg, Initiator der Initiative 1bis19, über einen Artikel im Tagesspiegel.
2021.05.10
Gefühlskaskaden
Die Schwierigkeit in hohen Positionen, bei Politikern etc. besteht natürlich darin, kompetent, verantwortungsvoll und oftmals auch zeitnah zu handeln. Aber das genügt in keiner Weise, weder um erfolgreich zu sein, noch um der Würde des Amtes wie den Menschen gerecht zu werden. Es braucht dazu ein Gespür für Gefühlskaskaden. Darunter verstehe ich Sekundäreffekte des Handelns. Dass man also berücksichtigt, wer von der Handlung oder der Entscheidung betroffen sein könnte und diese möglichen, die erwartbaren Seiteneffekte, diese emotionalen Resonanzen und probabilistischen Szenarien vorahnend in die Entscheidung hineinnimmt. Es ist dies nicht nur vorausschauend, sondern auch ein Zögern, ein Innehalten, Warten, aber natürlich auch ein Einholen von Meinungen. Man wird aber feststellen, dass die Experten wenig dazu beitragen können, ein besseres Urteil über diese Resonanzeffekte zu erzielen. Von außen gesehen erscheinen diese Entscheidungen wie ihre Begründungen oftmals artifiziell, mit einer eigenartigen ›Schlagseite‹ etc. Aber in die Entscheidung sind ja bereits die zukünftigen ›Winde‹, gar ›Stürme‹ einberechnet. Man kann dann auch auf Zuverlässigkeit navigieren, muss manchmal ein Risiko eingehen. Alles hin auf eine Route, die sich sowieso ändert und deren Verlauf stets korrigierbar sein sollte, die man aber nicht zu voreilig revidieren sollte, wenn eine ›Flaute‹ herrscht.
Konflikte, ihre Struktur und ihre Ursachen
Konflikte entstehen aus mindestens drei Gründen: systemischen, ideellen oder emotionalen. Systemisch möchte ich die Gründe nennen, die man aufgrund seiner beruflichen oder gesellschaftlichen Position einnimmt. Ideelle Gründe betreffen die Sichtweise, die man einnimmt, die Welterklärung, die man hat und von der man nicht abweichen kann oder will. Emotionale Gründe sind diejenigen, die das Temperament betreffen. Man weiß nicht, warum einen etwas ärgert, stört etc. Natürlich gibt es auch Mischungen dieser drei Felder.
2021.05.08
Der sanfte Staat. Ein Staat ohne Gewalt
Gewalt wird von Menschen, den Repräsentanten des Staates, ausgeübt und von Menschen (den Staatsbürgern) empfunden, aber diese wird abstrakt attribuiert: Man weiß ja, dass der Polizeibeamte es nicht persönlich meint, wenn er den Strafzettel ausstellt. Dennoch entstehen staatliche, etwa durch das formalisierte Bildungssystem, aber auch durch die Formalisierung insgesamt, strukturelle Kränkungen. Man kann diese nur auffangen und sie nicht an sich heranlassen, indem man zu verstehen versucht, warum jener Repräsentant so handelte, also die staatlichen Regeln dahinter erahnt. Überhaupt weicht man den Kränkungen aus und begegnet ihnen, indem man die vom Staat erwartete Handlung vorahnt, vorwegnimmt, erahnt, sie erfüllt, obwohl noch gar keine Aufforderung erging. Wir erzeugen also Repräsentationsfelder des Staatlichen in unserem ganz alltäglichen Vollzug und Denken. Wer gut darin ist, Staatlichkeit vorherzusehen, kann den Ansprüchen genügen und Mimikry an das staatliche Handeln treiben, sozusagen der Staat selber werden. Dann hat man Erfolg. Der Preis dafür ist ein Wechsel in der Gefühlshaltung, man fühlt im Sinne der Repräsentation, was niemals vollständig gelingen kann. Rassismus kann als eine strukturelle Demütigung aufgrund äußerer Merkmale verstanden werden. Das Problem des Rassismus besteht aber nicht nur darin, diese Demütigung, etwa die Verwehrung bestimmter Rechte, mit Gesetzesmitteln zu beseitigen. Es besteht auch darin, ein Klima und ein Verständnis für die eigene Leistung zu erzeugen, also Anerkennungs-Ökonomien sensibler zu machen.
Gewalt ist Ausdruck von Unverständnis. Man macht etwas kaputt, wenn man es nicht bedienen kann. In diesem Sinne ist auch staatliche Gewalt keineswegs ein Hoheitszeichen oder ein positives Merkmal, wenn es auch manchmal so dargestellt wird, man denke etwa an die Justitia-Skulpturen. Der Staat übt Gewalt aus, weil es ihm nicht gelungen ist, feine, dem Menschen gemäße Entscheidungssysteme zu erzeugen. Ein sanfter Staat wäre einer, der diese Demütigungen und Kränkungen prophylaktisch vermeidet, flüssig wäre wie Wasser, kaum spürbar. Es wäre ein Staat, der das Negative eher vermeiden will, als etwas Positives erzeugen, es wäre ein sensibler, leiser, schattenhafter und sich schämender Staat. Wie ein Virtuose keine Noten braucht, so der sanfte Staat kein Gesetzbuch.
Mehr als ein Jahr auf Zoom. Ein Zwischenbericht
Nun ist es mehr als ein Jahr her, als der Online-Unterricht begann. Zeit für einen Zwischenbericht. Zunächst finde ich, dass das Programm Zoom, mit dem wir (wie so viele andere) an der Keiō-Universität arbeiten, eine unglaubliche Erfindung ist. Das Bild ruckelt kaum, die Server sind offenbar üppig ausgestattet. Schade finde ich, dass der Ton, wie bei allen mir bekannten Videotelephonie-Tools, denkbar schlecht ist. Wenn ich das richtig höre, ist es ein Mono-Ton, zudem einer, dessen Qualität schlechter ist als das Mikrophon meines Macbook. Mein Wunsch wäre es, ein Tool mit maximaler akustischer Qualität zu haben, dazu mit Stereoeffekt, so dass der Raum akustisch empfunden werden könnte. Dennoch: Ich hatte schon Seminare mit Dutzenden Teilnehmern, kein Problem. Man kann die ganze Welt vernetzen. Traumhaft!
Schade ist, dass man keinen Einfluss auf die Anordnung der ›Repräsentationsfelder‹, also der Videobilder, hat. Natürlich, man kann ein Spotlight setzen, pinnen, aber die tabellenartige Gitter-Struktur bleibt gleich. Manchmal, etwa bei Referaten, wünschte ich mir, dass man Gruppen hervorheben könnte oder die Anordnung etwa kreisförmig machen etc. Eine organische Gruppenorganisation wäre fein.
Problem ist auch, dass die Größe der Buttons, ebenso wie bei nahezu allen Tools, die Wichtigkeit der hinterlegten Funktionen nicht widerspiegeln, zudem Funktionen oft versteckt sind.
Eine großartige Sache sind natürlich die Breakout-Räume. Abgesehen davon, dass ich mir wünschte, dass man die Namensliste der Teilnehmer exportieren könnte, ist das natürlich interessant. Breakout-Räume sind Konferenzen innerhalb der Konferenz. Denkbar wäre auch hier eine schönere Darstellung. Möglich wäre doch etwa neben der Unsichtbarkeit vom Hauptraum aus eine Transparenz-Sichtbarkeit. Dann würde man die Geister-Teilnehmer sehen und in etwa ahnen, was sie machen.
Im Gegensatz zum Alltag gibt es nur binäre Nähe und Ferne, also man spricht oder man spricht nicht. Man könnte sich, und das wäre eine schöne Sache, so etwas wie ein Äquivalent des Raumes vorstellen, also dass Menschen, die man weit weg ordnet, dann leiser würden. Es entstünde so eine Art Raumsphäre und man könnte auch durcheinander sprechen und sich dennoch verstehen. Im Hintergrund dann, wie im Alltag, Gemurmel, also eine simulierte akustische Perspektive.
Schön ist natürlich auch, was aber alle mir bekannten Profi-Telephonie-Tools können, die Screen-Share-Funktion.
Es gibt immer wieder den Fehler, dass Sprecher ihr Mikrophon nicht anschalten, sie es selbst aber nicht merken. Dann sieht man nur Pantomime. Auch das einfachere Ausstellen des Mikrophons wäre wünschenswert.
Ich weiß auch nicht, welche Alternative es gäbe, aber man sieht sich selbst immer repräsentiert wie in einem Spiegelbild. Das erzeugt einen irritierenden Alteritätseffekt. Auch habe ich den Eindruck, dass das Programm das Gesicht verschönt, das ist sowieso alles etwas narzistisch.
Würde man noch einen dreidimensionalen akustischen Raum, zumindest einen intelligenten Stereoraum haben, dann wäre das ein viel größerer Gewinn als eine wie auch immer verbesserte Video-Qualität. Natürlich, auch der Blue-Screen-Effekt, der ist super, wenn er auch die Konturen oft verschluckt.
Ich habe den Eindruck, dass man sachorientierte Diskussionen sehr gut führen kann. Probleme entstehen bei Privatgesprächen, weil man, wie gesagt, entweder in den Break-Out-Raum verschwinden kann oder alle hören einen. Man muss sich also eine sehr achtsame Weise des Sprechens in der Öffentlichkeit angewöhnen, weil man ja dennoch den Eindruck hat, man spräche mit einzelnen Menschen. Diese Achtsamkeit im Sprechen, das Finden eines Tonfalls, das aufmerksame Erkennen, wer den Raum wann betreten hat, das will geübt sein.
2021.05.07
2021.05.04
Michael Taussig Mimesis and Alterity Notizen zu Kapitel 4. The Golden Bough: The Magic of Mimesis
Imitation kann technisch-apparativ oder physisch geschehen, wenngleich die Wirkung ähnlich ist. Das interessiert Taussig, weshalb er hier der Frage nachgeht, was es bedeutet, eine Kopie zu machen und welche Funktion Kopien in mimetischen Praxen zukommt: »in magical practice affecting the original to such a degree that the representation shares in or acquieres the properties of the represented« (S. 47-48, im Original kursiv). Mit Frazer wird also gefragt, inwiefern die »sympathetic magic« wirkt, deren Eigenart es ist, das Verhältnis von Kopie und Original umzukehren. Durch den Fetisch wird das Original affiziert. Taussig zeigt, dass diese Grundstruktur den Schamanen wie modernen Medien (hier vor allem: der Film und Tonaufnahmen) zugrunde liegt. Auch Benjamin, Adorno haben das gezeigt, ersterer in Hinsicht auf die Frage der Reproduzierbarkeit. Taussig geht davon aus, dass es eines haptisch-physischen Kontaktes bedarf, damit die Wirkung der Magie greifen kann. Die eigentliche Ähnlichkeit der Fetische ist daher gar nicht so wichtig (etwa die der Cuna-Figürchen, S. 52f.). Es kann sich hierbei um einen Fußabdruck, Fingerabdruck etc. handeln: »the Law of Similarity is important, it is in fact combined with the Law of Contact« (S. 55). Taussig bringt hier Beispiele aus dem Cauca Valley, Treue-Magien kolumbianischer Frauen wie auch der Navaho-Sandmalereien, die über das Taktile die Sinne synästhetisch verkehren: »the senses cross over and translate into each other« (S. 57). In dieser Taktilität liegt eine Fundierung jeglicher mimetischer Praktiken. Diese für eine gesellschaftliche Veränderung zu nutzen, hat Benjamin sich vorgenommen, wenn er im Kunstwerk-Aufsatz von einer Innervation des Kollektivs spricht. [Siehe hierzu Tom Holert: „My phone’s on vibrate for you“. Über Innervation und vibrotaktile Kommunikation nach Walter Benjamin [Link]]
2021.05.03
Michael Taussig Mimesis and Alterity Notizen zu Kapitel 3. Spacing Out
Hier fragt Taussig, wiederum mit Bezug auf Benjamin und Roger Caillois nach der Mimesis der Medien und deren Taktilität. Was ahmen Medien nach? Und warum ahmen wir medial nach? Eine Antwort gibt Caillois in seinem schönen Aufsatz Mimicry and Legendary Psychaesthenia im Minotaure von 1935. Es ist eine Art Wunsch, sich Raum, den man nicht einnimmt (»invented space«, S. 34), zu erschließen bzw. diesen zu verleiblichen. Benjamin vergleicht im Kunstwerk-Aufsatz den Film mit der Architektur und beschreibt beide als taktile Künste. Man könnte dem zunächst widersprechen, oberflächlich ist der Film eine optisch-auditive Kunst. Aber genau besehen gibt es zwei frappierende Ähnlichkeiten: Zum einen gewöhnen wir uns an die filmische Wahrnehmung, obwohl wir sie nicht verstehen, gar nicht wissen, was mit uns geschieht, wenn wir Filme schauen. Zum anderen ist das, was das Auge macht, tatsächlich eher haptisch, es tanzt mit dem Bild, sakkadenhaft. In dieser Hinsicht gibt es eine Art von miniaturhafter, überdeterminierter Leiblichkeit, bei der alles über die Augenbewegung geht. Man wird der Andere, indem man sich dieser mimetischen Maschine hingibt. Hier ist wieder das Motiv des Optisch-Unbewussten und auch das der Alterität. Taussig geht dann noch auf die spezifische Leiblichkeit ein und stellt den weiblichen Körper als Bezugsmuster für diese Vorgänge dar (»taking us bodily into alterity«, S. 40). Sowohl bei den Cuna-Indianern wie auch bei Flaubert etc. kennzeichnet es den weiblichen Körper, dass er verwandlungsfähig ist, fetischhaft anverwandelt wird als Mutter-Körper alle Geschlechter aus sich gebiert.
2021.05.02
Michael Taussig Mimesis and Alterity Notizen zu Kapitel 1. In Some Way Another One Can Protext Oneself From the Spirits By Portraying Them
Anknüpfend an Theodor W. Adornos, Max Horkheimers und Walter Benjamins Theorien der modernen Mimesis untersucht Taussig die mimetischen Praxen der Cuna-Indianer. Diese leben im Panama-Gebiet und haben es bis heute geschafft, relativ unabhängig zu bleiben. Interessant ist an Taussigs Ausführungen, dass er nicht vom erhabenen Blick des Ethnologen aus die vermeintlich fremde Kultur untersucht, sondern dass er ›unsere‹ Kultur und die der Cuna-Indianer als Teil einer Moderne versteht, in der mimetische Praxen bestimmend sind. Dieses Wechselspiel, wobei hier der Mimikry als ausgezeichnetem Verfahren eine besondere Beachtung geschenkt wird, interessiert Taussig. Es geht also um Modelle von Modellen, magischen Beschwörungsriten hier wie da: »first, that the original for the shaman's model is an apparition, an illusion and deception (so we are told) from the spirit world, an apparition is self a model of a prior (let us say the ›original‹) boat and gringo crew, and second that the ethnographer, like me and many if not most of her readers, is identifiable as being from the land of the gringos and is modeling in words an ethnography of a shaman's magical modeling of ourselves!« (Michael Taussig: Mimesis and Alterity, New York 1993, S. 16). Interessant, wie dann die Beschwörungsriten und schamanischen Heilriten der Cuna mit ihren nuchukana-Figürchen die Westler darstellen, wie seinerseits Baron Erland Nordenskiold mit seinem Cuna-Sekretär Rubén Pérez die Kultur erforscht, 1927, zwei Jahre nach der erfolgreichen Revolte gegen die Regierung Panamas. Offenbar werden hier also Modelle ausgetauscht, Strategien, unabhängig zu bleiben, von Panama nach Schweden transferiert.
Michael Taussig Mimesis and Alterity Notizen zu Kapitel 2. Physiognomic Aspects of Visual Worlds
Hier unternimmt Taussig einen theoretischen Exkurs zu den mimetischen Vermögen (»Mimetic Faculty«, S. 19), der vor allem von Walter Benjamins Theorie des Optisch-Unbewussten und der Taktilität des Films bestimmt ist. Referenzen sind Benjamins Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Lehre vom Ähnlichen und der Surrealismus-Aufsatz. Der faszinierende Leitgedanke ist hier, dass Alterität, Primitivismus und Moderne zusammen zu denken seien (»alterity, primitivism, and the resurgence of mimesis with modernity«, S. 19). Taussig beschreibt hier die komplizierten mimetischen Mechanismen wie etwa die der staatlichen Identitätsfeststellung beim Fingerabdruck, bei dem Haptik und Optik zusammengehen. Der Film wird als Mimetische Maschine beschrieben: »This capacity of mimetic machine to pump out contact-sensuousity encased within the spectrality of a commoditized world is nothing less than the discovery of an optical unconscious, opening up new possibilities for exploring reality and providing means for changing culture and society along with those possibilities.« (S. 23) In diesem Zusammenhang spricht Taussig auch, mit Marx, von einer Fetischisierung. Es sind da komplexe Zusammenhänge zu beschreiben, die eine neue Körperlichkeit introduzieren und eine apparative Mimesis einleiten. Paradox ist dabei, dass die Moderne sich selbst in Distanz zu primitiven Mimesistechniken stellt, während sie diese doch perpetuiert. Ein Gedanke aus Adorno/Horkheimers Dialektik der Aufklärung wird also hier in Analysen konkretisiert.
Heute Mittag setzte ich mich auf den Balkon, um in der schönen Frühlingssonne ein Buch zu lesen (wiedermal: Aristoteles Poetik). Niemand in Japan macht das, der Balkon dient hier nur zum Wäschetrocknen, man huscht nur kurz hinaus, aber was solls? Der Balkon ist für mich das schönste Zimmer, es gibt nichts Besseres. Aber gerade, als ich mich setzte, wackelte und ruckelte es wie bei einer Autofahrt auf einem Feldweg. So musste ich einige Sekunden warten, bis sich das Erdbeben legte. Magnitude M3.3, wie ich dann las [Link]. Draußen ist es am Sichersten, dachte ich. Vom Balkon führt eine Notleiter nach unten, auf den Kopf kann mir hier oben im fünften Stock (japanischer Zählung) nichts fallen. So las ich den Text (das wievielte Mal in meinem Leben?) erneut - und wieder mit neuen Erkenntnissen. Peripethien, Katharsis... Pindar... Homer... Sophokles... Am Nachmittag Gewitter. Das ist ein inspirierendes Wetter. Ich habe dann immer schöne Gedanken, genieße das von Kindheit an. Mehrfach habe ich es beobachtet, dass Erdbeben und Gewitter hier in Tōkyō zusammenkommen. Woran liegt das? Löst das Erdbeben ein Gewitter aus? Oder das Gewitter ein Erdbeben? Oder ist es Zufall?
