Foto Skizzen, Kommentare, Überlegungen von Assoc. Prof. Dr. Andreas Becker, Tōkyō. Über diese Seite
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2020.12.31

Fugu, oder: Der Umgang mit Gefahren in Japan


Fugu (河豚), Kugelfisch, ist eine japanische Delikatesse. Dieser Tage wurde ich dazu eingeladen und war etwas aufgeregt, denn ich aß diesen berühmten Fisch zum ersten Mal. Man muss dazu wissen, dass einige Körperteile hochgiftig sind, sie enthalten Tetrodoxin. Das Muskelfleisch muss also auf eine sehr behutsame Art entfernt werden. Dieses und auch die Flossen etc. sind dann essbar. Es wird besonders schön angerichtet.
Zuerst dachte ich, dass dieser Fisch einen besonders ausgeprägten Geschmack haben mag. Aber das Muskelfleisch schmeckt ganz neutral, man wickelt es sogar um Lauch herum. Es hat, ähnlich wie die japanische Nashi (Birne) eine weiße, beinahe durchsichtige Farbigkeit, ist durchaus kräftig von seiner Konsistenz, denn unsere Scheibchen waren hauchdünn, dann aber von einer Zartheit im Geschmack.
Aus europäischer Sicht erscheint diese Art von Essenskultur gewagt. Man würde doch in Europa niemals giftige Sachen essen. Man würde sich fragen, warum man diese Gefahr eingehe, für das Essen zu sterben wagen und sich dazu noch einem fremden Koch anvertrauen soll. Es würde auch in Europa nicht funktionieren, weil man in den letzten Jahrzehnten die Kultur immer mehr nach ökonomischen Kriterien zugerichtet hat und versucht, alles billiger zu produzieren, egal welche Auswirkungen dies auf die Arbeitsverhältnisse, die Qualität der Produkte etc. haben mag. Aber in Japan ist diese Essenskultur auf eine gewisse Weise aus der Ökonomie herausgenommen, man schätzt es Wert, wie man so schön sagt. Anstatt also das giftige Essen an sich zu meiden, hat sich in Japan eine Ästhetik des Differenzierens herausgebildet, die eben so exakt ist, dass sie innerhalb des Fisches das Giftige vom Ungiftigen zu scheiden vermag. Auch der Koch persönlich ließ sich kurz blicken. So aßen wir Sashimi-Scheibchen von Fugu, gegrillten Fugu, tranken Sake mit Flossen des Fugu etc. Und wir haben das Ganze nicht nur überlebt, sondern auch eine schöne Erinnerung an eine besondere Speise.

2020.12.27

Kalender 2021

Hier können Sie meinen Bildkalender für das Jahr 2021 in Postkartengröße downloaden.
Eine Übersicht über die Blätter finden Sie hier.

Kalender 2021 als [ pdf, 36.9 MB]
Kalender 2021 als [ epub, 12.7 MB]

... und hier die einzelnen Monate als jpg-File

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 56)

Katastrophennarrative

Medienanalytisch folgt die die Corona-Berichterstattung bewährten Katastrophennarrativen, die wir bereits von Tschernobyl 1986 her kannten. Man etabliert ein Narrativ der Gefahr. Die Gefährlichkeit der Gefahr ist unsinnlich, auch ist die Gefahr als solche nur für wenige Menschen im Alltag überhaupt wahrnehmbar. Es ist eine abstrakte Gefahr. Nun werden Experten ausgewählt, Orte gesucht, Bilder verbreitet. Dann schwingen sich die Medien auf Kernbotschaften ein, indem sie unisono, 24 Stunden am Tag, monatelang ähnliche Sätze permutieren. Durch diese Wiederholung festigt sich das Narrativ, sickert in Alltagsgespräche, Imaginationen etc. ein. Ist erstmal eine solches Katastrophennarrativ verabsolutiert, erfolgt die Übergabe an die Statistik. Kennzahlen, damals Radioaktivitätswerte, heute Infektionszahlen, konditionieren die Menschen und rufen, durch Begriffe, Fachtermini, Bilder (Menschen, die getestet, gespritzt werden, Särge, Bilder von Intensivstatuionen) so die vorbekannten Erklärungsmuster ab. Eine solche Herrschaft kennt keine Differenzierung. Sie ist aus Verstärkung und Dynamisierung aufgebaut, erzeugt Pole des Sag- und Darstellbaren, indirekte Zonen des Sprech- und Denkverbots. Politiker können inmitten dieser medialen Wirbel höflich und ruhig sprechen und erhalten Zustimmung. Im Bild- und Nachrichtensturm wirken sie wie Magiere. Sie schwören die Gemeinschaft ein. Der Abschied vom Narrativ erfolgte damals schleichend, heute durch ein Massenritual der Impfung. Die Impfung verspricht die Erlösung vom Katastophennarrativ.

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 55)

Die Zeit nach der Impfung

Morgen beginnen nun in Deutschland die Massenimpfungen. Was werden sie bringen? Welche Nebenwirkungen hat die Impfung? Niemand weiß das sicher. Auch werden vielleicht diejenigen, die die Impfung bekamen, noch ansteckend sein. Dann werden sie sich unvorsichtig verhalten, feiern etc. und damit zu einem explosionsartigen Anstieg der Infektionen beitragen. Die Ungeimpften wären die Leidtragenden. Ökonomisch gesehen ist das natürlich eine Goldgrube für die Pharmakonzerne. Würde der Impfschutz zudem nur ein Jahr oder eine begrenzte Zeit halten, würde das Gewinne in ungeahnter Höhe bedeuten.

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 54)

Corona und gesellschaftliche Werte und Tugenden

Man hätte im Prinzip auch nichts tun können. Dann wäre die COVID-19-Infektionswelle über Deutschland gerollt, die Intensivstationen hätten die Patienten nicht mehr versorgen können, die Krematorien wären überfüllt gewesen, Horrorszenarien vielerorten, aber der Corona-Spuk wäre wahrscheinlich nach ein paar Monaten vorbei gewesen. Eine Herdenimmunität hätte die Bevölkerung für die Zukunft auf natürlichem Weg immunisiert. Die Werte der Gesellschaft wären gleich geblieben, die Ökonomie intakt. Man hätte sich vorhalten lassen müssen, Verantwortung für die Toten zu haben. Auch der Vorwurf einer rein auf Ökonomie basierten Gesellschaft wäre erhoben worden. Man hätte sicherlich mit böser Miene gesagt, dass die Wirtschaft über Leichen gehe. Aber die Haltung wäre gewesen, dass man bereit ist, für diese Gesellschaft, so wie sie vor Corona war, zu sterben. Man hätte sich existenziell verhalten. Auch hätte man Solidarität gezeigt mit den Toten, auch von kirchlicher Seite, durch Präsenz. Diesen Weg hat man nicht gewählt. Stattdessen griff die Politik so schnell ein, wie ich es nicht für möglich hielt, und verhängte Lockdown-Maßnahmen. Indirekt sortierte man die Werte, auf denen unsere Gesellschaft ruht, damit um. Eine grobe Auflistung der Priorität könnte so aussehen:
1) Wichtigster Wert ist, individuell nicht mit dem Virus infiziert zu werden. Virologische Expertisen und abstrakte Annahmen driften damit in den Alltag und bestimmen ihn.
2) Diesem negativen Wert, nicht infiziert zu werden, wird alles untergeordnet. Kultur gilt als systemirrelevant, genauso wie die Ausübung von Religion, Schule, Universität, Sport, alle öffentliche Betätigung ist dem Verdacht unterstellt, die Infektion zu verbreiten. Restaurants und Cafés, Versammlungen jeglicher Art gelten als gefährlich. Damit wird im Prinzip eine Corona-Ökonomie eingeführt, deren Maßzahl (Infektionen) das gesellschaftliche Leben diktiert.
3) Systemrelevant für Privatleute ist nur die Grundversorgung zum Leben in der Wohnung, dazu das Handwerk, Internet, Medien.
4) Die Politik bildet die Klammer dieses Geschehens, sie dirigiert es und schafft Verordnungen und Gesetze. Dieses Primat der Politik, die Corona-Ökonomie, steht der bislang geltenden diametral gegenüber. Es ist allerdings nicht ausschließlich so. Bestimmte Bereiche, die Pharmaindustrie, die Krankheitsbekäpfungsindustrie, die Online-Branche, die Lebensmittelindustrie, auch das Handwerk etc. profitieren sogar von den Maßnahmen. So entsteht eine Verschiebung. Die massiven Schulden werden allerdings nach Abklingen der Pandemie abbezahlt werden müssen. Man kann davon ausgehen, dass dabei Teile des nun etablierten Schlüssels erhalten bleiben und gerade die indirekt als systemirrelevant zugeordnete Kultur nun auch noch von den Sparmaßnahmen weiter betroffen sein wird, genauso wie die anderen Einrichtungen. Auch Teile des Gesundheitswesens werden sicherlich aus Kostengründen wieder zurückgefahren, so absurd dies klingen mag, in Anbetracht der Gefahr, dass eine neue Pandemie irgendwann heraufzieht.
Was die Zukunft der Wirtschaft anbelangt, so hängt sehr viel davon ab, was die Menschen mit dem während der Corona-Zeit gesparten Geld machen. Diejenigen, die ihren Arbeitsplatz nicht verloren haben, sind ja nicht oder nur kurz in Urlaub gefahren, haben wenig für ihre Freizeit ausgegeben etc. Es müssen dies ungeheure Summen sein, die, wenn sie denn tatsächlich ausgegeben würden, die Wirtschaft wiederbeleben könnten.
Mich hat bei alledem irritiert, ich schrieb es schon in den früheren Anmerkungen, dass die Sichtweise auf Krankheit rein technisch und statistisch ist, dass man niemals überlegt, welche Möglichkeiten eines ganzheitlichen Umgangs es geben könnte. Diese Eindimensionalität ist wahrscheinlich gefährlicher als das Virus selbst, denn damit wird eine abstrakte Gewalt stillschweigend geduldet. Dass Gesundheit nur darin besteht, nicht zu erkranken, ist jedenfalls keine sinnvolle Aussage.

2020.12.23

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 53)

Meine Vorhersage für die Entwicklung der COVID-19-Fallzahlen in Deutschland

Trotz des harten Lockdowns bis zum 10. Januar 2021 werden die Fallzahlen meiner Meinung nach in Deutschland massiv steigen. Das liegt daran, dass eine relativ große Gruppe von Menschen die Praxis entwickelt hat, sich im privaten Kreis zu treffen. Dort aber legt man die Maske ab, hält keinen Abstand, umarmt sich: Die Infektion kann sich dadurch verbreiten. Die Frage ist daher eher, was die Politik nach dem 10. Januar macht. Wird sie den Lockdown verlängern, obwohl er offenbar nichts bringt? Wird sie argumentieren, dass es schlimmer gekommen wäre, hätte man keinen Lockdown gemacht? Wird sie sogar die Privatfeiern noch kontrollieren lassen? Vielleicht liege ich (und hoffentlich liege ich) falsch.

Die FAZ über die Impfung von Biontech-Chef Ugur Sahin und dessen Frau

Ganz versteckt, am Ende des Artikels schreibt die FAZ:
»Weder er selbst noch seine Frau, die Biontech-Mitgründerin und medizinische Geschäftsführerin Özlem Türeci, haben sich nach seinen Worten bislang mit dem Wirkstoff ihrer Firma impfen lassen. ›Wir möchten das aber, sobald wir eine entsprechende Grundlage dafür haben‹, sagte er.«1
Mich hat das irritiert. Kann das stimmen? Wieso nehmen die Gründer der Firma selbst nicht die Chance wahr, sich impfen zu lassen, gar den Impfstoff an sich zuerst zu testen? Und wieso macht die FAZ daraus keinen Leitartikel?
Nachweis:
1Biontech-Impfstoff soll in nächsten fünf Tagen ausgeliefert werden, FAZ, 22.12.2020, https://www.faz.net/-guw-a6tc5 [hier]

Elfride Jelineks Privatroman Neid

Neid ist ein merkwürdiges, indirektes Gefühl. Man möchte etwas haben, was der andere hat - und hält das geheim. Dadurch entstehen Intrigen, getarnte Kämpfe etc. Je schlechter es Gesellschaften geht, desto mehr Neid gibt es. Aber Neid entsteht auch und vor allem in Schichten, die eigentlich alles haben. Nach dem Nobelpreis geschrieben hat Elfride Jelinek ihren Internet-Roman Neid genannt.
Homepage Elfride Jelinek mit dem Roman Neid https://www.elfriedejelinek.com/fneid1.htm [hier]
Hörspiel des BR, Neid https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/hoerspiel-und-medienkunst/hoerspiel-pool/jelinek-neid100.html [hier]
Interview von Herbert Kapfer mit Elfride Jelinek, Neid https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/hoerspiel-und-medienkunst/artmix-jelinek-neid-antworten-neid100.html [hier]

2020.12.20

Stefan Hockertz, Toxikologe, schätzt die neue mRNA-Impfung ein


Radio München, das Transcript findet sich https://www.radiomuenchen.net/podcast-archiv/radiomuenchen-themen/2013-04-04-17-32-41/1880-update-mrna-impfung-wo-sind-die-validen-studien.html [hier]

»Ganz berühmt Elvis, der sich damals hat impfen lassen...«

Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, macht sich in einem Gespräch bei Tagesthemen über eine Impfkampagne Gedanken und möchte die »positiven Botschaften« der Impfung unterstreichen.

2020.12.19

Goethes Weisheit

Goethe schreibt:
»Lessing, der mancherlei Beschränkung unwillig fühlte, läßt eine seiner Personen sagen: ›Niemand muß müssen.‹ Ein geistreicher, frohgesinnter Mann sagte: ›Wer will, der muß.‹ Ein Dritter, freilich ein Gebildeter, fügte hinzu: ›Wer einsieht, der will auch.‹ Und so glaubte man den ganzen Kreis des Erkennens, Wollens und Müssens abgeschlossen zu haben. Aber im Durchschnitt bestimmt die Erkenntnis des Menschen, von welcher Art sie auch sei, sein Tun und Lassen; deswegen auch nichts schrecklicher ist, als die Unwissenheit handeln zu sehen.«
Nachweis: Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre, S. 479. Digitale Bibliothek Band 4: Goethe, S. 7422 (vgl. Goethe-HA Bd. 8, S. 298).

2020.12.16

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 52)

Die Zahl der Corona-Toten - in Relation gesetzt

Die Medienberichte über den derzeitigen Lockdown suggerieren, dass die Corona-Pandemie eine ungeheure Zahl von Toten zur Folge habe. Tatsächlich ist die Zahl hoch. Das RKI gibt sie mit 23 427 an (Stand 16.12.2020, 22.20 Uhr japanischer Zeit). Man muss aber bedenken, dass diese Menschen nahezu innerhalb eines Jahres verstorben sind, ob an oder mit Corona, weiß niemand. Nun hat das Statistische Bundesamt seine aktuellen Zahlen veröffentlicht. Darin heißt es, dass 2019 die Zahl der Todesfälle um 1.6 Prozent gesunken sei. Im vorletzten Jahr verstarben demnach 939 520 Menschen. Die häufigste Todesursache waren Herz-/Kreislauferkrankungen (331 211). 41 779 Tode waren auf eine nicht natürliche Todesursache zurückzuführen. Warum widmet man der Vermeidung der Corona-Toten angesichts dieser Zahlen eine so große Aufmerksamkeit? Warum zentriert sich das gesamte politische Leben darauf, diese ca. 24 000 Tode zu vermeiden, wo doch klar ist, dass ungefähr eine Million Menschen sterben wird? Es würde die politische Debatte rationalisieren, würde man sich und der Bevölkerung diesen Maßstab vor Augen führen. Hier nochmal die Zahlen im Überblick:
Gesamtzahl Tote in Deutschland 2019: 939 520
Corona-Tote 2020: 23 427
Nachtrag vom 17.12.2020: Heute werden 698 Corona-Tote gemeldet. Die Annahme vorausgesetzt, dass dies so bleiben würde, käme man dann auf 365*700 = 255 500 Tote im Jahr. Aber würde es so bleiben? Und können die derzeitigen Lockdown-Maßnahmen, die vom chinesischen Modell übertragen wurden, diese Zahl senken? Es sind zu viele Unbekannte in dieser Rechnung. Die Politik muss entscheiden. Sie kann sich nicht auf Experten berufen. Diese kennen die Zukunft genauso wenig.
Nachweise:
RKI: Fallzahlen COVID-19, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html [hier]
Statistisches Bundesamt: Todesursachen 2019, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/todesfaelle.html [hier]

2020.12.14

Konsequenzen des Feuerwerkverbots auf Silvester

Thomas Schreiber, der Vorstandsvorsitzende vom VPI (Verband der pyrotechnischen Industrie) schreibt auf der Webseite über die Folgen des Böllerverbots:
»Das am heutigen Tage ausgesprochene Verkaufsverbot wird die Branche hart treffen, im Zweifel droht nun die Insolvenz des gesamten Wirtschaftszweigs. Wir fordern den vollumfänglichen Ausgleich der dadurch entstehenden Umsatzverluste. Diese liegen im dreistelligen Millionenbereich. Unsere Juristen sind der Auffassung, dass unsere Branche aufgrund der Tatsache, dass wir 95 Prozent unseres Jahresumsatzes im Dezember erwirtschaften, keine Unterstützung durch die Überbrückungshilfen erhalten werden. Das wusste auch die Politik, die bislang aber jedweden Gesprächsversuch unsererseits unbeantwortet lies. In den vergangenen Tagen warben führende Politiker unseres Landes – darunter auch Frau Bundeskanzlerin Merkel – um Solidarität, um Gemeinschaft und Unterstützung. In diesen für die Branche nun harten Zeiten fordern wir all das von der Politik ein. Wir brauchen gesonderte Hilfsgelder, um die 3.000 Einzelexistenzen in der Branche zu sichern.«
VPI: Pyrotechnische Industrie von Verkaufsverbot geschockt: Branche braucht sofortige finanzielle Hilfen, um Insolvenzen zu verhindern, Pressemeldung, 13.12.2020, https://www.feuerwerk-vpi.de/presse/artikel/news/pyrotechnische-industrie-von-verkaufsverbot-geschockt-branche-braucht-sofortige-finanzielle-hilfen/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=3d9ece9dbf5df06863e27d89260221a1 [hier]

Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina

Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina, https://www.leopoldina.org/presse-1/nachrichten/ad-hoc-stellungnahme-coronavirus-pandemie/ [hier]

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 51)

Der Westen und Asien nach der Herdenimmunität

Man kann davon ausgehen, dass die Corona-Durchseuchung im Westen weiter fortschreitet. So wäre eine Herdenimmunität erreicht und zusätzlich durch die Impfung würde die Zahl der Neuinfektionen irgendwann 2021, spätestens 2022 sinken. Das gälte aber nur für den Westen. Denn in Asien ist ja die Zahl der Corona-Infizierten durch achtsames und differenziertes Verhalten auf ein Minimum gesenkt worden. Wie wird man damit umgehen, dass Menschen aus dem Westen immun sind, während dies für asiatische Gesellschaften nicht gilt? Hier entsteht eine Paradoxie, dass diejenigen Gesellschaften, die die Pandemie besser bekämpften, nun isoliert sind. Hier gibt es mehrere Szenarien:
1) Man wird die Grenzkontrollen und Quarantäne-Regelungen auf unbestimmte Zeit aufrecht erhalten. Dies hätte immense wirtschaftliche Schäden zur Folge.
2) Man wird die eigene Bevölkerung impfen. Aber mir scheint die Bereitschaft hierzu nicht hoch zu sein, da ja Corona als Gefahr nicht präsent ist.
3) Man wird eine Mischung fahren. Also die Einreise bei überstandener Infektion oder Impfung erlauben, ansonsten Quarantäne erlassen.
Das sind alles wichtige Fragen, die in den nächsten Jahren zu Konflikten führen können.

2020.12.13

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 50)

Die Eigentümlichkeit der deutschen Rechtskultur

Aus der Ferne betrachtet mutet es eigentümlich an, dass in Deutschland die Corona-Infektionen steigen, die Politik einen Lockdown verkündet - und man Bilder voller Fußgängerzonen in den Nachrichten sieht. Wer Deutschland und seine Rechtsgläubigkeit nicht kennt, kann diese Bilder nicht verstehen. Sie muten irrational an. Jeder weiß, was Sache ist, jeder weiß, dass ein Lockdown droht, eben weil die Menschen u.a. dicht bei dicht einkaufen. Und nur weil dies noch erlaubt ist, gehen viele nochmal richtig shoppen. Darin liegt eine Konditionierung auf das Rechtssystem, die habituell wurde. Man erlaubt sich kein eigenes Urteil mehr, sondern delegiert die Vernunft an den Staat. Und da der das Verbot erst ab Mittwoch ausspricht, gehen Massen einkaufen, als wüssten sie nicht, warum dies gefährlich sei. Das Problem: Bei Pandemien ist das Rechtssystem zu undifferenziert. Es ist zu grob. Das führt zu Härten, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden von immensem Ausmaß.

2020.12.11

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 49)

Das Geheimnis des Nichtstuns, oder: Warum in Europa die Fallzahlen steigen und in Japan nicht

Es ist eine Binsenweisheit, dass man das Infektionsgeschehen durch Nichtstun bremsen kann. Bleiben die Menschen in der Wohnung, treffen andere nicht, so verhindert das eine Ansteckung wirkungsvoller als das Tragen einer Maske, das Hände Desinfizieren oder das Abstandhalten im öffentlichen Raum. Es ist also eine metaphysische Grundhaltung, die nämlich, welchen Wert das Nichtstun hat. Hier unterscheiden sich westliche von asiatisch-buddhistischen Kulturen grundlegend. Und ich meine, das ist ein Grund dafür, warum die Unterschiede der Infektionszahlen in der Corona-Pandemie so groß sind und als offenbare kulturelle Unterschiede sichtbar werden. Nichtstun wird im Westen oft als Faulheit verstanden oder Trägheit, bestenfalls als Erholungszeit. Es ist aber zugleich etwas, das gepflegt werden muss. Nichtstun ist zugleich Sammlung. Die Meditation ist eine Form des Nichtstuns, Nicht-Denkens. Wer einmal meditiert hat, weiß, wie viel Kraft in dieser Passivität liegt, aber auch wie viel Mühe man mit sich selbst hat, still zu sitzen und auf den Atem zu achten.
Wenn man das Nichtstun als bloße Erholung versteht, verfehlt man dessen Eigenart. Nichtstun, nicht denken, heißt auch, dem Anderen die Möglichkeit geben, sich mir zu öffnen, meinen eigenen Gedanken die Chance zu lassen, sich frei zu sortieren und zu assoziieren. Es meint auch, vorurteilslos zu sein und keine Angst zu haben. Eine Bedrohung ist niemals an sich eine solche. Es gehört immer eine Voreinstellung dazu, etwas als Bedrohung zu verstehen. Und wer das Nichtstun und Nicht-Denken übt, kann eine Bedrohung als reines Phänomen betrachten, ohne Angst. Das Nichtstun pflegen bedeutet auch, einen alternativen Umgang mit den eigenen Gefühlen einzuüben. Dass einmal nichts passiert, ist dann kein Verlust. Es ist nur eine andere Form des Umgangs des Bewusstseins mit sich selbst. Es versteht seine Möglichkeit nicht nur darin, Handlungen in Gang zu setzen, zu arbeiten, sondern auch darin, die Ruhe als Eigenwert zu begreifen. Daher fällt es der japanischen Kultur (und vielen anderen asiatischen) zwar auch schwer, die Corona-Regeln einzuhalten, um die Infektion zu bremsen. Aber die Regeln widersprechen der metaphysischen Grundhaltung dieser Kulturen nicht, sie akzentuieren sie nur anders. Diese Kulturen müssen nicht den gleichen Kraftaufwand betreiben, um ruhig zu sein. Sie brauchen keine Gesetzesgewalt dazu (die Proteste und Widersprüche nur produziert). Das Problem lag doch in Europa darin, dass man zwar nach dem Lockdown die Zahlen der Infektionen massiv senkte, aber danach gewissermaßen das Leben nachholte, das man glaubte, vorher versäumt zu haben. Man verstand also die Zeit nach dem Lockdown als eine Art individuellem Ausgleich, das Essen, das Reisen, die Partys als Ausgleich für das, was der Gesetzgeber einem nahm und verwehrte. Und das ist in Japan anders, wo man diese Ereignisse und Feste als Rituale versteht. Rituale haben einen Rahmen, sie laufen nach Mustern ab. Es fehlen dann die Peaks, man hat mehr Kontrolle. Für die Infektionszahlen heißt das, dass man diese senkt. Man braucht kein Gesetz dafür und keine staatliche Gewalt, man muss nichts tun.

Lesung Das Geheimnis des Nichtstuns, oder: Warum in Europa die Fallzahlen steigen und in Japan nicht.

2020.12.07

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 47)

Unvorhersehbare Bedrohungen aus dem Makro- und Mikrokosmos

Am 11. September 2001, als Terroristen zivile Flugzeuge entführten und u.a. auf die Twin-Towers des World-Trade-Centers in New York und das Pentagon lenkten, gingen diese Bilder in Minuten um die Welt. Es bildeten sich Wiederholungsschleifen der Maschinen, die in die Türme rasten. Man konnte dem nicht ausweichen. Diese Bilder waren überall, in den Zeitungen, im Fernsehen. Niemand sah das vorher. Und einen Moment lang wusste die Welt nicht, was passieren würde. Dann folgten Überwachungsprogramme, Kriege, eine Aufrüstung der Polizei, die seitdem nicht zurückgenommen wurde und an deren Präsenz sich heute die Menschen im Westen gewöhnt haben. Polizisten mit Maschinengewehren gehören mittlerweile zum Stadtbild, sowieso zu Großveranstaltungen.
Es war eine Bedrohung aus dem Makrokosmos, aus der Menschenwelt. Die Politik hat damals nahezu ausschließlich mit militärischen und polizeilichen Maßnahmen reagiert, niemand fragte nach den Motiven, stattdessen suchte man äußere Feinde. Die Dynamik, dass die Attentäter in westlichen Gesellschaften lebten und offenbar ihre Destruktionswut aus diesen heraus begründeten, blieb weitgehend unthematisch.
Heute haben wir es mit einem Virus zu tun, das aus dem Mikrokosmos kommt. Aber die Reaktion darauf sowie die medialen Narrative ähneln sich. Dort die Endlosschleifen der Flugzeuge, die in die Twin-Towers rasen, hier die Bilder und Filme von Menschen, die ihren Mund aufreißen, damit ihnen ein Rachenabstrich genommen werden kann. Psychoanalytisch gesehen sind das unterschwellig sexuell konnotierte Bilder. Die Bilder der Testungen werden derzeit abgelöst von Aufnahmen von Menschen, die eine Impfspritze erhalten. Man kann nicht wegschauen, man schneidet die Bilder unmittelbar dazwischen, in den Nachrichten, Talkshows etc. Es sind Schockbilder wie aus Horrorfilmen.
Auch die Maßnahmen zur Bekämpfung des Corona-Virus ähneln denen vom September 2001. Diesmal sind es wieder der Staat, das Militär, die Polizei, die den Angreifer aus dem Mikrokosmos mit Gewalt besiegen wollen. Und wieder sehen wir, wie vergeblich das ist. Aber die Maßnahmen, das ist zu befürchten, werden wieder Bestand haben. Sie werden nur zum Teil zurückgenommen werden und können danach jederzeit aktualisiert werden, durch Ausgangssperren, Grenzschließungen, Kontrollen, Quarantäneverordnungen etc. Die Kriege, die man damals führte, waren sinnlos. Wird man diesmal wieder einen äußeren Feind suchen, weil man die inneren Widersprüche und Motive nicht analysieren kann?


Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 48)

Engineering of Opinion

Edward L. Bernays schreibt in seinem Klassiker Propaganda: »The conscious and intelligent manipulation of the organized habits and opinions of the masses is an important element in democratic society.« (Edward L. Bernays (1936) [1928]: Propaganda, New York: Liveright, S. 9). Man könnte als Idealist die Gegenthese vertreten, aber derzeit beobachten wir, wie mit größter Anstrengung die Umsetzung von Bernays Programm erfolgt. Die deutsche Regierung geht offenbar davon aus, dass man Menschen dadurch von der positiven Wirkung des Corona-Impfstoffes überzeugt, indem man Talkrunden organisiert, aus denen jedwede kritische Stimme ausgeschlossen ist. Abgelesene und vorausgewählte Publikumsfragen werden verklausuliert beantwortet, so etwa die nach der Haftung bei etwaigen Nebenwirkungen des Impfstoffes.

2020.12.06

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 46)

Bergson und Corona. Die Impfstoffzulassung mit dem Begriff der Dauer beurteilen

In den nächsten Wochen werden voraussichtlich mehrere Impfstoffe gegen das Coronavirus auf den Markt kommen. Die Entwicklung wie auch die Zulassung im sogenannten »Rolling-Review-Verfahren« erfolgte in noch nie dagewesener Geschwindigkeit. Normalerweise brauchen diese Prozesse Jahre, mitunter mehr als ein Jahrzehnt. Man hat nun, im Angesicht der Pandemie, alles beschleunigt. Ich habe mich gefragt, ob die Philosophie helfen kann, diese Vorgänge zu bewerten. Und bin dabei bei dem französischen Philosophen Henri Bergson fündig geworden. Bergson veröffentlichte 1907 das Buch L'Évolution créatrice, auf Deutsch: Schöpferische Evolution. Darin findet er ein einfaches und in der Zeitphilosophie viel besprochenes Beispiel für das Phänomen der Dauer:
»Will ich mir ein Glas Zuckerwasser bereiten, so muß ich, wie ich es auch anstellen mag, warten, bis der Zucker schmilzt. Dieses kleine Faktum ist sehr aufschlußreich. Denn die Zeit, die ich warten muß, ist nicht mehr jene mathematische, die sich auch dann noch mit der Erstreckung der gesamten Geschichte der materiellen Welt zur Deckung bringen ließe, wenn diese auf einen Schlag im Raum hingebreitet wäre. Sie fällt zusammen mit meiner Ungeduld, das heißt mit einem Teil meiner eigenen Dauer, der weder willkürlich ausdehnbar noch einschrumpfbar ist. Es handelt sich nicht mehr um etwas Gedachtes, sondern um etwas Erlebtes. Es geht nicht mehr um eine Relation, sondern um etwas Absolutes.«1
Das heißt also, dass man zwar die Zeit einteilen kann, vorherberechnen, mit Chronometern, Kalendarien, statistischen Verfahren und mathematischen Graphen verräumlichen kann, dass aber all das nichts hilft, weil die Bedingung der Existenz eben deren universelle Dauer ist: Meine Dauer ist auch die des Gegenstandes. In der Zeit, als Dauer verstanden, entwickeln sich und vergehen Vorgänge, diese Dauer ist nicht zu überspringen. Natürlich, wird man einwenden, man könne doch das Wasser erhitzen, oder viele Gläser gleichzeitig untersuchen. Erhitze ich das Wasser, so verändere ich allerdings die Bedingung meines Versuchs. Und so viele Gläser ich auch immer hinzufüge, die Dauer solch eines einfachen Vorganges wie das Auflösen von Zucker in Wasser kann ich nicht willkürlich beschleunigen. Das ist das, was Bergson als Ungeduld beschreibt, weil ich merke, dass ich meine Existenz zu einem kleinen Teil vergehen lassen muss, bis sich Zuckerwasser bildet. Ich kann also dieses existenzielle Gesetz nicht transzendieren. In dieser Hinsicht sollte man auch bei der Zulassung des Impfstoffes abwarten. Niemand weiß, welche Langzeitnebenwirkungen diese Impfung hat. Will man dies einschätzen, so muss man warten, d.h. die Dauer verstreichen lassen. Mir scheint zumindest die Dauer der Geburt eines Kindes, neun Monate, eine Zeit zu sein, die man achten sollte. Man mag einwenden, dass aber dann viele Menschen an Corona sterben würden. Andererseits aber könnte man auch zwischenzeitlich bereits die Impfung vorbereiten und den Impfstoff produzieren und verteilen. Ginge denn dadurch so viel Zeit verloren? Jedenfalls kann keine noch so gut vorbereitete Pharmaindustrie und kein noch so gutes Verfahren dieses existenzielle Gesetz überschreiten.
Nachweis:
1 Henri Bergson (2014) [1907]: Schöpferische Evolution, Meiner Verlag, S. 20
Gesprochener Text von Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 46)

2020.12.05

Pressekonferenz des Bundesforschungsministeriums zum Stand der Impfstoffentwicklung gegen das Coronavirus, u.a. mit Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU).

Frage zu den Nebenwirkungen



Daniel Wisser spricht am 12. und 13. Dezember auf Zoom

Romanautor Daniel Wisser ist Gast des 29. Seminars zur österreichischen Gegenwartsliteratur in Japan.
Informationen zur Veranstaltung gibt es https://www.eventbrite.com/e/seminar-zur-osterreichischen-gegenwartsliteratur-in-japan-tickets-130841846485 [hier]
Homepage Daniel Wisser, https://www.danielwisser.net [Link]

Stellungnahmen der Ethikräte zur Corona-Pandemie

Stellungnahmen des
Europäischen Ethikrats zur Corona-Pandemie: Statement on European solidarity and the protection of fundamental rights in the COVID-19 pandemic, April 2020, https://ec.europa.eu/info/research-and-innovation/strategy/support-policy-making/scientific-support-eu-policies/ege_en [Link]
und des
Deutschen Ethikrats: SOLIDARITÄT UND VERANTWORTUNG IN DER CORONA-KRISE, 27.03.2020, https://www.ethikrat.org/publikationen/publikationsdetail/?tx_wwt3shop_detail%5Bproduct%5D=135&tx_wwt3shop_detail%5Baction%5D=index&tx_wwt3shop_detail%5Bcontroller%5D=Products&cHash=a37377aedcc6b8b131fce9a9146f9095 [Link]

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 45)

»Lockdown Light«, oder: Wenn die Kultur abgeschaltet wird

Tagesschau.de schreibt über die Maßnahmen, die seit einigen Wochen in Deutschland gelten:
»Ende Oktober verschärften Bund und Länder die Einschränkungen weiter: Theater, Kinos, Museen, Restaurants, Kneipen, Schwimmbäder und Sportstätten mussten schließen. Für das Privatleben verhängte die Politik weitgehende Kontaktbeschränkungen. Andere Bereiche des öffentlichen Lebens laufen hingegen weiter: So sind Geschäfte weiterhin geöffnet, ebenso die Schulen und auch in den Betrieben wird weitergearbeitet. Umgangssprachlich ist daher von einem ›Lockdown light‹ die Rede.«1
Ob tatsächlich umgangssprachlich, d.h. im Alltag, von einem »Lockdown light« die Rede ist, müsste nochmal geprüft werden. Es scheint doch eher so zu sein, dass die Medien und Politiker den kulturellen Lockdown auf diese Weise euphemistisch umbenennen, um anzudeuten, dass es noch schlimmer kommen könne und um die Folgen zu verharmlosen. Jedenfalls verändert das, was derzeit in Deutschland geschieht, unseren Blick auf Kultur grundlegend. Bislang dachte man, Kultur, Gesellschaft, Staat und Politik gehörten zusammen und eines sei ohne das andere nicht denkbar, eine in sich kritisch-dynamische Aufeinanderbezogenheit. Nun wissen wir, dass man durch einen kulturellen Lockdown all das, was eine Gesellschaft im Kern ausmacht, was die Bedingung von Gesellschaftlichkeit überhaupt ist, abschalten kann im Hinblick auf eine drohende virale Gefahr. So dass aus einer Kultur eine Ansammlung von arbeitenden und beschulten Individuen wird, deren Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie deren mediale Berieselung gesichert ist. Man tut dies, weil man offenbar den kulturellen Bereich als systemirrelevant ausgemacht hat und in ihm lediglich einen möglichen Infektionsherd noch vermutet, so wie man Konzerte und Feiern, selbst das Weihnachtsfest als mögliche »Superspreading-Events« versteht. Nun merkt man, dass selbst dieser Eingriff kaum etwas gebracht hat und die Infektionszahlen lediglich stagnieren. Aber das Bild, das hier entstanden ist, wird in Erinnerung bleiben. Es ist ein Staat, der das Leben als ein reines Infektions-, Versorgungs- und Konsumgeschehen umdefiniert, so als gäbe es keine Kultur, keine Gefühle, keine Geschichte, als gälte es nur, sich vor einem Virus zu schützen und alles andere sei unwichtig. Erklärbar ist das Ganze allein als Reaktion auf eine Pandemie nicht. Es liegt darin auch eine unterschwellige Autoaggression. Deren Ursachen müsste man ergründen.
Nachweis:
1Patrick Gensing: Was hat der »Lockdown light« gebracht?, Tagesschau.de, 23.11.2020, https://www.tagesschau.de/faktenfinder/lockdown-light-103.html [Link]

2020.12.03

Clemens Arvay über die Wirksamkeit der Corona-Impfung


Lother Wieler vom RKI über den Umgang mit den Risiken der Corona-Impfung


Das Wort des Jahres in Japan

Das vom Verlag Jiyukokuminsha gekürte Wort des Jahres 2020 in Japan ist sanmitsu.
Nachweise:
Magdalena Osumi: Viral hit: ›Sanmitsu‹ — the ›Three Cs‹ — declared Japan's buzzword of 2020, Japan Times, 1.12.2020, https://www.japantimes.co.jp/news/2020/12/01/national/sanmitsu-japan-buzzword/ [Link]

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 44)

Corona-Wunderland Japan

Patrick Welter wundert sich in einem FAZ-Artikel vom 26.11.2020, warum die COVID-19-Infektionszahlen in Japan so niedrig sind, obwohl man auf Freiwilligkeit setze, es heißt:
»Japan hatte auch im Frühjahr während des sieben Wochen dauernden Virus-Notstands nur nicht bindende Aufforderungen ausgesprochen, zu Hause zu bleiben oder Geschäfte zu schließen. Trotz dieses nur freiwilligen Lockdowns steht das Land mit weniger als 2100 Virustoten besser da als die meisten westlichen Staaten.«1
Dass die Maßnahmen freiwillig befolgt werden, dürfte eigentlich keines Kommentars bedürfen. Zum einen werden die Geschäfte, wie es im Artikel auch erwähnt wird, für die Verdienstausfälle entschädigt, zum anderen will sich jeder schützen. Die Regierung in Japan geht also nur von dem aus, was man erwarten sollte: Dass die Menschen in einer Demokratie vernünftig sind und nicht tödlich erkranken wollen. Umgekehrt müsste man also fragen, warum die Regierungen in Europa die Menschen durch Staats- und Polizeigewalt und Obrigkeitsdenken zwingen, etwas zu tun, was in ihrem ureigenen Interesse liegen sollte: Gesund zu bleiben.
Das hat auch mit Lernprozessen zu tun. In Japan hatte man bereits vorher die Gefahr an anderen Seuchen, etwa MERS und SARS kennengelernt. Man reagiert aber hier sowieso gerne prophylaktisch, wartet nicht erst ab, bis die Infektionszahlen in die Höhe schießen und macht dann einen - emotional aufgerüsteten - Lockdown, sondern reagiert eben schon viel früher, bei viel niedrigerem Infektionsgeschehen.
Diese Leistung Japans (und vieler asiatischer Länder) ist umso beachtlicher, je mehr man berücksichtigt, wie viel verdichteter hier gewohnt und gelebt wird, wie viel größer also die Wahrscheinlichkeit wäre, die Infektion weiter zu tragen.
Wie erkläre ich mir das? Ich erwähnte in früheren Kommentaren bereits, dass das Maskentragen in Japan, etwa im Nō-Theater, Tradition hat und dass auch das Schweigen im öffentlichen Raum eine Tugend ist. Es gibt aber auch ganz praktische Aspekte. Die Restaurants, die geöffnet haben, lüften trotz Kälte dauernd. Dazu schließt man mit Augenmaß. Es geht doch gar nicht darum, die Infektionszahlen auf Null zu senken, sondern diese mit möglichst wenig Schaden der Kultur und des gesellschaftlichen Lebens niedrig zu halten. Man denkt also in langfristigeren Dimensionen. Daher bleiben die Geschäfte, Cafés und Restaurants zwar geöffnet, schließen aber früher. Man kann dies als eine Art von Verdünnungsstrategie bezeichnen. Es geht also nicht darum, einen harten Lockdown zu fahren, sondern die Schwelle zu finden, bei der das kulturelle und gesellschaftliche Leben weitergeht, ohne dass die Infektionszahlen ansteigen. Das ist eine Art Austarieren, ein Kennenlernen des Virus auf kollektiver Ebene. Man lernt, mit ihm zu leben.
Auch in den Zügen sind die Fenster geöffnet, sowieso in den Seminarräumen. Die Routen durch Innenräume werden labyrinthisch umgeordnet. Die Luftströme verteilen sich so sicherlich auf eine positive Weise. Dazu hat man in Japan den Weg gewählt, was ebenso rational ist, nur wenige Tests zu machen, nämlich vor allem Menschen mit Symptomen zu testen. Für Tōkyō zählt die Tabelle der Regierung durchschnittlich wöchentlich 6394 Tests (Stand 3. Dezember), man vergleiche das mit Deutschland, wo wöchentlich 1.6 Millionen Tests gemacht werden!2 Dazu gibt man an, wie viele Menschen überhaupt Symptome haben. Das hilft, keine Panik zu schüren. Diese entsteht nämlich, wenn man, wie in Deutschland, die reinen positiven Tests als Fallzahlen kommuniziert, so als ob alle positiv Getesteten bereits krank wären.
Die unterschwellige Gewalt, die den Corona-Tests in Deutschland zugrunde liegt, bemerkte ich, als ich in Japan am Haneda-Flughafen in Tōkyō einen Test machte. Man musste einfach in ein Röhrchen spucken, bekam also keinen Wattestab in den Rachen gestochert, kein Brechreiz und kein wundes Gefühl im Rachen, so wie das bei meinem (vor dem Flug verpflichtenden Test) in Deutschland der Fall war. Das erhöht die Bereitschaft, sich testen zu lassen, enorm. Vielleicht sind die Röhrchentests in Japan nicht so sicher (ich weiß es nicht), aber die Akzeptanz steigt eben, wenn man Menschen bei der Untersuchung keine unangenehmen Gefühle zumutet.
Ich möchte weiterhin zwei Tugenden anführen, die in Japan hoch geschätzt werden. Zum einen ist es ein enormes Differenzierungsvermögen. Das hilft, Pauschalisierungen zu vermeiden und die Situationen, in denen sich Menschen infizieren, besser zu verstehen. Außerdem gibt es in Japan einen hochachtungsvollen Umgang mit dem Fremden. Das Fremde, und das Virus ist auch etwas Fremdes, wird in Japan nicht bekämpft oder ausgeschlossen, sondern ihm wird mit Respekt und Höflichkeit begegnet. Jeder Fremde, der mit einem Lächeln begrüßt wird, ist positiv gestimmt. Jedes Tier, das zur Begrüßung höflich empfangen wird, wird sich wohl fühlen (Hunde bellen in Japan übrigens kaum, sie haben keine Angst und daher auch keinen Grund dazu). Und ich möchte sagen, dass diese Tugend, das Fremde nicht als Anderes zu verstehen, sondern es einzuladen, sich weiter zieht bis hin auf die Pflanzen-, Krankheits- und Virenwelt, vielleicht sogar bis in die Atome hin. Es ist eine metaphysische Grundhaltung, die vom Zen-Buddhismus vorbereitet wird, unvoreingenommen Gefahren und Fremdem zu begegnen. Dadurch entstehen positive Situationen, auf allen Ebenen.
Es kommen aber auch ganz praktische Aspekte hinzu. Die Kontakte werden in Japan beschränkt, hin auf die Familie und beste Freunde. Dadurch ist die Gefahr des Verteilens der Viren geringer und die Infektionsroute kann besser nachvollzogen werden. Auch ist man bescheiden. Man versteht das Ausgehen als etwas Besonderes, genauso wie die Reise. In diesem Sinne ist das Motiv ein anderes. Man isst nicht zum Ausgleich, man reist nicht, um zu kompensieren, sondern begeht damit ein Ritual.
Japan ist, das beschrieb schon Ruth Benedict Ende des Zweiten Weltkriegs, eine Schamkultur. Man braucht in Schamkulturen keine Sanktionen oder expliziten Regeln, weil man sich vor dem Entzug der Achtung des Anderen ängstigt. Allgemeine Empfehlungen genügen. Hingegen sind westliche Kulturen, die deutsche insbesondere, explizite Schuldkulturen, die auf das Rechtssystem setzen. Dadurch werden aber in solchen Pandemiezeiten massive Widersprüche erzeugt, weil eine allgemeine Regel oder ein überhastet erlassenes Gesetz überhaupt nicht hilft, das Virus in seiner Vielgestaltigkeit zu verstehen oder ihm zu begegnen. Man merkt dies an den chaotischen Regeln zwischen den Bundesländern und den Regionen etc. Das führt dann zu Protesten, die in erster Linie keineswegs als Proteste gegen oder als Leugnung des Virus zu verstehen sind, sondern als Proteste gegenüber einem schuldkulturellen System, das es nicht ausreichend vermag, in entsprechender Geschwindigkeit zu differenzieren. Die Regelerlasse sind allesamt grob und den Situationen der Menschen oftmals nicht angemessen.
So begegnet man dem Virus in Japan mit einer anderen Grundhaltung. Man ist geduldiger mit ihm und weiß, dass ein, wie auch immer entschlossen-aggressiv auftretender Staat, das Virus nicht bezwingen wird können. Nur die Menschen können das. Sie müssen sich entsprechend verhalten.
Nachweise:
1 Patrick Welter: Japan setzt auch bei der dritten Welle auf Freiwilligkeit, FAZ, 26.11.2020, https://www.faz.net/-ivn-a5vkp [Link]
2 Hierbei sind offenbar die verpflichtenden Tests an den Flughäfen nicht einberechnet. Siehe hierzu die Statistik der Stadt Tōkyō, https://stopcovid19.metro.tokyo.lg.jp/en/ [Link], für Deutschland siehe: Mathias Brandt, Statista: 1,6 Millionen Tests pro Woche, https://de.statista.com/infografik/23253/anzahl-der-in-deutschland-durchgefuehrten-covid-19-tests/ [Link] sowie die Statista-Seite über Japan. Letztere gibt die Anzahl Tests in Japan wie folgt an: »According to the source, number of PCR tests conducted in the national institute of infectious diseases and local institutes of health in the country amounted to 3,902,866 cases as of November 25.« Das ist aber immer noch eine im Vergleich zu Deutschland sehr geringe Zahl an Tests https://www.statista.com/statistics/1100135/japan-number-of-conducted-coronavirus-examinations-by-type-of-patients/ [Link]. Einen Überblick über die Situation des Infektionsgeschehens in Japan bietet: https://toyokeizai.net/sp/visual/tko/covid19/en.html [Link]

2020.11.30

Wörter des Jahres 2020 der Gesellschaft für deutsche Sprache: Corona-Pandemie, Lockdown, Verschwörungserzählung

Wie jedes Jahr habe ich mich auch diesmal auf die Kürung der Wörter des Jahres gefreut, wenn auch diesmal keine Überraschung zu erwarten war. Zur Themenseite der GfdS geht es hier https://gfds.de/wort-des-jahres-2020-1/ [Link]

2020.11.29

Digitalstaat (Skizze 18)

Bildmaskierungen. Moderne Bildzensur in Frankreich

Die französische Regierung plant ein Gesetz, das laut FAZ-Bericht folgenden Straftatbestand einführt:
»Besondere Empörung ruft Artikel 24 hervor, mit dem die Verbreitung von Film- oder Fotoaufnahmen von Polizisten im Einsatz strikt reglementiert werden soll. Die Weitergabe von Bildern, die Polizisten in ihrer ›physischen oder psychischen Integrität schaden‹, kann mit Geldbußen bis zu 45.000 Euro und einem Jahr Haftstrafe geahndet werden. Artikel 24 umfasst sowohl von Pressefotografen als auch von Privatleuten erstellte Aufnahmen und öffnet einen großen Ermessensspielraum. Da eine böswillige Absicht nicht von vornherein auszumachen ist, müssten die Gesichter von Polizisten generell unkenntlich gemacht werden, um nicht gegen das Gesetz zu verstoßen, befürchten Journalisten.«1
Diese Praxis, Gesichter von Menschen, gar ganze Szenerien zu pixeln, ist im japanischen Fernsehen bereits jetzt viel verbreiteter als in Europa. Aber die Tendenz ist, wie man sieht, ähnlich. Es dürfte klar sein, dass solch ein Gesetz massive Auswirkungen auf den öffentlichen Raum insgesamt hat. Jeder wird Angst haben, zu filmen. Die Kontrolle staatlicher Gewalt wird massiv sinken. Es wird in Zukunft sicherlich technisch möglich sein, automatische Pixelzensur als Software in Photoapparate einzubauen. Diese wird dann erkennen, ob ein Polizist im Bild ist und dessen Gesicht automatisch unkenntlich machen. Dann wäre der nächste Schritt, dass auch Menschen, die nicht photographiert werden wollen, aus dem Bild gelöscht werden bzw. deren Identität verschleiert wird. Sie müssen dazu vielleicht ein Handy oder einen Marker haben. Der nächste Schritt wäre, dass unerlaubte Szenerien elektronisch erfasst und dann vernebelt werden.
Offenbar halten digitale Gesellschaften die dokumentarische Qualität des Digitalen nicht aus. Sie können darauf nur auf eine primitive Weise, durch Zensur, reagieren, und sehen nicht das schöpferische Potential. So muss man davon ausgehen, dass der dokumentarische Bildraum in Zukunft einer voller Schleier, Nebel, Pixel und Masken sein wird. Der Vorgeschmack ist das projektierte Gesetz in Frankreich. Immerhin regt sich dort Widerstand, nachdem - zufälligerweise zeitgleich - ein brutaler und unsinniger Einsatz der Polizei gefilmt wurde.2 Die Tendenz wird es wahrscheinlich nicht aufhalten. Dazu bedürfte es eines grundlegenden Wandels in der Haltung, das Digitale mit seinen Möglichkeiten bedingungslos anzunehmen.
Nachweise:
1 Michaele Wiegel: Nur noch gepixelte Polizisten?, FAZ, 22.11.2020, https://www.faz.net/-gq5-a5rv2 [Link]
2 FAZ: Zehntausende Menschen protestieren in Frankreich, FAZ, 28.11.2020, https://www.faz.net/-gsb-a5zg2 [Link]. Siehe dazu auch tagesschau.de, »Wir werden Dich kaputtschlagen«, 27.11.2020, https://www.tagesschau.de/ausland/polizei-frankreich-musikproduzent-101.html [Link]

2020.11.25

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 43)

Die Impfzentren kommen!

Weil die Zulassung von mittlerweile sogar zwei Impfstoffen in Aussicht gestellt ist, richtet man (in Annahme, dass die Zulassung tatsächlich erfolgt), vorauseilend in großem Stil Impfzentren in Deutschland ein. Die Süddeutsche Zeitung schreibt:
»Insgesamt sollen im Südwesten nach Angaben des Stuttgarter Sozialministeriums bis zum 15. Dezember acht Impfzentren entstehen, in denen jeden Tag jeweils 1500 Menschen beraten und gegebenenfalls geimpft werden können. In einem zweiten Schritt soll es bis Mitte Januar in jedem Stadt- und Landkreis kleinere Zentren geben.«1
Damit würden also zunächst in den Bundesländern, dann in den Kreisen und Gemeinden Zentren eröffnet, die eine Massenimpfung ermöglichen. Im gleichen Artikel heißt es, »Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) gab als Zielmarke aus, 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung in insgesamt 30 Impfzentren zu immunisieren.« Ich meine, dass es hier zwei Szenarien gibt:

Szenario I) Die meisten Menschen lassen sich impfen. Die Impfquote wird erreicht und Corona besiegt, weil eine Herdenimmunität vorliegt. Das Problem bei dem Szenario ist, dass es davon ausgeht, dass es keine Nebenwirkungen gibt. Denn wenn diese aufträten (der Impfstoff wurde bislang vor allem an Gesunden getestet!), ginge das durch die Medien und würde die Bereitschaft des Impfens massiv schwächen. Auch ist offenbar noch unklar, ob die Impfung tatsächlich die Ausbreitung des Virus stoppen wird oder ob sie nur die Symptomausbildung des Geimpften selber verhindert. Dann würde eine Impfung nur die Geimpften schützen und die Ausbreitung von Corona noch nicht einmal verlangsamen. Die überhastete Einrichtung der Impfzentren beruht also auf zahlreichen Prämissen, die keineswegs unbestritten sind.

Szenario II) Die Menschen sind impfmüde. Es lassen sich viel weniger impfen, als die Politik glaubt. Die Menschen vertrauen einem Impfstoff nicht, der nur wenige Monate überhaupt getestet wurde, und das sehr eingeschränkt, der dazu noch ein vollkommen neues Verfahren nutzt. Dann würden sich vielleicht 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung freiwillig impfen lassen, der Rest wäre skeptisch. Der Aufwand wäre immens, die Kosten ebenso, aber die Bevölkerung ginge nicht mit. Was wird die Politik dann tun? Einen Impfzwang für die Bevölkerung zu erlassen, würde auf Widerstände stoßen und ist nahezu auszuschließen. Aber nach dem Prinzip teile und herrsche wäre es denkbar, dass bestimmte Berufsgruppen zur Impfung ›angehalten‹ werden. Denkbar wäre auch, dass - wie es die Airline Qantas nach Medienberichten machen will2 - eine Impfpflicht über die Hintertür der Ökonomie eingeführt wird. Wer reisen will, muss dann bei bestimmten Anbietern eine Impfung nachweisen. Egal, welches Szenario von II) eintritt, mir scheint das Konfliktpotential sehr groß, gerade auch deshalb, weil man den Eindruck hat, die Politik und die Medien verschweigen, welche Risiken in einer solchen Impfung liegen. Es gibt eine große Intransparenz. Das macht die Menschen skeptisch, sie ängstigen sich vor Corona und der Impfung, sind keineswegs naiv. Wie das ausgeht, ist vollkommen unklar. Jedenfalls scheint es mir sehr unwahrscheinlich, dass der Plan der Impfzentren voll aufgehen wird. Es liegen zu viele Unbekannte darin. Dann würde aber die Politik den jetzt schon als Impfgegnern titulierten Menschen den Vorwurf machen, mitschuldig an der Weiterverbreitung von Corona zu sein. Darin liegt enormes gesellschaftliches Konfliktpotential, dem man nur durch Sachlichkeit und Auflärung begegnen kann. Dazu aber braucht es etwas mehr Zeit und einen offenen Diskurs. Warum nimmt man sich diese nicht? Man kann doch solche Worst-Case-Szenarien ausschließen, das scheint mir derzeit wichtiger als eine schnelle Initiative, die so viele unbekannte Faktoren enthält.