Lichtenberg, 1792
Der Physiker und Philosoph Lichtenberg macht in seinen Sudelbüchern folgende dokumentarische Beobachtung (Georg Christoph Lichtenberg: Sudelbücher, Bd. 1, hrsg. von Wolfgang Promies 1994, S. 794, Fragm. J 1004):
Als ich im Frühling 1792 an einem sehr schönen Abend am Gartenfenster lag, das etwa 2 0 0 0 Fuß von der Stadt entfernt ist, war ich begierig zu hören, was nun von dem berühmten Göttingen noch zu meinen Ohren herüber kam, und das war
I) das Rauschen des Wassers bei der großen Mühle
2) das Fahren einiger Wagen oder Kutschen
3) Ein sehr helles und emsiges Schreien von Kindern vermutlich auf der Maikäfer-Jagd auf dem Walle
4) Hundegebell in allerlei Distanzen und mit allerlei Stimmen und Affekten
5) 3 bis 4 Nachtigallen in den Gärten nah bei oder in der Stadt
6) unzählige Frösche
7) das Klirren geworfener Kegel und
8) ein schlecht geblasener halber Mond der von allem das Unangenehmste war.
2021.04.29
Über die Ideologie von Tests
Mit einem schriftlichen Test, einer Klausur, prüft die Schule, ihrem eigenen Bekunden nach, was ein Schüler weiß. Der Lehrer reduziert den offenen Wissensraum auf ein Setting von Fragen, dessen richtige Beanwortung hundert Prozent ergibt. Damit die Fiktion der Gleichbehandlung gewahrt wird, stellt man während des Tests gleiche Bedingungen her: Gleiche Zeit, die man zum Ausfüllen hat, keine Hilfsmittel, keiner darf abschreiben, alles wird überwacht etc. Ich habe mich schon als Schüler gefragt, welchen Sinn es hat, etwa die Zeit so strikt zu terminieren. Denn die Fragen sind doch interessant - und Lebenszeit hat man doch als junger Mensch noch genug. Kreative Gedanken brauchen bekanntlich Zeit. Wofür braucht man diese institutionelle Drohung der Noten? Würden die meisten Schüler nicht aus Interesse auch einen Test schreiben? Vielleicht gerade aus Interesse und dann mit Freude, denn sie hätten keine Sanktionen zu befürchten, könnten auch mal scheinbar abwegige Gedanken äußern. Und sich dann freuen, wenn der Lehrer ihnen die Lösung gibt, es ihnen erklärt, gerade auch erklärt, warum etwas nicht sein kann, das alles ohne Zensur. Natürlich, es ist ein Hineindrohen in die staatliche Logik, die auf Strafe und Verbot beruht, auch in die Ökonomie, die Arbeitsleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt abrufen will, ein Einpegeln in Normalität, die darin besteht, das von Autoritäten Erwartete zu liefern. Und warum die Individualisierung der Klausur? Gruppen würden doch die Fragen viel besser, schneller und präziser lösen. Aber das Ziel der Fragen ist gar nicht deren Beantwortung, sondern sie sind nur Mittel, um eine Selektion vorzunehmen, die auf Verfleißigung (d.h. Industrialisierung) beruht.
2021.04.28
Kiyoshi Kurosawas To the Ends of the Earth (旅のおわり世界のはじまり, Tabi no owari sekai no hajimari, 2019)
Atsuko Maeda (前田 敦子) spielt eine Moderatorin, die eine Dokumentation über Usbekistan präsentiert. Das Land hat nicht viel zu bieten, und so muss ein Karrussell, die einzige Attraktion weit und breit, besonders herausgestellt werden - und die Dame darin bis zur Übelkeit sitzen. Wie in anderen Arbeiten Kurosawas auch, so erkundet der Film die Zwischenräume von Phantasie und Realität und schweift mit der Moderatorin ab in die Gässchen und Markthallen, zeigt, wie fremd das Land ist, wie leicht man ungeschriebene Gesetze übertreten kann und stellt eine Begegnung mit einer Ziege dar. Der Film ähnelt in mancherlei Hinsicht Godards Die Verachtung (Le Mépris, 1963), auch gibt es schöne Szenen am Meer, in den Bergen etc. Gelungen ist auch die Übersetzung des Japanischen durch Einheimische, die dokumentarische Note, die dadurch entsteht, dass ein Filmteam sich gewissermaßen selbst porträtiert. Der Film versucht nicht zu beschönigen, zeigt die Brüche der Kulturen roh, auch die Blicke gegenüber Fremden, die Unterschiedlichkeit der Gesten.
2021.04.25
Kommentar zu Allesdichtmachen
In den medialen Echos, meistens eine Verhämung der Aktion Allesdichtmachen[Link], habe ich keinen einzigen Hinweis auf deren medienreflexive Struktur gefunden. Es wird so getan, als machten sich Künstler verächtlich, als schätzten sie die Arbeit der Ärzte und Krankenpfleger nicht, man übernehme rechte Parolen etc. Dabei steht doch die Kampagne Besondere Helden[Link] am Beginn. Nur ist es hier die Bundesregierung, die sich ironisch über die Folgen der Pandemie erhebt und die die Brüche in den Biographien, die ihre Maßnahmen bei vielen Menschen zur Folge hatte, wie ein Witz erscheinen lässt, dazu noch im Rückblick des Futur II. Der Tenor dieser Kampagne ist es doch, so zu tun, als sei die staatlich verordnete und mit polizeilichen Mitteln kontrollierte Selbstisolation etwas Gutes, man müsse doch nur faul sein. Und darauf antwortet nun Allesdichtmachen. Man muss davon ausgehen, dass die Medienvertreter dies wissen und offenbar ganz gezielt die Ironie von unten moralisch diskreditieren und die von oben unbeachtet lassen. Dabei ist Ironie, also uneigentliche Rede, diejenige Form von Kritik, die sowieso stets gegenüber den Autoritäten die Option des Rückzugs beinhaltet. Man kann stets sagen, man habe es nicht so gemeint. Und sie ist auch unspezifisch, nicht auf Wirkung, sondern auf Veränderung der Atmosphäre aus. Und selbst diese Form der Kritik wird offenbar nicht mehr geduldet.
AstraZeneca - Eine neue Studie zum Nutzen und zum Risiko
Die Süddeutsche Zeitung[Link] hat, ausgehend von einer neuen Studie der EMA[Link] den Nutzen der AstraZeneca-Impfung mit den Risiken, eine Hirnthrombose zu bekommen, miteinander verglichen:
Je nach Altersgruppe und Infektionsgeschehen spricht die Bilanz bei Menschen unter 60 Jahren eher dafür, nicht mit Astra Zeneca zu impfen. Dafür betrachtete die EMA drei verschiedene Szenarien für verschiedene Altersgruppen und bei verschiedenen Inzidenzen (55, 401, 886). Betrachtet wurden jeweils die gemeldeten Thrombose-Fälle pro 100 000 Personen, verglichen mit den durch die Impfung verhinderten schweren oder gar tödlichen Verläufen durch Covid-19. [...] Bei geringem Infektionsgeschehen (Inzidenz 55) stehen pro 100 000 Menschen im Alter von 20-29 Jahren vier verhinderte Krankenhausaufenthalte 1,9 Fälle der seltenen Thrombosen bei gleichzeitigem Absinken der Blutplättchen gegenüber. Mit zunehmendem Alter und höherer Inzidenz überwiegt der Nutzen des Vakzins immer deutlicher das Risiko, an dieser seltenen Nebenwirkung zu erkranken.
[...]
Wie viele Aufenthalte auf der Intensivstation werden verhindert?
In dieser Kategorie fällt die Bilanz für Menschen unter 60 Jahren bei geringem Infektionsgeschehen zu Ungunsten des Astra-Zeneca-Vakzins aus. Es treten also mehr Fälle von dieser speziellen Thrombosen auf, als sehr schwere Verläufe verhindert werden. Erst bei mittlerer (401) oder hoher Inzidenz (886) überwiegt der Nutzen des Impfstoffs wieder in allen Altersgruppen.
Man muss sich das einmal vorstellen. Selbst diese eine Nebenwirkung, wie viele gibt es noch?, genügt schon, damit der Impfstoff in bestimmten Altersklassen und in bestimmten Szenarien unzweckmäßig bzw. in dieser Hinsicht sogar gefährlicher ist als die Erkrankung! Und wie viele Hirnvenenthrombosen blieben bislang unerkannt? Welche Spätfolgen könnte eine Impfung haben? Warum werden solche Zahlen nicht öffentlich diskutiert?
Die NDR-Dokureihe Die Box[Link].
2021.04.24
Jan Josef Liefers im Interview
In einem Interview mit Martin von Mauschwitz vom WDR sagt Jan Josef Liefers:
WDR: Ich finde es richtig, aber es ist nicht so, dass es in den Medien nicht vorkommt. Dass wir in den Medien ein bisschen sauer sind, ist die eine Sache. Aber in dem Video bedienen Sie exakt das Narrativ der Corona-Leugner, der Rechtsextremen und ›Lügenpresse‹-Schreihälse. Und die feiern Sie heute richtig ab. Davon haben Sie sich distanziert heute Nachmittag. Sind Sie wirklich so naiv?
Liefers: Die Distanzierung war nicht heute Nachmittag, sondern schon gestern Nacht. Entschuldigen Sie: Jetzt sagen Sie, dass ich naiv bin. Wissen Sie, wann jemand zu mir gesagt hat: ›Sind Sie so naiv?‹ Das war … Zentralkomitee in der DDR an der Schauspielschule. Ich kenne solche Fragen. Also: Die Distanzierung fand gestern statt, aus sehr gutem Grund, das ist mir wichtig. Am Ende des Tages ist damit auch alles gesagt.1
Nachweis: 1 WDR: #allesdichtmachen: Interview mit Jan Josef Liefers, 23.04.2021, [Link]
Bundestags- und Bundesratsdebatte über das Infektionsschutzgesetz (Bevölkerungsschutzgesetz, Notbremse)
Zur Bundestagsdebatte des Infektionsschutzgesetzes [Link], zur Bundesratsdebatte [Link]
2021.04.23
2021.04.22
Über Spaziergänger
Spaziergänger erkauen die Stadt gehend.
2021.04.21
Badlands
Yeah, only a song!
2021.04.20
Meinung und Gefühl
Meinungen bilden Bezugssysteme des Denkens. Es gibt Begründungsstrukturen, Befindlichkeiten, in Assoziationen und Erfahrungen gebundene Eigentümlichkeiten, ein Gemisch aus Wünschen, Trieben, Hoffnungen, Zielen etc. Spricht man daher mit anderen Menschen über Politik, über Kunst etc., so offenbart sich hier nicht nur en détail, wie der Mensch denkt, welchen Geschmack er hat, sondern auch, wie er zu dem Denken steht. Je nachdem, wie vorsichtig man ist, kann man sich selbst in Distanz zu dem Gesagten setzen oder seine eigene Meinung zurückstellen. Es ist merkwürdig, aber es gibt oft Grenzlinien, bei denen die Meinungen des Anderen mich affizieren und sich so über diesen Umweg Empathien und auch Konflikte ergeben. Bis zu einem gewissen Grad ist das flexibel. Irgendwann glauben die Menschen, den Anderen zu kennen - und assoziieren einander oder weichen einander aus oder streiten sich. Es ist dann niemals nur der Gegenstand, sondern stets mischt sich in diese der Argumente der Affekt hinein. Es gibt bestimmte sensible Themenfelder, die zeitlich variabel sind und Moden haben. Diese Themenfelder zu tangieren, kann gefährlich sein. Unsere Weltsicht ist daher nur sehr oberflächlich betrachtet argumentativ begründet. Die Argumente sind wie Baumaterial, man kann ganz verschiedene Häuser damit errichten.
Rechtsstaat und Gefühl
Das Errichten eines Rechtsstaates geht einher mit einer bestimmten Gefühlshaltung, dass sich nämlich auf das abstrakte Muster des Gesetzes bezogen wird. Man stellt das eigene Fühlen zunächst zurück, artikuliert es über den Umweg des Gesetzestextes. Man ist rational auf Zeit. Der Rechtsstaat wird angerufen, wenn man das Gefühl hat, man werde ungerecht behandelt. Dann aber gibt es zahlreiche Stellen, in denen die Gefühle negiert werden, etwa beim Richter, Anwalt etc. Diese Dialektik steht am Beginn des Rechtssystems.
2021.04.19
Über den Placebo-Effekt und die Placebo-Klinik
In der Medizin möchte man gerne wissen, ob Medikamente pharmazeutisch wirken. Dem liegt die Annahme zugrunde, es seien allein die Inhaltsstoffe, die zu einer Gesundung führten. Man möchte sich also von einer vormodernen, magischen Praxis abgrenzen und statistisch nachweisen, dass es nur und ausschließlich ebenjene Arznei sei, die wirke. Man teilt die Studiengruppe zweifach. Die Teilnehmer wissen nicht, welche Stoffe sie erhielten (Blindstudie). Dann werden die Werte beider Gruppen miteinander verglichen, um die Wirksamkeit des Stoffes in Abgrenzung von der Wirksamkeit eines Placebos, also eines Scheinmedikaments, zu setzen.
Das Problem ist aber, dass schon in der Studie die bloße Inszenierung, weißer Kittel, Institution Krankenhaus etc., dazu führt, dass beide Gruppen ungewollt suggestiv affiziert sind, was wiederum magisch ist. Man wird nicht umhin kommen zuzugeben, dass auch die moderne Medizin auf einer Neutralitätsinszenierung von Medizinmännern und Medizinfrauen in weißen Kitteln beruht. Man könnte und müsste also nochmal vergleichen, um festzustellen, wie die Gesundheit von Menschen, die überhaupt nichts erhalten haben, sich entwickelt. Im Grunde müsste man aber noch eine weitere Studie durchführen mit Medizinern in Jeanshose, die ihre Probanden in einem Café aufsuchen und sich nicht als Mediziner ausgeben, die also Incognito agieren. Dann hätte man einen Vergleich, was ohne Medizintheater passieren würde. Fraglich wäre natürlich, ob Mediziner überhaupt dazu in der Lage sind, sich a-medizinisch zu inszenieren bzw. eine Inszenierung zu umgehen, denn diese äußert sich nicht nur in der Kleidung, sondern auch in der Sprechweise, im Habitus etc. Man könnte Mittelsmänner einsetzen, die, Dealern ähnelnd, den Probanden dann die jeweiligen Medikamente zustecken. Das würde allerdings zugegebenermaßen unseriös wirken. Aber nur so könnte man auch die Auswirkung der medizinalen Inszenierung überprüfen.
Ein anderer Weg wäre es zuzugeben, dass auch die moderne Medizin magisch ist und sich den Placebo-Effekt ganz selbstbewusst zunutze zu machen. Man würde dann also Placebo-Impfzentren aufbauen, Placebo-Apotheken, Placebo-Krankenhäuser, Placebo-Operationssäle etc., alles Scheininstitutionen, die nur vorgeben würden, etwas zu tun, in Wirklichkeit aber nichts machen, keine pharmazeutische Gabe verabreichen, sondern die lediglich theatrale Scheinhandlungen vollziehen. Es wären noch nicht einmal homöopathische Gaben, sondern Zuckerplättchen, aufbereitetes Wasser, das gespritzt würde, Photostudios, die wie Röntgenkammern aussähen, Röhren, die Geräusche machten und in die man sich stundenlang hineinlegen müsste, damit der ›Behandelnde‹ eine ›Diagnose‹ machen kann etc. All das wären theatrale Scheinhandlungen, aber die Institution würde nicht lügen, sie trüge ja das Etikett »Placebo-Krankenhaus«. Sie wäre sogar ernsthaft, würde sich um die gesundheitlichen Probleme kümmern, sich Zeit für die Patienten nehmen, freilich auch abrechnen, aber unter dem Label des Scheins. Jeder wüsste, dass man placebonisch-theatrale Gaben erhält, man sich in eine Placebo-Realität begeben würde, durchaus Beschwörungen ausgesetzt wäre. Was würde da passieren? Es würde sich eine zweite Weise des Umgangs mit Krankheiten ausbilden.
Bundestagsdebatte über das Infektionsschutzgesetz
Am 13. April 2021 wurde im Bundestag die Zentralisierung in Sachen Infektionsschutz vorangetrieben. Eine weitere Debatte findet am 21. April statt, es heißt:
Überschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen den Schwellenwert von 100, sollen künftig bundeseinheitliche Regelungen greifen. Demnach sollen private Zusammenkünfte auf die Angehörigen eines Hausstandes und maximal eine weitere Person begrenzt werden. Ausgenommen dabei sind Kinder unter 14 Jahren.
Außerdem sollen zwischen 21 Uhr und fünf Uhr des Folgetages Ausgangsbeschränkungen gelten. Aufenthalte außerhalb des Wohnraums sollen allerdings gestattet bleiben, wenn diese unter anderem zur Berufsausübung, zur Abwendung einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum, zur Wahrnehmung des Sorge- oder Umgangsrechts, zur Ausübung des Dienstes oder des Mandats, der Berichterstattung durch Vertreterinnen und Vertreter von Presse, Rundfunk, Film und anderer Medien, zur unaufschiebbaren Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen oder Minderjähriger, der Begleitung Sterbender oder der Versorgung von Tieren dienen.1
Damit hat man also den Fehler, den man von Beginn an machte, in Gesetzesform gegossen. Man muss nun zukünftig einheitlich handeln, weil das Gesetz es so will - und kann keine differenzierten Öffnungen mehr fahren. Man stelle sich vor, was passiert, wenn die Inzidenzzahlen dauerhaft hoch sind. Eine Differenzierungsstrategie, so wie hier in Japan, hilft viel besser, die Pandemie einzudämmen. Aber man ist in Deutschland gesetzesgläubig und will den Fehler der Vereinheitlichung einer Pandemiebekämpfung nicht einsehen. Man glaubt, man hätte dadurch etwas gewonnen und setzt auf die ›Notbremse‹!
Nachweise: 1Bundestag: Abstimmung über die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, 13.04.2021 [Link]
Merkel geimpft!
Wie die FAZ schreibt, hat sich Frau Merkel nun mit AstraZeneca impfen lassen! [Link]
2021.04.17
Die Weltassoziationen
Eine besondere Freude bereitet es mir, wenn ich Veranstaltungen organisiere und dann innerhalb von Tagen oder Stunden Menschen antworten.
Das ist dann so, als ob ich in ein Weltgedächtnis eingelassen wäre, das assoziiert. Ich denke an die Menschen, sie denken an mich. Und ich sehe,
dass sie an mich denken. Sie schenken mir ihre Gedanken und Aufmerksamkeit.
Dieses faszinierende Jonglage-Spiel sprachlicher Materialisation, diese Dynamik, auch das Unerwartete im Erwarteten, das ist ereignishaft.
2021.04.10
Der Gedankenfischer
2021.04.09
Rätselhafte Sätze.
Die Früchte der Phantasie werden im Jenseits geerntet.
Die Windräder der Moral erzeugen Gerechtigkeit.
Ein blaues Auge macht noch keinen Sommer.
Die Kälte des Winters im Sommer fühlen, Gänsehaut im Sommer.
Sommerwonnenwende
Konflikte vermeiden, indem das Forschungsschiff den Umweg über die Antarktis nimmt.
Ich angle meine Gedanken im stillen Meer der Erinnerung.
2021.04.08
Rätselhafte Gedanken.
Gesetze sind Plagiate.
Man angelt Gedanken.
Die Sprache ist ein Gebirge. Es erhebt sich in der Zeit. Gesprochenes regnet herab.
Kulturelle Fenster öffnen.
Einen Raum jenseits des Erhofften betreten.
Glück erhaschen. Süße naschen.
Da ist etwas. Ich spüre es.
Spin der Gefühle
Es gibt einen Spin der Gefühle. Manchmal erscheinen Situationen ausweglos, dann kommt es aber dennoch schnell zu einer vollkommen unerwarteten Neuausrichtung der Gefühle. Dies kann durch Argumente geschehen, Einstellungswechsel, Blicke, neue Realitäten, aber auch durch winzigste Ereignisse, Gedanken, Zufälle. Dann ändert sich alles. Niemand sah es vorher. Im Nachhinein empfinden manche Neid demgegenüber. Aber es ist eine Arbeit an den Rändern der Wirklichkeit, die meistens unbelohnt bleibt, aber das ist egal, eine Hyperemotionalität, die es gibt und die man hervorkitzeln kann. Beständig in den Phantasien arbeiten, niemals die Hoffnung aufgeben, lächeln, gerade, wo es ausweglos scheint. Einen zweiten Kosmos schaffen, im Imaginären Luftschlösser errichten, Häuser im Geiste, Schleichwege des Denkens, Betten der Phantasie.
Der zarte Staat. Ein Gedankenspiel
Kann es einen zarten Staat geben? Also einen sanften, gar zärtlichen Staat, der nicht verbietet, der nicht straft, der keine Kriege führt und sich da, wo er fürchtet, Schaden anzurichten, zurückzieht wie eine Schnecke in ihr Haus? Ein Staat, der nicht auf Gewalt beruht und auf Repräsentation, der nicht trennt zwischen Regierenden und Regierten? Kann es einen solchen Staat geben? Ein Staat, der im Grundgesetz stehen hat, dass er den Menschen dient, nur hilft, kein Leid verursacht, der lockt und belohnt, erzieht und erklärt, anstatt bestraft? Ein geduldiger Staat, der noch mächtiger wäre als alle bisherigen Staaten, weil die Menschen ihm vertrauen und an ihn glauben würden. Sie hätten nichts zu befürchten, sie könnten sich ihm anvertrauen. Es wäre ein Staat ohne die ›wenn...dann‹-Drohung der Gesetze und Gerichte. Natürlich, es gäbe Gesetze, sie würden auch befolgt, weil ihr Sinn eingesehen würde. Es gäbe daher keine Dialektik, sondern stattdessen Differenzierungen, Schattierungen und Sensibilität. Der Staat wäre ein Gefühlsstifter, stünde im Wettbewerb der Feinfühligkeit.
2021.04.05
Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 65)
Was die Menschen so skeptisch macht...
Viele Menschen glauben den offiziellen Meldungen und Statistiken über Corona nicht. Woran liegt das? Ich denke, dies hat durchaus handfeste Gründe. Zum einen werden in den deutschen Statistiken nur die positiven Tests gezählt, die ›Fallzahlen‹, nicht die Menschen mit Symptomen. Das führt zu einer Irritation, weil die Bürger das so nahegelegte Ausmaß an Infektionen im Alltag nicht wahrnehmen. Es ist auch überhaupt irritierend, dass man symptomlos Erkrankte mit zählt. Dazu kommt noch die Statistik der Toten, die ebenso nahelegt, alle seien an und nicht mit Corona gestorben. Es gibt also eine Tendenz, die sich durchzieht, die Pandemie durch entsprechende Aufbereitung der Statistik bedrohlicher erscheinen zu lassen, als sie ist. Niemand kann das ernsthaft leugnen, es ist zu offensichtlich. Nun fragt man sich, warum die Politik dies macht und nicht verharmlost, wie sie es sonst bei den Arbeitslosenzahlen, bei Schulden etc. immer macht, wenn sie nicht handeln will. Es müssen hier andere Faktoren hineinwirken, die Pandemie alleine kann dies schwerlich erklären, wenn ich deren Ausmaß auch in keiner Weise kleinreden will. Es gibt natürlich eine Überlastung der Intensivstationen mit Covid-Patienten etc. Aber dennoch fehlt das Augenmaß, die neutrale Einschätzung und der Wille dazu. Erst dann könnte man besonnen handeln. Wie ich bereits früher sagte, wäre ein Erklärungsmodell, dass die Politik ihre eigenen Fehler sich nicht eingestehen will. Und je länger die Pandemie dauert, desto weniger kann sie dies. Und die apokalyptischen Zahlen dienen hier als unmissverständlicher Hinweis, dass alles richtig gemacht wurde. Man will keine Selbstkritik zulassen. Überhaupt tendieren die deutschen Medien dazu, im Katastrophenfall apokalyptische Bilder zu generieren, ich denke da etwa an das Tōhoku-Erdbeben 2011. Es mischt sich aber auch ein Isolationismus hinein. Dieser blendet die positiven Beispiele asiatischer Länder systematisch aus, so dass negative Dynamiken entstehen, die sich von den Medien in die Politik übersetzen und zu Erklärungsmodellen werden. Das alles also trägt zur Skepsis bei und verhindert differenziertes Handeln. Im Kern bleibt bei dieser Verschiebung der Realität nur der Lockdown. Es scheint so zu sein, dass die Medien von Corona regelrecht infiziert sind. Die Medien können nicht mehr anderes berichten, die Zeit der Nachrichten, deren Botschaften, sind bereits von Corona durch und durch angesteckt.
2021.04.03
Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 64)
Was wäre im Worst Case?
Um sich eine Orientierung zu verschaffen in den Abgründen der Wirklichkeit, ist es manchmal gut, sich Worst-Case-Szenarien zu überlegen. Das sind die Szenarien, die man sich für den schlechtesten Fall denken kann. Damit hat man eine Rahmung erzeugt und kann agieren. Ich möchte einmal ein solches Szenario für die Corona-Pandemie skizzieren. Stellen wir uns einmal vor, die Impfungen helfen nicht. Sie immunisieren zwar gegen einen Virusstamm, aber eben nicht gegen die Mutanten. Das scheint mir nicht ganz abwegig, weil es Grippewellen gibt, obwohl sich viele impfen lassen. Außerdem wirken Grippeimpfungen auch nur gegen bestimmte Stämme. Ohnehin müssten mit diesen Vakzinen zyklisch Massen von Menschen geimpft werden. Das würde den Preis für das bloße Leben erhöhen. Nicht auszuschließen auch, dass diese zyklischen Impfungen Nebenwirkungen haben, die wir derzeit nicht ahnen.
Gehen wir also einmal davon aus, dass in einem solchen Fall die Impfung nur geringfügig wirken würde, so müsste man in den westlichen Ländern mit dem Virus und den Toten leben. Man hätte durch die zahlreichen Lockdowns wenig gewonnen, immerhin die Infektionen in die Zukunft verlagert, dafür aber die Ökonomie massiv geschädigt und auch die geistige Gesundheit und die Fitness der Menschen. Dann wäre der ganze Aufwand mit der Impfstoffentwicklung nahezu umsonst gewesen, weil die eigentliche Pandemie Jahrzehnte fortdauern würde. Dann müsste man langfristig den modernen Lebensstil grundlegend ändern: Reisen wäre etwas Besonderes, Freunde treffen und feiern auch. Man könnte vorher testen auf bestimmte Virenstämme, sich weiter durch Masken etc. schützen. Aber das würde den Lebensstil, den wir kennen, dennoch nahezu verunmöglichen. Man würde wieder leben wie in vormodernen Zeiten, lokal. Viele Menschen zu treffen, wäre riskant. Die Technik würde uns dann Bilder und Kontakte mit der Ferne vermitteln. Das soziale Leben würde zum Teil am Bildschirm stattfinden.
Und noch etwas käme hinzu: Die Welt würde sich spalten in westliche Länder, die fast ausnahmslos von der Pandemie heimgesucht wurden, und asiatische Länder, die das Virus nahezu gänzlich unter Kontrolle haben (China, Taiwan, Südkorea, Vietnam, Japan). Ein physischer Übertritt von einer in die andere Kultur wäre mit einem Test, Quarantäne und eventuell zusätzlich noch Impfungen verbunden, er wäre gefährlich. Das Reisen würde so sehr teuer und die Verbindung Asien-Westen wäre exklusiv, jedenfalls nicht mehr touristisch.
Wer kann dieses Szenario ausschließen? Alles hängt für den Westen an den Impfungen. Würden diese nicht wirken, wäre das westliche Lebensmodell wie auch die westliche Wirtschaft einer harten Probe ausgesetzt. Aber der Westen hat sich bislang immer wieder neu erfunden.
2021.04.02
Filmnotizen
Philip Grönings Film Die Frau des Polizisten (2013) zeigt, wie ein Polizist in Gronau mitsamt seiner Kleinfamilie in die Psychopathologie driftet. Beklemmend, in einzelnen Miniatur-Kapiteln von wenigen Minuten in spartanischen Einstellungen erzählt. In Kapitel 47 schafft es die ›Familie‹ noch nicht einmal, das Dornröschenlied synchron zu singen. Es liegen auch zu viele Schläge dazwischen. Schon als Kind empfand ich dieses Lied, als wir es im Kindergarten singen mussten, als extrem negativ und gewalttätig, überhaupt nicht zur Melodie passend. Das hat Gröning nun ganz direkt gezeigt. Da gibt es viele Szenen, die eine gewisse Färbung aufweisen, märchenhaftes Gift in den Ellipsen, der Tod des Rehs, der Fuchs, die Klappe im Innenhof, der zerstückelte Körper, die blauen Flecken, die aussehen wie Leichenflecken, der Sprachfehler des Kindes, die Wutausbrüche, die Arbeit und Privatleben verkanten, der klaustrophobische Innenhof etc.
In Thomas Arslans Helle Nächte (2017) reist der geschiedene Michael (Georg Friedrich), dessen Vater gestorben ist, mit seinem pubertären Sohn nach Norwegen, um den Nachlass zu ordnen. Die Menschen verlieren sich, ähnlich wie in Gold (2013), in der Landschaft. Das Ende zeigt, wie viel Geduld, Mühe und Konflikte einer ehrlichen Umarmung vorhergehen.
2021.03.31
Nun, da der AstraZeneca.Impfstoff nicht mehr an Jüngere verimpft werden soll, rückt auch die Impfung von Frau Merkel in greifbare Nähe!
2021.03.30
Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 63)
Der WHO-Report und Szenarien für die Zeit nach Corona
Vor kurzem veröffentlichte die WHO ihren Report über den Ursprung des Corona-Virus [Link].
Die Frage ist, wie es weitergeht. Ich habe schon im Dezember beschrieben, wie ineffektiv und unsinnig der kulturelle Lockdown in Deutschland ist. Auch war mir klar, dass die Politik ihren Fehler, die Pandemie per Gesetzeskraft einzudämmen, nicht eingestehen würde. Der deutsche Staat und seine Politiker glauben, man könne einer Pandemie per Verordnung begegnen. Und dann fehlt die Infrastruktur, der Umsetzungswille und die Differenzierung. Hier in Japan überlässt man das mehrheitlich den Menschen, sperrt die öffentlichen Parks und schließt die Restaurants früher, schenkt abends keinen Alkohol aus etc. Aber ansonsten läuft alles weiter. Es gibt eine Stratifizierung, eine Distanzierung, tausende Ideen zur Verhinderung der Ausbreitung. Und es funktioniert ganz wunderbar, ohne Gesetzesgewalt. Aber Angela Merkels Interview mit Anne Will zeigt, dass sie immer noch an dem längst gescheiterten Modell des Lockdowns und der staatlichen Pandemiebekämpfung per Gesetz festhält [Link]. Die zögernde Impfstoffverteilung offenbart zudem, wie schlecht das Gesundheitswesen und die Infrastruktur in Deutschland bereits sind.
Dass Touristen auf Mallorca Urlaub machen, liegt auch an den jenen Fluggesellschaften, die von der Bundesregierung mit Millionen gestützt wurden. Hat man da keinen Einfluss?
Hier einige mögliche Szenarien für die Zukunft:
1) Die Impfstoffe werden bis im Herbst verteilt und verimpft und helfen auch gegen Mutanten. Dann tritt irgendwann im Spätherbst eine Normalisierung ein.
2) Die Impfstoffe werden bis im Herbst verteilt und verimpft und helfen nicht gegen die Mutanten. Dann würde sich die Frage stellen, wie es weitergeht. Denn man kann keinen dauernden Lockdown fahren.
3) Die Impfung hilft nur partiell.
Was passiert im Szenario 1? Das wäre die beste Variante. Dann würde nach der Pandemie erstmal Geld an jeden Bürger ausbezahlt, so wie das in Japan schon war. Der Staat macht also weiterhin Schulden. Es käme zu einer Party-Saison. Alle holen das nach, was sie im Lockdown versäumten, tanzen, reisen, gehen auf Konzerte und in Restaurants (zumindest in die, die es bis dahin noch gibt). Der Staat kann aber nicht dauernd Schulden machen. Er wird also entweder die Steuern erhöhen oder die Inflation ankurbeln (letzteres geschieht voraussichtlich ohnehin). Bei der Inflation kommt es zunächst durchaus zu einem Boom, weil das Geld ausgegeben werden muss. Aber die, die die Arbeit verloren und die untere Mittelschicht und die Proletarisierten haben das Nachsehen. Eine Verarmung setzt ein, die von Protesten begleitet werden könnte. Die Frage ist, wer das bezahlt. Es gibt die Oberschicht, und die hat das Geld. Aber will der Staat es ihr nehmen? Und wie reagiert der Staat auf die Organisation der Impfung, Impfkontrolle, Körperregime etc. Wenn es irgendwann zu einer klaren Sicht kommt, dann muss der Staat bekennen, woher er das Geld nehmen will. So wie ich die deutsche Politik kenne, wird man dann wieder kleinlich sparen. Hätte man nur einen Bruchteil des heute verschleuderten Geldes Jahre zuvor ausgegeben, was hätte man damit machen können? Paradiese hätte man schaffen können! Man muss das gleiche Selbstbewusstsein, das die Maßnahmen der Pandemie begleitet, auch für die Zeit danach beanspruchen. Hier in Japan setzt man die abgesperrten Parks in Stand und renoviert die Restaurants, weil man doch weiß, dass es eine Zeit nach der Pandemie gibt. Das ist sehr vernünftig. Ich gehe davon aus, dass die deutsche Politik hier kleinlich spart, aber hoffentlich täusche ich mich.
2021.03.21
Was soll der elektronische Impfnachweis?
Digitalstaat (Skizze 25)
Derzeit plant die Bundesregierung einen ›digitalen Impfpass‹, wie die FAZ schreibt. Der Zuschlag für die Realisierung sei an IBM gegangen. Der Umfang des Auftrags wurde von ebenjener Zeitung auf 32,5 Millionen Euro beziffert, zudem »entwickelt IBM nach Angaben des Medienberichts eine Impfnachweis-App, über die sich der Zugang zu Restaurants, Geschäften, Fitnessstudios, Restaurants, Hotels und anderen Einrichtungen regeln lassen soll. Sie soll auch in dem Fall zum Einsatz kommen, wenn die Corona-Vorschriften in Zukunft regeln müssten, ob nur Geimpfte Zutritt zu den Einrichtungen erhalten.«1
Wiederum ist fraglich, was das soll. Wieso richtet man eine digitale Technik ein, wo es die entsprechenden Vorschriften noch gar nicht gibt? Warum genügt nicht einfach ein Stempel im Reisepass oder ein Aufkleber mit dem Namen? Auch weiß kein Mensch, wie lange die Impfung immunisiert, ob Geimpfte das Virus weitergeben können etc. Es macht also buchstäblich keinen Sinn, die Daten mit solch großem Aufwand zu aggregieren, wenn man diese Faktoren nicht kennt. Man installiert hiermit offenbar ein System, das starr Auskunft gibt, ob eine Impfung erfolgt ist und das sich schnell, über QR-Code, abrufen lässt. Sinnvoll ist der Einsatz also aus heutiger Sicht keineswegs im Hinblick auf die Pandemie und deren Bekämpfung. Sinn macht ein solcher Schritt aber im Hinblick auf einen Digitalstaat, der auch die Körper der Staatsbürger kontrolliert und pharmakologische Parameter mit Zugangskontrollen und Grenzregimen verknüpft.
Nachweise: 1 FAZ: IBM soll offenbar digitalen Impfpass entwickeln, FAZ, 8.3.2021, [Link]. Siehe dazu auch: Jonas Jansen: Dieses Kölner Start-up entwickelt mit IBM den digitalen Impfpass, FAZ, 9.3.2021 [Link]
2021.03.20
Mit zweierlei Maß. Über den Umgang mit den Gefahren der AstraZeneca-Impfung
Man fragt sich, warum die Toten nach der Impfung mit AstraZeneca nicht auf ebenjene Weise gezählt werden wie die Corona-Toten. Ist jemand mit dem Virus infiziert, gilt er als Corona-Toter. Ist ein anderer aber geimpft und stirbt kurz später, gilt er nicht als Impfungs-Toter, sondern es wird genau geprüft, wie die Süddeutsche schreibt:
»Allerdings können die Experten, nachdem sie seit Tagen ›rund um die Uhr gearbeitet‹ hätten, wie Straus sagte, die wichtigste Frage letztlich nicht beantworten: Ob es einen Zusammenhang der Impfung mit den auch in Deutschland in sehr seltenen Fällen beobachteten Hirnvenenthrombosen und einem seltsamen Abfall von Blutplättchen gibt, sei nicht auszuschließen. ›Es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob diese von dem Impfstoff kommen oder nicht‹, sagte Straus, dies werde nun engmaschig weiter untersucht.«1
Eigentlich sollte man der Statistik doch vertrauen, doch hier wird offenbar auch von diesem Mittel kein Gebrauch gemacht, so schreibt das Paul-Ehrlich-Institut: »Etwa ein Fall wäre zu erwarten gewesen, sieben Fälle waren gemeldet worden.«2
Jenes Paul-Ehrlich-Institut war extrem mutig, indem es am 16. März 2021 die Empfehlung für die Aussetzung des AstraZeneca-Impfstoffes gab:
»In sieben Fällen (Stand 15.03.2021) wurde in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff AstraZeneca eine spezielle Form von schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und Blutungen festgestellt.
(1) Es handelt sich um eine sehr schwere Krankheit, die außerdem schwer zu behandeln ist. Von den sieben betroffenen Personen waren drei Personen verstorben.