Nachweise:
1 Peter Burghardt, Matthias Drobinski, Claudia Henzler, Ulrike Nimz und Christian Wernicke: Vorbereitung auf das große Impfen, Süddeutsche Zeitung, 24.11.2020, https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-impfung-impfzentren-1.5125151 [Link]
2FAZ: Airline Qantas will Impfpflicht für Flugreisende einführen, FAZ 24.11.2020, https://www.faz.net/-hzv-a5tvz [Link]

2020.11.23

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 42)

Das Virus als das Fremde. Labyrinthe

Man kann das COVID-19-Virus, so wie es in den Medien dargestellt wird, mit all seinen negativen Eigenschaften, als das bedrohliche Fremde verstehen. Das Fremde, das nicht wie im Kolonialismus als von außen kommend beschrieben wird (wobei dieses Ursprungsnarrativ auch benutzt wird, wenn man sagt, es komme aus Wuhan), sondern das aus dem Mikrokosmos heraus tritt und uns infiziert. Es ist das Unsichtbare, aber dennoch infektiöse Fremde. Es gibt zahlreiche mediale Vorbilder, man denke insbesondere an Friedrich Wilhelm Murnaus Film Nosferatu, wo der Vampir mit der Pest an Land kommt. Bei Murnau opfert sich eine Frau und bricht damit den Bann. Im Film werden dabei verschiedene Muster aufgezeigt, Bezugsfelder wie die Ökonomie, die Sexualität, mystische Schriften etc. Und wie gehen wir mit dem Vampirhaften des Virus um? Wir finden wenig gewaltfreie Methoden. Wir vermummen und maskieren uns, sperren ein (Quarantäne), isolieren, schließen, kontrollieren Wege und entwickeln Impfstoffe. Außer der letzten Methode beruhen die anderen alle auf einer Unterschiedslosigkeit zwischen Virus und Mensch. Man bekämpft das Virus, indem man den Menschen bestimmte Rituale verordnet. Mich überrascht, wie wenig man versucht, zu verstehen, wie das Virus sich verhält. Man kann es doch, etwa durch statistische Methoden, in seiner Verbreitung verfolgen oder ihm indianerhaft auf die Schliche kommen.
Gerne wüsste ich, welche verschiedenen Wege der Verbreitung es gibt, ob der über die Aerosole der einzige ist, oder ob es auch Wege durch das Wasser, die Nahrung, die Natur etc. zum Menschen findet.
In Japan habe ich beobachtet, dass man das Virus fernhält, indem man Labyrinthe erzeugt. So etwa im Hiyoshi-Campus. Man kann aus dem Lehrgebäude gerade herausgehen, muss aber beim Betreten einen Knick über eine Art Nebentreppe (Fluchttreppe) gehen, um in es zu gelangen. Auch der Faculty Club (die Mensa für Lehrende), ist nur über den Nebeneingang betretbar, der ganz versteckt an der Seite liegt. Man mag das belächeln, aber ich habe dies mehrfach beobachtet, dass man in Japan diese Art von räumlichem Umgang gewählt hat und möchte von einer Strategie sprechen. Das Virus soll sich verirren, andere Wege finden.

Gesprochener Text von Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 42)

2020.11.21

Interessante Internetseiten und Beiträge von Alexander Knoth zum japanischen Film

Asianmoviepulse, https://asianmoviepulse.com/author/alexander-knoth/ [Link]
Japancuts, https://japancuts.de [Link]

Heribert Prantl-Interview

Die Fragen, die die Moderatorin Vivian Perkovic Heribert Prantl auf Kulturzeit am 19.11.2020 stellte:

2.17': »Sie haben am Wochenende mit Blick auf dieses dritte Bevölkerungsschutzgesetz in der Süddeutschen Zeitung ja schon geschrieben von einer freiwilligen Selbstentmachtung des Bundestages. Dabei ist doch jetzt im Gesetz festgeschrieben, welche konkreten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in Betracht gezogen werden können und auch, dass Demokratie und soziale Kontakte nochmals gesondert geschützt sind. Was hätten Sie sich denn in diesem Gesetz noch gewünscht?«

4.20': »Aber rekapitulieren wir doch nochmal kurz. Im März, als diese erste Version dieses Gesetzes anstand, da wollte die Bundesregierung ja gerne selbst entscheiden, wann diese epidemische Lage von nationaler Tragweite erreicht ist, da hat das Parlament gesagt: ›Nee, das bestimmen wir immer noch selber‹. Dann haben die Bundesländer über die Pandemiemaßnahmen gestritten, und alle haben unterschiedliche Wege gefunden. Im Sommer wurden die Einschränkungen ja auch wieder aufgehoben. Die Gerichte haben gearbeitet, manche unverhältnismäßige Verordungen kassiert. Und jetzt gibt es ein konkreteres Gesetz. Also eigentlich, muss man doch sagen, hat in den vergangenen acht Monaten die Demokratie doch ganz gut funktioniert!«

5.42': »Unterstellen Sie denn der Regierung einen bösen Willen?«
[Diese Frage unterbricht Prantl, als sie gestellt wird. Er beginnt aber mit einer Antwort »Ich unterstelle der Regierung...«, schaut dann beschämt zur Seite, macht eine Pause und hebt erneut an: »Liebe Frau Perkovic, darum geht es doch gar nicht, dass ein böser Wille da ist.« In diesem Moment hat Prantl erkannt, dass in der Frage eine Falle lag und er Frau Perkovic offenbar nicht vertrauen kann. Er macht ihr aber ein Angebot und ist sehr höflich, indem er sie als »liebe Frau« anspricht.]

7.28': »Noch eine andere Frage. Gestern haben ja Querdenker vor dem Parlament demonstriert, aber AfD-Abgeordnete haben Störer in den Bundestag eingeschleust, die versucht haben, Abgeordnete einzuschüchtern. Was ist die angemessene Reaktion darauf?«

Diese Fragen waren offenbar vorbereitet, das merkte man an der hohen Geschwindigkeit, mit der die Moderatorin sprach.

Nachweise:
Journalist Heribert Prantl über Corona und Demokratie, 3sat Kulturzeit, 19.11.2020, insbesondere ab Minute 2.48', https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/infektionsschutzgesetz-corona-und-demokratie-100.html [Link]


Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 41)

Quarantäne und Virusausbreitung. Die Idee einer Pandemiebekämpfung durch Parzellierung der Gesellschaft

Betrachtet man die Maßnahmen, die derzeit weltweit ganz oben stehen bei der Pandemiebekämpfung, so ist die Idee einer Parzellierung der Gesellschaft sicherlich die prägendste. Es ist die Annahme, dass man die gesellschaftlichen Mitglieder nur hinreichend voneinander isolieren müsse, sie in ihre Privatwohnungen einsperren, damit sich die Pandemie nicht ausbreite. Ist dies doch der Fall, wird mit verschärften Maßnahmen reagiert, also die Ausgangsbeschränkungen zu Ausgangssperren erhoben, Quarantänezonen eingerichtet, letztlich werden Teile der Wohnungen zu Privatgefängnissen, die nur zum Arbeiten und zum Einkaufen noch verlassen werden sollen bzw. sogar dürfen. Im Extremfall, der häuslichen Quarantäne, drohen Strafen bei Zuwiderhandlung. Vieles wird, immer mehr, polizeilich kontrolliert. Welchen Ursprung hat diese Idee? Was macht die Struktur des Gefängnisses (sie wird freilich nicht so benannt) so attraktiv? Warum wird nicht abgewogen zwischen dem Schaden und dem Nutzen dieser Idee? Warum wird niemand gefragt, ob er oder sie das will? Woher kommt diese Selbstermächtigung des Staates? Warum werden alternative Umgangsformen nicht diskutiert? Wieso wird das Ganze als alternativlos dargestellt? Fürchtet man die Folgen der eigenen Fehler, die sich bei einer Korrektur zeigen würden? Wieso der Hang, ausschließlich autoritäre und freiheitseinschränkende Maßnahmen könnten das Ganze wieder richten? Warum die Gewalt in der Sprache, das Ausgrenzen, die indirekten und versteckten Drohungen, die sich hinter der höflichen und verständnisvollen Fassade verbergen? Offenbar ist es die Körperlichkeit, die stört, die Endlichkeit, die Fehlbarkeit. Die Pandemie zeigt unseren Gesellschaften ihre Grenzen auf. Das können sie nicht akzeptieren, handeln wie ein ungeduldiges Kleinkind, sie werden zornig und richten ihre Wut auf sich selbst, mittels staatlicher Gewalt.

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 40)

Fehlende parlamentarische Kontrolle. Was könnte eine Politik sein, die nicht auf schnelle Impfung setzt?

Man sollte von einer Demokratie erwarten, dass sie Maßnahmen, die die Grundrechte derart einschränken bzw. außer Kraft setzen, einzeln parlamentarisch zur Abstimmung gibt - und zwar bevor sie erlassen werden, mit einer Zweidrittelmehrheit. Auch wäre eine Abstimmung durch die Bevölkerung durchaus zumutbar gewesen. Und Eile war in dieser Hinsicht nicht geboten, denn die Pandemie wird uns noch Jahre beschäftigen, auch das war abzusehen. Insofern wäre eine Klärung, was man will, und eine Diskussion, welche Folgen entsprechende Maßnahmen haben, notwendig gewesen. Die Praxis war aber, im Eilverfahren Verordnungen zu erlassen und Maßnahmen mit Länderchefs zu vereinbaren, die nun vom Parlament bestätigt werden. Man muss sich den Vorgang vorstellen. Es mag Experten geben und Rat und Sachverständige wie auch immer. Wenn ein Parlament sich zum Beispiel gegen den Zwang, eine Maske zu tragen, gegen die Schließung des kulturellen Sektors entschieden hätte, dann wäre das eine vollkommen legitime demokratische Entscheidung. Sie hätte vielleicht, nach Ansicht der Experten, desaströse Folgen, aber die Demokratie mit ihren Entscheidungsprozeduren ist die Bedingung unseres Zusammenlebens. Die Folgen einer Erosion der demokratischen Abläufe und Verfahren könnten sich in Zukunft verheerender erweisen als die schlimmsten Folgen der Pandemie. Der Umgang mit dem Ausnahmezustand Pandemie wird ein Exempel für jede autoritäre Regierung sein, weil eine Klärung dessen, was wahr ist, unterbunden wurde.
Gesetzt den Fall, dass die Impfung, die im Schnellverfahren entwickelt und studiert wurde, ein hohes Potential von Nebenwirkungen hat, wäre es ebenso die Pflicht eines Politikers, die Bevölkerung darüber zu informieren, anstatt Heilsversprechen in die Welt zu setzen und bereits Impfzentren zu installieren. Eine verantwortungsvolle Politik sollte auch den Plan B haben, d.h. demokratisch zur Entscheidung geben, ob man kollektiv und staatlich diese Impfung überhaupt haben will. Zumindest ein Abwarten hätte große Vorteile. Man würde erstens etwaige Nebenwirkungen ausschließen, die sich nur langfristig zeigen. Zudem würden die Preise sinken. Und außerdem entstünden in den nächsten Jahren weitere, vielleicht bessere und ungefährlichere Impfstoffe. Man müsste sich aber in diesen Zustand einrichten können, d.h. eben keinen Lockdown machen, sondern das gesellschaftliche Leben weiter führen, aber auf solch einem Level, der eine Ausbreitung dennoch verhindert. Das wäre durchaus möglich.

Nachweise:
Journalist Heribert Prantl über Corona und Demokratie, 3sat Kulturzeit, 19.11.2020, insbesondere ab Minute 2.48', https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/infektionsschutzgesetz-corona-und-demokratie-100.html [Link]
Deutscher Bundestag: Bundestag stimmt für drittes Bevölkerungsschutzgesetz, 18.11.2020, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw47-de-bevoelkerungsschutz-804202 [Link]


Clemens Arvay über die Risiken der COVID-19-Impfungen

2020.11.18

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 39)

Was passiert, wenn eine Impfung gegen COVID-19 zur Verfügung steht?

Angela Merkel beteuert, dass es keine Impfpflicht geben wird und es eine freiwillige Entscheiung sein werde, ob man sich impfen lasse.1 Es ist davon auszugehen, dass es aber Regelungen geben wird, die diejenigen bevorzugen, die geimpft wurden. Man denke hier etwa an die Quarantäne-Regelungen für Reisende. Was passiert, wenn jemand sich nicht hat impfen lassen und nach Deutschland einreist? Wird er nur getestet? Muss er in Quarantäne? Das sind Fragen, die wichtiger sind als ein Impfzwang/eine Impfpflicht.
Man wird auch sehen, wie die Medien reagieren. Was passiert, wenn die ersten Menschen geimpft wurden? Dadurch wird sich die unmittelbare Situation in keiner Weise ändern. Aber wird es nicht doch eine Tendenz geben, das Thema Infektion durch Corona von der Agenda zu nehmen?

Anzahl der COVID-19-Tests pro Woche: 1.6 Millionen

Wie Statista2 angibt, liegt derzeit die Anzahl der wöchentlichen COVID-19-Tests bei 1,6 Millionen. Ich habe im August für meinen Test ca. 200,- € bezahlt. Die Regierung erhält einen Bonus und veranschlagt die Kosten für einen Test mit nur 50,50- €.3 so kommt man auf folgenden Betrag:

1.600.000 Tests pro Woche * 50,50- € = 80.800.000,- € pro Woche

Also ca. 81 Millionen Euro werden jede Woche nur für Testungen ausgegeben. Menschen ohne Symptome wissen dann, dass sie infiziert sind. Angesteckt haben sie inzwischen ohnehin schon viele, immerhin wird eine weitere Ansteckung dann verhindert, wenn sie sich vernünftig verhalten. Aber kann man das Geld nicht sinnvoller ausgeben, indem man nur die testet, die Symptome, schlimme vielleicht, haben? Denn 81 Millionen Euro jede Woche ist viel Geld und direkt geholfen ist mit einem Test niemandem.

Bedingungen der Pfizer/Biontech-Studie

Glücklicherweise ist die Studie für den neuen RNA-Impfstoff von Pfizer/Biontech öffentlich einsehbar. Dort heißt es:
»Contraceptive Guidance
10.4.1.Male Participant Reproductive Inclusion Criteria
Male participants are eligible to participate if they agree to the following requirements during the intervention period and for at least 28 days after the last dose of study intervention, which corresponds to the time needed to eliminate reproductive safety risk of the study intervention(s):
•Refrain from donating sperm.
PLUS either:
•Be abstinent from heterosexual intercourse with a female of childbearing potential as their preferred and usual lifestyle (abstinent on a long-term and persistent basis) and agree to remain abstinent.
OR
•Must agree to use a male condom when engaging in any activity that allows for passage of ejaculate to another person.
•In addition to male condom use, a highly effective method of contraception may be considered in WOCBP partners of male participants (refer to the list of highly effective methods belowin Section 10.4.4).«4
Das heißt also, dass in der Studie vermieden werden soll, dass solche Personen teilnehmen, die während der Testphase Kinder zeugen. Ähnliches gilt auch für die Frauen:
»Female Participant Reproductive Inclusion Criteria
A female participant is eligible to participate if she is not pregnant or breastfeeding, and at least 1 of the following conditions applies:
•Is not a WOCBP (see definitions belowin Section 10.4.3).
OR
•Is a WOCBP and using an acceptable contraceptive method as described below during the intervention period (for a minimum of 28 days after the last dose of study intervention). The investigator should evaluate the effectiveness of the contraceptive method in relationship to the first dose of study intervention.
The investigator is responsible for review of medical history, menstrual history, and recent sexual activity to decrease the risk for inclusion of a woman with an early undetected pregnancy.«5
WOCBP ist übrigens die Abkürzung für Woman of Childbearing Potential. Sollte man aber nicht gerade hierauf achten? Hat man, nach den Erfahrungen von Contergan, die Risiken von Schwangeren dennoch im Blick? Und wäre es nicht geboten, gerade bei einem RNA-Impfstoff, der so tief in die Zellen eingreift, diese Frauen, die - wider erwarten - während der Testphase schwanger wurden, zu beobachten und dann abzuwarten, ob diese Kinder auch wirklich gesund sind und keine ungewöhnlichen Komplikationen auftreten?6 Man muss doch davon ausgehen, dass sich Frauen werden impfen lassen und dann auch Kinder zeugen werden. Wie lange zirkuliert der Impfstoff in der Blutbahn, im Körper, in den Zellen? Das sind Fragen eines Laien wie mir. Aber ich finde sie nirgendwo beantwortet. Das macht mir Sorge.

Nachweise:
1 Bundesregierung: Tag der offenen Tür der Bundesregierung. Kanzlerin Merkel beantwortet Ihre Fragen, 8.11.2020, ab Minute 3.59', https://www.bundesregierung.de/breg-de/mediathek/die-kanzlerin-antwortet-1809250 [Link]
2 Mathias Brandt, Statista: 1,6 Millionen Tests pro Woche, https://de.statista.com/infografik/23253/anzahl-der-in-deutschland-
durchgefuehrten-covid-19-tests/ [Link]
3 Bundesregierung: Spahn: »Wenig zu testen ist teurer, als zu viel zu testen.«, »10. Wieviel kostet der Test?Für die Labordiagnostik erhalten die Leistungserbringer pauschal 50,50 €. Dies beinhaltet den Nukleinsäurenachweis des beta-Coronavirus SARS-CoV-2 einschließlich der allgemeinen, insbesondere ärztlichen Laborleistungen, Versandmaterial und Transportkosten.«, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/corona-test-vo.html [Link]
4 Pfizer: A PHASE 1/2/3, PLACEBO-CONTROLLED, RANDOMIZED, OBSERVER-BLIND, DOSE-FINDING STUDY TO EVALUATE THE SAFETY, TOLERABILITY, IMMUNOGENICITY, AND EFFICACY OF SARS-COV-2RNA VACCINE CANDIDATES AGAINST COVID-19 IN HEALTHY INDIVIDUALS, Study Intervention Number:PF-07302048, https://pfe-pfizercom-d8-prod.s3.amazonaws.com/2020-11/C4591001_Clinical_Protocol_Nov2020.pdf#page132 [Link], S. 132.
5 Ebenda, S. 132.
6 Wie es heißt, bleiben diese Frauen dann in der Beobachtung: »In the case of a positive confirmed pregnancy, the participant will be withdrawn from administration of study intervention but may remain in the study.« (Ebenda, S. 65), allerdings nur einen begrenzten Zeitraum: »Details of the pregnancy will be collected after the start of study intervention and until 6 months after the last dose of study intervention.« (Ebenda, S. 68).

2020.11.14

Reise nach Nikkō 日光 (erster Tag). Vorwärts- und Rückwärtsfahren als Bewusstseinstechnik. Senjōgahara 戦場ヶ原. Lagerfeuer und Sternebeobachtung

Während in Deutschland ein absoluter Lockdown droht, hat man hier in Japan das Virus im Griff. Alle sind vernünftig, beschränken, ich denke, das ist das Wichtigste, ihre Kontakte. Es fehlen aber die Touristen. Daher hat man das Programm Go to Travel aufgelegt, um die Reisebranche zu stützen.1 Man spendiert den (Inland-)Touristen etwa ein Drittel der Übernachtungskosten in Hotels, gewährt Rabatte auf das Essen etc. Ich wollte sowieso reisen, nahm das Ganze aber zum Anlass, um nach Nikkō zu fahren und Herbstblätterschau zu machen, momijigari, 紅葉狩り.
Von Mita bis nach Asakusa, von wo aus der wirklich sehr komfortable Expresszug nach Tōbu-Nikkō fährt, kommt man mit der Asakusa-Line direkt hin. Aber von den Asakusa-Bahnhöfen gibt es drei mit gleichem Namen, jeweils einige hundert Meter voneinander entfernt. Ich hatte schonmal den Fehler gemacht und tappte erneut in die Falle, verirrte mich um 5.50 Uhr in der leeren Hoppy-dōri, ホッピー通り. Schließlich fragte ich am dortigen Bahnhof Asakusa II die nette Dame am Informationshäuschen, das an jeder Schranke ist, und stellte fest, dass ich vormals bereits nahe des richtigen Bahnhofs war. Der, den ich suchte, ist eigentlich ein Matsuya-Kaufhaus. Die Straßen gehen nicht rechtwinklig ab, so dass Verirren trotz GPS dazugehört. Aber alles klappte wie immer prima. Man hilft in Japan jedem. Schaut man fragend, ist sofort jemand da, das finde ich nett und mache es auch selbst so.

Im Zug, einem Limited Express, der direkt nach Tobu-Nikkō fährt, bereitet eine Hilfskraft 20 Minuten vorher den Zug vor, säubert ihn und dreht die Sitze, so dass alle in Fahrtrichtung sitzen. Was macht es mit dem Bewusstsein, denke ich, wenn, wie in Deutschland, die Hälfte der Passagiere während der Fahrt rückwärts sitzt, weil man nicht daran gedacht hat, das Denken zu starr war, sich solch eine Mechanik nicht ersann, sie zu teuer war bzw. vielleicht sogar jemand die Privatisierung der Bahn auf diesem Weg sabotieren wollte? Beim Rückwärtsfahren wird die Perspektive zusammengezogen, während sie beim Vorwärtsfahren sich vor den Augen dehnt. Der Eindruck von Last und Schwere stellt sich beim Rückwärtsfahren ein, weil alles auf einen einzustürzen scheint, so als würde die Fahrt einem etwas aufbürden. So ist es keineswegs nur eine einfache Mechanik, die fehlt. Das Bewusstsein der Hälfte der Passagiere wird auf diese Weise geprägt, negativ geprägt, wie ich meine. Beim Vorwärtsfahren liegt die Last hinter einem, man hat Orientierung und sieht, wohin man fährt, ist also auf die Zukunft hin orientiert. Das ist positiv und schön. Man sollte vielleicht noch erwähnen, dass die Platzreservierung zum Ticket dazugehört. Macht ja auch Sinn...
Irgendwann im Sommer war ich schonmal in Senjōgahara 戦場ヶ原 und wollte nochmal dorthin. Es ist ein Naturschutzgebiet auf einem Hochplateau in der Provinz Tochigi. Leider war das Laub schon gefallen, aber ich mag die Atmosphäre dieses Ortes, das Licht ist bläulich, dazu die Brauntöne der Graslandschaft. Es ist still, keine Windräder, kein Infraschall, kein Brummen. Viele Vögel gibt es hier und Photographen, die an ihren Stativen warten, bis ein Exemplar sich zeigt und dann Photos schießen. Beim Gehen merkte ich erst, wie der Stress abklang. Man spürt das, wie die Ruhe kommt, mit jedem Schritt. Man muss nicht viel dazu tun, braucht nicht zu denken. Einfach gehen, atmen, die Natur genießen.
Schließlich lief ich am Yuno-See nach Oku-Nikkō 奥日光 (Yumoto Onsen, 湯元温泉). Dort kann man viele Sterne sehen, aber es war sehr kalt, sicherlich Minusgrade, klarster Himmel. Es gibt in dem kleinen Ort heiße Thermalquellen, Onsen, Hotels mit Onsen, viel Natur, Schwefelwasserquellen. Kneipen, Restaurants, Cafés fand ich keine, die geöffnet hatten, aber am Nikko Yumoto Visitor Center, 日光湯元ビジターセンター, war man sehr nett, ließ mich am Kaminfeuer sitzen, einen Kaffee trinken und als man schloss, dunkelte es bereits. Ich ging noch etwas umher in der Kälte, am See entlang, da sah ich ein Lagerfeuer. Wie eine Fata Morgana. Niemand war da. Konnte das sein? Aber es war ein schöner Platz, umsäumt von Bäumen und dort loderten die Holzscheite. Das ist in Japan oft so. Ich hätte noch nichteinmal gewünscht, dass es solch ein Feuer hier gebe, aber da ist es dann. Ein Feuer für niemand. Und doch für jemand, in diesem Fall für mich. Das ist ganz unökonomisch gedacht, verschwenderisch, und das gefällt mir. Ein Zufallsfeuer. Also wärmte ich mich nochmals, am Lagerfeuer, diesmal direkt an den Flammen.

Es ist eine andere Wärme als die künstlich erzeugte, eine haptische. Man kann mit den Händen und dem Leib die Strahlen der Wärme und des Lichts fühlen. Im Lagerfeuer verzeitlichen sich die Wärmegrade. Das Feuer erzeugt aus der Materie immaterielle Feuerauren, hier ereignet sich eine Metamorphose der Energie. Es ist synästhetisch, knackt und rauscht, dabei wirken die tänzelnden Flammen hypnotisch, man möchte nicht mehr weg vom Feuer, vielleicht dem Beginn aller Kultur. Ich erwartete gespannt die Dunkelheit. Die ersten Sterne funkelten schon. Ich photographierte viel, aber leider ist das Objektiv meiner Canon M6 nicht lichtstark genug, außerdem lässt sich die manuelle Schärfe ganz schlecht in Dunkelheit auf Unendlich stellen... Einige Tesla-Starlinks zogen wohl schon ihre Bahnen, aber die Milchstraße war wunderschön. Die Berge wirken hier wie ein Lichtverschmutzungsschutz. Deshalb warb man auch für das Sternebeobachten, klar.2 Ich nahm schließlich ein Onsen-Fußbad, das öffentlich ist, ziemlich heiß, in einer Hütte unter freiem Himmel und setzte mich in den letzten Bus, müde.
Nachweise:
1 Siehe hierzu: https://www.timeout.com/tokyo/travel/everything-you-need-to-know-japan-go-to-travel-campaign [Link]
2 Siehe hierzu: https://star-nikko.org/ [Link]

2020.11.09

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 38)

Die Corona-Konditionierung

Die Medien spinnen uns seit Monaten in einen Kokon von Corona-Botschaften ein. Deren selbsternanntes Ziel ist es, zu informieren. Aber was gleichzeitig geschieht, absichtlich oder unabsichtlich, ist eine massive Beeinflussung der Rezipienten. Die immer wieder gezeigten Bilder von Spritzen, der in den Rachen geschobenen Teststäbchen, der beatmeten Menschen auf den Intensivstationen und der Särge bewirken eine massenmediale Konditionierung. Es braucht kein Argument mehr, das Stichwort der steigenden »Fallzahlen« genügt für die Begründung eines zweiten kulturellen Lockdowns. Kommen die genannten Bilder hinzu, ergibt sich ein Cocktail, der stark genug ist, um jede Kritik zu ersticken. Wie bei einer Dressur genügt es den Politikern nun, bestimmte Bilder und Wörter aufzusagen, um eine entsprechende Wirkung zu erzeugen. Die darum medial inszenierten Diskussionen dienen in der Regel nicht dazu, diese Bilder zu hinterfragen, sondern sie verstärken sie, weil sie diese perspektivisch nochmals verschieben und diskursiv übersetzen. Gehen wir davon aus, dass diese Maßnahmen keineswegs temporär sind, sondern wir uns an sie bereits gewöhnt haben und vielleicht noch mehr gewöhnen werden. Sie werden, selbst bei einer sofortigen Bereitstellung eines Impfstoffes, noch einige Zeit andauern. Was mich dabei besonders irritiert, ist die verständnisvolle Stimme, die Selbstthematisierung der Demokraten, man wisse, was man den Menschen mit den Maßnahmen zumute. Das zieht der Kritik den Boden unter den Füßen weg. Man sollte dabei die Corona-Maßnahmen einmal nicht als Sonderfall betrachten, sondern in eine Reihe von Sicherheits-, Polizei- und Kontrollmaßnahmen stellen, die seit Jahrzehnten bereits verschärft wurden. In dieser Hinsicht fügen sich die Corona-Maßnahmen in eine Weise des Umgangs mit Bedrohungen (sei es durch Terroristen, durch Viren, durch Erderwärmung etc.) ein, die als einzige Antwort Kontrolle und Überwachung bereit hält. Welche alternativen Formen gäbe es?