(2) Die betroffenen Personen hatten ein Alter zwischen etwa 20 und 50 Jahren.«3
Denn es war klar, dass der Gegenwind von der Pharmaindustrie wie der Politik kommen würde, die darauf drängen, weiter zu impfen. Auch folgende Anmerkung spricht Bände:
»Der von den schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen mit Blutplättchenmangel betroffene Personenkreis in jüngerem bis mittlerem Alter ist nicht der Personenkreis, der von einem hohen Risiko für einen schweren oder gar tödlichen COVID-19-Verlauf betroffen ist.«4
Das wiederum heißt, dass diese jungen Menschen höchstwahrscheinlich selbst bei einer Infektion mit COVID-19 nicht gestorben wären. Sie gehören überhaupt nicht zur Risikogruppe! Aber die Europäische Arzneimittelbehörde Ema bleibt bei ihrer Empfehlung, die utilitaristisch begründet ist:
»Es werde aber eine extra Warnung vor möglichen seltenen Blutgerinnseln (Thrombosen) in Hirnvenen bei den möglichen Nebenwirkungen aufgenommen. Es bleibe gleichwohl dabei, dass der Nutzen des Vakzins seine Risiken bei Weitem überwiege.«5
Nachweise: 1 Christina Berndt; Christina Kunkel: Was hinter der EMA-Entscheidung steckt, Süddeutsche Zeitung, 19.3.2021, [Link] 2Paul-Ehrlich-Institut: FAQ – Temporäre Aussetzung COVID-19-Impfstoff AstraZeneca, 16.3.2021, [Link] 3 Ebenda. 4 Ebenda. 5 FAZ: Ema hält an Astra-Zeneca-Impfstoff fest, 18.3.2021, [Link]
2021.03.19
Kirschblüte am Zojoji-Tempel
Collie und Falke, oder: Zweimal mein Hörnchen gefressen
Gestern fuhr ich nach Kamakura, ging am Strand entlang und fuhr dann von Hase 長谷, einem Mini-Bahnhof mit historischer Bahn, zum Shōnan Kaigan-Park 湘南海岸公園. Das ist eine sehr schöne Strecke mit wirklich prächtiger Aussicht auf das Meer. Der Strand ist einfach großartig und zu dieser Zeit sind ganz wenige Menschen dort. Viele Surfer tummeln sich in den Wellen, aber gestern war das Meer ruhig, daher paddelten die meisten. Auch lag der Fujisan leider im Dunst. Aber die Sonne schien wie in den letzten Wochen und ich hatte mein Croissant im Gepäck, das ich in der Bäckerei am Bahnhof Kamakura kaufte. So setzte ich mich auf eine der Treppen, die den Blick auf das Meer gewähren und freute mich auf mein Croissant in der Sonne. Mir sind schon beim letzten Besuch die zahlreichen Krähen und Falken aufgefallen, die um die langen Treppen herum kreisen. Aber ich schlug diese Beobachtung wie auch ein Warnschild am Eingang des Strandes von Kamakura buchstäblich in den Wind und setzte mich. Niemand außer mir aß. »Aber was kann das schon heißen«, dachte ich mir. So blickte ich essend auf das Meer und hatte das Croissant bis auf ein letztes Stückchen, das zu genießen ich mir vornahm, aufgegessen. In diesem Moment riss mich ein dunkler Schatten aus meinem Geschmacks-Tagtraum. Alles geschah so schnell, dass ich mir keinen Reim darauf machen konnte. Der Schatten erwischte mich mit einer Geschwindigkeit, die viel höher war, als dass meine Aufmerksamkeit anspringen hätte können. Es war so, als passierte etwas und erst im Nachhinein merkt man, was es war. Wie bei einem Unfall. Im nahezu gleichen Moment, in dem ich den Schatten bemerkte, griff etwas mit einer maschinellen Präzision nach dem Croissant. Es war ein fester Griff, wie man ihn von Meisterdieben kennt oder aus Horror- und Science-Fiction-Filmen. Monsterähnlich. Es war ein Monster, das da aus dem Alltag schlupfte, wie eine sich materialisierende Phantasie. Ich fühlte mich ergriffen, konnte mich nicht wehren. Alles war zu schnell. Ich spürte also zunächst den Schatten und dann merkte ich, dass ich kein Croissant mehr in der Hand hatte. Es war weg. Hochgezogen von einem Präzisionsarbeiter, dem Falken. Den sah ich noch, etwa zehn Meter weiter oben, schwebend, im Flug das Beutestück aus dem Plastickbeutel ziehend, ganz geschickt, und dann schwebte (ich hatte ein schlechtes Gewissen) meine Plastiktüte durch Luft wie ein leerer Ballon. Nun wusste ich, warum man eine Statue mit einem Vogel hier aufstellte und nahm das Warnschild sehr ernst. Vorher hatte ich das nur bei Falknereien gesehen, nun aber am eigenen Leibe erfahren. Mit einem ›wilden‹ Tier.
Ich hatte als Kind, wohl war ich im Kindergartenalter, etwas Ähnliches bereits erlebt. Ich aß schon als kleiner Junge gerne die Hörnchen. Früher waren die gefüllt. Und im Dorf, man ging den Grohweg herunter, da gab es in der Bachstraße ein Haus mit einem Hof, mit geschlossenem Zaun, dahinter sprang ein Collie umher. Man warnte mich auch damals. Aber wir hatten einen Pudel, wir mochten uns. Tiere waren daher für mich prinzipiell gut. So vertraute ich dem Collie und lugte gerade so über den Zaun. Vielleicht hob mich auch jemand hoch, weil ich neugierig war. Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls lockte mein Winken mit dem Hörnchen auch dieses Wesen und wie der Falke gestern schnappte es der Hund. Mit ebenjener Geschwindigkeit. Aber der Unterschied zwischen früher und heute war, dass ich damals sehr traurig war und vielleicht sogar weinte. Diese Erfahrung schlummerte in der Erinnerung der Jahrzehnte in mir, so dass ich nun auf eine Weise vorbereitet war. Traurig war ich gestern keineswegs. Ich gönnte dem Falken den Leckerbissen und war erstaunt, was Tiere so alles können.
Lesung Collie und Falke, oder: Zweimal mein Hörnchen gefressen
Fatih Akins Spot für die taz
Wie verhalten sich Institutionen rational?
Digitalstaat (Skizze 24)
Institutionen, Körperschaften, Vereine gelten rechtlich als juristische Personen. Man behandelt diese Gefüge menschlicher Kollektive, als ob sie ein Mensch seien, gewissermaßen als Quasi-Person mit juristischer Verantwortung etc. Der Anspruch ist also, dass sich diese Gebilde rational verhalten. Nun gibt es aber unter Menschen immer auch ein Gewimmel von sich widersprechenden Meinungen. Die Frage ist also, wie es gelingen kann, daraus in sich begründete Urteile zu erzeugen.
Das Problem besteht u.a. darin, dass zwar der Leiter der Institution die Verantwortung repräsentiert, aber gleichzeitig die unteren Stellen häufig nach außen kommunizieren müssen. Sie können sich also dabei nicht immer vergewissern, dass das, was sie sagen, auch dem Urteil des Leiters entspricht. Wie geht man mit dieser Unsicherheit um? Eine Möglichkeit, die häufig genutzt wird, ist die der Unverbindlichkeit. Man sagt nichts zu, bleibt allgemein. Sobald es dann zu einer Fokussierung kommt, wird im Voraus der Leiter gefragt. Eine andere Möglichkeit ist natürlich, dass der Leiter mit den unteren Stellen in ständigem, unverbindlichem Kontakt steht, so dass er aufmerksam wird auf wichtige Entscheidungsfelder und potentielle Fehlentscheidungen. Es geht ja darum, dass ein Sensorium entwickelt wird für Entscheidungen, die zu Störungen führen könnten. Vieles lässt sich verzeihen und ist mitunter nicht wichtig, aber besondere Felder, die die Rationalität tangieren oder auch andere juristische Personen betreffen, die in Konkurrenz stehen oder von denen wiederum die eigene abhängig ist, müssen unbedingt erkannt werden.
Früher erzeugte man direkte Angst. Man erwartete die richtige Entscheidung der unteren Stellen und ahndete dann bei Fehlurteilen. Das ging aber nur, weil alle ungefähr ähnlich dachten. Heute sind die Gefühle mit den Gemeinschaften viel disparater. Man verteilt lieber Verantwortungsfelder und Bereiche, die dann den unteren Stellen direkt unterstehen. Eine nicht zu unterschätzende Arbeit liegt also gar nicht darin, nach außen zu kommunizieren, zu arbeiten im klassischen Sinne, sondern sie besteht darin, nach innen eine Art von Geist zu erzeugen, der wie auch immer zu einer Homogenität führt. Wichtig ist auch die indirekte Kenntnis, was die Anderen lernen und verzeihen können, diese Art von Responsivität also. Dennoch gelingt es heute offenbar Institutionen kaum mehr, sich selbst zu legitimieren, indem sie diese Art von Rationalität erzeugen. Auch ist die Angst vor Fehlentscheidungen, die früher diskursivierbar war und abgefedert wurde von Autoritäten, auch da man eine sichere Stelle und typisierte Abläufe hatte, heute diffus. Sie besteht in erster Hinsicht darin, dass man die Stellen befristet bzw. in Unsicherheit lässt. Es gibt also gar keine interne Auseinandersetzung mehr darüber, ob eine Entscheidung richtig war. Wer wirklich falsche Entscheidungen trifft und sein Hoheitsgebiet schlecht bedient, wird entlassen bzw. dessen Vertrag wird nicht verlängert. Daraus entsteht ein Hang, diffuse Floskeln und Formeln zu benutzen. Man erkennt den Unterschied auch, indem man frühere Aussagen der Institutionen mit den heutigen vergleicht. Sie stehen in schroffem Widerspruch zueinander. Ein Kennzeichen dafür, dass dieser Prozess fehlgeschlagen ist. Wichtig ist auch, dass früher der Glaube an die Rationalität vorhanden war. Heute ist dieser einem perfekten Schauspiel gewichen, aber niemand glaubt mehr an den Geist der Institution. Man versucht mitunter, sich selbst schadlos zu halten, indem man diese verachtet. Man versucht mitunter heute mit größtem Aufwand, den Nachweis von Irrationalität zu verhindern.
2021.03.16
Christian Drostens Urteil zum AstraZeneca-Impfstoff. Die Aussetzung in Deutschland
In seinem NDR-Podcast sagte Christian Drosten am 16. Februar 2021:
»Wenn ich mir die öffentliche Diskussion um diesen Impfstoff so anschaue, da ist schon vieles falsch verstanden worden. Es stimmt schon, das ist alles eine Kommunikationssache. Es ist sicherlich nicht so, dass diese Studien-organisation ganz grob falsch gelaufen wäre, wie man das manchmal auch liest. Das ist sicherlich eine falsche Bewertung. Das ist nicht fair. Ich glaube, was man sagen muss, dass dieser Astra-Impfstoff ein halb akademischer Impfstoff ist. Der ist ja von der Uni Oxford entwickelt worden und er wird sehr engmaschig von akademischen Arbeitsgruppen, in seiner ganzen Beforschung, in den Studien begleitet.«1
Wenn alles nur eine Kommunikationssache sei, warum gibt es dann so viele Berichte von Menschen, die über schwerste Nebenwirkungen klagen? Sollen diese Menschen da »fair« sein, etwa gegenüber dem Pharmakonzern, wenn sie die Nebenwirkungen erleiden? Was soll die letzte Aussage, dass der Impfstoff »akademisch« sei und in der »Beforschung« begleitet werde? Meint das, dass die anderen Impfstoffe nicht entsprechend begleitet werden? Und daher die Nebenwirkungen auch nicht öffentlich werden? (Obwohl sie vielleicht existieren?) Man muss doch erwarten, dass Impfstoffe, ihre Wirkungen und Nebenwirkungen »sehr engmaschig von akademischen Arbeitsgruppen« untersucht werden!
Eine andere Aussage irritiert noch mehr:
»Die Impfstoffe, die wir haben, die sind extrem gut gegenüber dem, was man erwarten konnte. Es gibt immer irgendwo ein Haar in der Suppe. Und manche schauen da mit dem Vergrößerungsglas drauf. Das sollte man nicht tun. Man sollte eher überlegen, was kann man beitragen? Also ganz klar, wenn ich mich impfen lasse, dann habe ich mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit für mich selber die Angst erst mal weg. Ich habe keine Angst mehr vor einem schweren Verlauf. Ich habe zum Beispiel als jemand, der hier sitzt, mit 48 Jahren, keine Angst, dass ich in meiner Altersgruppe zu den Patienten gehören könnte, die ohne großes Risiko, obwohl sie sportlich und eigentlich fit sind, trotzdem auf der Intensivstation landen. Das wird mir nicht mehr passieren, wenn ich geimpft bin. Schon allein deswegen lasse ich mich impfen.« 2
Ist das »Haar in der Suppe« dann, dass Menschen aufgrund von Nebenwirkungen einer Impfung vielleicht sterben? Sind es schlimme Nebenwirkungen, die tagelang anhalten? Ein Haar in der Suppe zeigt immer auch an, dass der Koch nicht gründlich draufschaute, sich das von ihm zubereitete Essen nicht mehr anschaute. Sollen solche Art von Pharma-Köchen Impfstoffe herstellen?
Der Vergleich erinnert mich außerdem an eine Erziehungspraxis, die bis in das 20. Jahrhundert andauerte, dass nämlich Kinder, die ihre Suppe nicht aufessen wollten, bestraft wurden. Eine Strafe war, dass man sie vor den Suppentellern sitzen ließ, also demütigte. Ich finde diesen Vergleich gänzlich unpassend. Mir ist auch unklar, warum Drosten in die Ich-Form wechselt. Die ganze Debatte ist überhaupt ganz merkwürdig, weil meines Wissens auch Prof. Drosten sich nicht mit AstraZeneca hat impfen lassen, oder? Auch die Politiker, die für den Impfstoff eintreten, ließen sich selbst nicht impfen, weil sie ›nicht an der Reihe‹ waren, nicht zur Gruppe der über 65-Jährigen gehörten etc. Das schafft kein Vertrauen und wirkt autoritär. Glauben denn diejenigen, die diese Aussagen machen, selber nicht an sie? Es ist doch auch ganz offensichtlich, dass die Virologie mit der Pharmabranche in einer unmittelbaren Relation, ja Abhängigkeit steht. Wie könnte sich denn ein Virologe gegen einen Konzern aussprechen? Die Folgen wären doch, dass sein Team in diese Forschung nicht mehr involviert würde. Drittmittel der Industrie, warum fließen sie? Fließen sie auch für Kritik an derselben? Das wäre wünschenswert!
Nun meldet die FAZ, nach »bisher sieben Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung in Deutschland halte das PEI [Paul-Ehrlich-Institut] weitere Untersuchungen für notwendig«3 Die Astra-Zeneca-Impfung wird auch in Deutschland ausgesetzt, bis die Tode und Nebenwirkungen geklärt sind.
Nachweise: 1 Christian Drosten; Korinna Hennig: NDR Corona-Virus Update, Folge 76, 16.2.2021, S. 6, [Link] 2 Ebenda, S. 17. 3 Joachim Müller-Jung; Michaela Wiegel: Zweifel am Impfstoff von Astra-Zeneca, FAZ, 16.3.2021, [Link]
2021.03.15
Impfstoffe... und nochmals Impfstoffe!
Woher die Schwierigkeiten mit den Impfstoffen herrühren, wird allmählich deutlich. So schreibt Tagesschau.de
»Beim französischen Pharmakonzern Sanofi schlug man bereits im vergangenen Frühjahr Alarm, man müsse davon ausgehen, dass ein großer Teil eines möglichen Impfstoffes erst einmal in die USA wandere. Die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus nämlich sei eines, Milliarden Spritzen damit herzustellen, etwas anderes. Und wenn die EU nicht bald dabei helfe, Fabriken dafür auszustatten, drohten die USA die Kapazitäten ganz für sich zu bunkern.
Und das taten sie. Ein Beispiel: Die US Regierung unterstützte den Pharmakonzern Moderna bei der Entwicklung seines heute zugelassenen Impfstoffs und half gleichzeitig dabei, die Massenproduktion zu organisieren. Partner wurde der Impfstoff-Hersteller Lonza in Basel, der eine Milliarde Dosen Impfstoff zusagte, produziert in verschiedenen Ländern.
Dieses Risiko ist die EU nicht eingegangen.«1
Wenn also die EU-Kommission nur Verträge geschlossen hat, sich aber um die Unterstützung der jeweiligen Produktionsreihen im Vorfeld nicht kümmerte, sondern dies dem Gutdünken überlies, wird manches klarer. Auch ein Blick auf die Preisliste der Impfungen lässt ahnen, warum an der Ökonomie orientierte Politiker den AstraZeneca-Impfstoff vehement verteidigen: »Astra Zeneca: 1,78 Euro; Johnson & Johnson: 8,50 Dollar (6,95 Euro); Sanofi-GSK: 7,56 Euro; Curevac: 10,00 Euro; Biontech/Pfizer: 12,00 Euro; Moderna: 18,00 Dollar (14,70 Euro).«2
Nachweise: 1Tagesschau.de: Corona-Impfstoff. Haben die USA ein Exportverbot verhängt?, Tagesschau.de, 12.3.2021, [Link] 2Christoph B. Schiltz: Von 1,78 bis 14,70 Euro – so viel kosten die Impfstoffe, Welt, 18.12.2020, [Link]
2021.03.14
Gewitter in Tôkyô!
Gestern regnete es den ganzen Tag. Ab Nachmittag zog, eine Seltenheit, ein Gewitter über Tôkyô. Hier zwei Tonaufnahmen des Donners.
2021.03.12
Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 62)
Finanzhilfen der USA wegen Corona
Wie ich bereits früher schrieb, gibt es drei Möglichkeiten, um die Kosten für die Pandemie hereinzuholen: Steuererhöhung, Krieg oder Inflation. Letzteres kann nur folgen, wenn die USA »1 900 000 000 000 Dollar gegen die Pandemie« ausgeben, wie die Süddeutsche Zeitung titelt.1
Nachweis: 1 Claus Hulverscheidt: 1 900 000 000 000 Dollar gegen die Pandemie, Süddeutsche Zeitung, 6.3.2021, [Link]
Astra-Zeneca-Impfung und die Statistik-Argumentation
Wie die FAZ meldet, setzen Dänemark, Norwegen und Island die Astra-Zeneca-Impfungen wegen eines Todesfalls und Fällen von Blutgerinnsel (Thrombose?) aus.1 Wie ich am 8.3.2021 bereits schrieb, gab es zwei ähnliche Fälle in Österreich. Aber offenbar macht man in Deutschland eine Kosten-/Nutzenabwägung, so wie dies auch Karl Lauterbach auf Twitter vorschlägt: »Es ist richtig, das weiter zu untersuchen. Aber Impfstopp war falsch. Ausgesetzte Impfung ist für viele tödlich, die jetzt verzichten.«2 Das ist eine Argumentation von der Statistik aus. Sie mag sogar stimmen, ist aber für die Menschen, die die etwaigen Nebenwirkungen zu tragen haben, irrelevant. Denn ob sie sich mit Corona angesteckt hätten und ob sie schwere Symptome entwickelt hätten, weiß niemand. Aber mit den (etwaigen) Nebenwirkungen müssen sie nun leben. Sie haben sie sich selbst zugefügt, insofern sie der Impfung zustimmten. Das ist eine Argumentation vom Menschen aus - und nicht von der Statistik. Das Problem ist, dass man eine hohe Anzahl von Menschen braucht, um statistisch die Nebenwirkungen auch signifikant nachweisen zu können. Bis dahin werden sicherlich viele Dosen verimpft. Ein Impfstopp kann helfen, hier erstmal die vorhandenen Daten in Ruhe zu sichten.
Nachweis: 1 FAZ: Dänemark, Norwegen und Island setzen Astra-Zeneca-Impfungen aus, 11.3.2021, [Link] 2 Karl Lauterbach Twitter, Tweed vom 12.3.2021, [Link]
2021.03.09
Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 61)
Über die Vergeblichkeit, mit staatlichen Verordnungen gegen die Pandemie vorzugehen
Wie sehr die deutsche Corona-Politik gescheitert ist, würde ein Blick nach Asien zeigen, den man aber tunlichst nicht unternimmt. Dort sinken die Zahlen von Infizierten beständig und das Leben normalisiert sich. Wie ich in früheren Ausführungen bereits schilderte, hat dies mehrere Gründe, sicherlich gehört auch die Disziplin dazu, auch die Weise, wie man sich im öffentlichen Raum bewegt etc. Aber ein wesentlicher Unterschied besteht auch darin, dass man an die Verantwortung der Menschen appelliert und dadurch sehr kreative, kleinteilige und passgenaue Strategien entwickeln kann, die vor Ort viel besser greifen als es staatlich-zentrale Verordnungen und Gesetze können. Selbst wenn man die deutschen Regeln, wie dies jüngst in der FAZ geschah, einmal in einem Schaubild darstellen will [Link], versteht man sie nicht. Die Kompliziertheit und Differenzierung ist an falscher Stelle, wenn man staatlich delegiert. Und weil es nicht funktioniert, gibt man nun nach Monaten den Lockdown auf, der ja auch viel zu grob war.
2021.03.08
Wieder in den Schlagzeilen: AstraZeneca
Der Deutschlandfunk meldet Folgendes: »Im Landesklinikum Zwettl im Bundesland Niederösterreich war eine Krankenschwester an den Folgen schwerer Gerinnungsstörungen gestorben, eine weitere erlitt eine Lungenembolie. Astrazeneca erklärte laut der Nachrichtenagentur APA, mit den Behörden im Kontakt zu stehen und die Untersuchungen voll zu unterstützen.«1 Nun wurde lediglich das Impfen mit dieser Charge des Impfstoffs gestoppt. Einem anderen Bericht entnehmen wir, dass beide Kolleginnen waren. Die Gestorbene war 49 Jahre alt, die Frau mit Lungenembolie ist 35.2 Immerhin wird jetzt darüber berichtet und eine hoffentlich neutrale Untersuchung durchgeführt.
Dass die Studie bereits suspekt war, das sollte den Verantwortlichen eigentlich aufgefallen sein. Das RKI schreibt in seinem Bulletin über die AstraZeneca-Studie: »Durch die prophylaktische Paracetamol-Gabe konnten Nebenwirkungen wie Schmerzen an der Einstichstelle, Fieber, Schüttelfrost, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit insgesamt signifikant reduziert werden (alle p < 0,05)«3 Durch die Fremdworte wird die Paradoxie dieser Aussage verdeckt. Paracetamol ist ein fiebersenkendes Schmerzmittel. Dass das Fieber nach einer solchen Gabe sinkt und die Schmerzen gelindert werden, dürfte sich von alleine verstehen. Es ist so, als ob ich sage: Nachdem ich das Licht angeschaltet habe, wurde es im Zimmer heller. Natürlich, es wurde heller. Aber vorher war es dunkel.
Nachweise: 1 Deutschlandfunk: Österreich stoppt Impfung mit Astrazeneca-Charge nach Todesfall – Zusammenhang offen, 7.3.2021, [Link] 2 Die Presse: Tod von Krankenschwester nach AstraZeneca-Impfung wird untersucht, 7.3.2021 [Link] 3 RKI: Epidemiologisches Bulletin, 5/2021, 4.2.2021, S. 24-25 [Link]. Siehe dazu auch BR24: Impfstoff-Studie: Dämpfte Astrazeneca die Nebenwirkungen?, 2.2.2021, [Link]
2021.03.07
Edgar Reitz über das Kino
Heute Nacht sah ich die letzte Folge von Heimat 3 - Chronik einer Zeitenwende (2004), nachdem ich Heimat 1 - Eine deutsche Chronik und Heimat 2 - Chronik einer Jugend für mein neues Buch durchschaute. Es war eine doppelte Reise in die Vergangenheit. Einerseits in die historische und andererseits in meine eigene der Rezeption. Reitz kann wie nur wenige Regisseure Epochen schildern wie andere Menschen. Er verleiht einem Zeitalter eine Physiognomie, betreibt Charakterstudien der Jahrzehnte. Ich mochte früher Heimat 3 nicht so wie die anderen Teile. Es lag daran, dass der zeitliche Abstand gegenüber dem Geschilderten zu klein war. Heute sehe ich, dass Reitz es vermochte, die damalige Beinahe-noch-Gegenwart im Futur II zu schildern, so als sei sie gewesen. Wenn auch Heimat 3 ästhetisch etwas hinter die anderen Teile zurückfällt, so wird dies mehr als ausgeglichen durch die unglaublich präzise dargestellten Verflechtungen und die dokumentarische Schärfe. Die ökonomische Verpuppung Deutschlands nach der Wende, die Semiotisierung von Heimat in Form eines Schabbach-Chors, der in München singt, mitsamt Schabbach.de-Tshirts, die beschämende Beerdigung Antons, die Auflösungserscheinungen der Optik Werke Simon und der Familie, der Fußballclub, all das wird sehr hellsichtig gezeigt, sogar die Durchsetzung der Landschaft mit Windrädern hat Reitz schon im Blick, sowieso die Computertechnik.
Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 60)
Paradoxe Stimmen zu den Nebenwirkungen der Corona-Impfungen
Die Aussagen zu den Impfungen und deren Nebenwirkungen widersprechen sich auf eigentümliche Weise. Einerseits sind da die Politiker wie Frau Merkel, die davon sprechen, dass der »AstraZeneca-Impfstoff ein Akzeptanzproblem«1 habe. Das klingt nach einem Imageschaden und nach einem schlechten Ruf ohne Grund. Schaut man in der Presse nach, so werden die Hinweise eigentümlich abstrakt, in der FAZ heißt es: »Wenn Corona-Impfstoffe mit einer etwas geringeren Wirksamkeit nicht oder nur zögerlich verimpft werden, kostet das viele Menschenleben. [...] Hierzulande werden die derzeit vorhandenen Impfstoffe des Herstellers AstraZeneca nicht vollständig nachgefragt, was eine Diskussion losgetreten hat, ob diese Impfstoffe der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden sollten.«2 So als ob der Impfstoff von Astra-Zeneca nur wegen seiner geringeren Wirksamkeit nicht nachgefragt werde, von Nebenwirkungen ist in dem Artikel keine Rede, Menschenleben soll er retten.3 Merkwürdig, dass die Zeitung hier Hinweisen aus einem eigenen Interview nicht folgt, sondern stattdessen offenbar beschwichtigt. Denn am 18. Februar sagt der Ärztliche Direktor Karl-Dieter Heller im Interview: »Wir hatten für den Donnerstag der vergangenen Woche die erste Gruppe unserer Mitarbeiter aus der ersten Prioritätsgruppe einbestellt. Bei dem Termin wurden insgesamt 88 Beschäftigte geimpft. 37 von ihnen waren dann am Freitag arbeitsunfähig erkrankt. Die Betroffenen klagten über Schüttelfrost, Gliederschmerzen, Muskelschmerzen, Durchfall und Fieber bis zu 41 Grad Celsius, also grippeähnliche Symptome. Das hatte ein Ausmaß, dass davon schon fast der Betrieb auf der Station und im OP beeinträchtigt war.«4 Wenn aber selbst von dem gesunden Krankenhauspersonal 37 Menschen massive Nebenwirkungen erlitten, was sollen da ältere Menschen mit Vorerkrankungen erwarten?
Auch Tagesschau.de schreibt merkwürdig verklausuliert: »Zusammenhängen könnte diese niedrige Akzeptanz mit Falschmeldungen über eine geringe Wirksamkeit des Impfstoffes und Berichten über angeblich besonders heftige Nebenwirkungen. Auch die für Deutschland geltenden Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) könnten eine Rolle spielen. Die STIKO hatte festgelegt, dass der AstraZeneca-Impfstoff nur an Personen zwischen 18 bis 65 Jahren abgegeben werden darf.«5 Das klingt so, als seien allein die Falschmeldungen für die geringe Akzeptanz verantwortlich.
Kommen wir zurück zum FAZ-Interview mit Frau Merkel. Sie sagte dort auf Rückfrage zu ihrer Aussage:
»FAZ: Sollten Sie angesichts dieses Akzeptanzproblems nicht mit gutem Beispiel vorangehen und sich impfen lassen?
Merkel: Ich bin 66 Jahre alt und gehöre nicht zu der für AstraZeneca empfohlenen Gruppe.
FAZ: Sie könnten mit dem Impfstoff von Biontech für das Impfen werben.
Merkel: Der wird aber sehr gut akzeptiert. Ich halte es für richtig, neben den besonders vulnerablen und den älteren Menschen erst einmal Bevölkerungsgruppen zum Impfen einzuladen, die in ihrem Beruf keinen Abstand halten können. Wir können hier beim Interview mit großem Abstand zueinander sitzen. Eine Erzieherin in der Kita, ein Grundschullehrer kann das nicht. Das sind die Menschen, die vor jemandem wie mir drankommen sollten.
FAZ: In anderen Ländern werden die Regierungschefs ganz selbstverständlich geimpft. Haben Sie keine Angst, sich zu infizieren?
Merkel: Ich möchte Corona nicht bekommen und tue vieles, um es zu verhindern. Ich kenne außerdem persönlich Menschen, die es hart getroffen hat, die über Wochen kaum ihren Alltag bewältigen konnten. Sie waren nicht einmal im Krankenhaus. Auch jüngere Menschen können schwere Langzeitschäden davontragen. Erst sollten die Älteren geimpft werden, diejenigen mit besonderen Vorerkrankungen und auch Menschen, die in engen Kontakt mit Infizierten kommen. Das ist eine sinnvolle Reihenfolge, an die ich mich halten möchte.«6
Prinzipiell kann eine Bundeskanzlerin irgendeine Antwort geben. Aber dass die mächtigste Frau im Staat sich nicht selber schützen will, so weit es irgend geht (also mit einer Impfung), überrascht. Dass sie sich dann mit einer Kindergärtnerin und einem Lehrer vergleicht, ist umso irritierender. Weiß sie nicht um die Wichtigkeit ihres Amtes? Die meisten anderen Staatsoberhäupter ließen sich im Fernsehen vor laufender Kamera impfen, nur nicht Frau Merkel. Die Antwort, dass sie die Reihenfolge, also die Regeln, beachte, bedeutet letztlich, dass sie offenbar in Kauf nimmt, zu erkranken. Oder glaubt sie nicht an die Impfung? Denkt sie, dass Corona gar nicht so gefährlich ist, obwohl sie das doch auch im Interview sagt? Oder hat sie etwa doch Angst vor Nebenwirkungen? Sie ist genau ein Jahr (!) älter, als die zu diesem Zeitpunkt von der STIKO empfohlene Gruppe. Die Aussage bleibt rätselhaft und das »Akzeptanzproblem« scheint eben mit jener Haltung zusammenzuhängen.
Nachweise: 1 ›Ich bin im Reinen mit mir‹, Interview FAZ, 25.2.2021 [Link] 2 Johannes Pennekamp; Christian Geinitz: Warum Impfstoffe horten viele Menschenleben kostet, FAZ, 1.3.2021, [Link] 3 Interessanterweise heißt es dann wiederum am 1.3.2021 in dem gleichen Blatt: Astra-Zeneca auch bei älteren Menschen ›hochwirksam‹, FAZ 1.3.2021 [Link] 4 Reinhard Bingener; Karl-Dieter Heller: ›Mit 40 Prozent Nebenwirkungen hatten wir nicht gerechnet‹, FAZ, 18.2021, [Link]. Siehe dazu auch die Tabelle mit Nebenwirkungen: Jörn Kießler, WDR, 17.2.2021, [Link] 5 Tagesschau.de: AstraZeneca soll verstärkt eingesetzt werden, 2.3.2021 [Link] 6 ›Ich bin im Reinen mit mir‹, Interview FAZ, 25.2.2021 [Link]
2021.03.05
Lou Reed und Metallica... Wunderbar!
2021.02.28
Digitalstaat (Skizze 23)
Das Verschwinden des Ermessensspielraums in Zeiten der KI
Der Ermessensspielraum wird in der Rechtswissenschaft folgendermaßen definiert:
»Das Ermessen betrifft immer die Rechtsfolgenseite einer Norm. Wie der unbestimmte Rechtsbegriff verdankt die Figur ihre Existenz dem Umstand, dass der Gesetzgeber nicht jeden regelungsbedürftigen Sachverhalt voraussehen kann. Daher hat er viele Normen so ausgestaltet, dass dem Rechtsanwender, also der jeweiligen Behörde, bei der Anwendung ein Spielraum bleibt.«1
Dies setzt freilich einen Menschen voraus, der in einer Behörde, hier Rechtsanwender genannt, mit einem anderen Menschen kommuniziert. Um das Ermessen einschätzen zu können, bedarf es vieler Tugenden und Fähigkeiten, natürlich Gesetzeskenntnis wie auch Kenntnis, was das Gesetz nicht reguliert, Erfahrung, Sach- und Menschenkenntnis, Vertrauen, einen Überblick über das Geschehen und vieles mehr. Sobald aber nun die Aufgaben von Behörden digitalisiert werden, also dieses Gefüge Mensch-Institution digitalstaatlich ersetzt wird, verschwindet damit auch der Ermessensspielraum. Eine KI hat diesen nicht, weil sie kein Verständnis der Abläufe und Gesetze hat. Eine KI kann nur über die Einhaltung der Norm wachen. Sie ist eine Vollzugsmaschine von staatlich gesetzten und faktisch gewordenen Normen. Wer aus der Norm fällt, kann darauf hoffen, dass für den nächsten Fall ein Programmierer das Problem löst oder es eine Art Mediator, ein Schiedsgericht oder einen Ansprechpartner gibt. Das scheint uns eine nahezu unlösbare Aufgabe des Digitalstaats, diese Tugenden der Menschen zu simulieren. Dies ist umso schwieriger, weil doch die Programmierer dem Anwendungsort vollkommen fremd gegenüberstehen. Sie wissen gar nicht, wo und wie ihre Software angewandt wird, müssten aber doch über Detailkenntnisse der Praxis verfügen.
Wer als Staatsbürger nur noch einer KI gegenübertritt, die die Norm der Gesetze (die in den Programmcode eingingen) kalt und ohne Spielraum und Ermessen durchsetzt, wird auch wenig Vertrauen in den Staat haben, weil dessen Unterscheidungen ja zu grob sind für den Alltag. Es fehlt mit dem Ermessensspielraum auch die Empathie, die Differenzierung, Sensibilität. Das, was als staatlich galt, war vormals eine Art von Möglichkeit, eine vorgestellte Norm, heute ist die Digitalstaatlichkeit aber keine vorgestellte, sondern eine im Informationsraum faktisch vollzogene Norm. Das Verhältnis der Bürger zum Staat hat sich damit grundlegend gewandelt. Der Bürger gewöhnt sich daran und internalisiert mit dieser Relation Mensch-Digitalstaat eine autoritäre Haltung. Manche werden das, was noch unreguliert ist durch die KI, ausnutzen, ›Schlupflöcher‹ suchen und das als Freiheit empfinden. Der Digitalstaat wird den meisten Bürgern aber immer mehr als ein unveränderbares, abstraktes Gebilde erscheinen, dem man ausgeliefert ist. Indem die Norm der Gesetze programmiert wird, wird ihre Veränderbarkeit gleichzeitig intransparent. Es sind zu viele Stellen beteiligt.
Nachweis: 1Christian Hufen: Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff, Zeitschrift für das Juristische Studium, 2010, S. 603-607, zit. S. 603, [Link ZJS]
2021.02.27
Der Ameisenstaat -- ein Superorganismus. Vortrag von Prof. Hölldobler und Prof. Cesana, hier über Blattschneiderameisen
Dokumentation Ameisen - Die heimliche Weltmacht der Natur, Regie Wolfgang Thaler und Bert Hölldobler (2004)
Eine späte Arbeit von Hokusai, The Dragon of Smoke Escaping from Mount Fuji 『富士越龍図』, 1849
Es ist ein interessantes Bild, im chinesischen Stil, voller Energie. [Link Wikipedia]
Japanische Märchen bei NHK
Der japanische Sender NHK hat japanische Märchen, natürlich Momotarō, Issunbōshi, Kachikachiyama und viele andere reinszeniert. Dazu auch der japanische Text, für die, die mitlesen wollen. Wunderbar! [Link NHK]
Oscar Benl über Tanka-Dichtung
Die Tanka-Kollektivdichtung ist in Japan, gerade zur höfischen Zeit, sehr populär gewesen. Oscar Benl hat einen Text dazu geschrieben, einer der frühen zum Thema, 1954 veröffentlicht.
[Link Landesbibliothek Sachsen-Anhalt]
Digitalstaat (Skizze 22)
Digitaler Impfpass. Regulierung des Internets auf EU-Ebene
Vor einigen Wochen hat Bundeskanzlerin Merkel nichts Falsches versprochen, wenn sie beteuerte, dass es keinen Impfzwang geben würde. Allein es zeichnet sich ab, dass es für die Menschen, die geimpft wurden, europaweite Erleichtungen gibt. Man spricht von einem »Immunitätszertifikat« und möchte gleich einen digitalen Impfpass einführen, der »ohnehin für Anfang 2022 zum Start der elektronischen Patientenakte vorgesehen«1 war, wie die FAZ schreibt.
Dazu werden derzeit zwei Gesetzesvorschläge auf EU-Ebene diskutiert: »Kurz vor Weihnachten veröffentlichte die EU-Kommission mit dem ›Digital Markets Act‹ (DMA) und dem ›Digital Services Act‹ (DSA) zwei Gesetzesvorschläge, die das Internet anders regulieren sollen«,2 schreibt Torsten J. Gerpott.
Nachweise: 1 Joachim Müller-Jung: Was steht drin im Corona-Impfpass?, FAZ, 26.02.2021 [Link FAZ] 2 Torsten J. Gerpott: Welche Rolle spielen künftig nationale Regulierer?, Faz, 24.02.2021 [Link FAZ][Link EU DSA][Link EU DMA][Link Gesetzentwurf des Urheberrechts, Stand 3. Februar 2021, BMJV]
Japanisches Radio
... kann man auf Radiko hören, z.B. NHK Tōkyō [Link]
2021.02.26
Erwartete Erwartungen und die Schwierigkeit der Organisation
Eine große Schwierigkeit und zugleich spannende Herausforderung beim Organisieren und institutionellen Arbeiten besteht darin, dass die Arbeitsabläufe nicht festgelegt sind. Man kennt die Akteure auch nicht immer. Man handelt also gewissermaßen blind, weil man die Erwartung der Anderen nicht kennt. Aber es gelingt nur dann, gut und für alle angenehm zu organisieren, wenn man den Erwartungen der Anderen entspricht bzw. diese erweitert, ohne sie zu irritieren oder gar zu kränken. Es geht also darum, die Erwartungen erwarten zu können, mit erwarteten Erwartungen umzugehen. Idealiter müsste man die Erwartungen der anderen Menschen verinnerlichen, das hieße aber auch, ihre Erinnerungen und Erfahrungen umgrenzen zu können. Ich habe diese Fähigkeit bei wenigen Menschen nur erlebt. Meistens gibt es Einseitigkeiten. In jedem Fall sollte man aber eine Atmosphäre schaffen, die die Fehler der Anderen und auch die eigenen zu verzeihen vermag. Das heißt aber auch in Möglichkeiten und Horizonten von Erwartungen zu denken, probabilistisch zu werden und auch das Ungewöhnliche, Unerwartete stets in das eigene Handeln und Sprechen und Denken miteinzubeziehen. Man wird literarisch dadurch.