Drosten spricht über Schiller und Freiheit

Virologe Prof. Dr. Christian Drosten hält die Schillerrede 2020, spricht über den Begriff der Freiheit und schränkt gleich ein, dass es doch auch um Verantwortung gehe, da »beide Elemente einander bedingen, und zwar elementar«. Wie viele Theaterbühnen wird es in Zukunft noch geben, die Schiller spielen, nach diesem verantwortungsvollen Handeln der Politik, das »ausschließlich den Fakten verpflichtet« ist? Drosten spricht in seiner Rede über Schiller und nennt nur ein einziges Zitat des Dichters und Denkers, in der vorletzten Minute des Vortrags, aus den Xenien. Man könnte auch folgendes Aperçu anführen, das einer Deutung in unseren (Quarantäne-)Zeiten würdig wäre: »[...] die schönsten Träume von Freiheit werden ja im Kerker geträumt.« (Schiller, F.: Theoretische Schriften. Prosaische Schriften. Zweite Periode, Briefe über Don Carlos, 2. Brief, 1788)
Nachweis:
Schiller: Briefe über Don Carlos. Zweiter Brief, https://www.friedrich-schiller-archiv.de/briefe-ueber-don-carlos/zweiter-brief-2/ [Link]

2020.11.08

Exotismen in der Kritik. Einladung zur virtuellen Auftaktveranstaltung mit dem Berliner Komponisten Don't DJ (Florian Meyer), am 21.11.2020

Eine japanisch-deutsche Forschungsgruppe, die dem Ortslektorenprogramm des DAAD verbunden ist, plant in den kommenden Jahren eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Veranstaltungsserie zum Thema »Exotismen in der Kritik«.
Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe findet am Samstag, den 21. November 2020, von 18 bis 21 Uhr eine vom DAAD geförderte ZOOM-Session mit dem Berliner Komponisten Don't DJ (Florian Meyer) statt. Sein Album »Authentic Exoticism« (2016) bietet elektronische Musik, die mit außereuropäischer Polyrhythmik und der Hybridisierung fremdartiger Klänge überrascht.
Die jeweils aktuellsten Informationen finden Sie auf der Homepage der Arbeitsgruppe unter: https://exotismus.wordpress.com/ [Link]

2020.11.07

Günther Anders. Notizen zur Geschichte, zum Römer und zur Scham in Japan

Gerade bereite ich ein Seminar zu Günther Anders vor, das ich im nächsten Semester halte. Dazu habe ich mir einen Stapel von Büchern bestellt, die verfügbar sind, und diese heute durchgeblättert. Da gab es viel, was ich nicht kannte. Anders ist ein Autor, der sich schwer einordnen lässt. Natürlich könnte man ihn als Phänomenologen beschreiben, aber er ist auch Gesellschaftskritiker, Essayist, Briefeschreiber, Medienanalytiker etc. und vor allem: Sein Denken liegt quer zu Schulen und zur Ideologie, es eckt an. Bei meinen Streifzügen durch sein Werk habe ich schon einige schöne Stellen gefunden, zum Beispiel:
»Chance der Entfernung
Um einen Stern, der längst schon verglüht ist, noch strahlen zu sehen, muß man sehr weit von ihm entfernt sein. Es gibt sogar Vergangenheiten, die uns, weil sie so weit entfernt stattgefunden haben, überhaupt noch nicht erreicht haben.«1
Das könnte von Walter Benjamin sein. Schön finde ich daran, dass es einerseits astronomisch richtig ist, weil wir das Licht entfernter Sterne jetzt erst sehen, obwohl diese vielleicht gar nicht mehr existieren. Es lässt sich aber auch als eine Art Gleichnis verstehen. Und tatsächlich ist Geschichte ja nicht abgeschlossen. Die frühere Geschichte ist uns vielleicht nicht viel bekannter als die Zukunft... Von welcher Vergangenheit werden wir in Zukunft erst erfahren?
Am 16. Februar 1953 ist Anders dann in Frankfurt. Die Stadt zerbombt und wiederaufgebaut. Und er schreibt über den Römer:
»Da stand ich also, wo der ›Römer‹ einst gestanden hatte. [...] Und blickte hinüber zu jenen Häusern, auf die die Blicke der großen Herren, wenn sie während der Kaiserkrönung aus dem Fenster schauten, hatten fallen müssen. Aber durch diese Häuserfront blickte ich hindurch, weil sie nicht mehr da war. Und durch die Häuserzeile dahinter ebenfalls, weil sie ebenfalls nicht da war. Und so durch Front hinter Front, weil nichts mehr da war: und sah vor mir, was keiner der Herren vom ›Römer‹ aus je hätte sehen können: das Münster vom Fuß bis zur Spitze. [...] Als ich mich aber umwandte, wie um einzutreten in das NIchts, das der Römer gewesen war, da war doch noch etwas da. Und | dieses ›etwas‹ verdient ein paar Worte. Denn es hat mir von neuem bewiesen, daß, wo das Echte zu Grunde geht, Unechtes echt werden kann. Daß doch noch etwas vom Römer stand, stimmt freilich auch nicht ganz. Vielmehr hatte man, schon um die Wende unseres Jahrhunderts, zwei damals brüchige Häuser, die Stücke der Front des Römers gewesen waren, durch zwei neue ersetzt. Getreulich hatte man sie den alten nachgebaut, nur solider errichtet, als man sie früher hätte errichten können. Und diese unechten, diese Ersatzstücke, diese Römerhäuser zweiter Hand sind es, die ich meinte, als ich sagte, daß doch noch etwas da sei. Denn da sie schon vor dem Untergang da waren, und die einzigen Stücke sind, die ihn überlebt haben, sind sie nun die Stücke von ehemals, und sie das Alte. Und wenn sie schon morgen, ohne Einschränkung oder Hintergedanken, ›der Römer‹ heißen werden, so werden sie diesen Namen mit Recht tragen und der Römer sein.-«2
Vor einigen Jahren wurde ›der Römer‹ bzw. die Frankfurter Altstadt wieder aufgebaut. Heute gilt das von Anders Gesagte aber dennoch, das Echte scheint sich häuten zu können.
Und dann ist Anders auch ein Mittler zwischen Amerika, Deutschland und Japan. Anders hat sich mit dem Gefühl der Scham gründlich beschäftigt und kommt angesichts eines Gesprächs über eine ›Nackedei-Demonstration in Zürich‹ auf Japan zu sprechen und die Onsen-Bäder, in denen offenbar damals noch keine Geschlechtertrennung herrschte:
»Scham exportieren?«»
»Das ist ein alter Hut. Scham-Export begann ja bereits mit dem Kattun-Import nach Afrika.«
»Sie meinen, die Amerikaner haben nun Badeanzüge in Japan eingeführt?«
»Das weiß ich nicht. Aber blamabel genug hat es angefangen. Damit | nämlich, daß sie, die sie noch ein paar Wochen zuvor so obszön gewesen waren, durch Abwurf der Atombomben Hunderttausende von Japanern umzubringen, an dem angeblich schamlosen Nacktbaden der Japaner in öffentlichen Bädern Anstoß nahmen und in dem von ihnen vergewaltigtem Lande offenbar nichts Eiligeres zu tun hatten, als von den dortigen Behörden zu verlangen, diesen Nackedei-Skandal unverzüglich abzustellen; also die Bevölkerung dazu zu veranlassen, sich so zu benehmen, als wenn sie sich, wie es sich gehörte, voneinander schämte. Es gibt nichts Entsetzlicheres als die ethnologische Ignoranz von Missionaren. Aber diese ist wohl die unverzichtbare Bedingung ihrer Erfolge.«
»Und die Japaner ließen sich zur Scham verführen?«
»Sie machen Fortschritte.«3
Diese Anekdote steht in mehrerlei Hinsicht dem politisch korrekten Denken quer. Es sind aber genau Beobachtungen wie diese, die sonst von niemandem gemacht bzw. nicht beschrieben wurden. Man könnte ihm vorwerfen, er verharmlose die Schuld Japans, aber er spricht diese kurz später genauso an wie er die Rolle Amerikas kritisiert. So steht Anders zwischen den Stühlen und sein Denken schillert.
Nachweise:
1 Günther Anders (2002) [1965]: Philosophische Stenogramme, München: Beck, S. 32.
2Ders. (2006): Tagesnotizen. Aufzeichnungen 1941-1979, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 113-114.
3Ders. (1996): Ketzereien, München: Beck, S. 151-152.

2020.11.02

Dr. Andreas Gassen (KBV) über die Wichtigkeit, nicht nur die Infektionszahlen bei COVID-19 im Blick zu haben


Positionspapier von Wissenschaft und Ärzteschaft zur Strategieanpassung im Umgang mit der Pandemie, https://www.kbv.de/html/48910.php [Link]

Urheberrecht. Links

Anbei einige Links zum Urheberrecht:
Peter Mühlbauer: Rechteinhaberindustrie streitet um Umsetzung von Uploadfilter-Richtlinie, Telepolis, 18.11.2019, https://www.heise.de/tp/features/Rechteinhaberindustrie-streitet-um-Umsetzung-von-Uploadfilter-Richtlinie-4588596.html [Link]
Christoph Jehle: Der meist übersehene Artikel 12 , Telepolis, 8.5.2019, https://www.heise.de/tp/features/Der-meist-uebersehene-Artikel-12-4417894.html [Link]
Institut für Urheber- und Medienrecht, https://www.urheberrecht.org/ [Link]
Institut für europäisches Medienrecht, https://emr-sb.de/publikationen/vortraege-und-praesentationen/[Link]
Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz: DiskE: Zweites Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Gesetz_II_Anpassung-Urheberrecht-dig-Binnenmarkt.html[Link]
Urheberrecht.de: Die Urheberrechtsreform: Streitpunkt zwischen Wissenschaft und Markt, https://www.urheberrecht.de/urheberrechtsreform/[Link]

Der Damm II. Die Urayama-Talsperre





Die Urayama-Talsperre (浦山ダム), die ich gestern besuchte, macht die Weise, wie der Mensch die Natur domestiziert, auf eine besondere Weise anschaulich. Industrielle Naturästhetik. Von unten erscheint er als eine ungeheure Mauer, von oben gesehen ist der Damm ein einziger Schatten auf dem Tal. Zum Wasser hin Quasi-Natur, Wasserbecken. Das Ufer des künstlichen Sees ist mit Beton verkleidet. Das Wasser glitzert. Manche besuchen den Damm. Die meisten bleiben hier nur kurz, wandeln. Viele nehmen den Aufzug. Die Treppe ist aber interessanter. Sie macht die Höhe erfahrbar. Ägyptische Gigantomanie. Die Kraft des Wassers vs. Beton. Fließen vs. Starre. Unten ein Gebirgsbach, azurblaues Wasser, grün schillernd im Licht.
Nachweise:
Urayama-Talsperre auf Google-Maps, X332+9X Chichibu, Saitama

Merkels Märchen

In der bereits in meiner Eintragung vom 31. Oktober erwähnten Rede von Frau Merkel zitiert diese aus einem Interview mit der Youtuberin, Moderatorin und Wissenschaftsjournalistin Thi Nguyen-Kim, das Claus Kleber in einem ZDF-Interview am 18. Oktober geführt hat.1 Anders als Rezo, dessen »Zerstörung der CDU«-Video bei Kramp-Karrenbauer die Idee weckte, das Internet nach analogem Modell zu zensieren (»Was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich?«2), adelt Bundeskanzlerin Merkel die Youtuberin, indem sie sagt, dass sie »persönlich nie so anschaulich formulieren könnte wie sie«3. Man war gespannt, was nun für Einsichten folgen würden. Aber dann zitiert Merkel Nguyen-Kims märchenhafte Beschreibung des Virus, worauf die AfD-Opposition sogleich lautstarke Einwürfe erhob:
»Es ging ihr um unsere Haltung zu dem Virus, das – man stelle sich mal vor, es könnte denken – von sich denken würde – ich zitiere –:
Ich habe hier den perfekten Wirt. Diese Menschen, die leben auf dem ganzen Planeten, die sind global stark vernetzt, sind soziale Lebewesen; die können also nicht ohne soziale Kontakte leben.
(Karsten Hilse [AfD]: Sagen Sie mal, sind wir hier im Kindergarten? Was soll denn das? Was ist denn das für ein Niveau? Entschuldigung!)
Die sind hedonistisch veranlagt, die gehen gerne feiern. Also, besser kann es gar nicht sein! Weiter sagte sie – jetzt wieder aus der Perspektive der Menschen –:
(Karsten Hilse [AfD]: Manometer!)
Nee, Virus! Hast du denn gar nichts aus der Evolution gelernt? Da haben wir Menschen ja schon mehrfach gezeigt, dass wir verdammt gut darin sind, uns in schwierigen Situation anzupassen ...
(Zurufe von der AfD)
Wir werden dir zeigen, dass du dir hier den falschen Wirt ausgesucht hast.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Lachen bei der AfD – Zuruf von der AfD: Grundschulniveau! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Einfache Sprache für die AfD!)
Und aus all dem schlussfolgerte Frau Nguyen-Kim: Wenn wir uns klarmachen, dass es sonst auch viel schlechter laufen könnte, kann man da auch die Motivation für manchen Verzicht draus ziehen.
(Zuruf von der AfD: Infantil ist das! Infantil!)
In anderen Worten: So wie wir Menschen schon so viele große Probleme in unserer Geschichte bewältigt haben, so kann auch in der Pandemie jede und jeder von uns aktiv dazu beitragen, dass wir diese Pandemie mit vereinten Kräften bewältigen. Aktiv dazu beitragen, das heißt in diesem Fall verzichten: auf jeden nicht zwingend erforderlichen Kontakt. Das genau ist der Kern der Pandemiebekämpfung, an dem unsere Maßnahmen alle ansetzen 4
Man fragt sich tatsächlich, warum Merkel an dieser Stelle die Erzählung nach Art einer Fabel, die einfacher kaum sein kann, nochmals erklärt - und was an dieser Schilderung so einzigartig sein soll. Man kann zu keiner anderen Schlussfolgerung kommen, als dass sie das Plenum nicht ernst nimmt. Sie entzieht sich der Debatte, indem sie aus einer (gut gemeinten) extrem popularisierenden Erklärung von Frau Nguyen-Kim ein Modell für ihre Corona-Politik macht. Mit dem an Kinder- und Jugendliche gerichteten Erklärmodell kapselt Merkel die Debatte regelrecht ein, indem sie die Chance vertut, einen Transfer in eine Politiksprache zu leisten. Man könnte hier ein Gegenmärchen erzählen. Das würde von einer Gesellschaft handeln, die die Mitmenschlichkeit, Tugenden wie Hilfsbereitschaft und Gemeinschaft auch inmitten einer Pandemie nicht aufgibt und sich diese Werte von einem Virus nicht nehmen lässt. Die weiß, dass Freiheit, Vertrauen in den Anderen (auch wenn dieser vielleicht ein Virusüberträger ist) manchmal einen hohen Preis haben und dass Öffentlichkeit nicht nur technisch betrachtet werden kann, als ›Erhöhung des Infektionsgeschehens‹, sondern dass dies Fundamente der Demokratie sind und man sehr genau abwägen sollte, wann man diese aufgibt. Märchenerzählungen können hier als Einstieg in eine Debatte dienen, aber sie genügen nicht, um solche massiven Eingriffe in die Demokratie, das Kulturleben und die Wirtschaft zu rechtfertigen. Man hätte sich Zahlen gewünscht. Wenn Merkel einsteigt, indem sie sagt, dass die »Zahlen der Neuinfektionen mit dem Coronavirus deutlich in die Höhe geschnellt«5 seien, so müsste dem eine Aufschlüsselung folgen. Die bloßen positiven Testergebnisse als Grund anzuführen für eine solche Politik, das ist sehr dürftig. Man müsste doch hier konkrete Statistiken haben: Wie viel Prozent dieser Menschen, die positiv getestet wurden, haben Symptome? Wie viel Prozent haben schwere Symptome, welche? Wie viele Menschen sind im Krankenhaus und wie viele werden intensiv behandelt? Und wenn man diese Zahlen hat, müsste man auch noch abwägen, wie viele Menschen ursächlich durch COVID-19 schwer erkrankt sind. Nach einer solchen statistischen Aufschlüsselung wäre jeder bereit, einen Diskurs über Maßnahmen zu führen. Aber die geschwinde Aufzählung von in die Höhe schnellenden Zahlen scheint wenig ergiebig und dient bestenfalls einer Emotionalisierung der Debatte. Eine rationale Abwägung von Eingriffen müsste aber diese Angaben haben. Sie müssen erhoben und diskutiert werden, im Anschuss an diese Märchenerzählung.
Nachweise:
1 »Werden dir zeigen, dass du dir den falschen Wirt ausgesucht hast« – das ist die Wissenschaftlerin, die Merkel zitiert hat, Stern, 29.10.2020, https://www.stern.de/panorama/wissen/mai-thi-nguyen-kim--das-ist-die-wissenschaftlerin--die-merkel-in-ihrer-rede-zitiert-hat-9471858.html [Link]
2 Kramp-Karrenbauer muss heftige Kritik einstecken, Süddeutsche Zeitung, 27.5.2019, https://www.sueddeutsche.de/politik/akk-rezo-zensur-meinungsfreiheit-1.4465725 [Link]
3 Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel zur COVID-19-Pandemie und Debatte im Bundestag. 186. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. Oktober 2020, pdf, S. 23356, https://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19186.pdf#P.23351 [Link]
4 Ebenda.
5 Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel zur COVID-19-Pandemie und Debatte im Bundestag. 186. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. Oktober 2020, pdf, S. 23351-23352, https://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19186.pdf#P.23351 [Link]

2020.10.31

Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel zur COVID-19-Pandemie und Debatte im Bundestag. 186. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. Oktober 2020

Angela Merkel hat in ihrer Regierungserklärung zu den COVID-19-Maßnahmen (kultureller Lockdown) gesagt:
»Viele Maßnahmen waren und sind eine ungeheure Belastung. Sie schränken nicht nur hart erkämpfte Freiheitsrechte ein, sondern sie schwächen auch viele Betriebe und Unternehmen; sie erschweren die Bildung, die Kultur, alle Begegnungen, und sie treffen uns im Kern unseres menschlichen Miteinanders. Doch wie all diese Anstrengungen von der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hingenommen werden, mit dem Wissen, dass sie dem Schutz des Gemeinwesens wie auch jeder und jedes Einzelnen dienen, beeindruckt und berührt mich zutiefst. Und dafür möchte ich einmal mehr, auch hier an dieser Stelle, ausdrücklich danken. [...] Diese Pandemie rückt einen Begriff in den Mittelpunkt, [...] der zu unserem Grundwortschatz gehört: die Freiheit. Und dieses Mal ist es sehr konkret; denn die Maßnahmen, die Bund und Länder im Frühjahr und die wir gestern vereinbart haben, schränken die Freiheit ein.[...]Zugleich spüren wir, Freiheit ist nicht: ›Jeder tut, was er will‹, sondern Freiheit ist – gerade jetzt – Verantwortung: [..] Verantwortung für sich selbst, für die eigene Familie, die Menschen am Arbeitsplatz und darüber hinaus für uns alle.«1
Man muss diesem letzten Satz widersprechen, da er die Wahrheit verdreht. Sie meint doch nicht, dass Freiheit Verantwortung sei, sondern das Einschränken derselben. Verantwortliche Freiheit besteht nicht im Verzicht derselben, das darf sicher sein. Und so müsste dieser Satz korrekt lauten: »Freiheitseinschränkung ist – gerade jetzt – Verantwortung: [..] Verantwortung für sich selbst, für die eigene Familie, die Menschen am Arbeitsplatz und darüber hinaus für uns alle.« So gesprochen hätte die Bundeskanzlerin das ausgedrückt, was sie (aus welchen Gründen auch immer) macht.
Nachweise:
1Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel zur COVID-19-Pandemie und Debatte im Bundestag. 186. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. Oktober 2020, pdf, S. 23354-23355, https://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19186.pdf#P.23351 [Link]
Links:
Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel zur COVID-19-Pandemie und Debatte im Bundestag. 186. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. Oktober 2020, Videos, https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7480377#url=bWVkaWF0aGVrb3ZlcmxheT92aWRlb2lkPTc0ODAzNzc=&mod=mediathek [Link]
Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel zur COVID-19-Pandemie und Debatte im Bundestag. 186. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. Oktober 2020, pdf, https://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19186.pdf#P.23351 [Link]

2020.10.29

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 37)

Der kulturelle Lockdown. Was machen Masken?

Nun wird in Deutschland und Teilen Europas der zweite Lockdown kommen. Anders als der erste hat man nun klar formuliert, was nicht als »systemrelevant« gilt und im November geschlossen werden kann: Theater, Opern, Kinos, Vergnügungs- und Freizeitstätten. Schulen sollen weiter geöffnet haben, auch gearbeitet und eingekauft werden kann weiterhin. Der Bund will eine wirtschaftliche Hilfe gewähren für die Ausfälle. Künstlerinnen und Künstler werden Probleme haben, denn sie arbeiten in Projekten, Wissenschaftler und Studierende ebenso.
Man beobachtet es in Deutschland wie in Japan: Die Menschen lachen nicht mehr auf den Straßen. Mir fiel das schon im August auf, aber es hat sich weiter ausgebreitet. Man kann das beurteilen, wie man will, aber die Lebensfreude, Mitmenschlichkeit (wozu selbstverständlich auch das gemeinsame Treffen, das Umarmen, die herzliche Begrüßung gehören) werden durch die technisch gedachten Maßnahmen (Virusbekämpfung gilt als Gesundheitsgarant) massiv in Mitleidenschaft gezogen. Damit nehmen auch unsere Abwehrkräfte ab. Wer sich nicht mehr freut, wird krank, auch ohne Infektion durch das Virus. Ekstase, Ereignishaftigkeit des Lebens, Begegnungen, Lebenssicherheit, Öffentlichkeit, das freie Gespräch und die freie Fortbewegung sind der Kern nicht nur unseres Lebens, sondern auch der Demokratie. Sie geben dem Leben Sinn. Demokratie ist im Kern Öffentlichkeit. Die Corona-Maßnahmen verkehren Tugenden wie Solidarität und Vertrauen und machen aus Opfern und Kranken Täter. Der Andere wird zu einen potentiellen Infektionsherd, einem »Superspreader«, vor dem man sich schützen muss, notfalls mit Polizeigewalt. Zwietracht wird gesät und Denunziantentum gefördert. Das Soziale wird zersetzt und die Menschen atomisiert. Die »Beherbergungsverbote« zeigen, dass der Staat sogar in seinem eigenen Territorium Grenzen zieht. Dazu verschmelzen zunehmend Bereiche des Militärs mit dem der Polizei und diffundieren in die Zivilgesellschaft, wenn etwa Bundeswehrsoldaten in Gesundheitsämtern helfen. Man würde sich nicht wundern, wenn auch private Feiern bald ohne Vorwarnung »kontrolliert« würden, da man befürchtet, es versammeln sich zu viele Fremde auf engem Raum.
Die AHA-Regel (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) wurde von den allermeisten Menschen in Deutschland befolgt - und hat offenbar nichts genutzt. Das Virus breitet sich schneller aus als vorher. Warum? Es ist dies ein Phänomen. Hier in Japan sinken die Zahlen. Vielleicht liegt es daran, dass man hier an die Maske glaubt. Es stellt sich ein massenweiser ›Placebo‹-Effekt ein. Das Maskieren hat in Japan Tradition. In Europa lehnt man die Maske im Inneren ab, man setzt sie widerwillig auf. Es mag auch die Innerlichkeit sein, dass man in Jaoan tatsächlich die sozialen Kontakte massiv einschränkt und beschränkt.
Im öffentlichen Diskurs wird kaum über die negativen Auswirkungen der Maskierung gesprochen, aber diese sind ebenfalls massiv. Zum einen merkt jeder, dass man schlechter Luft bekommt. Das muss ja auch so sein, sonst würde eine Filterwirkung nicht eintreten. Manche hier in Japan tragen selbst beim Joggen eine Maske. Aber da schlägt dann die negative Wirkung auf die Atmung vollends durch. Man kann natürlich Studien durchführen, um diesen Effekt, den jeder spürt, auch noch empirisch darzulegen und zu quantifizieren. Muss man das Geld für solche Studien investieren, für etwas, was man direkt wahrnimmt? Dazu verschwindet die Physiognomie und damit ein fundamentaler Bereich der nonverbalen Kommunikation aus dem Alltag. Das erlebt man als eine Gefühlskälte, weil die Menschen nicht unmittelbar miteinander in Kontakt treten können. Die Mimik wird unlesbar, wir wandeln durch eine gesichtslose Welt. Das erinnert mich an die Inquisition, an Pink Floyds Alptraum-Szenen in The Wall und verheißt nichts Gutes. Dazu kommt der Müll, die Schwierigkeit, eine Brille zu tragen, weil diese permanent beschlägt usw.
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Das Virus verschwindet nicht und es gibt keine Impfung und kein Gegenmittel. Dann könnte man jede paar Monate einen Lockdown machen und würde so die Wirtschaft zielgerichtet ruinieren. Dann wäre es von Beginn an besser gewesen, man hätte nichts getan. Dann hätten sich ebenso viele Menschen infiziert und die Wirtschaft wäre einigermaßen stabil geblieben. Es hätte vielleicht, aber auch das ist nur eine Prognose derer, die die Lockdowns befürworten, schlimme Szenen in den Krankenhäusern gegeben. Aber bleiben diese wirklich aus? Warum hat man die Bevölkerung nicht gefragt?
Nachweise:
Informationen der Bundesregierung zum zweiten Lockdown, https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/videokonferenz-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-28-oktober-2020-1805248 [Link]
Informationen der Bundesregierung zum zweiten Lockdown, https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/bund-laender-beschluss-1805264 [Link]
Jan Brachmann, Neuer Lockdown der Kultur. Ein Affront gegen Kulturschaffende, FAZ, 28.10.2020, https://www.faz.net/-gsf-a4wiw [Link]
Soldaten sollen Stadt Frankfurt unterstützen, FAZ, 28.10.2020, https://www.faz.net/-gzh-a4dg0 [Link]
Julia Löhr: Berliner müssen draußen bleiben, FAZ, 12.10.2020, https://www.faz.net/-gqe-a4c84 [Link]
Niklas Zimmermann: Ruft die Stadt Essen zur Denunziation von Bürgern auf?, FAZ, 15.10.2020, https://www.faz.net/-gpg-a4ehb [Link]
Bayern will Corona-Einschränkungen auch in Wohnungen durchsetzen, FAZ, 29.10.2020, https://www.faz.net/-gum-a4y3a [Link]

2020.10.26


Thomas Kellner

Thomas Kellner photographiert Landschaften und Architektur mosaikartig, Facettenoptik, zerlegt die Perspektiven. Man hat den Eindruck, das Bild entstehe aus den Negativstreifen, filmähnlich.
Links:
Thomas Kellner, Homepage, https://www.thomaskellner.com/artworks.html [Link]

Gendersternchen

Peter Eisenberg, Sprachwissenschaftler, schreibt in einem Artikel über die Gendersternchen:
»Lebewesen haben ein Geschlecht, aber nicht Wörter. Keine Sprache der Erde enthält auch nur ein einziges männliches oder weibliches Wort, auch das Deutsche nicht.«
Wozu die ganze Aufregung?
Nachweis:
Peter Eisenberg: Warum korrekte Grammatik keine Gendersternchen braucht, FAZ, 23.10.2020, https://www.faz.net/-gsf-a4ozg [Link]

2020.10.22

Mezzotinto

Die meisten Maltechniken zeichnen Schwarz auf Weiß. Das Mezzotinto verfährt umgekehrt. So leuchtet das Licht im Dunkeln.
Links:
Mezzotinto, https://wp.radiertechniken.de/trockene-techniken/mezzotinto/ [Link]

Shinjirō Okamoto 岡本 信治郎, Kenji Suzuki 鈴木 賢二展

Interessante japanische Künstler: Shinjirō Okamoto 岡本 信治郎, Kenji Suzuki 鈴木 賢二展
Nachweise:
Shinjirō Okamoto, https://www.artbasel.com/catalog/artwork/26951/Shinjiro-Okamoto-Roly-Poly-Cherry-Blossoms-Cherry-Blossom-Labyrinth-Musume-Dojoji [Link]
Shinjirō Okamoto, https://aichitriennale2010-2019.jp/2013/artist/okamoto_shinjiro.html [Link]
Kenji Suzuki, http://www.tokyoartbeat.com/event/2017/4213.en [Link]
Kenji Suzuki, https://www.artagenda.jp/exhibition/detail/1894 [Link]

2020.10.15

Was ist Erinnerung? Improvisierter Wohnzimmervortrag/Gedankengemurmel

In diesem improvisierten Wohnzimmervortrag spreche ich über den Begriff der Erinnerung und des Vergessens.