2021.02.22
Der Begriff der Pfadabhängigkeit
Vor allem in der Rechtswissenschaft nutzt man den interessanten Begriff der Pfadabhängigkeit. Man meint damit, dass man einmal eingeschlagene Wege nicht mehr so leicht verlassen kann. Ist ein Gesetz erlassen, so kann dies verfeinert werden, aber eine Alternative benutzen hieße, das Gesetz abzuschaffen. Das ist aber schwierig.
Literatur:
Einführung in das Tagungsthema: Pfadabhängigkeit hoheitlicher Ordnungsmodelle
Nils Grosche, Eva Ellen Wagner, Einführung in das Tagungsthema: Pfadabhängigkeit hoheitlicher Ordnungsmodelle in:
Mainzer Assistententagung Öffentliches Recht e.V. (Hrsg.),
Pfadabhängigkeit hoheitlicher Ordnungsmodelle, Seite 11-26, 56. Assistententagung Öffentliches Recht, 1. Auflage 2016, ISBN print: 978-3-8487-2679-0, ISBN online: 978-3-8452-7016-6, [Link Nomos Verlag]
2021.02.18
Über das Pauli-Prinzip und der Pauli-Effekt
Der Physik-Nobelpreisträger Wolfgang Pauli beschrieb ein physikalisches Gesetz, das man dann nach ihm als Pauli-Prinzip benannte. Es beschreibt die atomaren Substrukturen der Quanten: »In seiner speziellen und zuerst beobachteten Form besagt das Pauli-Prinzip, dass in einem Atom keine zwei Elektronen in allen vier Quantenzahlen, die zu seiner Zustandsbeschreibung im Orbitalmodell notwendig sind, übereinstimmen.« [Link Wikipedia] Davon zu unterscheiden ist der Pauli-Effekt. Das ist eine anekdotisch überlieferte Beobachtung und bezeichnet scherzhaft die Merkwürdigkeit, dass bei der Anwesenheit von Pauli überaus häufig Geräte kaputtgingen. Dies ist mehrfach beschrieben. [Link Archiv ETH Zürich]
2021.02.14
Digitalstaat. Skizzen 1-20, Internetpublikation
Gerade habe ich meine Skizzen zum Digitalstaat online gestellt. Viel Spaß bei der Lektüre!
»Derzeit werden in einem ungeheuren Tempo hoheitsrechtliche Aufgaben des Staates, die vormals institutionell gebunden waren und parlamentarisch kontrolliert wurden, auf Programmcodes transferiert. Ich nenne diese neuartige Erscheinungsform Digitalstaat.« [pdf. Überlegungen zum Digitalstaat] [epub. Überlegungen zum Digitalstaat]
Erdbeben in Japan
Heute Nacht (13.2.2021, 23.08 Uhr) erschütterte ein Erdbeben ganz Japan, besonders Fukushima, wo man Magnitude 7.1 (!) maß. Ich hatte mich vorher noch etwas gewundert, warum die Vögel so laut sangen, machte mir aber keinen Reim darauf. In meiner Wohnung im fünften Stock nach japanischer Zählung wackelte alles, zwei Minuten lang (wie die Medien die Dauer angaben). Dann wurde es still. Internet und Strom funktionierten bei mir Tōkyō (Magnitude wohl so 4-5) prima, keine Aussetzer. Ich bin immer wieder erstaunt, wie man in Japan alles absichert (wenn auch natürlich die Stadt Tōkyō nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegt). Heute morgen kreisten Hubschrauber in der Luft, um die Stadt nach Schäden abzusuchen. Ich fuhr vorhin (morgens) mit dem Fahrrad durch die Stadt, alles normal. [Link zur Japan Metreorological Agency]
Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 59)
In den deutschen Medien wird die Realität in Asien nahezu ausgeblendet. Ich meine, dies geschieht systematisch. Man möchte den Menschen offenbar die Alternativen, die es gibt, nicht zeigen. Denn in Tōkyō stiegen die Corona-Zahlen vor einigen Wochen auch. Aber man rief den Notfall aus (kinkyūjitaisengen, 緊急事態宣言), was aber nicht viel meinte. Die Parks schloss man, Restaurants schließen früher, Museen etc. haben geöffnet. Das Leben läuft also einigermaßen weiter wie gehabt. Und siehe da: Die Zahlen sinken [Link zur Seite des Tōkyō Metropolitan Government mit Statistiken]. Wie kann man sich das erklären? Ich möchte folgende Ideen anführen: ✭ In Japan gibt es seit Jahrhunderten Social Distancing, daher haben Viren auch weniger Chancen. ✭ Man lebt in Asien in Schamkulturen, Europa ist eine Schuldkultur. Den Begriff hat Ruth Benedict geprägt. In Schamkulturen haben die Menschen Angst vor dem Achtungsverlust der Anderen. Es genügt also, wenn etwa eine Empfehlung ausgesprochen wird, und alle halten sich daran. In Schuldkulturen wie der europäischen und insbesondere der deutschen Kultur bezieht man sich auf das abstrakte Konzept der Schuld, was mit Handlung verknüpft ist. Schuldig wird man durch erkannte schuldhafte Taten. Man hat sich angewöhnt, sich so viel Freiheit zu nehmen, wie es irgend geht, so lange dieses Auskosten der Freiheit nicht schuldhaft ist und - nicht als solches entdeckt wird. Und letzteres ist das Problem in Pandemiezeiten. Denn man bleibt nur so lange in der Wohnung, wie es das Gesetz oder die Verordnung vorsieht - und würde sich so verhalten, wie man will, wenn es keine Strafe gäbe. Man beobachtet dann, dass die Menschen in dieser Hinsicht unvernünftig sind, weil sie immer davon ausgehen, dass der Staat und die Gesetze Orientierung bieten. Aber Gesetze sind in Pandemiezeiten zu grob. Sie gelten für alle, aber das ist in Zeiten von Corona gar nicht notwendig. Wie ich es hier in Japan beobachte, ist man ausgesprochen erfinderisch und bedient sich zahlreicher Listen, ist eigenverantwortlich, um das Virus einzudämmen. Keine harten Maßnahmen, kein harter Lockdown, sondern im Gegenteil: Eine Strategie der Differenzierung. Es begann schon bei meiner Einreise im August 2020, wo ich nur eine Speichelprobe als Corona-Test abgeben musste. Das ist einerseits viel angenehmer, weniger gefährlich und konnte im mobilen Labor innerhalb kürzester Zeit ausgewertet werden. Dann hatte man ein Spezialtaxi organisiert bzw. ich musste das buchen, bei dem dann klar war, wer mich gefahren hat und wohin. So hätte die Route dann doch noch zurückverfolgt werden können, wenn ich infiziert gewesen wäre. Das macht man in Deutschland nicht. Man ist sich zu bequem dafür. ✭ Man schränkt die sozialen Kontakte hier rigoros ein. Aber man trifft sich dann mit Freunden - und das ist ein besonderer Anlass. ✭ Labyrinthe. In vielen Eingängen zu öffentlichen Einrichtungen hat man den Haupteingang gesperrt, davor dann Schilder platziert. Hier in der Keiō-Universität am Hiyoshi-Campus muss man um die Ecke gehen. Ich sagte es schon in einem früheren Bericht: Man mag das belächeln, aber offenbar führt das Aufspalten von Bewegungslinien dazu, dass sich das Virus nicht anlagern kann. ✭ Desinfektion gibt es natürlich überall. Schön finde ich, dass man Infektionstücher an der Uni überall hat, so dass man die auch mobil nutzen kann. Auch hat jeder von der Uni eine Tasche mit Desinfektionsmitteln, Schutzvisier etc. spendiert bekommen. ✭ Achtsamkeit. Da gibt es eine lange Kultur derselben hier. Das Virus ist kein Feind, sondern ein Wesen, dem man achtsam begegnet. Dann macht es weniger. Auch das dürfte im Westen belächelt werden. Aber es ist die Haltung der Vorsicht, die eine spirituelle Kraft ist, die man mobilisiert. Ähnlich werden doch auch Kranke schneller gesund, wenn sie sich freuen - und fröhliche Menschen werden weniger krank. Eine Binsenweisheit.
Strategien für die Zukunft
Es wäre naiv zu glauben, dass das Virus verschwindet. Welche Möglichkeiten gibt es, mit ihm zu leben? Natürlich die oben genannten. Und dazu: ✭ Impfung. Diese wird aber, so weit man das beobachten kann, für bestimmte Virenstämme gut wirken, für andere weniger. So wie es aussieht, muss die Impfung also aufgefrischt werden. ✭ Es ist sehr bedauerlich, dass man die Strategie des vereinfachten Testens erst jetzt entdeckt. Ein Test für Zuhause oder mobile Labors in Innenstädten und vor Centern wären ideal. Man würde diese Orte betreten und könnte dann etwa einen Film sehen oder einen Vortrag hören, mit Abstand, vielleicht unter freiem Himmel oder im Auto. Was spräche dagegen? ✭ Eine andere Architektur. Freiluftarchitektur mit Abstand, Luftfilter, Gebäude mit mehreren Eingängen, Einbezug des Virtuellen in die Architektur. ✭ So weit man sehen kann, sind Kinder weniger betroffen, ältere Menschen mehr. Man könnte also die Öffnung von Einrichtungen von dem Gefährlichkeitsgrad für eine Gruppe abhängig machen. ✭ Man könnte auch die Orte, die man besucht, vereinfachen, so dass sie leichter zu desinfizieren sind. Auch die Zahl der Orte, die man besuchen muss, könnte reduziert werden, indem man diese funktional verdichtet.
2021.02.13
Ausstellung omnis - Evolving in Tōkyō
Noch bis zum 2. März läuft die Ausstellung omnis in Tōkyō, rund um die Gruppe von Kaneko Toru, in der Nähe der Shibuya-Station. [Link]
Gratulation an Dr. des. Robert Dörre!
Robert Dörre (Ruhr-Universität Bochum) hat für seine Dissertation »Mediale Entwürfe des Selbst« den Büchner-Preis 2021 zugesprochen bekommen. Herzliche Glückwünsche!
[Link zum Büchner-Verlag]
Vortrag zu Rammstein
Am 28. März 2021, von 20.20-20.40 Uhr (Tōkyō-Zeit) halte ich im Rahmen des Workshops Exotismen in der Kritik den Vortrag »Exotismus und Selbstexotisierung bei Rammstein«. Hier das Abstract:
Exotismus und Selbstexotisierung bei Rammstein
Rammstein bringen das ›Deutsche‹ und die deutsche Vergangenheit auf die Bühne, indem sie sich in ihren Bühnenshows selbst exotisieren. Sie führen sich selbst als Klischeebilder und Stereotype des Deutschen mitsamt dessen Spracheigenheiten auf. Gerade die bösen Bilder des Deutschen, die Verbrechen, Abgründe und Schlechtigkeiten, der Ekel, das Morbide, Gewalt und vor allem Märchen sind die Versatzstücke ihrer Arbeiten und Till Lindemanns Lyrik (Lüke 2008). Goethes Heidenröslein, schon damals Kitsch, wird im Song Rosenrot wiederaufgeführt, Brechts Dreigroschenoper klingt in Haifisch wider und Seemann wirkt wie ein Abziehbild von Lily Marleen. Das Video von Ohne Dich ist an Arnold Fancks Bergfilme angelehnt, Stripped ist ein Depeche Mode-Cover. Das Kokettieren mit der Nazi-Ästhetik Leni Riefenstahls, dem Jägergruß (Waidmanns Heil) führt zurück zu Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari (Siegfried Kracauers Thesen auf den Kopf stellend), das Bühnenoutfit ist, wie so vieles, ein Detournement von Figuren Fritz Langs, dem Schauspiel Conrad Veidts. Diese populärkulturellen Versatzstücke werden in einen brachialen opern- und operettenhaften Schlagerrhythmus versetzt, mit Punk- und Hardrock-Elementen vermischt, Verweise auf Marylin Manson, Depeche Mode, Red Hot Chili Peppers, Kiss, Laibach und Kraftwerk fehlen dabei nicht.
Wenn Rammstein das ›Deutsche‹ auf die Bühne bringen, verkörpern sie die Klischees der Anderen über Deutschland, sie versetzen Symbole, ähnlich wie etwa in der Mode Vivienne Westwoods. Da sie die Unkenntnis des globalen Publikums über die deutsche Kultur voraussetzen, beginnen Rammstein, wie im Sprachkurs Deutsch für Anfänger, in ihren Liedern zu zählen (Sonne, Links 2 3 4), die Modalverben zu üben (Ich will) oder (was man nicht tun darf) schlüpfrige Worte zu vermitteln. Dabei sind der Klang der deutschen Sprache, deren Rhythmus, das ›R‹, weltweit vorbekannt. Die Provokation besteht darin, dass Rammstein sich selbst freiwillig auf diese Weise ausstellen und damit sämtliche exotistischen Vorurteile auf sich bündeln. Sie leben eine Dystopie der Destruktion deutscher Kultur vor, indem sie deren dunkle Seiten aufführen und verkörpern, als gälte es, allein diese zu würdigen. Anders als etwa in der Trachtenmode, wo eine Selbstexotisierung mit einem Identifikationsimpetus einhergeht, entwenden Rammstein ebenjene Symbole und Melodien, um ihren Untergang mit Feuer- und Pyrotechnik zu zelebrieren. Dieses Verfahren der Zusammenfügung negativer Klischees und deren feiern auf der Bühne erzeugt in seiner künstlerischen Aufführung eine unverwechselbare globale Bezugsform, die in den letzten Jahren immer mehr beginnt, sich selbst zu symbolisieren und den Quellen, aus denen sie sich semiotisch speiste, selbstbewusst gegenüber zu treten, etwa im Logo der Band, dem Rammstein-Kreuz (und in Liedern wie Zeig dich). Im Video von Deutschland wird dieses Verfahren im historischen Zeitraffer vorgeführt. Es sind dies altbekannte Mechanismen des Exotismus, deren ästhetische Strategien und Voraussetzungen Rammstein aber vollkommen bewusst sind und die sie nach Belieben verkehren und umlenken und in einem Neue-deutsche-Härte-Kult vereinen. Das geht so gar so weit, dass sie in Frankreich Frühling in Paris singen, eine höchst provokante Fassung von Edith Piafs Je ne regrette rien, deren Inhalt aber – eben in Frankreich – von vielen sicherlich nicht verstanden wird.
Exotismus bei Rammstein meint aber auch Darstellung des Umgangs mit dem Fremden, vor allem dem gefühlten Fremden und den Abwehrmechanismen des Ichs. Das Exotische kann auch der eigene Körper sein, so etwa in Sehnsucht, Ausländer, Mutter, Mann gegen Mann. Ich möchte an den genannten Beispielen die popkulturellen Spielformen des Exotismus darlegen und zeigen, welcher ästhetischer Verfahren sich Rammstein bedienen und wie ›Rammstein für Deutschland werden konnte, was Walt Disney für Amerika ist.‹ (Andreas Maier: Der deutsche Klang der Merkel-Jahre, FAZ, Online-Ausgabe, 15.7.2019).« [Link zum Workshop]
2021.02.12
Der Anime-Künstler Kōji Yamamura und seine Arbeiten
2021.02.11
Die Anime-Künstlerin Akino Kondoh und ihre Arbeiten
Viele Menschen lesen aus Zeitvertreib Bücher, gehen zur Unterhaltung in das Kino. Auch als Film- und Medienwissenschaftler mache ich das. Es macht mir seit meiner Kindheit Freude. Umgeben von Büchern zu sein, Filme zu schauen, imaginär in andere Zeiten und Kulturen zu reisen - das ist mir auch heute noch ein Genuss. Aber manchmal ist es so, dass man als Geisteswissenschaftler eben Aufsätze schreibt über Filme, Bücher schreibt und herausgibt etc. Und dann ist es oft so, dass diese Deadlines haben etc. Man kann also diese ursprüngliche Haltung, die des reinen Genießens, nicht mehr einnehmen, sondern muss nun auf Termin alle Filme schauen, sich einen Überblick verschaffen, tausende Seiten lesen. Man wühlt sich in die Materie. Auch das ist eine Freude, kann es zumindest sein, aber die Haltung verändert sich. Man reist nun schneller in die Zeiten und Kulturen, gewissermaßen im Schnellzug, ordert Dutzende Bücher, kauft DVD's und BluRays, streamt. Andere, die keine Geisteswissenschaftler sind, verstehen das nicht. Würde man nicht im Schnellzug durch die Kultur reisen, man hätte Angst, Fehler zu machen, in der Interpretation Zusammenhänge zu übersehen etc. So gibt es Zeiten der Ruhe und Zeiten des Schnellreisens. Übrigens rast auch die Zeit selber beim Überblickverschaffen dahin. Sie flieht. Das erinnert an den Zeitfluss in der Meditation. Hier der nach innen gekehrte Geist, dort der nach außen gestülpte.
2021.02.06
John Carpenter Distant Dream
2021.02.03
Alexander Kluge und Georg Baselitz sprechen über Hokusai und den weltverändernden Zorn
2021.02.02
Das Nō-Stück Kurozuka (黒塚). Der Geist einer Toten zeigt sich
Hier die Handlung:
»Ajari (a senior-ranking Buddhist monk) Yūkei [...] travels through the provinces for Buddhist training with mountain priests and his followers. One day, the group reaches a far northern province. When they arrive at Adachigahara (the foot of Mount Adatara in current Fukushima Prefecture), the sun has set. They visit a shabby house, which is the only one in the area. A woman, who seems significantly aged, lives in the house. [...]
In the house Yūkei finds something unfamiliar and he asks the woman what it is. She answers that it is a spinning wheel for spinning thread, which is a work for someone ignoble as her. While showing how to use the wheel responding Yūkei’s request, the woman laments her misfortune that she cannot free herself from her bitter karma in this uncertain world and feelingly describes the evanescence of this world. The night has deepened. The woman announces to Yūkei that she must go out to gather firewood to keep off the cold and makes the party promise that they will not look into her bedroom while she is out.
While waiting for her, one of Yūkei’s followers however cannot restrain himself, and despite of Yūkei’s warning, he peeps into her bedroom. There he finds a number of dead bodies piled up high. She is an ogre, the one who has been rumored to reside at Kurozuka in Adachigahara.
Enraged that her secret has been revealed, the woman transforms herself into the form of an ogre and chases Yūkei’s group, who stumble as they flee. Although she tries to catch and eat them, when Yūkei and the others pray with all their strength, the ogre is completely weakened and vanishes within the night storm.«
1
Illobrand von Ludwiger erklärt Burkhard Heims physikalische Theorie
2021.02.01
Burkhard Heim und die einheitliche Feldtheorie
Burkhard Heim (1925-2001) war ein Physiker, der »keinen großen Wert auf öffentliche Anerkennung legte, nicht auf Fachtagungen ging und abgetrennt vom Wissenschaftsbetrieb seinen eigenen Forschungen nachging«, weshalb ihm »kaum ein Teilchenphysiker« glaubte, »dass er zu Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bereits die anderenorts heute noch immer vergeblich gesuchte einheitliche Formel für die Elementarteilchen-Massen gefunden hatte«1, wie sein Schüler Illobrand von Ludwiger in seinem Nachruf schreibt.
Heim arbeitete an einer einheitlichen Feldtheorie, also einer physikalischen Theorie, die alle Grundkräfte beschreiben kann. Nach Heim leben wir in einer sechsdimensionalen Welt. Er entwickelte das Prinzip der dynabarischen Kontrabarie und »erzeugte Millimeterwellen, die er in viele Ringe mit einer speziellen Füllung in seinem Kontrabator einspeiste. Diese Wellen sollten darin völlig absorbiert werden und dabei schwache zeitabhängige Gravitations- bzw. Beschleunigungsfelder als Schwingungen erzeugen, die mit empfindlichen Sensoren nachgewiesen werden sollten.«2
Nachweise: 1 Illobrand von Ludwiger: Zum Tode des Physikers Burkhard Heim, [Link]. Siehe dazu auch Burkhard Heim: Vorschlag eines Weges zur einheitlichen Beschreibungder Elementarteilchen, in: Z. Naturforsch. 32 a, 233-243 [1977], [pdf]. Siehe dazu auch die Artikel von Häuser und Dröscher, [Link]. Weiterführend auch die Seite Heim Theory [Link] sowie [Link] 2 Illobrand von Ludwiger: Zum Tode des Physikers Burkhard Heim, [Link].
2021.01.30
Open Source Collaborative Text Editors - Tools zum gemeinsamen Schreiben
Mit diesen Tools kann man, ohne sich anmelden zu müssen, kollektiv und synchron Texte erstellen und korrigieren. Eine gute Sache! Ich werde das in meinen Seminaren im nächsten Semester mal ausprobieren. ✭ Meeting Words [Link] ✭ Real Time Collaboration Editor [Link] ✭ Code Bunk - für html-Code [Link] ✭ Etherpad - Open Source Tool [Link]
Captain Future (Skizze 1)
Captain Future ist eine Pulp-Serie von Edmond Hamilton aus den 1940er Jahren. Berühmt wurde sie in Deutschland durch die Serie der Tōei Animation aus dem Jahr 1978. Zwar hatte man in Deutschland wild gekürzt, aber dafür auch die Spannungsdramaturgie gestärkt, Actionszenen herausgeschnitten, der Held wirkte intellektueller. Berühmte Sprecher synchronisierten die Figuren, vor allem aber tauschte man die Musik von Yūji Ōno durch die von Christian Bruhn aus. Der arbeitete mit Leitmotivtechnik und kommentierte die Handlung so. Der Soundtrack ist auch heute noch für mich großartig.
Leider hatte man die Vergangenheit Futures (der im Roman von Hamilton mit richtigem Namen Curtis Newton heißt) in der deutschen Fassung mit herausgekürzt. Futures Vater war der Biologe Roger Newton, der mit seiner schwangeren Frau Elaine vor dem Kriminellen Victor Corvo auf den Mond floh. Dort versuchte er, künstliche Lebewesen zu erzeugen - Grag, der Robotor, Otho, der Androide, schuf er schon, Simon Wright, das Gehirn eines genialen Wissenschaftlers in Vitro, half. Kurz nach Curtis' Geburt fand Corvo seine Eltern und tötete sie. Zwar wurde auch er von den Androiden umgebracht. Aber Future wuchs so auf dem Mond, also ohne menschlichen Kontakt, erzogen von künstlichen Wesen auf. Seine ›Rache‹ bestand darin, das Weltall in Zukunft vor Schurken zu retten. Diese Umwendung der Emotionen, die in der Serie überall deutlich wird, hat mich immer fasziniert. Captain Future ist kein Held der Sühne, der Schuld, der Tragik, sondern ein schamhafter Held, eigentlich ein Anti-Held, der durch Überlegung und Kooperation die Polizei überflüssig macht und ihr hilft, wenn sie nicht mehr weiter weiß.
Literatur: ✭ Edmond Hamilton: Captain Future. Der Sternenkaiser, übers. von Frauke Lengermann, Zürich 2012 [1940]. ✭ Reinhard Prahl; Thorsten Walch: Es lebe Captain Future, Osdorf 2020.
2021.01.23
Sengai Gibon (仙厓 義梵, div. andere Namen, 1750-1837)
Sengai war ein japanischer Maler, der aus dem Rinzai-Zen heraus kindlich anmutende Sumi-e Zeichnungen schuf. Alles wirkt leicht und unbeschwert. Seine Werke sind heute im Eisei Bunko Museum zu sehen.
Nachweise: ✭ Sengai, Wikipedia [Link] ✭ Sengai, Wikiart [Link] ✭ Eisei Bunko Museum, Homepage [Link] ✭ Lévi-Strauss, Claude: Sengai. Die Kunst, sich mit der Welt abzufinden, in: ders.: Die andere Seite des Mondes, Berlin 2012, S. 97-112, S. 107: »Auch ein Gemälde von Sengai kann nicht als vollendet gelten. Jedes bringt den kurzen Moment zum Ausdruck, den der Pinsel gebraucht hat, um seinen Strich aufzutragen. Das Werk hat eher eine zeitliche als eine räumliche Form, die, wie Sengai wohl weiß, so wenig konsistent ist, daß er dieselben Themen viele Male wiederholt. Bei ihm gibt es praktisch kein einzelnes Werk, sondern nur Serien [...]«
Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 58)
Wiederaufbauprogramm oder Wirtschaftskrise? ✭ Verlorene Zeit ✭ Mediale Morbidal- und Pharmakopornographie
Man kann nach all dem hoffen, dass die Politik, die weltweit sich wegen Corona in Schulden stürzte, diese nicht kleinlich verrechnen wird, sondern wie nach dem Zweiten Weltkrieg einen Schuldenschnitt mit massivem Wiederaufbauprogramm auflegen wird. Man muss hier mutig, koordiniert und entschlossen vorgehen, sonst würde eine Weltwirtschaftskrise ohnegleichen folgen.
Es ist schade, dass die Medien seit einem Jahr nur noch in Verstärkungs- und Konditionierungsschleifen dazu beitragen, die Menschen in Angst zu versetzen und immer mehr morbidal- und pharmakopornographische Elemente (Särge, Spritzen, Impfungsszenen/Vakzinierung, Elendsszenen auf den Intensivstationen) in den Nachrichtensendungen dominieren, die den offensichtlichen Zweck verfolgen, emotionale Wirkung freizusetzen, denn zu informieren. Man erfährt in den Sendungen, was man ohnehin schon wusste: Dass die Ansteckungsrate mit COVID-19 steigt.
Stattdessen hätte man in den Medien, und könnte es auch jetzt noch, Bildungsprogramme anbieten können, damit die Zeit, die man nun zu Hause hat, genutzt würde. Man könnte auch Yoga-, Meditations-, Hypnosekurse etc. zeigen, welche zum einen die Gemüter entspannen würden, aber andererseits auch dazu beitragen könnten, sich auf eine kreative Weise neue Formen des Weltbezugs zu erschließen. Gerade für diese Techniken braucht es kontinuierliche Zeit, die man doch nun hat. Es ist wirklich schade, dass man diese Möglichkeit ungenutzt verstreichen lässt. Man könnte etwa auch einen ganzen Tag lang ein Sonderprogramm fahren über die Filmgeschichte, einen Tag lang Alfred Hitchcock zeigen, oder zwei, drei Tage lang das Werk eine Autors mit Kommentaren. Man könnte Künstler beim Zeichnen zuschauen, Sänger, wie sie üben und uns in ihre Kunst einweihen etc.
Die meisten Menschen sind doch gesund. Es ist, meine ich, eine schlechte Strategie, diesen Menschen Angst zu machen. Stattdessen sollte man sie doch lieber mit guten Sendungen locken, zu Hause zu bleiben. Sie könnten doch Freude haben. Auch hätte man, anstatt immer mehr Härte zu zeigen, worauf man offenbar stolz ist, lieber differenzieren können. Wie schön wäre es für Fußballfans gewesen, wenn man vielleicht 50 oder 100 Karten für ein Bundesligaspiel ausgelost hätte. Und diese hätten dann, mit riesigem Abstand, im Stadion gesessen? Oder Opernkarten für zehn Menschen, Orchester und Sänger verteilt über den Saal? Kino im Freien, an den Häuserwänden? Warum gelingt es nicht, diese positive Seiten der Häuslichkeit zu vitalisieren? Man will offenbar nicht, dass die Menschen sich in dieser Situation einrichten, möchte es ihnen vergällen, mit allen medialen Mitteln, die Ruhe zu Hause als angenehm zu empfinden.
2021.01.21
Warnhinweise auf einer Rolltreppe in Japan (Tōkyō, Mita, Tamachi-eki), Video ohne Ton
2021.01.19
2021.01.15
Caligari, Genuine, Orlac. Figurationen des Dämonischen in Robert Wienes (erhaltenen) Filmen
Vortrag von Assist. Prof. Dr. Andreas Becker am Global Art Cinema-Kolloquium (GACK), 27. November 2020
Dämonische Figuren und Atmosphären kennzeichnen das deutsche Kino der 1920er Jahre. Neben Friedrich Wilhelm Murnau, Paul Leni und Fritz Lang ist Robert Wiene einer derer, die das Spektrum des Darstellbaren bis an die Grenze trieben.
Der Expressionismus verbindet Strömungen, die von Charles Baudelaire, über Aleister Crowley, Mary Shelley, Friedrich Nietzsche, die Romantiker, E.T.A. Hoffmann, Richard Wagners Parsifal, bis zu den Grimms mit ihren Märchen und natürlich Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter verlaufen, letztere träumten das Abgründige über den Umweg der Kinderstuben.
Der Expressionismus verabsolutiert das Subjektive und versucht, das Undenkbare darzustellen, so etwa in Kurt Pinthus Lyriksammlung Menschheitsdämmerung, die mit Jakob Van Hoddis Weltende eröffnet wird: »Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, In allen Lüften hallt es wie Geschrei. Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei, Und an den Küsten — liest man — steigt die Flut.« [Kurt Pinthus (1920): Menschheitsdämmerung, Rowohlt: Berlin, S. 3]
Ich möchte über die Filme Robert Wienes sprechen. Wiene hat nach der Internet Movie Database bei 52 Filmen Regie geführt. Aber die Archivsituation ist desaströs. Erhalten, und zum Teil als DVD/Bluray erschienen, sind meines Wissens lediglich folgende Arbeiten:
Wiene (1917): Furcht
Das Cabinet des Dr. Caligari (1920)
Wiene (1920): Genuine
Wiene (1922/1923): Raskolnikow
Wiene (1923): I.N.R.I.
Wiene (1924): Orlacs Hände, Blu-Ray
Der Andere (1930)
Le Procureur Hallers, Französische Fassung von Der Andere (1930)
Panik in Chicago (1931)
Das Cabinet des Dr. Caligari (1920)
Was Das Cabinet des Dr. Caligari so unheimlich macht, ist dessen ungewöhnliche, hintergründige Dynamik. Überhaupt ereignet sich in diesen Filmen nichts plötzlich. Alles geschieht im Zeitlupentempo, und dennoch entwischen uns die Übergänge, in denen, wie ich mit Stefan Andriopoulos sagen möchte, eine Besessenheit der Figuren eintritt und das Geschehen übernimmt:
»Von Anfang an macht der Film deutlich, daß das Bild auf der Leinwand eine Simulation darstellt, die einem ›Phantom‹ oder einer ›Vision‹ ähnelt, während es sich bei der Binnenhandlung um eine Simulation zweiter Ordnung handelt, um die (unzuverlässige) Erzählung Franzis', der gleichzeitig als Protagonist auftritt.«
[Stefan Andriopoulos: Besessene Körper: Hypnose, Körperschaften und die Erfindung des Kinos, München 2000, S. 101, dort zitiert: Bernheim Neue Studien über Hypnotismus (1891/1892) [Link]]
Interessant sind freilich auch die Bauten von Hermann Warm, Walter Reimann, Walter Röhrig [Link]
Durch Zeichen, Telepathie, Hypnose, Suggestion, Charisma, Infektion springt das Böse von den Hauptfiguren zu den anderen über. Das Spirituelle triumphiert über das Materielle, Manipulation wird absolut. Wer nicht hineinpasst, wird getötet oder transformiert. Das alles wird ästhetisch vorbereitet durch die Künstlichkeit, durch den gedoppelten Bildcharakter. Wir sehen doch in Caligari zwei Bilder und widersprechende perspektivische Darstellungen einander überlagert. Da ist die gegenständlich-menschlich-körperhafte Welt, aber diese ist in eine verzerrte Schattenwelt eingelassen. Ganz konsequent wird daher Alan (Hans Heinrich von Twardowski) auch von einem Schatten ermordet, dem Cesares. Die Wirklichkeit ist eine Kulisse, sie interferiert mit einer immateriellen Gedankenwelt, Caligaris Wahnsinn. Das Erstaunlichste an diesen Filmen ist, dass die Charaktere intradiegetisch diese Bedrohung nicht wahrzunehmen scheinen und auch wir immer mehr hinnehmen, was uns da gezeigt wird. Diese absurde Künstlichkeit und Kostümiertheit verkehrt die Welt durch Gewöhnung. Eine mittelalterliche Struktur voll von Geheimwissen, Prophetie, Hieroglyphen, Alchemie und Zauberspruch umhüllt die moderne Rationalität. Lotte Eisner hat ganz zu Recht festgestellt, dass die »Filmbilder von Caligari […] die absolute Idee des Kerkers in seiner ‚expressivsten Expression‘ verwirklicht« haben. [Lotte H. Eisner: Die dämonische Leinwand, Frankfurt am Main 1980 [1955], Vorwort, Kap. 1. Die Prädisposition zum Expressionismus, S. 27]
Man hat den Eindruck, alles implodiere, so als ob man bei einer Autofahrt ständig nach hinten schaue. Der Raum stürzt ein und die Erinnerung mit ihm.
In einer Sequenz erwacht Cesare scheinbar aus dem hypnotischen Schlaf. Wie Sie vielleicht wissen, sorgte die Hypnose damals für Aufsehen. Berühmte Hypnosebücher erschienen, so das Lehrbuch von Ludwig Mayer. Zauberkünstler, Telepath und Hypnotiseur Erik Jan Hanussen sorgte für Furore. Dieses Erwachen aus der Hypnose, das dennoch in die Hypnose führt, nennt man übrigens Refraktionierung. Conrad Veidt spielt ganz wunderbar die Dissolyse, indem sein Gesicht zuckt und gar nicht mehr von ihm selbst lenkbar erscheint. Auch diese Reflexe gehören zur Hypnose dazu, ich erwähne hier nur den Glabella-Reflex und das Lidflattern. Veidts Darstellung ist freilich auch eine mimetische Anverwandlung der menschenverachtenden Experimente Duchenne de Boulognes.
Genuine (1920)
Wienes Genuine mit Fern Andra in der Hauptrolle situiert das Dämonische im weiblichen Geschlecht. Die Femme fatale ist exotisch. Genuine wurde aus fernen Ländern geraubt, als Tochter eines Stammeskönigs, eingesperrt und rächt sich nun mit Hilfe ihrer magischen Kräfte an ihrem Besitzer, dem einsamen Greis Lord Melo (Ernst Gronau). Sexualität und Lust sind ihr Lockmittel, sie instrumentalisiert sie. Damit erhält der Film, anders als Das Cabinet des Dr. Caligari, eine erotische Dimension. Genuine phantasiert das Verbrechen, indem sie die männliche Lustimagination veräußerlicht und diese sadistisch verkehrt, was bis zum Mordauftrag geht, zu dem sie den Friseurlehrling Florian (Hans Heinrich von Twardowski) anstiftet, um sich dann in den Enkel Melos, Percy (Harald Paulsen) zu verlieben. Ich verweise hier auf Wilhelm Stekels Untersuchung zum Sadismus und Masochismus, wo es im Kapitel Eine Frau wird getragen heißt:
»Der masochistische Mann schwelgt in der Vorstellung, daß er gezwungen wird, eine schwere Frau zu tragen und unter ihrer Last fast zusammenzubrechen. Die sadistische Frau kann denselben Wunsch als Zeichen ihrer Herrschaft und der vollkommenen Unterwerfung des Mannes äußern. Seltener findet sich die Vorstellung, ein Kind zu tragen oder in Verbindung mit zoanthropischen Ideen die Identifizierung mit einem Reittier. Zu dieser letzteren Phantasie gehört die Frau im Reitkleid mit einer Reitpeitsche.« [Wilhelm Stekel: Sadismus und Masochismus, Berlin 1925, S. 386]
Weil Genuine ›primitive‹ Wünsche tänzerisch ausagieren kann, fällt es ihr leicht, Florian und Percy und letztlich auch Percys Freund, Lord Curzon (Albert Bennefeld) sadistisch zu beherrschen. Der afrikanische Diener (Louis Brody) ist hingegen eher ein Verbündeter und verfällt ihr nicht. Es ist aber ein emotionales Feld, das Genuines Triumph vorbereitet. Man denke an den Friseur Guyard (John Gottowt), der zunächst als einziger Zugang zum Haus von Melo hat und das ebenso genießt, gar sein Geschäft für den Dienst aufgibt und seinen Neffen Florian dort hinschickt. Wiene imaginiert das wieder architektonisch.
Was für Caligari die hypnotische Trance ist, ist für Genuine ihre körperliche Attraktivität und ihre suggestive Bewegung. Sie ist faktisch die Bedingung dafür, dass das Dämonische, als Verzauberung, wirksam werden kann. Genuine weiß, dass sie als Lustbild im Inneren der Anderen bereits wohnt. Man könnte dies mit anderen Frauenfiguren wie Marlene Dietrich in Der blaue Engel (1930) oder Zarah Leander in Detlef Sierks La Habanera (1937) vergleichen. Immer wird der weibliche Triumph vorbereitet durch eine Selbstdisziplin, den eigenen Gefühlen nicht zu verfallen und den äußeren Habitus als reine Inszenierung zu verstehen. Wiene begeht leider noch den Fehler, Genuine übertrieben gestikulieren zu lassen. Die Figur würde glaubwürdiger wirken, meine ich, wenn sie maskenhaft einfach da stünde wie dann später die Dietrich oder die Leander. Schließlich tötet Florian Genuine, als sie ihm wie selbstverständlich zu verstehen gibt, dass sie Percy liebe. Er kommt mit dem Mord an ihr einer Meute zuvor, die der Friseur anführt. Wiene rahmt die Handlung, wie bei Caligari. Um sie zu verharmlosen, lässt er das Geschehen sich als männlichen Traum eines Künstlers, Percy, entfalten, aus dessen Gemälde Genuine entsprungen ist. Er weist Genuine bestimmten Räumen zu, die pflanzenhaft-floral, wie das Nest einer Spinne, wirken, und in denen sie, so paradox das klingen mag, andererseits auch wie ein Schmetterling umherhüpft und Metamorphosen betreibt.