Folgende Zitate lese ich vor:
»Das Bild für sich ist vorübergehend, und die Intelligenz selbst ist als Aufmerksamkeit die Zeit und auch der Raum, das Wann und Wo desselben. Die Intelligenz ist aber nicht nur das Bewußtsein und Dasein, sondern als solche das Subjekt und das Ansich ihrer Bestimmungen; in ihr erinnert, ist das Bild, nicht mehr existierend, bewußtlos aufbewahrt. Die Intelligenz als diesen nächtlichen Schacht, in welchem eine Welt unendlich vieler Bilder und Vorstellungen aufbewahrt ist, ohne daß sie im Bewußtsein wären, zu fassen, ist einerseits die allgemeine Forderung, den Begriff als konkret, wie den Keim z.B. so zu fassen, daß er alle Bestimmtheiten, welche in der Entwicklung des Baumes erst zur Existenz kommen, in virtueller Möglichkeit, affirmativ enthält.«
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, §453.

»Denn diese Erfindung wird der Lernenden Seelen vielmehr Vergessenheit einflößen aus Vernachlässigung des Gedächtnisses, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern werden.«
Platon: Phaidros.

»Wo immer also etwas ist, so ist es nie in der Gegenwart vorhanden. Wem wir demgemäß Vergangenes der Wahrheit gemäß erzählen, so schöpfen wir zwar nicht die Dinge selbst, die vergangen sind, aus dem Gedächtnis, sondern nur Worte, die den Vorstellungen von Dingen entsprungen sind, die in der Seele gleichsam beim Vorüberziehen dem Geiste Spuren einprägten.«
Augustinus: Bekenntnisse, 11. Buch, 18. Kapitel.

»Daselbst sind mir Himmel, Erde und Meer gegenwärtig und alles, was ich darin wahrnehmen konnte, mit Ausnahme dessen, was ich vergessen habe. Daselbst begegne ich mir auch selbst und bilde mich wieder von neuem, was, wann und wo ich gehandelt habe und wie ich bei meinem Handeln gestimmt war. Dort ist alles, dessen ich mich erinnere, gleichviel, ob ich's selbst erfuhr oder von andern glaubte. Aus demselben Schatze entnehme ich bald diese, bald jene Vorstellungen der Dinge, welche ich entweder selbst kennengelernt oder nach Analogie der mir bekannten andern geglaubt, und verwebe sie mit Vergangenem; und danach überlege ich, was in der Zukunft getan, gehofft werden und sich begeben kann, ich überlege dies, als wäre alles gegenwärtig. ›ich werde dies oder jenes tun‹, spreche ich zu mir in dem ungeheuren Raume meines Geistes, der von Vorstellungen so vieler und so großer Dinge ist,«
Augustinus: Bekenntnisse, 10. Buch, 8. Kapitel.

2020.10.12

Endlagersuche für Atommüll in Deutschland und Japan

Während in Deutschland Expertenkommissionen ganz neutral freilich nach Orten für unterirdische Lagerstätten fahnden, die auch für die nächsten tausend Jahre noch unverändert bleiben werden, melden sich in Japan die zwei Städte Suttsu und Kamoenai in Hokkaido freiwillig, um den Müll aufzunehmen.
Kenji Izawa; Toru Saito: Hokkaido towns apply to become final storage site for nuclear waste, Asahi Shinbun, 9.10.2020, http://www.asahi.com/ajw/articles/13802690 [Link]
Bundesgesellschaft für Endlagerung, https://www.bge.de/de/endlagersuche/zwischenbericht-teilgebiete/ [Link]

Erinnerung der Menschheit. Was ist Geschichte? Improvisierter Audio-Kommentar

In diesem kurzen Stück frage ich nach der Bedeutung von Geschichte.

Unter anderem lese ich folgende Zitate vor:
Herodot Historien [5. Jahrhundert vor Christus]
»Was Herodotos von Kalikarnassos erkundigt, das hat er hier aufgezeichnet, auf daß nicht mit der Zeit vergehe, was von Menschen geschah, noch die großen Wunderthaten ruhmlos vergehen, die Hellenen nicht minder als Barbaren vollbracht, vor allem aber, warum sie wider einander Krieg geführt. (1) Wie die Geschichtskundigen unter den Persern erzählen, sind die Phöniker Schuld an dem Streit.« (Erstes Buch, S. 14)

Leopold von Ranke (1824): Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535, Leipzig u.a.: Reimer
»Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beygemessen [beigemessen]: so hoher Aemter [Ämter] unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: es will bloß sagen, wie es eigentlich gewesen.« (S. v-vi)
https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10408217_00010.html

Walter Benjamin Thesen über den Begriff der Geschichte [1940], GS I.2, S. 695 (Abschnitt VI)
»Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen ›wie es denn eigentlich gewesen ist‹. Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt. [...] auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.«

Kriest, Ulrich: ›Gespenstergeschichten‹ von Texten, die Texte umstellen. ›New Historicism‹ und Filmgeschichtsschreibung. In: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, Jg. 5 (1996), Nr. 1, S. 89–118.
»Größter gemeinsamer Nenner der kulturwissenschaftlichen Praxis ›New Historicism‹ dürfte ›a fascination with what one of the best new historicist critics calls 'the historicity of texts and the textuality of history‹ sein (Greenblatt 1990b, 3) ›Textualität der Geschichte‹ [...] In einem anderen Aufsatz beschreibt Greenblatt die Interessen der ›New Historicists‹: ›[S]ie befassen sich ebensosehr mit der Peripherie wie mit dem Zentrum, und anstelle der Verherrlichung der im Kunstwerk erreichten ästhetischen Ordnung wenden sie sich der ideologischen und materiellen Produktionsgrundlage dieser Ordnung zu‹ (1995a, 13). [...] Historiker Texte schreiben und zumeist auf Texte als Quellen zurückgreifen, andererseits, daß ›der Gegenstand solcher Geschichte wie ein Text verfaßt ist‹ (Struck 1995, 193; Herv.i.O.; vgl. hierzu auch Röcke 1995, 217). Damit stellen sich dem Historiker auf seinem Arbeitsfeld prinzipiell dieselben Probleme wie dem Literaturwissenschaftler (Jelavich 1995, 268f.). Mit der angestrebten Aufhebung der Differenz von Text und Kontext verlieren ästhetische Texte zwar ihren autonomen Status, werden deprivilegiert, dafür aber zu ›Akteuren‹ im Kulturprozeß. Sie haben Teil an der ›gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit‹« (S. 93-94)
DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/505

Martin Heidegger Sein und Zeit [1927], § 73
»Im Museum aufbewahrte »Altertümer«, Hausgerät zum Beispiel, gehören einer »vergangenen Zeit« an und sind gleichwohl noch in der »Gegenwart« vorhanden. Inwiefern ist dieses Zeug geschichtlich, wo es doch noch nicht vergangen ist? Etwa nur deshalb, weil es Gegenstand historischen Interesses, der Altertumspflege und Landeskunde wurde? Ein historischer Gegenstand aber kann dergleichen Zeug doch nur sein, weil es an ihm selbst irgendwie geschichtlich ist. Die Frage wiederholt sich: mit welchem Recht nennen wir dieses Seiende geschichtlich, wo es doch nicht vergangen ist? Oder haben diese »Dinge«, obzwar sie heute noch vorhanden sind, doch »etwas Vergangenes« »an sich«? Sind sie, die vorhandenen, denn noch, was sie waren? […] Nichts anderes als die Welt, innerhalb deren sie, zu einem Zeugzusammenhang gehörig, als Zuhandenes begegneten und von einem besorgenden, in-der-Welt-seienden Dasein gebraucht wurden. Die Welt ist nicht mehr.«

Kracauer, Siegfried (2012) [1947]: Von Caligari zu Hitler, Werke Bd. 2.1, hrsg. von Inka Mülder-Bach und Ingrid Belke, Berlin: Suhrkamp, Einleitung S. 11-24, Caligari S. 13-14.
»Die Filme einer Nation reflektieren ihre Mentalität unmittelbarer als andere künstlerische Medien, und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind Filme niemals das Werk eines Einzelnen. […] Zweitens richten sich Filme an die anonyme Menge und sprechen sie an. Von populären Filmen – oder genauer gesagt, von populären Motiven der Leinwand – ist daher anzunehmen, daß sie herrschende Massenbedürfnisse befriedigen.«

2020.10.10

Improvisierter Filmkommentar

Hier mein improvisierter Filmkommentar zu:
Tedsuka Satoru (手塚 悟): Koboreru (こぼれる, 2011)
Iwai Shunji (岩井 俊二): Swallowtail Butterfly (スワロウテイル, 1996)
Ōmori Tatsushi (大森 立嗣): Every Day a Good Day (日日是好日, にちにちこれこうじつ, 2018) [Sorry, im Kommentar benutze ich die falsche Leseweise...]

Rezension von Mark Schilling: 'Every Day a Good Day': The wonder of tea with Kirin Kiki, Japan Times, 10.10.2018, https://www.japantimes.co.jp/culture/2018/10/10/films/film-reviews/every-day-good-day-wonder-tea-kirin-kiki/ [Link]

2020.10.08

Heute regnet es den ganzen Tag in Tôkyô. Es ist der erste Tag, an dem es herbstlich und kalt ist.

Handexemplar der Kinder- und Hausmärchen online

Das Handexemplar der Grimm'schen Kinder- und Hausmärchen ist mit Anmerkungen online verfügbar. Interessante Sache!
Grimm: Handexemplar der Kinder- und Hausmärchen, https://orka.bibliothek.uni-kassel.de/viewer/image/1433243313511_1/1/ [Link]
Pressemitteilung der Universität Kassel, https://www.uni-kassel.de/uni/aktuelles/meldung/2015/07/23/handexemplare-der-brueder-grimm-jetzt-online-verfuegbar?cHash=abcdead498a462273fec4e1811af2f50 [Link]

Japanischer Filmpreis Blue Ribbon Award

Mit dem Preis werden die besten Filme, Regisseure und Darsteller seit 1951 ausgezeichnet. Auch Yōichi Higashis 東陽一 wunderbares Beziehungsdrama Mō hōzue hatsukanai (もう頬づえはつかない, engl. Verleihtitel No More Easy Life) erhielt 1978 die Auszeichnung.
Liste der Preisträger auf Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Blue_Ribbon_Award [Link]

Digitalstaat (Skizze 17)

Der Staat und die großen Internet-Unternehmen kennen unsere Gefühle sehr genau. Sie haben digitale Karten gezeichnet von unseren Wünschen, Interessen, Interrelationen und Aktivitäten. Aber wir als einzelne Menschen haben noch keine Ausdrucksform gefunden, die dem entspräche. Wir müssten dazu unsere gesamte Weise, wie wir mit unserem Intimen, Privaten umgehen, vollkommen ändern, sensible Ausdrucksformen finden, mit Abgründen umgehen lernen, überhaupt die Grenzen zwischen Ich, Unbewusstem, Anderem viel flexibler und offener handhaben. Dazu fehlt es an Foren etc. So dringen die Internet-Konzerne immer tiefer in unsere Iche ein und wir stehen ratlos daneben, wie es ihnen gelingt, mediale Rüstungen unserer Wünsche zu bauen, für die wir viel bezahlen. Es wäre schon viel getan, wenn man die Schaltstellen der Information für die Forschung öffnen würde, um zu erfahren, was sie wissen. Wenn man dann sehen könnte, was die Konzerne für Daten von uns, nicht nur von mir (das darf man ja jetzt durch die Datenschutzgesetze erfahren), generieren. Aber das Entscheidende ist doch die informationelle Interrelation, die Reaktionstopoi etc. Das wäre ein erster Schritt, dieses Geheimwissen öffentlich werden lassen, ganz langsam, schonend, als Struktur, nicht als Skandal. Dann würde man mehr und mehr den Eindruck haben, man ginge im kollektiven Geist spazieren, die Iche und Innenwelten würden umgestülpt. Um das zu beschreiben, bräuchte man eine expressionistische Sprachrevolution und eine ebensolche in den Umgangsformen.
Lesung Digitalstaat, Skizze 17

2020.10.05

Die Rätselhaftigkeit von Gewalt: Das Grimm’sche Märchen Die Hand mit dem Messer

Das Märchen findet sich nur in der ersten Auflage der Kinder- und Hausmärchen von 1812 (Bd. 1, S. 23-24). Es ist ursprünglich aus Schottland, von Anne Grant aus dem Jahr 1811. Hier meine Lesung und mein improvisierter und skizzenhafter Kommentar dazu.
Lesung Die Hand mit dem Messer

Kommentar zu Die Hand mit dem Messer von Andreas Becker

2020.10.03

Ideen der Photographie. Impressionen von der GfM-Zoom-Jahrestagung

Wenn ich auch nur ein paar Vorträge/Sektionen der GfM-Tagung hören konnte, so inspirierten mich diese doch sehr. Insbesondere möchte ich Carolin Langes und Rolf Sachsses Vorträge erwähnen. Lange sprach über John Herschels (1792-1871) Lichtexperimente mit Pflanzenfarben und stellte diese künstlerisch nach. »Performative Photographie« war ihr Stichwort dazu. In der Diskussion kam dann das Gespräch auf Henri Becquerels Photographie, Robert Hunt. Rolf Sachsse sprach über die Aura der Photographie und die Koronaentladungsphotographie bzw. Kirlianphotographie, über Lichtenberg-Figuren, Peter Keetman, Heinrich Heidersberger Rhythmogramme, Manfred Kage, Hans Holländer (Grenzwissenschaft), über latente Bilder. Das war ziemlich inspirierend. Danke an Jens Schröter für die nette Moderation!
Links:
Homepage Carolin Lange, https://carolinlange.com/info [Link]
Homepage Rolf Sachsse, http://www.rolfsachsse.de/ [Link]
Info Heinrich Heidersberger, https://www.heidersberger.de/pages/heinrich_heidersberger/rhythmogramme/index.html [Link]
Infos Manfred Kage, https://www.kage-science-art.de/ [Link]

2020.10.02




Sanma!

Auf diesen Sanma (秋刀魚, dt. Herbstmakrele) habe ich mich den ganzen Tag gefreut. Und er war wirklich so lecker, wie ich es erinnerte!

2020.09.29

Corona und kein Ende...

In ihrem Artikel über eine neue Studie zu einer möglichen Herdenimmunität gegenüber dem COVID-19-Virus in der Stadt Manaus (Brasilien) schreibt Kathrin Zinkant in der Süddeutschen Zeitung:
»Nur wenige Wochen soll es nach der ersten Infektion im März gedauert haben, bis die Totengräber nicht mehr damit hinterherkamen, neue Gruben für die Opfer auszuheben. Die Zahl der Menschen, die sich mit dem neuen Virus ansteckten, wuchs unerbittlich, im Mai erlagen täglich bis zu 80 Menschen in der brasilianischen 1,8-Millionen-Einwohner-Metropole Manaus ihrer Covid-19-Erkrankung, das Gesundheitssystem ächzte - und nicht wenige Mediziner fürchteten den Zusammenbruch, denn Maßnahmen wurden kaum ergriffen. [...] Falls die Wissenschaftler recht behalten, ist der Preis für diesen Sieg über das Virus brutal hoch gewesen. Schätzungsweise 4200 Tote und eine nicht zu beziffernde Zahl Schwerkranker, von denen manche lebenslang mit den Folgen von Covid-19 zu kämpfen haben werden - so würde die Bilanz nach den Ergebnissen des Forscherteams für diese eine Stadt lauten.«
Der Einstieg nimmt sich dramatisch aus und bemüht Bilder aus dem 19. Jahrhundert, so als ob man heute in Brasilien die Gräber noch per Hand schaufeln müsse (»Totengräber«, »Gruben auszuheben«) und liefert dramatischste Adjektive (»unerbittlich«, »brutal«). Es ist wohl richtig, dass die Anzahl der Menschen, die an den Spätfolgen leiden, zunächst nicht zu beziffern ist. Aber sie wird es sein. Wie viele werden das sein? Wer weiß das? Um die Zahl von geschätzt 4.200 Toten (wie wurden die gezählt?) in der 1,8-Millionen-Einwohner-Metropole neutral einzuordnen, hätte eine einfache Prozentrechnung genügt:
1.800.000 Menschen leben in Manaus
4.200 Menschen sind an COVID-19 nach einer Schätzung gestorben,
das sind also ca. 0,23 Prozent der Bevölkerung der Stadt. Ist das wirklich so viel, wie der Artikel suggeriert?
Kathrin Zinkant: Wunschtraum Herdenimmunität, sueddeutsche.de, 28.9.2020, https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/corona-herdenimmunitaet-manaus-brasilien-1.5048119 [Link]

2020.09.28

Makeup und Stil der 1920er Jahre

Über den Stil der 1920er und die Schönheitsideale der Flapper-, It- Girls usf. zu schreiben, ist schwierig, da man oft die Fachbegriffe der Mode und des Stylings nicht kennt. Folgende zwei Seiten helfen hier weiter:
https://vintagedancer.com/1920s/makeup-starts-the-cosmetics-industry/ [Link]
https://vintagemakeupguide.com/ [Link]

2020.09.23

Der Meisterfälscher. Wolfgang Beltracchi im Gespräch


In diesem Interview mit WissensWerteWelt spricht der ehemalige Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi über seine nächtlichen Bewusstseinsreisen zu verstorbenen Malern, deren Zeit und seine Gabe, die Gefühle und Gedanken der Mitmenschen zu erspüren.

2020.09.19

Über Zensur (Skizze)

Welche Formen von Zensur gibt es? Mindestens zwei: einmal die offene und dann die verborgene Zensur. Offen wird etwa zensiert, wenn man Namen von Straftätern in medialen Berichten verändert oder kürzt, Zeugenaussagen anonymisiert, um diese zu schützen. Dann sehen wir, dass zensiert wurde. Aber es gibt auch, und wahrscheinlich ist dies die viel verbreitetere Zensur, die versteckte Form. Dann wird Wissen nicht nur vorenthalten, sondern auch zensiert, dass zensiert wurde. Was und dass ein Wissen verschwand bzw. manipuliert wurde, bleibt selbst unthematisch. Damit kann man als Außenstehender nicht mehr entscheiden, inwiefern überhaupt zensiert wurde. Natürlich gibt es Zwischenbereiche. Die Zensurkarten im Film etwa, auf denen vermerkt ist, was zensiert wurde, aber das natürlich in einem anderen Medium. Im Film selbst ist es verborgen. Oder die FSK, die Freiwillige Selbstkontrolle, bei der die Medien eine eigene Institution schaffen, um sich Zensurregeln zu geben. Dann natürlich die Frage, inwiefern Bedrohung und Androhungen als Zensur wirken. Angsterzeugung. Auch der Ausschluss aus Bereichen kann wie eine Zensur wirken. Man weiß nicht, was man sagen darf. Daher muss überhaupt erst gefragt werden, wie sich Zensur äußert, dies ist eben meistens indirekt, durch Spuren lässt sie sich detektivisch erschließen. Ein Problem ist auch die Gewohnheit. Hat sich die Zensur verfestigt, so erkennt man nicht mehr das, was einst unterschlagen wurde. Man wähnt sich in Freiheit, macht es eben so.
Die Zensur ist überhaupt eine Art Gedankenverbot. Verbote beziehen sich auf Handlungen, Zensur auf Wissen. Damit wird die Denkbarkeit affiziert. Wissen weist auch immer eine mediale Gebundenheit auf. Werden Träger des Wissens zerstört oder gelöscht, so verschwindet auch das Wissen. Wissen bedarf der Pflege, Weitergabe und an den verschiedenen, auch personellen Stellen, kann die Zensur ansetzen.
Welche Formen der Zensur gibt es noch? Warum wird zensiert? Das ist eine schwierige Frage. Zum einen institutionalisieren sich bestimmte Weltsichten und Methoden, in dieser Hinsicht ontologisieren sie sich. Menschen werden zu Stellvertretern, sie repräsentieren qua Person bestimmte Ideen und Verfahren. Damit verschiebt sich die Frage der Methode von einem philosophischen Diskursgeschehen hin zu einem manifesten politischen Handlungsapparat. Weltbilder verschmelzen mit Menschen. Und diese Menschen möchten die Verfahren, deren Repräsentanten sie sind, schützen. Es entstehen Machtbereiche. Man kann Machtbereiche unterschiedlich wehren, durch andere Institutionen, Polizei, Verständnis, Aufklärungsarbeit etc., aber eben auch, indem man nicht zulässt, dass andere ein Wissen davon bekommen, wie sie eingreifen könnten und um was es sich eigentlich handelt, wenn politisch agiert wird. Man kann so etwa ganze Motivfelder und Bewertungsmaßstäbe ausblenden und frei Hand regieren, zumindest für eine bestimmte Zeit. Oft braucht man gar nicht zensieren, weil die medialen Vermittlungsebenen ohnehin fehlen. Wenn dann die kleine Wissenselite nicht öffentlich macht, um was es geht, wird der gesamte politische Bereich de facto zensiert, obwohl niemand etwas machte. In dieser Hinsicht ist der Aufbau von Datenbanken von größter Bedeutung. Politische Reden, Programme, Entscheidungsprotokolle müssen jederzeit von jedermann einsehbar sein. Es muss auch einen Diskurs geben und die Politiker müssen sich äußeren und Fragen aufrichtig beantworten.
Man müsste hier die Literatur sichten, geschichtliche Beispiele. Kant spricht vom Gängelwagen, also einer Art Laufstall, der nicht so gut geeignet sei, um Laufen zu lernen. Frei laufen, das ist das beste Mittel. Die Freiheit aber ist gerade in Umbruchsphasen bedroht. Die Menschen sollen sich nicht ihre eigene Meinung bilden können. Man hat Angst, sie würden sonst vieles in Frage stellen. Die 1960er und 1970er Jahre, ebenso die 1920er Jahre sind die wenigen Phasen, in denen die Menschen dies einforderten. Wie haben sie das geschafft? Sicherlich durch Gemeinschaft. Sie waren unrealistisch.

Die Corona-Demonstrationen und das Infektionsschutzgesetz

Der Berliner Senat verbot eine Demonstration gegen die Corona-Politik mit folgender Begründung, wie es in einer Pressemitteilung vom 26. August 2020 heißt:
»Die Versammlungsbehörde hat heute mehrere Demonstrationen verboten, die am kommenden Wochenende in Berlin stattfinden sollten. Die Verbote werden maßgeblich damit begründet, dass es bei dem zu erwartenden Kreis der Teilnehmenden zu Verstößen gegen die geltende Infektionsschutzverordnung kommen wird. Besondere Auflagen – wie zum Beispiel das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung – als milderes Mittel seien bei den angemeldeten Versammlungen nicht ausreichend. Die Versammlungen vom 01.08.2020 hätten gezeigt, dass die Teilnehmenden sich bewusst über bestehende Hygieneregeln und entsprechende Auflagen hinweggesetzt haben. Berlins Innensenator Andreas Geisel begrüßte die Entscheidung: ›Das ist keine Entscheidung gegen die Versammlungsfreiheit, sondern eine Entscheidung für den Infektionsschutz.‹«1
Nun legten die Veranstalter Widerspruch dagegen ein und waren erfolgreich. Die Demonstration durfte stattfinden, wurde dann aber von der Polizei wegen Verstößen gegen das Abstandsgebot und die Maskenpflicht doch vorzeitig aufgelöst.2 Es versammelten sich zehntausende Menschen in Berlin, wie die FAZ meldete.3 Man kann nun verschiedener Meinung sein, auch die Problematik der offensichtlichen Instrumentalisierung durch Rechtsradikale wird in der FAZ zu Recht erwähnt. Allerdings scheint doch weder nach dieser Demonstration noch nach den vorherigen, bei denen sich ebenso Zehntausende versammelten (so am 1. August 2020), die Infektion durch das COVID-19-Virus sprunghaft angestiegen zu sein. Wäre damit nicht auch die Begründung des Verbots mit Verweis auf den Infektionsschutz empirisch widerlegt? Man sollte diese Argumente sehr ernst nehmen, denn in einer Demokratie sollten Entscheidungen transparent und argumentativ nachvollziehbar getroffen werden. Es ist sehr schade, dass solch ein Diskurs kaum geführt wird (oder habe ich ihn nicht wahrgenommen?). Man versucht, Lager herzustellen, Polarisierungen zu erzeugen, anstatt in dem Impuls selbst ein durchaus wichtiges Motiv zu sehen, Dinge kritisch zu hinterfragen. Interessanterweise wurden bei zeitgleichen Demonstrationen in Amerika (gegen Rassismus) und in Belarus (gegen Machthaber Lukaschenka) Bilder von tausenden Menschen in den Medien gezeigt, viele ohne Masken. Aber ein Verweis auf das Infektionsrisiko fehlte. Man misst hier offenbar mit zweierlei Maß. Das macht die Medien unglaubwürdig.
Nachweise
1Berliner Senat: Berlin verbietet Corona-Demonstrationen, Pressemitteilung, 26.8.2020, https://www.berlin.de/sen/inneres/presse/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.980587.php [Link]
2Der Spiegel: Polizei löst Corona-Demo in Berlin auf, 29.8.2020, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/berlin-polizei-loest-corona-demo-auf-a-57a25a77-f7fb-4ed0-8979-90ff35f8794c [Link]
3FAZ: »Heute ist Berlin wieder die Front gegen Totalitarismus«, 29.8.2020, https://www.faz.net/-gpg-a2tn8 [Link]

Walter Benjamins Begriff des ›Optisch-Unbewussten‹, jetzt auch als Youtube-Wohnzimmervortrag!

2020.09.17

Christoph Peters neuer Roman rückt die Proteste um den Schnellen Brüter in das Zentrum.
Markus Joch: Als die Zukunft noch strahlend war, taz, 16.9.2020, https://taz.de/Anti-AKW-Geschichte-als-Roman/!5714034/ [Link]
Michael Wetzel spricht im DLF über den ›Autor-Künstler‹
Michael Wetzel: Der Autor-Künstler – Ein Gespräch mit dem Autor, DLF, 10.9.2020, https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2020/09/10/michael_wetzel_der_autor_kuenstler_ein_gespraech_mit_dlf_20200910_1625_3b7a0f15.mp3 [Link]

2020.09.16

Experimentalfilm Sonnenwind online!


Endlich wieder Zazen im Kōrinin 香林院!

2020.09.15

Die Postproduction für meinen neuen Experimentalfilm läuft!

Mein neuer Experimentalfilm ist bald fertig. Das Thema ist diesmal die Sonne und der Kosmos. Die Dreharbeiten sind abgeschlossen, aber die Postproduction läuft noch.

Statistik zu Corona

Derzeit werden 220 Menschen (Stand 11. September 2020) in Deutschland intensivmedizinisch wegen COVID-19 behandelt.
Statista.de, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1108578/umfrage/intensivmedizinische-versorgung-von-corona-patienten-covid-19-in-deutschland/ [Link]

2020.09.11

In Tōkyō sind derzeit 23 Patienten mit ernsthaften Symptomen (serious symptoms) wegen COVID-19 in Krankenhäusern eingewiesen.
Updates COVID-19 in Tōkyō, https://stopcovid19.metro.tokyo.lg.jp/en/ [Link]

2020.09.10

Walter Benjamins Begriff des Optisch-Unbewussten, ungeschnittener Wohnzimmervortrag von Andreas Becker


In diesem Wohnzimmervortrag spreche ich über die folgende Passage aus Walter Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit:
Ist uns schon im groben der Griff geläufig, den wir nach dem Feuerzeug oder dem Löffel tun, so wissen wir doch kaum von dem, was sich zwischen Hand und Metall dabei eigentlich abspielt, geschweige wie das mit den verschiedenen Verfassungen schwankt, in denen wir uns befinden. Hier greift die Kamera mit ihren Hilfsmitteln, ihrem Stürzen und Steigen, ihrem Unterbrechen und Isolieren, ihrem Dehnen und Raffen des Ablaufs, ihrem Vergrößern und ihrem Verkleinern ein. Vom Optisch-Unbewußten erfahren wir erst durch sie, wie von dem Triebhaft-Unbewußten durch die Psychoanalyse. (Walter Benjamin, GS VII.1, 376)
Schriftlich ausgeführt habe ich das in diesem Text:
Andreas Becker (2012): »Walter Benjamins Begriff des ›Optisch-Unbewussten‹ und die Experimente mit der filmischen Zeitdehnung«, in: Kreuzer, Stefanie: Experimente in den Künsten, Bielefeld (transcript), 187-214.

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 36)

Über die Corona-Ökonomie

Weltweit haben die kapitalistischen Staaten innerhalb weniger Wochen von ihrer auf Mehrwert ausgerichteten Ökonomie umgeschwenkt auf eine andere Weise des Wirtschaftens, die man als Corona-Ökonomie bezeichnen könnte. Was vormals undenkbar galt, dass größte Pfeiler der Ökonomie wie der Tourismus, das Gastgewerbe, Konsum außer Kraft gesetzt werden, geschah innerhalb von Tagen. Stattdessen richtet man nun das gesamte Wirtschaften darauf aus, inwieweit es erlaubt, die Infektionszahlen von COVID-19 zu senken. Die Statistiken und Fallzahlen könnte man als die neue Währung bezeichnen. Alles andere, Schulden, massive Schwächung des Mittelstandes, Zerstörung des Flugverkehrs bzw. dessen Lähmung für Jahre scheinen keine Debatte mehr wert. Die Frage ist nur, wie man in die frühere Ökonomie bzw. von der COVID-19-Fallzahl-Währung zur Geldwährung zurückkehren kann. Dies wird sicherlich nicht plötzlich geschehen, denn die Schulden, die sich hier anhäuften und auch die Folgewirkungen der Maßnahmen sind immens. Gibt es in der Geschichte ein Beispiel dafür?

2020.09.09

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 35)

PD Dr. Dennis Gräfs und Dr. Martin Hennigs Analyse Die Verengung der Welt. Zur medialen Konstruktion Deutschlands unter SARS-CoV-2 und Covid-19 anhand der Formate «ARD Extra» und «ZDF Spezial»

Diese im Juni entstandene und als Vorabdruck bereits veröffentlichte Studie der Passauer Mediensemiotiker nimmt die Berichterstattung der Corona-Krise auf 13 Seiten kritisch in den Blick. Es ist wichtig, dass die Wissenschaft nahezu in Echtzeit die medialen Welten analysiert und uns so die medialen Mechanismen verdeutlicht. Darin wird die COVID-19-Berichterstattung »als eine Geschichte einer Pandemie der Medien« beschrieben (S.1), was sehr konsequent ist angesichts des ubiquitären Pandemie-TV's. Besonders gut hat mir gefallen, wie die Autoren die Übernahme medialer Konventionen aus dem Hollywood-Kino nachweisen und so zeigen, wie das Dokumentarformat immer mehr ins Fiktionale kippt:
»Die Zeichen verdichten sich somit, dass die Reportage im Kontext einer filmischen Inszenierungsstrategie steht. Damit findet eine Verschiebung von der ansonsten in den Sondersendungen dominierenden referenziellen Funktion hin zur poetischen Funktion statt: Die Ebene der Darstellungsweise wird aufgewertet, es geht nicht mehr nur um Corona-Berichterstattung, sondern um das Narrativ an sich.« (S. 10, siehe dazu auch S.4)
Dabei folgen sie nicht den medial vorausgesetzten Rezeptionsimperativen, sondern setzen sich in Distanz dazu: »Die dabei verhandelten gesellschaftlichen Probleme sind allerdings eben nicht unmittelbare Folge des Ausbruchs des Virus, sondern seiner Eindämmungsmaßnahmen.« (S.5) Das Fazit ist eindeutig:
»Wenn die Moderatoren die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen im Zusammenhang mit der Einschränkung der Grundrechte stellen, so sind diese Fragen jedoch im Prinzip als rhetorische Fragen zu verstehen, deren Beantwortung [...] die ideologische Marschrichtung der Politik konsolidiert.« (S. 11)
Nachweis:
Dennis Gräf; Martin Hennig: Die Verengung der Welt. Zur medialen Konstruktion Deutschlands unter SARS-CoV-2 und Covid-19 anhand der Formate «ARD Extra» und «ZDF Spezial», Preprint, erscheint in: Magazin des Graduiertenkollegs Privatheit der Universität Passau, 14/2020, https://www.researchgate.net/publication/342438331_Die_Verengung_der_Welt_Zur_medialen_Konstruktion_Deutschlands_unter_SARS-CoV-2_und_Covid-19_anhand_der_Formate_ARD_Extra_und_ZDF_Spezial [Link]
Stellungnahme von Dennis Gräf; Martin Hennig vom 26. August 2020, https://www.phil.uni-passau.de/neuere-deutsche-literaturwissenschaft/aktuelles/ [Link]

2020.09.08

Zoom H6 Handy Recorder. Der nimmt alles auf...

2020.09.07

Regen in Mita

2020.09.06

Die Live-Streams des Deutschlandfunks

DLF, Live-Streams, https://www.deutschlandradio.de/unsere-streaming-adressen-im-einzelnen.3236.de.html [Link]

Quarantäne-Logbuch. Ende

Gestern ging meine Quarantäne zu Ende. Eigentlich floh die Zeit dahin zwischen Zoom-Gesprächen, Blogs, Youtube-Videos, Mails, Filmen und zahlreichen Arbeiten, die auch online zu tun waren. Heute morgen joggte ich zuerst. Es regnete zwischendurch, machte nichts. Nahezu alle Fußgänger trugen auch auf der Straße eine Atemschutzmaske. Selbst Jogger sah ich mit einer solchen, die meisten glücklicherweise ohne (meine hatte ich sicherheitshalber eingesteckt). Bin nachher auf Edosushi gespannt ;-)

Das war lecker!







Interessante Wolkenmischung in Tōkyō

2020.09.05

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 33)

Mimesis - Katharsis

Eine zentrale Frage der Medientheorie lautet, ob das Kunstwerk mimetisch oder kathartisch wirkt: Ahmt (man) das Kunstwerk nach oder reinigt es? Je nach Annahme sind völlig unterschiedliche Politiken die Konsequenz. Wenngleich man derzeit niemals öffentlich eingesteht, dass die politische Mehrheit der Mimesis-Theorie anhängt, wenn auch sehr vieles gegen diese Theorie spricht, so ist diese doch für unsere Zeit prägend. So glaubt man, dass Darstellungen, Botschaften gefiltert und zensiert werden müssen, sonst würden diese zerstörerische und zersetzende Nachahmungseffekte zeitigen. Das führt in letzter Konsequenz zu einer Überwachung und Kontrolle der Medien, einer diffusen Zensur und Vorentscheidung, was erlaubt sei und was nicht, einer Angst, Zusammenhänge öffentlich zu benennen. Die Mimesis-These weist eine hohe Verwandtschaft mit der derzeitigen Idee der medialen Infektion auf. Die Kontrolle der Mimesis bedarf einer bestimmten semiotisch-, eikonisch- und semantischen Hygiene. Demgegenüber ist die Katharsis-Theorie seit den 1970er Jahren im Schwinden begriffen. Man erschuf damals einen freien, offenen und provokanten Bild-, Schrift- und Theaterraum, der Resonanzen erzeugte und im Spiel selbst schon die Affekte löste. Diejenigen, die Gewalt auf der Bühne darstellen dürfen, diejenigen, die dem Schauspiel zuschauen dürfen, werden in der Aktion bzw. Rezeption bereits von dieser gereinigt und sind danach friedlicher. Sie gewinnen ein tieferes Wissen um die Mechanismen dieser Abgründe in ihnen. Die Katharsis-Theorie bedarf eines Vertrauens zueinander.

Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.

Diese Worte Goethes fallen in Faust II:
Baccalaureus.
Gesteht nur, euer Schädel, eure Glatze
Ist nicht mehr werth als jene hohlen dort?

Mephistopheles (gemüthlich).
Du weißt wohl nicht, mein Freund, wie grob du bist?

Baccalaureus.
Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.

Mephistopheles
(der mit seinem Rollstuhle immer näher in’s Proscenium
rückt, zum Parterre).
Hier oben wird mir Licht und Luft benommen,
Ich finde wohl bei euch ein Unterkommen?
Sie werden vom Bachelor-Kandidaten gesagt. Aber was meinen sie? Natürlich, der Konjunktiv II wird in der Regel zweckentfremdet, weil es keine eigene Höflichkeitsform im Deutschen gibt wie im Japanischen. Auch ist es so, dass man in Deutschland ungern höflich ist, es ist auf eine Weise ein Spiel. Wenn man die Menschen kennt, benutzt man die Höflichkeitssprache viel weniger. Aber lügt man deshalb? Was meint das?
Goethe: Faust II, im Deutschen Textarchiv, http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/goethe_faust02_1832?p=113 [Link]

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 34)

Urlaub von der Globalisierung

Die Corona-Maßnahmen bewirken derzeit eine Auszeit, einen Urlaub der Globalisierung. Lediglich die informationelle und die Warenglobalisierung finden noch statt. Die mitmenschliche Globalisierung, Tourismus, Austausch und Besuche sind auf ein Minimum reduziert. Wir erleben alle derzeit eine Phase, in der all das ausgesetzt ist, was als selbstverständlich galt. Wer vor der Zeit der 1980er geboren ist, kennt diese Welt aber noch. Was passiert danach? Werden die Menschen zu ihren Gewohnheiten zurückkehren? Oder wird die Welt provinzieller? Gibt es danach weniger Tourismus und Austausch?

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 35)

Stefan Zweigs Buch Die Heilung durch den Geist

Stefan Zweig: Die Heilung durch den Geist, Leseprobe, https://www.book2look.com/book/9783104001920 [Link]

2020.09.03

Max Scheler. Der Sohn des Philosophen

Der Philosoph Max Scheler hatte einen Sohn, dem er den gleichen Namen gab. Max Jr. wurde Dokumentarphotograph. John F. Kennedy, Karl Lagerfeld, Helmut Schmidt, Konrad Adenauer und viele andere hinterließen eine Spur auf seinen Bildern. Zeitgeschichte prägte sich in sie ein. Eine besonders schöne Aufnahme zeigt Romy Schneider in Venedig. Sie spielt die Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn (»Sissi«). Die Krone wirkt bei Scheler deplatziert, künstlerisch karnevalesk, aber Glamour funkelt dennoch im Gesicht, das filmisch aus dem Photo blickt.
Romy Schneider, http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/71401994 [Link]
Weitere Photos von Max Scheler [Link]

Interessante Internetseiten

Linkliste deutschsprachiger Filmblogs, https://schoener-denken.de/blog/filmblogverzeichnis/ [Link]
Online-Übersetzungstool Deep L, übersetzt auch das Deutsche in das Japanische und umgekehrt, ziemlich gut sogar, https://www.deepl.com/translator [Link]

Strafe für Quarantänebruch in Japan

Die Strafe für Quarantänebruch in Japan ist hoch: 500.000 Yen oder bis zu sechs Monate Haft. Ich habe nur noch ein paar Tage und spare mir das Geld lieber ;-) Hier der Verordnungstext, 新型コロナウイルス感染症の流行地域からの入国者の取扱いについて, https://www.mhlw.go.jp/content/000611185.pdf [Link]

2020.09.02

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 32)

Mikrokosmos und die vierte Gewalt

Die bisherigen Krisen kamen aus dem Makrokosmos: 9/11, Wirtschaftskrisen, Kriege, Katastrophen. Diesmal war der Auslöser der Krise ein Virus aus dem Mikrokosmos, aus der unsichtbaren, molekularen Welt. Der Überschlag Mikrokosmos-Makrokosmos ängstigt uns, dieses Übergreifen vom Kleinsten zum Globalen. Dass das Virus es vermochte, sich in weltweitem Maßstab zu vermehren und dennoch so winzig war, unsere Infrastrukturen des Verkehrs nahezu komplett zweckentfremdete und sich entlang an ihren verzweigten Routen vermehrte, war neu. Üblicherweise haben sich die Medien darauf geeinigt, zu deeskalieren. Wenn ein Bankräuber erpressen will, dann wird darüber nicht mehr live berichtet, wie man in Deutschland aus der Geiselnahme von Gladbeck 1988 gelernt hat. Aber die Medien haben diesmal einen der wenigen infrastrukturellen Bereiche, der von der Pandemie noch nicht betroffen war, auch noch infizieren lassen, indem sie alles andere dem Virus und der Berichterstattung darüber unterordneten. Damit wurde die Infektion total. Die vierte Gewalt verlor dadurch ihre Neutralität, sie verabsolutierte einen Bereich, den der Eindämmung des Virus. Der Politik kam mit der pluralen Öffentlichkeit ihr Korrektiv abhanden. COVID-19 sprang ins Bild über und in die Zeitungen. Man kann die Reaktion mit einer Panik vergleichen. Sie war (und ist zum Teil noch jetzt) überhitzt. Es fehlt die neutrale, gelassene Sicht, auch die Pluralität. Der Wettbewerb um die Deutungshoheit, den wir derzeit beobachten können, ist der Ausdruck einer großen Verunsicherung. Man berichtet über Verschwörungstheorien, deren Urheber man nicht kennt und nicht zu Wort kommen lassen will, wenn man sie kennt, da man Angst hat, ihnen ein Forum zu bieten (hier wirkt die eingeübte Vorsicht). Man versucht, einen anti-verschwörungstheoretischen Raum zu schaffen, eine nicht von den Verschwörungstheorien infizierte Zone und bedient sich dabei ebenjener Mechanismen, anstatt deren Behauptungen Argument für Argument zu entkräften. Was die Medien bislang zumindest zum Teil gut konnten, Kritik üben, vereinseitigt sich. Man hat sich so sehr festgelegt, dass man glaubt, den politischen Raum mit seinen Entscheidungen nicht antasten zu dürfen. Man kann aus der Schleife der Wiederholung nicht heraus.

Helge forever!




Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 31)

Chiffren

Die derzeitige Situation zu deuten bedarf einer Abwendung von dem, was medial berichtet wird. Es ist davon auszugehen, dass die neue Realität, die sich hier ankündigt, unthematisch bleibt. Die Botschaften der Medien scheinen zu einfach, um zu verstehen, wie und warum eine weltweite homogene Reaktion in dieser Weise erfolgt. Welche Zeichen, welche Konstellationen sind die Chiffren, die hier wichtig sind? Wo verbergen sie sich? Hat ein Experte sie nicht doch benannt? In einem Nebensatz? Wer weiß Bescheid? Gehen wir davon aus, dass sich mit Corona eine historische Wendezeit ankündigt, so ist dieser Prozess ungewöhnlich. Wendezeiten sind historisch oft Konfliktzeiten, Kriege etc. Aber diesmal scheint die Ruhe, die Stille, der Rückzug von den Orten der gewohnten Arbeit an deren Beginn zu stehen. Wenn Raupen zu Schmetterlingen werden, verpuppen sie sich. Sie leben dann für kurze Zeit in einem Kokon. Was kündigt sich hier an? Welcher Schmetterling entschlüpft der Corona-Puppe? Was mich am meisten überrascht, ist, dass die Menschen offenbar alles mit einer Gelassenheit ohnegleichen hinnehmen. Ich hätte gewettet, dass sie rebellieren, wenn sie nicht mehr wie gewohnt reisen, feiern, Events besuchen dürfen (oder dass sie sich über die Verbote hinwegsetzen). Auch wäre ich davon ausgegangen, dass der Kapitalismus die Pandemie herunterspielt, weil sie doch das Gegenteil von dem verlangt, wozu das Wirtschaftssystem gemacht ist: Antidynamik, Verlust von Mehrwert. Aber nichts davon ist der Fall. Wie selbstverständlich werden Regeln erlassen, die der bisherigen (Wirtschafts-)Ordnung diametral entgegenstehen. Wurde jemals in der Weltgeschichte solch ein Aufwand betrieben, um Menschenleben vor einer Infektion zu schützen? Die Verordnungen und Einschränkungen werden schulterzuckend hingenommen und man genießt den biedermeierlichen Rückzug ins Private regelrecht. Was ändert sich, wenn der Schmetterling schlüpft? Was kündigt sich hier an?

Freud in Marburg - im Traum

In seiner Traumdeutung beschreibt Sigmund Freud einen Traum, es heißt:
»Ich wundere mich darüber, aber ich kann ja im schlafenden Zustande umgestiegen sein. Mehrere Leute, darunter ein englisches Geschwisterpaar; eine Reihe Bücher deutlich auf einem Gestell an der Wand. Ich sehe »Wealth of nations«, »Matter and Motion« (von Maxwell), dick und in braune Leinwand gebunden. Der Mann fragt die Schwester nach einem Buch von Schiller, ob sie das vergessen hat. Es sind die Bücher bald wie die meinen, bald die der beiden. Ich möchte mich da bestätigend oder unterstützend ins Gespräch mengen – – – Ich wache, am ganzen Körper schwitzend, auf, weil alle Fenster geschlossen sind. Der Zug hält in Marburg.«
Interessant ist der Traum, wie so viele bei Freud, weil nicht vollständig ausgedeutet wird. Er kann auch als Traum im Traum verstanden werden. Wenngleich Freud schreibt, dass er in Marburg im Zug aufgewacht sei, so bekräftigt er in seiner Schilderung kurz später nochmals: »ich mußte im schlafenden Zustande den Wagen verlassen haben«. In dieser Hinsicht ist also keineswegs klar, was geträumt und was in einem schlafwandelnden Zustand wahrgenommen wurde. Freud spielt dann die Bedeutung von Marburg herab, indem er die hessische Stadt auf einen anderen Traumgedanken zurückführt.
Zitiert aus:
Freud, Sigmund: Die Traumdeutung, in: ders.: Gesammelte Werke (German Edition), Ideenbrücke Verlag. Kindle-Version, S.806 und S.808.

2020.09.01

Über Heraklits 89. Fragment


»Die Wachenden haben eine gemeinsame Welt, doch jeder Schlummernde wendet sich nur an seine eigene.« lautet das 89. Fragment des Heraklit. In diesem Beitrag kommentiere ich es.

2020.08.31

Schöne Online-Ausstellung zu Volker Schlöndorffs Schaffen

Das Frankfurter DFF hat eine schöne Online-Ausstellung gemacht. Da gibt es viel zu sehen. Beschreibungen, Photos, Dokumente zu Volker Schlöndorffs Filmen, https://schloendorff.deutsches-filminstitut.de [Link]

Drei Sätze aus Walter Benjamins Kunstwerk-Aufsatz


In diesem Video gebe ich zu Beginn eine kurze Einführung in Walter Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit und kommentiere dann die folgenden drei Sätze:
»Unsere Kneipen und Großstadtstraßen, unsere Büros und möblierten Zimmer, unsere Bahnhöfe und Fabriken schienen uns hoffnungslos einzuschließen. Da kam der Film und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunden gesprengt, so daß wir nun zwischen ihren weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerliche Reisen unternehmen. Unter der Großaufnahme dehnt sich der Raum, unter der Zeitlupe die Bewegung.« (Aus: Walter Bejamin: Gesammelte Schriften, Bd. VII.1, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main 1991, S. 376, Absatz XVI", Kommentar ab Timecode 08:34').

Luis Buñuels Das Gespenst der Freiheit (Le Fantôme de la liberté) von 1974

Der Film stellt episodisch Abgründe im Alltäglichen dar und ist eine bittere Satire auf die bürgerliche Gesellschaft. Es sind surreale Kippfiguren. Man weiß nie so recht, bis wann das realistisch ist und wann die Verhaltensweisen ins Boshafte, Desaströse, Obszöne kippen. Viele der dargestellten Begebenheiten böten auch heute noch Chiffren für die Gegenwartsanalyse. Ohnehin könnte und dürfte man vieles so nicht mehr zeigen. Man würde die Begebenheiten dramatisieren und vereindeutigen, wo Buñuel genau das unterlässt und den Alltag weiter erzählt, obwohl schon längnstens dessen Ordnung gen Traumwelt verlassen wurde. In einer Episode wird ein Kind von der Schule polizeilich gesucht, obwohl es neben den Eltern im Klassenraum steht, in einer anderen schießt ein Mann aus einem Hochhaus wahllos auf Passanten. Andere Passagen zeigen, wie Lust wuchert oder ein Arzt eine zynische Krebsdiagnose gibt, so als genieße er es oder als sei es ihm egal, ob er dem Patienten Leid zufüge. Es sind kleine Privatmodelle von Gefühlsordnungen, die aber so verflochten sind, dass sie weit mehr preisgeben als nur eine individuelle Sicht. Fraglich ist immer auch, wo unsere Gefühlsprojektion beginnt und endet. Es ist schwer (oder vielleicht sogar unmöglich), diesen Film neutral zu sehen. Er sucht nach Konstellationen.

Quarantäne-Logbuch. Zehnter Tag

2020.08.30

Quarantäne-Logbuch. Neunter Tag

2020.08.29

Pressekonferenz von Angela Merkel, 28. August 2020

Pressekonferenz im Wortlaut, https://www.bundeskanzlerinde/bkin-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzlerin-merkel-am-28-august-2020-1781008 [Link]

Quarantäne-Logbuch. Achter Tag


Wolken (Hydrometeore)

Man unterscheidet vier Wolkenfamilien voneinander, die wiederum in zehn Wolkengattungen eingeteilt werden. Davon gibt es Unterarten, Sonderformen, Mutter- und Begleitwolken. Ein lebendiges und sich veränderndes Gebilde am Himmel.
Schöne Illustrationen sind auf:
Deutscher Wetterdienst: Die Wolken und ihre Klassifikation, https://www.dwd.de/DE/leistungen/jahresberichte_dwd/poster_pdf/jahresbericht_2018_poster.pdf?__blob=publicationFile&v=2 [Link]
Wetterdienst: Clouds Atlas, [Link]
Karlsruher Wolkenatlas, http://www.wolkenatlas.de/wolken/class.htm [Link]

Todesfälle durch Influenza

Das Robert Koch-Institut hat in den vergangenen Jahren die Todesfälle im Zusammenhang mit Influenza-Erkrankungen dokumentiert (Exzess-Schätzung, konservative Schätz-Werte):
2002/2003: 8.000
2003/2004: 0
2004/2005: 11.700
2005/2006: 0
2006/2007: 200
2007/2008: 900
2009/2010: 0
2010/2011: 0
2011/2012: 2.400
2012/2013: 20.700
2013/2014: 0
2014/2015: 21.300
2015/2016: 0
2016/2017: 22.900
2017/2018: 25.100
Quelle: Robert Koch-Institut (2019): Bericht zur Epidemiologie der Influenza in Deutschland Saison 2018/19, Tabelle 3: Geschätzte Influenza-bedingte Todesfälle (Exzess-Mortalität während der Influenzawellen) sowie an das RKI übermittelte Todesfälle mit laborbestätigter Influenzainfektion gemäß Infektionsschutzgesetz, S. 47, https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/6253/RKI_Influenzabericht_2018-19.pdf?sequence=1&isAllowed=y [Link]

Kosten für COVID-19-Test

Heute kam die Rechnung für meinen COVID-19-Test in Deutschland: 152,88-€. Bedenkt man, wie viele Millionen solcher Tests in den letzten Wochen gemacht wurden, wird einem in etwa klar, welche Beträge hier mal so nebenbei bewegt bzw. vom Staat veräußert wurden. Natürlich, man rechnet das auf und sagt: Schlimmer ist es, wenn diese Menschen andere infizieren. Aber der Betrag bleibt hoch.

2020.08.28

Quarantäne-Logbuch. Siebter Tag




Antonio Banderas nach Corona

Wie die FAZ meldet, hat »Der spanische Schauspielstar Antonio Banderas [...] seine Corona-Infektion nach eigenen Worten überstanden. [...] Nachdem er positiv getestet worden sei, habe er eine dreiwöchige ›disziplinierte Quarantäne‹ eingehalten. [...] Banderas hatte seine Infektion an seinem 60. Geburtstag am 10. August öffentlich gemacht. Damals berichtete er, es gehe ihm ›relativ gut‹, er fühle sich lediglich etwas müder als sonst.« (FAZ, 28.08.2020, https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/smalltalk/kanye-west-kehrt-zurueck-zu-seiner-familie-16888416.html) [Link]


Mono: Yearning, Musik gegen den Corona-Muff

MONO (Japan) · Yearning


Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 30)

Diese Tabelle von statista stellt die Todesfälle mit Coronavirus (COVID-19) in Deutschland nach Alter und Geschlecht (Stand: 26. August 2020) dar, statista, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1104173/umfrage/todesfaelle-aufgrund-des-coronavirus-in-deutschland-nach-geschlecht/ [Link]


Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 29)

Geselligkeit vs. Aufmerksamkeit. Der öffentliche Raum nach Corona

Früher war die Geselligkeit unter den Menschen wichtig. Man wollte in physischer Präsenz mit ihnen zusammen sein. Ganz wichtig war das Zwiegespräch, das am Abend mehrfach gewechselt werden konnte. Man suchte öffentliche Räume auf, Gaststätten, Restaurants, Säle, Villen etc. Heute ist die physische Separierung der Normalfall. Diese wird durch die Corona-Pandemie noch verstärkt. Man hat Angst vor der Infektion durch den Anderen und verbleibt in der eigenen Wohnung. An Stelle der Realpräsenz tritt daher die bildhaft-mediale Präsenz in Videokonferenzen und die Erzeugung von Aufmerksamkeit und Resonanz für das selbst hergestellte mediale Online-Produkt, das kann ein Beitrag in einem sozialen Netzwerk sein, ein Video, eine Homepage, eine Veröffentlichung etc. Die Bedingung der Videokonferenz ist die Imagination des Anderen. In dieser Hinsicht ist die digitale Öffentlichkeit, die es schon seit Jahrzehnten gibt, aber die nur selektiv genutzt wurde, ein Raum, in dem ich selbst mit mir alleine bin und den Anderen nur als meine Imagination zulasse. Es ist das keineswegs nur ein negativer Aspekt, sondern bewirkt auch eine Ästhetisierung und Spiritualisierung der Gesellschaft. Man möchte den Anderen erreichen, seine Aufmerksamkeit und Interesse wecken, indem man dessen Motive vorwegnimmt und sich so präsentiert, wie man glaubt, dass man gesehen werden will.
Wie werden sich die Unternehmen und Universitäten entwickeln? Werden sie zur vorherigen Organisationsstruktur zurückkehren? Die Schwierigkeit der Organisation durch bildhaft-mediale Präsenz ist, dass es sehr schwer ist, Freundschaften und soziale Kontakte auszubilden, die quer und parallel zur medialen Kultur laufen. Wenn der Andere aber nicht mehr als Gegenüber erlebt wird, ist die Gefahr groß, dass dieser als reiner Informationslieferant etc. betrachtet wird. Es braucht also eine ganz andere Sensibilität für die Tragweite von Entscheidungen. Andererseits ist vorstellbar, dass die bildhaft-mediale Präsenz der Arbeitswelt parallelgeführt wird mit der bildhaft-medialen Präsenz im Videospielraum. Dass sich etwa die Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen zu einem verabredeten Termin im virtuellen Space treffen. Das wird ganz andere Formen des Umgangs erfordern, die aber der jungen Generation kein Problem bereiten. Die virtuelle Spielewelt ist eine durchaus offene und sie gibt dann auch Raum für Reaktionen, die als Charaktermerkmale gedeutet werden können, Raum für Begegnungen und Überraschungen. Ist das die Zukunft? Auch müssen Wege gefunden werden, das Wichtige darzustellen. Wie finde ich heraus, was wichtig ist, wenn ich mich im virtuellen Raum bewege? Das Wichtige zu finden, ist am Campus nicht schwer. Notfalls suche ich, frage ich Fremde. Aber der Fremde begegnet mir zunächst nicht im virtuellen Raum. Es braucht also zunächst einen Guide, der dann die Anderen vermittelt. Und wenn diese sich dann untereinander vernetzen, ist eine Struktur hergestellt wie früher. Der Vorteil einer Online-Struktur besteht in einer Hinsicht in deren Effizienz. Ich brauche keine Anfahrt. Andererseits wirke ich nur als medialer Bild-Ton-Repräsentant, von meinem Avatar aus gesehen. Wenn die Corona-Welt so bleibt, und sie wird für einige Zeit so bleiben, dann bilden sich ganz andere soziale Gefüge aus. Man hat eine Welt der Begegnungen im virtuellen Raum und eine ganz kleine, quasi-familäre Welt der Menschen, mit denen man sich, ganz selten noch, trifft. Eine merkwürdige Homogenisierung des Lebens, Uniformierung, aber auch eine, die es ermöglicht, kontinuierlich an einem Ort zu sein, an einem beliebigen Ort sogar.

2020.08.27

Andrew Wyeth

Zwei interessante Seiten über den amerikanischen Maler Andrew Wyeth:
Biographisches, https://andrewwyeth.com/timeline/ [Link]
Aktdarstellungen von Wyeth, mit Bezug auf das deutsch-amerikanische Modell Helga Testorf, Ted Loos: Unclothed in Wyeth's Art, New York Times, 16.06.2017, https://www.nytimes.com/2017/06/16/arts/design/unclothed-in-andrew-wyeths-art.html [Link]


Quarantäne-Logbuch. Sechster Tag




Was ist ein Bild? Eine phänomenologische Antwort


In diesem neunseitigen Script skizziere ich eine phänomenologische Antwort auf die Frage »Was ist ein Bild?« Dabei nehme ich insbesondere Bezug auf Edmund Husserls phänomenologische Theorie.
[pdf. Was ist ein Bild?]
[epub. Was ist ein Bild?]

2020.08.26

Quarantäne-Logbuch. Fünfter Tag




Waves - der neue Song von Okta Logue - gute Arznei gegen den Corona-Muff


Southern Man - das Neil Young-Cover von Okta Logue - hilft ebenso gegen den Corona-Muff

2020.08.25

Nosferatu

Gestern habe ich mir Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu von 1921 nochmal angesehen. Was für ein großartiger Film! Man sollte ihn direkt nach den Nachrichten zeigen, um das Publikum gegen bestimmte Narrative zu immunisieren. Der Vampirfilm handelt von dem Grafen Orlok (d.h. dem Vampir Nosferatu, wunderbar gespielt von Max Schreck), der ein Haus kaufen will. Deshalb unternimmt ein junger Mann eine Dienstreise nach Transsylvanien zu seinem Schloss - und bringt mit ihm die Vampirseuche ins Land. Der Film konkretisiert das Infektionsgeschehen, indem er es personalisiert und so den Übersprung der Krankheit Vampirismus zeigt. Murnau hat dies schicksalhaft dargestellt. Die Kutsche zum Grafen rast im Zeitraffer den Berg hoch wie ein Rennwagen, die Türen öffnen geisterhaft, Nosferatu klappt aus seinem Sarg hoch wie in einem Springbett. Kameramann Fritz Arno Wagner hat in Fritz Langs Das Testament des Dr. Mabuse von 1933 auch die Kamera geführt, wirkte dann bei Nazi-Filmen wie Ohm Krüger (1941) mit und setzte in der jungen Bundesrepublik die Ferien auf dem Immenhof kitschig ins Bild.



Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 28)

COVID-19-Impfstoff

Die Seite der vfa zählt 172 Projekte zur Entwicklung eines COVID-19-Impfstoffes. Es heißt:
»Bis vor wenigen Jahren hätte man von der Virusanalyse bis zur Zulassung des Impfstoffs 15 bis 20 Jahre angesetzt. Neue Technologien und Vorerfahrung mit Impfstoffprojekten gegen verwandte Viren (siehe unten) machen eine enorme Beschleunigung möglich.«1
Das ist tatsächlich eine enorme Beschleunigung. Wie ein Überblick auf der gleichen Seite zeigt, verläuft die Zulassung in drei Phasen. Phase III ist die mit den meisten Freiwilligen, es seien mehr als 1.000 Menschen. Was meint das? Sind es 1.100 Menschen? Oder 10.000 Freiwillige? Ich meine, wenn ersteres zutreffen würde, dann wäre das nicht sonderlich viel, wenn man bedenkt, wie vielen Millionen und Milliarden Menschen dann der Impfstoff verabreicht wird. Die Menschen sind bekanntlich sehr unterschiedlich. Es gebe drei verschiedene Arten von Impfstoffen:

* Lebendimpfstoffe mit Vektorviren (»Bei mehreren Projekten dienen gut bekannte, harmlose Viren als Ausgangspunkt [...]. Solche sogenannten Vektorviren können sich in Menschen vermehren, ohne eine Erkrankung auszulösen. Man weiß auch, wie man sie in Zellkulturen in großen Mengen produzieren kann. Nun ergänzen sie Forscher um ein oder mehrere Gene für Oberflächenproteine von SARS-CoV-2. Einige Vektorviren werden auf diese Weise ›verkleidet‹, da sie dann selbst diese Proteine auf ihrer Oberfläche tragen und so dem Immunsystem eine Covid-19-Infektion vorgaukeln können.«)2
* Totimpfstoffe mit Virusproteinen und (»Sehr viele zugelassene Impfstoffe sind so zusammengesetzt; beispielsweise solche gegen Hepatitis B oder Grippe. Möglicherweise ist es aber bei anderen Impfstoffen leichter, schnell große Mengen von Impfeinheiten zu produzieren.«)3
* mRNA/DNA-basierte Impfstoffe (»Diese sollen nach der Injektion im Körper die Bildung von (ungefährlichen) Virusproteinen hervorrufen, die dann wiederum wie bei einem konventionellen Impfstoff den Aufbau des Immunschutzes bewirken. Solche mRNA- und DNA-basierten Impfstoffe haben den Vorteil, dass von ihnen sehr schnell viele Injektionsdosen produziert werden können. Allerdings ist bislang noch gegen keine Krankheit ein solcher Impfstoff auf dem Markt.«)4

Was so einfach aussieht, ist in Wirklichkeit also hochkomplex. Wer weiß schon, was die Impfstoffe im Immunsystem machen? Man kann dies natürlich modellieren, aber wohl erst statistisch nachträglich erfassen. Weiter schreibt der gleiche Verband, die
»US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA [...] hat angekündigt, eine Wirksamkeit von mindestens 50 Prozent [zu] verlangen; das heißt, dass sich von einer größeren Gruppe von Geimpften höchstens halb so viele mit der Krankheit anstecken wie in einer vergleichbaren Gruppe von Ungeimpften.«5
Nun wird so viel Aufhebens gemacht wegen dieses Impfstoffes - und dann wird nur verlangt, dass dieser mindestens 50 Prozent der Geimpften schütze! Man stelle sich vor, die Impfung habe eine Nebenwirkung6 und zusätzlich infiziert man sich mit COVID-19. Dann hat man nichts davon, außer sein Immunsystem zusätzlich belastet.
Nachweise:
1vfa/Die forschenden Pharma-Unternehmen: Impfstoffe zum Schutz vor Covid-19, der neuen Coronavirus-Infektion, 25.08.2020, https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/impfstoffe-zum-schutz-vor-coronavirus-2019-ncov [Link]. In Europa ist die EMA für die Arzneimittelzulassung verantwortlich, https://europa.eu/european-union/about-eu/agencies/ema_de [Link]
2 Ebenda.
3 Ebenda.
4 Ebenda.
5 Ebenda.
6 Dass Impfungen, gerade schnell entwickelte, schlimme Nebenwirkungen haben können, ist weithin bekannt. So heißt es im Spiegel: »Es musste schnell gehen im Sommer 2009. Nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Schweinegrippe zur weltweiten Seuche erklärt hatte, aktivierten die Behörden rund um den Globus ihre Notfallpläne. Ein Schweinegrippe-Impfstoff musste her, in kürzester Zeit, für Millionen Menschen. [...] Zu den deutlich häufigeren Nebenwirkungen zählen unter anderem ein allergischer Schock, Gesichtslähmungen, Zuckungen, Gefäßentzündungen und Gehirnentzündungen. Alle Nebenwirkungen wurden um den Zeitpunkt der Impfung beobachtet. Dadurch ist zwar noch nicht bewiesen, dass die Impfung auch der Auslöser war. Die Meldungen pro eine Million Dosen blieben jedoch von Dezember 2009 bis März 2010 weitgehend konstant.« Irene Berres: Hersteller von Schweinegrippe-Impfstoff ignorierte Risiken, Der Spiegel, 21.09.2018, https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/schweinegrippe-impfstoff-pandemrix-risiken-wurden-ignoriert-a-1229144.html [Link]. Das Paul-Ehrlich-Institut schreibt: »Inzwischen liegen die Ergebnisse mehrerer europäischer epidemiologischer Studien zur potenziellen Assoziation zwischen Pandemrix und Narkolepsie vor [1-18]. Zusammenfassend weisen diese auf ein signifikant erhöhtes Risiko für Narkolepsie nach Pandemrix-Impfung bei Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen verglichen mit gleichaltrigen Nichtgeimpften hin. Aufgrund der Ergebnisse der epidemiologischen Studien muss man von 2−6 zusätzlichen (zusätzlich zu den Fällen, die natürlicherweise auftreten) Fällen von Narkolepsie pro 100.000 verimpften Dosen Pandemrix bei Kindern und Jugendlichen und von 0,6−1 zusätzlichen Fällen pro 100.000 verimpften Dosen Pandemrix bei Erwachsenen ausgehen.«, Paul-Ehrlich-Institut: Ak­tu­el­le In­for­ma­tio­nen zu Nar­ko­lep­sie im zeit­li­chen Zu­sam­men­hang mit A/H1N1-In­flu­enzaimp­fung, 28.11.2016, https://www.pei.de/DE/newsroom/veroffentlichungen-arzneimittel/sicherheitsinformationen-human/narkolepsie/narkolepsie-studien-europa.html [Link]


Quarantäne-Logbuch. Vierter Tag


2020.08.24

Katzenjammer in Tôkyô/Minato-ku/Mita, 1. Juni 2019, 4.47 Uhr morgens, aufgenommen mit dem Sony IC-Recorder ICD-UX565F



Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 27)

Expertendilemma

Rational ist die Reaktion auf die Pandemie nicht. Es ist ganz offensichtlich so, dass das Virus lange nicht so gefährlich ist, wie man glaubte. Das Dilemma der Experten besteht darin, dass man zu Beginn Selbstsicherheit und Unfehlbarkeit demonstrieren musste, sonst hätte die Öffentlichkeit diese Maßnahmen nicht mitgetragen. Gerade diese Haltung wird aber denselben Experten nun zum Problem, weil sie sich nicht revidieren können, wollen sie nicht unglaubwürdig wirken.

Strafe und Verbote

Auch ist fraglich, ob eine Pandemie überhaupt der Grund dafür sein sollte, demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Freiheit des Einzelnen etc. außer Kraft zu setzen bzw. derart stark einzuschränken. Man hätte lieber gleich zu Beginn die Beratergremien und die Auswahl der Experten, die Zugang zu den Medien haben, erweitern sollen. Dann hätte man ein demokratisches Spektrum von Meinungen gehabt, wo man de facto einen Korridor von Einstimmigkeit erzeugte. Auch hätten die wenigen Experten, die immer wieder gefragt wurden, sich selbst in Frage stellen können. Auch die Politikerinnen und Politiker hätten dies machen können. Stattdessen meint man, souverän zu wirken, wenn man hart handelt und Menschen durch martialische Maßnahmen in ihrer Freiheit einschränkt. Demokratie hätte hier im Gegensatz zu Autokratien dazu beitragen können, eben durch Überzeugung, Empfehlungen zu wirken und Verständnis - und nicht durch Strafe und Verbote. Die Gefahr ist sehr groß, dass ebenjene Politikerinnen und Politiker und auch die Experten dann für die wirtschaftliche Misere verantwortlich gemacht werden, wenn die Allgemeinheit die Rechnung bezahlen muss. Die Glaubwürdigkeit des gesamten politischen und medialen Systems leidet dadurch massiv.

Forschungslogik

Es entspricht auch der Forschungslogik, dass, wenn man Wissenschaftler fragt, immer eine Antwort erhalten wird, die dem eigenen Forschungsinteresse entspricht. Potentiell ist daher auch für Virologen das Virus immer erforschenswert und jede Maßnahme und Studie, die man finanziert bekommt, ist in dieser Hinsicht willkommen.

Begriff der Gesundheit

Die Experten für Viren sind in ihrer Sichtweise eingeschränkt. Die Antwort auf die Frage, wie man mit der Pandemie umgehen solle, werden sie in der Regel aus ihrer Forschungslogik heraus beantworten, indem sie sagen, dass man das Virus eindämmen müsse. Die Abwägung von Nebenwirkungen etwa der Quarantäne, massivsten wirtschaftlichen Folgeschäden (wiederum mit unabsehbaren Toten) können sie aus ihrem Blick auf die Welt schwer einordnen. Sie sind eben Fachleute. Der Begriff von Gesundheit scheint mir auch sehr eingeschränkt, so als sei man gesund, wenn das Virus einen nicht befällt. Aber Gesundheit ist eben nicht nur Bekämpfung von Krankheit, sondern entsteht aus einem komplizierten Geflecht. Dazu gehören Atmosphären, Vertrautheit, Lebensfreude, Feiern, Glück, Bewegung etc. So wurden zwar laut Statistik die Toten durch COVID-19 verhindert, aber an anderer Stelle entstehen mehr Tote, vielleicht in zehn Jahren, wenn Menschen am Abgrund ihrer Existenz stehen durch die wirtschaftlichen Folgewirkungen ebenjener Maßnahmen. Bezeichnenderweise fragt man nahezu ausschließlich Männer, Expertinnen, Virologinnen habe ich zumindest im Diskurs kaum wahrgenommen. Prof. Dr. Karin Mölling wurde nur in wenigen Runden konsultiert. Ihr auf Verständnis und Einvernehmen, auf Toleranz beruhender Ansatz blieb daher nahezu unbeachtet.

Der starke Staat und Eigenverantwortung

Fraglich ist überhaupt, warum man ausgerechnet in diesem Fall nach dem starken Staat ruft. Sonst, bei wirtschaftlichen Krisen etc. wird immer auf Eigenverantwortung gesetzt. Man sperrt auch nicht Berge ab, weil Bergsteiger und Wanderer sich bei ihren Touren verletzten. Das liegt in deren Eigenverantwortung. Man könnte sagen, dass aber hier jeder dafür verantwortlich sei, den Nächsten nicht zu infizieren. Aber auch das sollte doch selbstverständlich sein. Und es gehört eben auch zur demokratischen Freiheit, sich in einem bestimmten Maße diesen Regeln widersetzen zu können. Auch wenn dies vielleicht Probleme verursacht. Pluralität gehört zum Wesen der Demokratie. Eine Bestrafung hilft hier kaum weiter, verlagert das Problem nur. Die Uneinsichtigkeit der ›Maskenverweigerer‹ liegt daher nicht nur in deren Ignoranz oder Dummheit, sondern in einem Gefühl, bevormundet zu werden. Sie haben eine eigene Sichtweise, die man argumentativ und erzieherisch angehen muss - und nicht durch Polizeigewalt. Man verhindert die Ansteckung vielleicht, zerstört aber den Glauben in die Überlegenheit demokratischen Handelns, das immer auf Toleranz und Einsicht setzen muss.

Bestrafung

Durch die Maßnahmen hat man allgemein den Eindruck, dass ein Weg der Pandemieeindämmung eine Art diffuser Bestrafung sei. Das Aufziehen der Maske wird von manchen als Strafe erlebt, sowieso die Quarantäne (sie ist eigentlich eine Form des Hausarrests), die deutschen Testungen, die einen Brechreiz verursachen oder den Nasen-Rachenbereich sehr irritieren, das Versammlungsverbot (wir kannten es bisher nur von totalitären Regimen), Ausgangssperren (die man schnell zu Ausgangsbeschränkungen umdeklarierte), der Eingriff in die Privatsphäre, die Zerstörung öffentlicher und kultureller Räume etc. Diese Maßnahmen werden als Strafen erlebt. Sie können so gut und abstrakt begründet sein, wie sie wollen, es sind Maßnahmen wider die Demokratie. Dazu ist die Menge an Verboten von einem Misstrauen des Staates in die Bürger geprägt. Hätte man nicht einfach Empfehlungen aussprechen können? Und dann, wenn diese nicht befolgt worden wären, immer noch die Strafe zur Hand gehabt? Warum hat es der Staat nicht erst, zumindest ein paar Tage lang, tolerant versucht?
Wer dann tatsächlich das Virus hat, wird wie in Aussätziger behandelt. Das mag medizinisch geboten sein. Aber die Frage, wie die Menschen das empfinden, muss auch gestellt werden. Die Gesetze bieten außerdem wieder Raum für verdeckte Rassismen und staatlich geschützte Verleumdungen und Denunziationen übelster Art. Durch eine bloße Anzeige, dass hier gegen den Infektionsschutz verstoßen wurde, kann man dem ungeliebten Restaurant, Nachbarn, der Bar größte Schwierigkeiten einhandeln. So entstand innerhalb von Wochen eine weltweite Atmosphäre der Zwietracht, des Muffs, des Imperativs, sich ins Private zurückzuziehen, um das Virus einzudämmen. Partys, Lebensfreude, Beisammensein, Konzerte, Spiele, Sport und Bewegung etc. - Lichtblicke im Kapitalismus - wurden mit der Begründung der Pandemiebekämpfung verboten und als gefährlich dargestellt. Äußerlich werden wir so in eine Welt ohne Nischen zurückkehren, mit einer bekämpften und ausgetrockneten Sub- und Protestkultur, Bar- und Partykultur. Dabei ist nirgendwo definiert, wann die Pandemie zu Ende sei. Wenn schon das Fehlen einer Maske oder die Bildung einer Gruppe im Freien zum Polizeieinsatz führt, wird man kaum mehr für noch größere Ziele demonstrieren wollen. Die graue Welt der 1950er Jahre winkt bereits hervor, wenn die Politiker mit einem einstudierten Verständnis und einer Einschlafstimme zu uns sprechen wie zu Kindern.

Sehnsucht nach der Pandemie

All die Statistiken etc. erklären nicht, wie es zu einem weltweiten Einverständnis kommen konnte, das selbst dann noch aufrecht erhalten wurde, als es sich abzeichnete, dass die Gefährlichkeit der Pandemie offenbar überschätzt wurde. Vielleicht liegt eine Sehnsucht nach der Pandemie darin, nach dem Ausnahmezustand, nach etwas, das man noch nicht erlebte, das noch nicht da war. Manche genossen (wenn auch hinter vorgehaltener Hand) die Ruhe, die endlich einkehrte. Die Welt war müde vom Kapitalismus und seiner Dynamik. Die Auswege in den Konsum verfingen nicht mehr.

Mediale Erzählmuster

Die Erzählmuster der Medien gleichen erstaunlich den bisherigen Katastrophenerzählungen, etwa Tschernobyl, Waldsterben, Atomkrieg, Fukushima. Da gibt es ein Ereignis und dieses Ereignis bedroht eine Gruppe oder eine Region. Und nun wird dieses Narrativ aufgegriffen und gewinnt mediale Übermacht. Die Medien also wurden durch das Virus-Narrativ ebenso infiziert, noch schneller, als das Virus selbst auf die Menschen übergriff. Das führte zu einem einzigartigen homogenen, sich verstärkenden Echoraum, in dem die immergleichen Angstbotschaften alles andere verdrängten. Es war ein Herbeisehnen des Anderen, was noch nicht da war. Man wollte den schaurigen Ausnahmezustand einmal selbst erleben. Es war auch Angst, Lust an der Angst. Man wollte sich einkuscheln in die Angst. Das Virus bot aber auch ein Decknarrativ für den Wunsch nach Ruhe, Stille, Schlaf. Die Welt möge stillstehen. Was der Kapitalismus nicht konnte, stillstehen, keinen Mehrwert erwirtschaften, das wurde nun zur Tugend. Wir sahen Geisterspiele, eine Geisterökonomie, gespenstische Nachrichten, unsichtbare Bedrohungen, leere Straßen und Museen, geschlossene Grenzen und verbarrikadierte Städte. Kollektive Exerzitien des Privaten wurden von Schulen und Universitäten eingefordert. Wir erlebten ein Schaulaufen von Staatlichkeit und Einverständnis, Geld nahezu beliebig unter die Leute zu bringen, die irrationalen Maßnahmen beliebig mit Krediten zu finanzieren, als wisse man nicht, dass das auch jemand zurückzahlen müsse. Dieser Laufsteg in den wirtschaftlichen Ruin wird von der Angst moderiert, die medial auf eine unheimliche Weise konzertiert wird und auf dem nicht die neueste Mode gezeigt wird, sondern Experten sprechen und Zahlen tanzen. Es entstanden so negative Dynamiken schlimmster Art. Begriffe wie Superspreader machen aus ungewusst und ungewollt infizierten Menschen unverantwortliche Agenten wider die Menschlichkeit. Man fragt sich, warum die Menschheit so wenig selbstbewusst mit dem Virus umgeht. Was hätte man gemacht, wenn es wirklich gefährlicher gewesen wäre?

Militarisierung

Man kann diese Eingriffe auch als eine schleichende Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens verstehen. Derjenige, der sich nicht testen lassen will, gilt als Dissident und steht außerhalb der Gemeinschaft. Das Verfügungsrecht über den eigenen Körper wird (eben wie beim Militär) staatlich durchsetzt. Es gibt einen faden Beigeschmack des Kollektiven, das auf einmal Ansprüche an das Individuum stellt.

Gewinner der Pandemie

Man fragt sich, wer die Gewinner der Pandemie sind. Denn diese Kräfte werden auch ein Interesse haben, das Narrativ aufrecht zu erhalten. In erster Hinsicht profitieren natürlich die Virologen und bestimmte Pharmakonzerne, die etwa den Impfstoff entwickeln. Gewinn machen außerdem noch die Internet-Giganten und Online-Händler. Auch Banken, die am Abgrund standen, dürfte die Krise gelegen gekommen sein, weil sie von der Misere ablenkt. Man müsste hier einmal prüfen, für welchen Bereich des Finanzwesens und der Geldwirtschaft das zutrifft. Von hier aus sind politische Instrumentalisierungen zu erwarten.

Auswege

Weil viele Menschen im Stillen denken, weiß man nicht, welche Meinungsbilder hier bestimmend sind. Dass die Gefahr besteht, dass ein diffuser Kontrollstaat entsteht, dass durch die ungeheuren Kredite ein Staatskapitalismus errichtet wird, ist offenbar. Damit wird auch die wirtschaftliche und politische Logik sich für Jahrzehnte wandeln, voraussichtlich nationalstaatlich bzw. in Staatenverbünden. Alle Menschen fühlen gleich. Aber sie interpretieren ihre Gefühle anders. Es wird daran hängen, eine Einsicht zu ermöglichen, sich die eigenen Gefühle transparent zu machen.

2020.08.23

Tagebuch-Notizen. Flug Frankfurt am Main-Tôkyô Haneda in Zeiten von Corona

Gestern Ankunft in Tôkyô Haneda, nach Monaten des Einreiseverbots. Für die Einreise brauchte ich trotz meines Visums ein Schreiben des Generalkonsulats von Japan, die »Application Form for Letter of Confirmation of Submitting Necessary Documentation for Re-Entry Into Japan«. Es dauerte einige Tage, bis die Genehmigung erteilt wurde - und ich konnte den Flug buchen. Zusätzlich verlangte man einen von einem Arzt durchgeführten COVID-19-Test, der maximal 72 Stunden alt sein dürfe. Man sieht in den Medien immer diese stereotypen Bilder, meistens aus seitlicher Perspektive, mit Menschen, die den Mund aufreißen. Tatsächlich muss man den Mund öffnen, aber auch die Zunge herausstrecken - und der Arzt geht dann mit einem langen Wattestäbchen möglichst weit hinten in den Rachen, um den Abstrich zu machen. Dabei stellte sich bei mir (und auch bei vielen anderen) ein Brechreiz ein. Alternativ könne man auch durch die Nase gehen. Das wollte ich mir dann nicht antun. Mittwochmorgens gemacht, erhielt ich am donnerstagnachmittag dann das glücklicherweise negative Ergebnis. Man stelle sich vor, was jemand macht, bei dem COVID-19 nachgewiesen wird. Der kann dann direkt den Flug canceln, wenn das denn möglich ist, und die ganze Prozedur - wohl Wochen später - nochmal machen. Als ich, sehr früh natürlich, am Gate wartete, begann das Boarding für den Flug nach Beirut. Mein Gott, was erwartet die Menschen dort?, dachte ich. Das Flugzeug, ANA, war sehr leer. Wie in Japan immer, ist man auf Perfektion bedacht, noch mehr in diesen Zeiten.
Die Flugbegleiterinnen trugen natürlich Mundschutz und Handschuhe, putzten und desinfizierten hinter einem her, und hatten bei den Fahrgastkontakten sogar noch eine offenbar neu entworfene Schutzbrille auf, die man sehr gut für einen Science-Fiction-Film nutzen könnte. Als ich nach deren Funktion fragte, musste auch die Flugbegleiterin lachen. Die Viren können wohl auch durch die Augen in den Körper kommen. Ich habe die Passagiere nicht gezählt, würde aber sagen, dass keine hundert Menschen im Flieger saßen. Mittlere Sitzgruppe nahezu leer, hinter und vor mir die Reihe leer, einen Dreierplatz für mich. Bedienung dann ohne Servierwagen mit Tablett in der Hand, wie im Restaurant. So viel Stress das Ganze verursachte, der Flug war einfach sehr entspannend (ich darf natürlich nicht an die Menge von Kerosin denken, die hier pro Kopf in die Atmosphäre geblasen wurde). In Japan angekommen, war wiederum alles hervorragend organisiert. Man schleuste die Passagiere nach und nach durch verschiedene Stationen, direkt nach dem Flug, kaum Wartezeit. Hier wurde ein weiterer kostenloser COVID-19-Test gemacht. Die deutsche Erfahrung in Erinnerung befürchtete ich das Schlimmste, hatte Angst, dass man diesmal durch die Nase gehen würde. Aber die brauchte ich in Japan nicht zu haben. Denn man verwendete hier einen viel einfacheren Test. Man musste nur in einer Kabine in ein Röhrchen wenige Milliliter Spucke geben. Ein kleiner Wegwerftrichter sorgte dafür, dass man dabei auch kein infektiöses Material hinterließ. Das war alles. Kein Brechreiz, kein Wattestäbchen. Das Ergebnis sollte in zwei Stunden vorliegen, aber in Wirklichkeit ging es viel schneller. Es dürfte so eine Stunde gewesen sein, vielleicht sogar weniger, als ich auch das zweite negative Ergebnis erhielt. Mit einem Spezialtaxi, das man vorher buchen muss, ging es dann in die heimische zweiwöchige Quarantäne. So war insgesamt gesichtert, dass nur die in die Stadt kommen, die keine Infektion haben. Ich will hier nicht über den Sinn der Maßnahmen allgemein urteilen. Aber wenn man denn COVID-19 eindämmen will, dann so! Im Internet las ich einen Bericht, wie chaotisch das in Deutschland abläuft. Man wartet auch hier eine Stunde. Aber nur, um den Test gemacht zu bekommen!1 So verteilt sich das Virus dann natürlich. Die deutsche Politik macht sich so unglaubwürdig. Denn wenn sie das angeblich so gefährliche Virus eindämmen will, für das sie kein Problem hat, eine Menge Freiheitsrechte zu opfern, dann muss sie es so machen wie in Japan.
Nachweise:
1So heißt es in einem Interview: »Nachdem meine Freundin und ich vom Flughafen nach Hause kamen. Wir waren auf den Balearen. Seitdem befanden wir uns in Quarantäne und warteten bis heute auf das Ergebnis unserer Corona-Tests. Das sollte eigentlich binnen 36 Stunden zugestellt werden. So wurde es uns am Flughafen Tegel am Terminal D vom Personal der Teststelle gesagt.«, aus: Sabine Priess: Wenn das Test-Ergebnis erst nach Tagen kommt, RBB 24, 21.08.2020, https://www.rbb24.de/panorama/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/08/berlin-risikogebiet-rueckkehrer-quarantaene-corona-test-ergebnis-interview.html [Link]





»Aber ob man dafür die Weltwirtschaft in Grund und Boden setzt...« - Virologin Prof. Dr. Karin Mölling im Interview über die überzogenen Corona-Maßnahmen.

2020.08.20

Wolkenansichten in Groß-Umstadt und Bad Vilbel







2020.08.19

Christian Drosten über die Notwendigkeit einer schnellen Impfstoffzulassung.
NDR-Coronavirus-Update 16 (18.03.2020)


Prof. Dr. Christian Drosten sagt über die Risiken der Impfstoffe:
»Und für mich, mein persönlicher Schluss ist wirklich, wenn wir das Ganze schaffen wollen als Gesellschaft, in einer Art, dass wir wirklich nicht eine erhöhte Todesrate akzeptieren wollen in der älteren Bevölkerung, dann müssen wir wahrscheinlich regulative Dinge außer Kraft setzen, was Impfstoffe angeht. Und schauen, wo können wir einen Impfstoff herbeizaubern, der schon relativ weit entwickelt ist, der vielleicht auch schon mal klinisch ausprobiert wurde? Also klinisch ausprobiert wurde für dieses neue Virus noch keiner, aber für das alte SARS-Virus wurden schon Impfstoffe ausprobiert. Da müsste man jetzt mal gucken, was gibt es eigentlich? Was liegen von damals eigentlich für Daten vor? Und dann muss man überlegen, wie man es hinbekommen kann, vielleicht regulative Prozesse in dieser Ausnahmesituation für eine Spezialgruppe in der Bevölkerung zu erleichtern.

Korinna Hennig. Also die Regularien ein bisschen zu lockern im Hinblick auf: Wir nehmen notfalls auch ein kleines Risiko in Kauf, dass noch nicht komplett durchgetestet wurde auf Nebenwirkungen zum Beispiel.

Christian Drosten Ja. Und für so ein Risiko müsste dann auch der Staat haften. Und das sind alles ganz schwere Entscheidungen und Überlegungen, weil das dann am Ende eben doch viele Personen betreffen würde, und das ist alles gar nicht ins Reine gedacht – ich sage das jetzt hier einfach so ins Mikrofon. Aber ich denke, wir müssen jetzt diesen Denkprozess unter Experten in der Wissenschaft starten, auch ungewöhnliche Optionen zu denken, wenn wir an diese Modellierungszahlen glauben. Und ich glaube schon an diese Zahlen.«
Zitiert aus: NDR, Coronavirus-Update, 18.03.2020, S. 7-8, Fettdruck-Markierung nachträglich eingefügt, https://www.ndr.de/nachrichten/info/coronaskript132.pdf [Link]

2020.08.18

"... man weiß nicht, in welche Zellen die mRNA gelangt!" - Sucharit Bhakdi - im Radio München



Blick vom Dottenfelder Hof und Bad Vilbel, kurz vor einem Gewitter


Infos Dottenfelder Hof, https://www.dottenfelderhof.de/dottenfelderhof/uebersicht/ [Link]

2020.08.17

Gewitter - Donneraufzeichnung

Heute Nacht gab es in Frankfurt ein schönes Gewitter! Ich habe diesmal wenig photographiert, dafür aber den Donner mit meinem Zoom H2-Recorder aufgenommen. Anbei die Ergebnisse. Ungeschnitten.

2020.08.15

darkentriesrecords · 2 Wait

Das Album von Figure Study hört sich an wie aus dem 1980er Jahren, klingt aber doch neu. Wie schafft das Duo Nathan Antolik und April Chalpara das?


Digitalstaat (Skizze 16)

Uploadfilter und das zukünftige Urheberrecht

Das Feld ist kompliziert und die von der EU projektierten ›Uploadfilter‹ werden aller Voraussicht nach dazu führen, dass eine intransparente maschinelle Vorzensur bzw. eine KI-Zensur des Internets erfolgt. Die Freiheit der Menschen, das zu veröffentlichen, was sie wollen, wird dadurch massiv eingeschränkt werden. Anders als heute muss ein Gesetzesverstoß dann gar nicht erst angezeigt werden, sondern die angebliche Konformität mit dem Urheberrecht wird gleich beim Upload geprüft. Das Gesetz ist in ein digitales Mustererkennungsprogramm implementiert und dieses setzt die Norm. Die Friedrich Naumann Stiftung schreibt: »Uploadfilter sind meistens blind für Nutzungsrechte. Der Algorithmus kann nicht erkennen, welche Inhalte eigentlich zulässig wären und durch die Meinungsfreiheit geschützt sind.«1 Einen Überblick mit verschiedenen Szenarien versucht die Studie Ein modernes Urheberrecht2 ebenjener Stiftung zu geben.
Nachweise:
1 Friedrich Naumann Stiftung: No Uploadfilter. Viermal »Nein« zu einer automatisierten Zensurmaschine, 06.03.2019, https://www.freiheit.org/artikel-13-no-uploadfilter [Link]
2 Friedrich Naumann Stiftung; Philipp Otto; Leonhard Dobusch; Lukas Daniel Klausner: Ein modernes Urheberrecht, Juli 2020, https://shop.freiheit.org/download/P2@905/295594/2020_Modernes%20Urheberrecht.pdf [Link]. Siehe hierzu auch Corinna Budras: Regierung enttäuscht mit Vorschlag zu Upload-Filtern, FAZ, 13.08.2020, https://www.faz.net/-ikh-a28oi [Link]



Die Kontrolle und Manipulation des Blickverhaltens in Videokonferenz-Tools

Eine frühere Version des Zoom-Videokonferenz-Tools registrierte, ob man den Präsentationen folgte. Jenna Amatulli schreibt in der Huffpost:
»On Zoom, there’s a feature called ›attention tracking‹ that identifies whether participants have clicked away from the active Zoom window for more than 30 seconds.«1
Das Unternehmen hat dieses Feature Attendee Attention Tracker schließlich am 2. April 2020 deaktiviert.2 Das Apple-Tool FaceTime testete im iOS 13 eine Funktion, die das Blickverhalten korrigieren sollte, wie der iPhone Ticker schreibt:
»Die FaceTime-Aufmerksamkeitskorrektur soll dem Eindruck entgegenwirken, dass man aus Sicht des Gesprächspartners stets ein wenig nach unten blickt, weil die Augen nicht auf die am oberen Rand der iOS-Geräte angesiedelte Kamera, sondern auf den Bildschirminhalt gerichtet sind. Offenbar analysiert eine Filterfunktion in Echtzeit das Bild und positioniert unter anderem die Pupillen höher, sodass der Eindruck entsteht, der Benutzer blicke in die Kamera.«3
Das heißt konkret, dass die FaceTime Attention Correction in Echtzeit das Gesicht so manipulieren sollte, dass der Gesprächspartner den Eindruck hat, man blicke ihn an. Das Feature ist allerdings offenbar nur getestet worden und verschwand, wie es in einem anderen Artikel heißt.4
Bei Zoom habe ich eine Aufzeichnung von beiden Seiten der Übertragung gemacht und stelle fest, dass die Videobilder offenbar identisch sind. Auch konnte ich keine Manipulation feststellen, da ich mit Ansage in verschiedene Richtungen blickte. Aber eine genaue Untersuchung müsste eine weitere Kamera installieren und deren Bild mit dem von Zoom vergleichen. Ein interessantes Feld ist auch die Symmetrie. Die Videokonferenz-Tools zeigen das Bild so an, wie man sich selbst von der Kamera aus sehen würde. Da die Darstellung in Echtzeit geschieht, wirkt das Bild spiegelähnlich. Aber wie bei einem Doppelspiegel ist dieses Bild nochmals invertiert, so dass auch die Schrift lesbar ist.
Nachweise:
1 Jenna Amatulli: Zoom Can Track Who's Not Paying Attention In Your Video Call. Here's How, Huffpost, 25.03.2020, https://www.huffpost.com/entry/zoom-tracks-not-paying-attention-video-call_l_5e7b96b5c5b6b7d80959ea96?utm_campaign=share_email&ncid=other_email_o63gt2jcad4 [Link]
2 Zoom, Meldung vom 02.04.2020, https://support.zoom.us/hc/en-us/articles/115000538083-Attendee-attention-tracking [Link]
3 Chris: FaceTime Aufmerksamkeitskorrektur sorgt für Blickkontakt, iPone Ticker, 03.07.2019, https://www.iphone-ticker.de/facetime-aufmerksamkeitskorrektur-sorgt-fuer-blickkontakt-143375/ [Link]
4 Nicolas: Fehlt in iOS 13: Aufmerksamkeitskorrektur und Kommunikations­limits, iPone Ticker, 14.10.2019, https://www.iphone-ticker.de/fehlt-in-ios-13-aufmerksamkeitskorrektur-und-kommunikationslimits-148202/ [Link]

2020.08.14


Flug gebucht. Frankfurt (Main) 21. August -> Haneda 22. August.

2020.08.13

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 26)

Coronapolitik und die Gefühle

Oberflächlich gesehen wirkt sich die ›Bekämpfung‹ der Pandemie vor allem auf den Kultur-, Tourismus- und Wissenschaftssektor massiv aus, diese gelten nicht als ›systemrelevant‹. Damit einher läuft ein verdeckter nationalistischer und regionalistischer Politikstil der Abschottung, eine Einführung der Digitalisierung mitsamt der durch sie möglichen Überwachung (dies gilt für alle Bereiche, vor allem natürlich für die Schulen und Universitäten, die mit der Installation von Systemen zugleich auch eine - mögliche - digitale Kontrollinfrastruktur schafft). Da die Wirtschaft auf Dynamik ausgelegt war und nur durch Ausnutzung von Grenzbereichen, durch Geschwindigkeitssteigerung und Optimierung noch Gewinn erzielen konnte, brach eine komplette Wirtschaftsideologie ein. Derzeit ist es der Staat allein, der Stabilität garantiert, indem er unüberschaubare Kredite in ungeheurem Ausmaß gewährt. Das Internet, das vor einigen Jahren noch als globale Verheißung gepriesen wurde, mutiert ganz offensichtlich mehr und mehr zu einer universellen Kontroll- und Zensurinstanz, die dazu für die nationale Abschottung wird eingesetzt werden können.
Was bedeuten die Corona-Maßnahmen konkret? Pandemiebekämpfung heißt Distanzierung, Verglasung und Separierung der Menschen, Maskierung, Hygieneunterbrechungen im Alltag, Desinfektion. Die allgemeine Angst vor dem unsichtbar Infektiösen, der Verdacht, der den Alltag begleitet, ist deren Kennzeichen. Man richtet sein Verhalten auf eine unsinnliche Abstraktion aus, die Virus heißt. Damit ändert sich aber das gesamte soziale Gefüge. Der Mensch braucht Vertrauensgesten und Bräuche der intersubjektiven Einstimmung. Dazu gehören in unserem Kulturkreis die Umarmung, das Händeschütteln, das nahe Beisammensein, Zärtlichkeit und natürlich Erotik, die sich aus diesem Gefüge in bestimmten privativen Konstellationen ergibt. All das ist verdächtig, genauso wie Feiern, gemeinsame ekstatische Feste, Live-Events. Damit bricht die Basis kultureller Vertrauensbildung weg. Diese kann nicht durch Online-Schaltungen ersetzt werden, weil bei diesen das Gegenüber durch das Bild imaginiert wird. Wir sprechen nicht mit dem Anderen, das hieße nämlich, in einer Präsenzsphäre zu sein, sondern mit mehr oder weniger synchronisierten Bildrepräsentanten. Diese eikonische Imagination des Anderen (um es mit Husserl zu sagen) erzeugt bestenfalls Sekundärerfahrungen, imaginierte Erfahrungsmöglichkeiten. Man liest nicht nur Bücher, in denen das Bewusstsein sich sprachlich moderiert auf sich selbst reflektiert, sondern auch die Diskurse werden ebenso vorgestellt. Wir gleiten in diese Hinsicht in eine erfahrungslose Zeit, die aber gleichzeitig eine Erweiterung und Übung der Vorstellungskräfte bewirkt, weil wir in Kaskaden von Vorstellungsniveaus navigieren. Damit tariert sich das soziale Gefüge neu aus. Es wird privativ, ist vom solipsistischen Rückzug und der Abstraktion gekennzeichnet. Wichtige Entscheidungen werden auf diese Weise ›kalt‹, d.h. in diffuser Abwesenheit von Anderen, gefällt. Der Alltag, der auch bestimmt ist dadurch, dass man das Wichtige beiläufig umgrenzt, muss dieses nun sprachlich explizieren, was oft misslingt. Der Konsumeinbruch wird durch den Staat ausgeglichen, der nurmehr durch Kredite handelt. Die Gefühle der Menschen kapseln sich ein. Manche Menschen haben Angst, noch etwas zu unternehmen. Und womöglich ist eben diese Angst besser begründet als die Unbekümmertheit mancher, die sorglos weiter in Urlaub fahren und feiern, als ob die Pandemie bereits überwunden sei. Was kann man da machen? Man muss eine stabile politisch-ökonomische Welt aufbauen, die auf Verlässlichkeit fundiert ist. Bei der es nicht mehr um Steigerung und Effizienz geht, sondern darum, in allen denkbaren Konstellationen für möglichst viele Menschen Stabilität zu gewährleisten. Die medizinische Immunisierung, wenn sie denn kommt und erfolgreich ist, wenn sie denn keine Nebenwirkungen haben wird, ist die eine Seite. Die andere Seite ist die Frage, wie wir es schaffen werden, die Gefühle so neu auszutarieren, dass wir aus der Pandemie lernen können.


Bonner Stummfilmtage - auch online, vom 6. bis 16. August

Das Bonner Stummfilmfestival findet dieses Jahr doppelt statt - im Realraum und online. Eine Auswahl der Filme mit Klavierbegleitung kann im Internet abgerufen werden auf:
https://www.internationale-stummfilmtage.de/ [Link]

2020.08.09


Wim Wenders Kurzfilm Veränderung (2020), https://www.rbb-online.de/derrbbmachts/kurzfilm/videos/der-rbb-macht-kurzfim-veraenderung-wim-wenders.html [Link]

Impressionen von der Tagung Wim Wenders – Filmemacher, Fotograf, Grenzgänger am Lehrstuhl für Literatur und Medien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 7. bis 8. August 2020

Jörn Glasenapp und das Team am Lehrstuhl für Literatur und Medien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg nahmen den 75. Geburtstag von Wenders (am 14. August) zum Anlass einer interdisziplinären Zoom-Tagung. Geplant war eigentlich eine Filmreihe im Kino, diese wird nachgeholt, das begleitende Seminar fand online statt - und auch die Tagung verlegte man in den virtuellen Raum. Zoom-Konferenzen tendieren dazu, alles zu ›verfernsehen‹ - ich meine damit, dass wenige reden und viele (in Spitzenzeiten diesmal beinahe 70 Menschen) zuschauen. Aber die Podiumsdiskussion, wenn man so will, war sehr produktiv und ergiebig. Und der Kreis der Fragenden erweiterte sich stetig. Ein Highlight war natürlich die Liveschaltung zu Wenders. Der beantwortete Fragen eine Stunde lang. Irgendwie glaube ich Wenders zu kennen, obwohl ich ihn nie persönlich getroffen habe. Dass er nun auch zu mir sprach, als reaktives Livebild, war natürlich besonders. Wenders blickte bei der Beantwortung der Fragen und auch beim Gespräch in der Regel seitlich an der Kamera vorbei, nach unten, von uns weg. Es schien mir, als ob er schüchtern sei, obgleich er diese Situation des In-die-Kamera-Sprechens doch schon tausendfach inszenierte. Die für die meisten Menschen einfach scheinende Situation, dass es da eine Kamera-Kadrierung gibt, in die man zu schauen hat, ein künstliches Auge, in das man blickt, als sähe man die Menschen, diese von Imperativen durchdrungene Umordnung der Imagination war Wenders offenbar unheimlich. Die Zoom-Facetten-Bildertafel mit den Bildschirm-Facetten-Augen ist ja tatsächlich das, was er selber 1991 schon ausfabulierte, als noch niemand an Videotelephonie glaubte, Bis ans Ende der Welt. Insofern können wir davon ausgehen, dass Wenders diesen Phantasievorsprung gegenüber unserer Vorstellung immer noch hat. Wenders antwortete ganz alltäglich, werkstattmäßig, sprach über die Engel von Der Himmel über Berlin und die Darstellung derselben. (Im Internet sah ich mehrere Unterschriften von Wenders. Er signiert abstrakt, aber manchmal deutete er Flügel an, so wichtig ist ihm der Film - und die Zeichnung, die Unterschrift als Logo). Die Darstellung behinderter Menschen, er empfinde dies als ein problematisches Wort, auch die Engel seien auf ihre Weise ›behindert‹, sie wüssten doch auch nicht, wie Kaffee schmecke, raunte er. Ich fragte ihn nach den Gedankenstimmen in dem Film und Wenders erzählte, wie es dazu kam, wie man dann vieles improvisierte und wie lange er darüber nachdachte, was die Menschen denn denken könnten, es solle sich ja nicht doppeln. Normalerweise sprechen wir ja nicht immer aus, was wir denken, denken mitunter etwas anderes, als wir sagen... »Manche Menschen sprechen schon alles aus, was sie denken«, schmunzelte Wenders. Und Komödien, ja, Komödien seien das Schwierigste. Brauche man den Western noch? Fragen über Fragen. Mit der Photographie und der Reflexion derselben im Film habe er immer noch nicht abgeschlossen. Ich meine, der frühe Wenders photographiert, der späte Wenders malt Filme, was man auch gut mit seinen Farbkompositionen belegen könnte.
Felix Lenz sprach in seinem Vortrag über Andrew Wyeth, Terrence Malick und Wenders und deren ähnliche (Farb-)Kompositionen und Motive. Wyeth kann Gräser malen, Vorhänge, im Abendlicht schillernde Haare. Er deplatziert ganz gekonnt, surreal. Julian Weinert berichtete über Chris Petits Film Radio On von 1979, den Wenders unterstützte, und verglich ihn mit Wenders Roadmovies. Matthias Hurst wendete sich dem amerikanischen Traum und der Auflösung des Western-Genres in Don't Come Knocking zu. Miriam Schmitt thematisierte Adorno und Wenders, beide reflektieren die Medien, Wenders bildlich, kommentierend, Adorno sprachlich, philosophisch. Eine interessante Perspektive, die sich da eröffnet und die man auf Walter Benjamin, Marshall McLuhan sicherlich erweitern könnte, wie man in der Diskussion übereinkam. Petra Anders sprach über Disability in Wenders Filmen. Eine Kritik der typisierenden Darstellung ist eine dringliche Aufgabe, und Wenders hat ein sensibles Gespür dafür. Matthias Bauer erweiterte den Blick historisch, indem er die Szenographie des griechischen Theaters sich in Die schönen Tage von Aranjuez von 2016 spiegeln sah und die Weltenkomposition in Grenzenlos von 2017 untersuchte. Ja, das ist sehr europäisch und doch auch spirituell, diese Gedanken möchte ich gerne weiter verfolgen. Spannnend war auch das Gespräch mit Francesca Hecht und Hella Wenders von der Wenders-Stiftung. Gut, dass das Filmerbe Wenders sorgsam gepflegt, restauriert und digitalisiert wird. Leider konnte ich am zweiten Tag nicht komplett dabei sein. Die verpassten Vorträge möchte ich aber gerne nachlesen, denn ein Tagungsband ist geplant.
Nachweise:
Uni Bamberg, Tagungswebseite: https://www.uni-bamberg.de/germ-lit-medien/forschung/tagungen-kolloquien/ [Link]
Wenders-Stiftung, https://wimwendersstiftung.de/ [Link]
Die ARD zeigt in der Mediathek gerade eine Werkschau von Wenders Filmen, großartig. Alles free und online, besser geht es nicht, würde ich sagen: https://www.ardmediathek.de/daserste/sendung/wim-wenders-werkschau/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3dpbS13ZW5kZXJzLXdlcmtzY2hhdQ/ [Link]

Mein erster Wim Wenders-Film

Wim Wenders Filme mag ich seit meinem Studium. Der erste Film, den ich von ihm sah, war Im Lauf der Zeit von 1976, es muss im Seminar von Guntram Vogt gewesen sein. Das Feeling dieser Zeit, die haptische Alltäglichkeit, ist hier ganz bezaubernd in Schwarzweiß dargestellt. Es gab noch keine Handys, kein Internet, daher konnte man einfach irgendwo sitzen. Und dann verfuhr man sich, wusste nicht, wo man war, fragte Menschen. Die warteten scheinbar auf die Fragen der Reisenden und halfen gerne weiter. Dass in diesem Moment der langen Weile etwas enorm Schöpferisches liegt, merkt man spätestens in der wunderbaren Schattenbild-Szene des Films.

2020.08.06

Über die Sentinelesen

Die Sentinelesen sind ein indigenes Volk, das abgeschottet vom Rest der Welt auf einer kleinen Insel lebt, auf North Sentinel Island. Der Zutritt auf das von Indien verwaltete Gebiet ist heute verboten, wenn es auch in der Vergangenheit zahlreiche Kontakte mit Fremden gab. Man möchte die Einwohner der Insel einerseits vor Krankheiten schützen, erkennt aber auch die Bedrohung dieser als einer der wenigen noch intakten Ureinwohnerkulturen an. Nun sind die wenigen Einwohner der Insel keineswegs friedlich, haben in der Erfahrung der Jahrhunderte eine eindeutige Weise gefunden, dem Fremden zu begegnen, indem sie ihn zu töten trachten. Erst 2018 unternahm ein junger Mann, John Allen Chau, den Versuch, die Sentinelesen zu missionieren - und bezahlte mit seinem Leben. Erstaunlicherweise wägte man hier ab, verfolgte die Mörder nicht, denn das hieße doch, den Schutzstatus der Insel aufzuheben. So bleibt dieses kriegerische Volk unter sich, während unzählige friedliche Urstämme, die die Geschenke der Kolonialisten annahmen, ausgestorben sind.
Nachweise:
Wikipedia, Eintrag Sentinelesen, https://de.wikipedia.org/wiki/Sentinelesen [Link]
Die Welt, »Wir sollten die Leiche in Ruhe lassen, ebenso die Sentinelesen«, 28.02.2018, https://www.welt.de/vermischtes/article184583602/Getoeteter-US-Missionar-Wir-sollten-die-Leiche-in-Ruhe-lassen-ebenso-die-Sentinelesen.html[Link]
Google Maps, North Sentinel Island

Der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki und die medizinische Untersuchung der Folgewirkungen

Vor einigen Jahren interviewte ich den Nuklearmediziner Horst Kuni und sprach mit ihm über die Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. In diesem Zusammenhang sprachen wir auch über die Folgen des Atombombenabwurfs in Hiroshima und Nagasaki:
»Können Sie noch einmal anhand der Daten von Hiroshima und Nagasaki erörtern, wie man sich das vorzustellen hat?«
»Die Daten wurden gesammelt, und man hat die Bevölkerung erfasst, die von der Strahlung betroffen war. Die Bedeutung dieser Daten liegt darin, dass man damals – wenn auch mit einer Verspätung von fünf bis sieben Jahren – mit einem unglaublichen Aufwand Tumor- und Krankheitsregister aufgebaut und die Bevölkerung beider Städte mit einem relativ hohen gesundheitlichen Standard weiterverfolgt hat und dadurch die Gesundheitsschäden überhaupt erst feststellen konnte. Außerdem hat man mit einem unglaublich hohen Aufwand, der eigentlich bis heute nicht vollkommen abgeschlossen ist, die Dosen, die die einzelnen Menschen erreicht haben, rekonstruiert. Nur mit einem solch großen Aufwand – und da steckten weitgehend militärische Interessen dahinter, mit zivilen Geldern wäre ein solcher Aufwand gar nicht realisierbar gewesen – ist es dann möglich, eine Verknüpfung von Dosen und Wirkungen herzustellen.«
Nachweis:