Orlacs Hände (1924)
Kommen wir zum Schluss zu Orlacs Hände, wieder mit Conrad Veith in der Hauptrolle des Pianisten Orlac, der durch einen Zugunfall die Hände verliert und die eines Mörders transplantiert bekommt. Hans Homma als Dr. Serral ist, anders als Dr. Caligari, ein äußerlich vertrauenserweckender und verständnisvoller Arzt. Seine Dämonie ist modern. Sie verbündet sich mit der Moral, der Wissenschaft, dem Experiment, vermag es, die Abgründe vor anderen durch Freundlichkeit und Fürsorge verborgen zu halten. Die Idee der Transplantation, in der modernen Medizin rein physiologisch verstanden, als komplizierter Austausch von Körperteilen, bekommt bei Wiene eine Gefühlsdimension. Natürlich wären solche Filme ohne den Ersten Weltkrieg kaum denkbar, Männer mit Prothesen gehörten damals zum Alltagsbild. Dass einem etwas körperlich gehört, aber seelisch fremd ist, was ja das Wesen einer jeden Transplantation ist, das agiert Veith unglaublich aus und eine einfache Mehrfachbelichtung einer Faust, über den theatralen Bildraum gelegt, verleiht der Szene äußerste Intensität.
Andreas Becker: Caligari, Genuine, Orlac. Figurationen des Dämonischen in Robert Wienes (erhaltenen) Filmen [pdf]
2021.01.14
Religiöse Erfahrung – Literarischer Habitus. Der Tagungsband des Tateshina-Seminars 2017-2018 ist erschienen
Der Tagungsband der Japanischen Gesellschaft für Germanistik (Tateshina-Seminar 2017-2018) ist erschienen. Sein Titel lautet Religioese Erfahrung – Literarischer Habitus und versammelt zahlreiche spannende Positionen auf Japanisch und Deutsch zum Thema. [Link]
Digitalstaat (Skizze 21)
Internet-Zensur der letzten Wochen
In den letzten Wochen berichteten die Medien mehrfach über Zensurmaßnahmen im Internet und im Fernsehen. Sänger Michael Wendler äußerte sich offenbar verschwörungstheoretisch und wurde nun von RTL aus der Castingshow Deutschland sucht den Superstar herausgeschnitten und innerhalb der Show gepixelt1. Jörg Graf, Geschäftsführer des Senders RTL, äußert sich in einem Statement dazu:
»An erster Stelle steht, dass der Juror, der sich nach der Aufzeichnung von DSDS mit Verschwörungen und Entgleisungen öffentlich geäußert hat, kein Forum mehr bekommt und in einer Sendung, die ausschließlich für gute Laune steht, nicht mehr zu sehen ist.«2
Davor berichteten die Medien vom Herauswurf Donald Trumps aus Twitter, nachdem dieser vor dem Kapitol eine Wutrede hielt und zahlreiche Anhänger dasselbe stürmten. Es kam zu mehreren Toten und Verletzten. Twitter äußerte sich dazu:
»After close review of recent Tweets from the @realDonaldTrump account and the context around them — specifically how they are being received and interpreted on and off Twitter — we have permanently suspended the account due to the risk of further incitement of violence.«3
Facebook schloss sich der Kontosperrung Trumps an bzw. Mark Zuckerberg war sogar mit dem Statement früher:
The shocking events of the last 24 hours clearly demonstrate that President Donald Trump intends to use his remaining time in office to undermine the peaceful and lawful transition of power to his elected successor, Joe Biden.
His decision to use his platform to condone rather than condemn the actions of his supporters at the Kapitol building has rightly disturbed people in the US and around the world. We removed these statements yesterday because we judged that their effect -- and likely their intent -- would be to provoke further violence.4
Der Spiegel berichtete Ende 2020, dass die Videospielplattform Steam zahlreiche Sex-Games gesperrt habe:
»2019 schienen Sex- und Porno-Games auf dem Weg in den Spiele-Mainstream zu sein: Die Onlineplattform Steam nahm damals eine Reihe von 3D-Sexsimulationen in ihr Angebot, was solchen Nischentiteln weltweit Aufmerksamkeit bescherte. Dieser Trend ist nun vorerst gestoppt – zumindest in Deutschland.«5
Diese Abschaltungen blieben meines Wissens öffentlich nahezu unwidersprochen. Lediglich in der NZZ las ich in einem Kommentar, dass die »von vielen bejubelte Entscheidung [...] vor allem eines [sei]: Ein noch nie da gewesener Eingriff in die politische Debatte«6 In vielen Medien, die darüber berichteten, gab es keine Widerworte. Man kann sie alle auch gut begründen. Man kann sich denken, wie Trump verfahren wäre mit einem funktionierenden Twitter-Account. Aber abzuwägen wäre gut. Wo ist die Grenze? Wird das Twitter-Konto eines Normalbürgers auch bald gesperrt, wenn er sich auf eine bestimmte Weise äußert? Was darf man wie nicht schreiben? Legt Twitter nur noch mit den Nutzungsbedingungen fest, wer was sagen darf? Und warum hat Twitter gleich das gesamte Archiv der Trump-Tweets mit aus dem Netz genommen? Sie sind zeithistorisch von größtem Wert und sollten unbedingt wieder hineingenommen werden. Denn von ihnen geht doch keine Gefahr mehr aus. Diese ergäbe sich nur aus den neuen Tweets. Bei Facebook sind die alten Einträge Trumps offenbar noch verfügbar.
Ist es nicht auch höchst problematisch, wenn man die ganze Amtszeit Trump mit nahezu den gleichen Aussagen ein Forum gab und nun, wo dessen Zenith überschritten ist, moralisch handelt? Warum gibt Zuckerberg ein privates Statement zur Sperrung auf seinem Account dazu ab? Was hier wie ein Schutz vor Unruhen wirkt, lässt sich auch lesen als ein Wettbewerb um die hoheitsrechtlichen Aufgaben des Staates. Selbst der Präsident der Vereinigten Staaten hat keine Macht mehr über Twitter und Facebook. Und kann er das rechtlich anfechten?
Fraglich ist auch, warum Shooter-Games, in denen das Schlimmste, was Menschen machen können, andere zu töten, überall verfügbar sind und auf den Hitlisten ganz oben stehen. Aber erotische Spiele, die das Schönste, was der Mensch erleben kann, simulieren (und auch instrumentalisieren, ich will die problematische Seite nicht verschweigen), ganz schnell auf dem Index landen.
Und wäre RTL nicht besser beraten gewesen, eine kritische Diskussion zu leisten, anstatt Wendler aus den existierenden Aufnahmen herauszunehmen, in denen selbst er offenbar nichts Schlimmes gesagt hat, oder? Ist das eine Lösung, Menschen, die anderer, meinetwegen abstruser, Meinung sind, auszuschließen? Wo endet diese Cancel-Culture? Man hätte auch die ganze Staffel neu drehen können. Wäre das dann nicht konsequenter gewesen? Dieses Verfahren, Menschen zu gepixelten Geistern zu machen, wurde meines Wissens im deutschen Fernsehen auf diese Weise noch nicht angewandt. Normalerweise schützt man so die Identität von Opfern, wenn sie sich im Fernsehen äußern. Aber so ist das doch auch eine Art öffentlicher Pranger. Wird hier ein Präzedenzfall geschaffen?
Es sind hier, obwohl die Entscheidungen alle auf den ersten Blick ziemlich klar und konsequent erscheinen, Grundfragen berührt, die uns noch in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Dass jetzt nicht darüber diskutiert wird, ist bedenklich.
Nachweise: 1FAZ: Sänger Michael Wendler jetzt digital verpixelt und stumm, 10.1.2021, [Link] 2RTL: RTL schneidet Michael Wendler aus abgedrehten DSDS-Folgen, 9.1.2021, [Link] 3Twitter Inc.: Permanent suspension of @realDonaldTrump, 8.1.2021 [Link] 4Mark Zuckerberg: Facebook-Eintrag, 7.1.2021, [Link] 5Daniel Ziegener: Videospielplattform Steam sperrt zahlreiche Sex-Games, Der Spiegel, 29.12.2020, [Link] 6Reto Stauffacher, NZZ, 9.1.2021, [Link]
2021.01.11
Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 57)
Die Gewalt des Testens
Derzeit werden Millionen von teuren Tests gemacht, um herauszufinden, ob Menschen mit dem Corona-Virus infiziert sind. In den Medien finden sich auch stereotype Photos von Menschen, die das Teststäbchen in den Rachen oder in die Nase geschoben bekommen. Wer selbst solch einen Test machen lässt, merkt schnell, dass das ziemlich unangenehm ist. Ich hatte im Sommer die Rachenvariante (Abstrich aus dem Rachen) gewählt und mehrfach Brechreiz bekommen. Die Variante, in der das Stäbchen durch die Nase eingeführt wird, von der hatte ich nur gehört. Ein Bericht eines Freundes, der mit einem LKW-Fahrer sprach, lautete, dass dies Schmerzen verursachte. Man sagt, die Virenlast sei im oberen Rachenraum höher und daher sei der Test sicherer. Wer hat diese Studien gemacht? An wie vielen Menschen wurden sie durchgeführt? Bei meiner Ankunft in Japan musste ich übrigens nur in ein Röhrchen spucken. Vielleicht nicht so sicher, aber viel angenehmer. Die österreiche Ärztekammer für Wien hat offenbar die Gefahr eines nicht korrekt ausgeführten Tests erkannt und schreibt:
»Entscheidend ist, dass der Nasenrachen über die Nase am besten entlang des Nasenbodens vom Nasenloch in etwa in Richtung Höhe des äußeren Gehörganges erreicht werden kann. Durch eine Orientierung am Nasenboden wird vermieden, dass der Abstrichtupfer nach oben in Richtung Schädelbasis geschoben wird [...], wo eine nicht zu unterschätzende Verletzungsgefahr besteht. Aus den USA erreichen uns bereits erste Berichte über Schädelbasisperforationen und Liquorfisteln nach Abstrichentnahmen, da die Rhinobasis hier stellenweise nur einen papierdünnen Knochen darstellt.«1
Nachweis: 1Ärztekammer für Wien, Prof. Dr. Verena Niederberger-Leppin, PD Dr. Wolfgang Luxenberger: Korrekte Technik und Risiken der Abstrichentnahme aus dem Nasenrachen [Link]
2021.01.05
Digitalstaat (Skizze 20)
Privatsphäre im 21. Jahrhundert
Das Private dient gemeinhin als Gegenbegriff zum Öffentlichen: Privat ist das, was nicht öffentlich ist. Konkret meint man damit bestimmte Orte, etwa die eigene Wohnung, und geht davon aus, dass diese einen faktischen und informationellen Schutz genießen. Dass das wichtig ist, hat viele Gründe, einer ist etwa, dass man manchmal Ruhe braucht. Der andere ist der der Freiheit, dass man hier sagen darf, beispielsweise in der Familie, was man öffentlich nicht sagen würde oder dürfte. Man kann also seine Meinung im Privaten bilden. Bei vielem ist Privatsphäre die Bedingung des Lebens, etwa beim Briefgeheimnis oder bei Bankgeschäften (Geheimzahl der Kreditkarte etc., Passwörter).
Durch das Internet hat sich für die Benutzer desselben (das sind fast alle Menschen) die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem massiv verschoben. Immer mehr wird, etwa durch die sozialen Medien, öffentlich, was früher privat war - und das sogar freiwillig.
Betrachtet man aber die Tatsache, dass die großen Internetunternehmen unglaubliche Speicher unseres Privatlebens angelegt haben, ergibt sich sogar eine noch weitergreifende Durchdringung. Die Privatsphäre wird doch heute gar nicht geschützt. Es wird die Illusion erzeugt, dass wir noch Privatsphäre hätten, indem man uns selbst den Zugang zu dem, was die Unternehmen von uns wissen, verwehrt. In dieser Hinsicht also besteht die Privatsphäre mehr und mehr lediglich in einer Beschränkung unseres Wissens seitens der Unternehmen. Man muss sich das wie eine Membran vorstellen. Die Privatsphäre wird informationell nahezu aufgelöst, gleichzeitig bleibt dieser Prozess uns verborgen. Wichtige Grundpfeiler der Demokratie, eben die Relation von öffentlich und privat, sind so zu einer digitalen Inszenierung geworden.
Heiner Goebbels neues Hörstück
Am 13. Januar 2021, ab 22.03 Uhr MEZ bringt Deutschlandfunk Kultur das neue Hörstück von Heiner Goebbels mit Texten von Henri Michaux, der Titel lautet Gegenwärtig lebe ich allein. ✭ DLF Kultur, Heiner Goebbels: Gegenwärtig lebe ich allein [Link]
2021.01.04
Digitalstaat (Skizze 19)
Digitale Vogelfreie. Überlegungen zur Zukunft des Internets
Das Internet, miterfunden und geprägt von Tim Berners-Lee, ist ein Medium, das technisch Möglichkeiten der Kommunikation vorwegnahm, für die es noch keine kulturellen und sozialen Praxen gab. Die Utopie in Bertolt Brechts Radiotheorie wurde auf einmal Realität: Jeder konnte mit jedem kommunizieren, dezentral und von der Peripherie aus. Das Internet entäußerte durch die Hyperlinks die Assoziationen der Menschen, so dass nun all das Assoziierte sich kollektivierte. Dazu verband es die Menschen weltweit jenseits und vorbei an Staatlichkeit und Staatsgrenzen, wenngleich deren Infrastruktur genutzt wurde. Der Staat griff nicht direkt ein in das, was man dort publizierte und auch nicht in die Weise, wie man das organisierte.
Dann entstanden monopolartige Strukturen, die sozialen Medien und Handelsplattformen, welche sich global ausbreiteten und ihre Regeln vorbei an den Staaten applizierten. Und nun befinden wir uns in einer Phase, in der der Staat mit dem Internet in dieser Hinsicht verschmilzt, indem er seine Gesetze zur Voraussetzung des Netzes macht. Damit wird das Internet in seinen Möglichkeiten in sich verkehrt. War es zunächst eine a-staatliche Struktur, wird es nun zu einem Träger von Staatlichkeit. Dieser Prozess vollzieht sich rasend schnell. Uploadfilter, Geoblocking, Überwachung, Digitalisierung der Schule und deren Prüfungen, Verwaltung und des Geldes etc. sind Beispiele hierfür.
Derzeit können wir, wenn wir Auto fahren, die Geschwindigkeitsbeschränkung ignorieren, werden natürlich, wenn wir erwischt werden, dafür bestraft. In Zukunft wird dies wahrscheinlich nicht mehr möglich sein, da das Fahrzeug automatisch gesteuert werden wird. Auch Gesetze und deren Übertritt werden dann per KI in den Alltag eingeschrieben. Die Schwierigkeit besteht darin, dass diese Vollzugsmaschinen von Staatlichkeit keine Gefühle haben. Sie wachen nur darüber, ob etwas auftritt oder nicht, ihnen fehlt die menschliche Toleranz, der Ermessensspielraum, für dessen Ausbildung man Geschichten und Erzählungen verstehen muss. Die Gefahr besteht darin, dass die Freiheit dadurch massiv eingeschränkt wird, weil Freiheit bislang auch immer meinte, dass man privat etwas machen durfte, was vielleicht öffentlich sanktioniert war. Man konnte mit gewissen Spielraum gegen die Regeln verstoßen. Mit der Einebnung der Unterschiede privat-öffentlich, die durch die digitalen Medien sich vollzieht, ist dies nahezu hinfällig.
Es ist auch davon auszugehen, dass sich die Bestrafung (und schon jetzt werden soziale Medien zeitweise bei Devianz für Personen gesperrt) von der Gerichtsbarkeit hin auf die automatisierte Reaktion verlagert. Dies wird preiswerter sein, da kein menschliches Personal eingebunden ist. Das heißt konkret, dass man, verhält man sich aus irgendeinem Grund nicht konform, man in Zukunft für bestimmte Dienste und Webseiten gesperrt werden wird. Da man in Zukunft sicherlich eine Art digitaler Identität nach Modell des Personalausweises einführen wird, könnte man diese Sperrung auch nicht umgehen. Sie käme einer Strafe gleich. Im Extremfall, etwa der Digitalisierung des Geldes, könnte man sich denken, dass Menschen von der Währung und dem Handel ausgeschlossen werden, allein durch Registrierung ihres widerrechtlichen und akonformen Verhaltens, das widerum allein durch Maschinen festgestellt wurde. Es wird sicherlich die Möglichkeit eine Einspruchs geben und menschliche Mediatoren werden korrigieren, was korrigierbar ist, aber die Tendenz scheint mir eindeutig. Diese Menschen werden dann digitale Vogelfreie sein, wie im Mittelalter.
2021.01.01
Liebe Leserinnen und Leser dieser Webseite,
ich wünsche Ihnen ein frohes und vor allem gesundes neues Jahr!
Ihr
Andreas Becker
みなさま、
あけましておめでとう!
ベッカー アンドレアス
Odaiba, Tōkyō, 31. Dezember 2020
Kalender 2021
Hier können Sie meinen Bildkalender für das Jahr 2021 in Postkartengröße downloaden. ✭ Eine Übersicht über die Blätter finden Sie hier.
In meiner Arbeit Gefühl und Alterität unternehme ich den Versuch, in philosophischen Miniaturen alltägliche Gefühlsmomente darzustellen. Das Buchprojekt im Büchner-Verlag ist als Serie angelegt. Veröffentlicht sind bereits 999 Notizen. Am zweiten Band arbeite ich seit 2016, dieser erscheint voraussichtlich noch 2020. Ein thematischer Schwerpunkt wird auf der japanischen Kultur liegen, da ich seit dieser Zeit in Japan lebe. Die Miniaturen sind nicht abgeschlossen. Man soll sie diskutieren, weiterdenken, hinterfragen und ergänzen. Auf dieser Webseite veröffentliche ich einige Fragmente, die dann in den dritten Band einfließen werden. Da ich unter keinem Zeitdruck stehe, warte ich so lange, bis ich das Gefühl habe, der Band sei nun reif für die Publikation. Wenn Sie mir eine E-Mail schreiben möchten, erreichen Sie mich unter Andreas Becker, beckerx[at]gmx.de. Zur Homepage geht es hier https://gua.zeitrafferfilm.de/. Hier finden Sie die Seite des Büchner-Verlags. Hier finden Sie einen Überblick über alle meine Projekte im Büchner-Verlag.
Die bislang entstandenen Youtube-Videos: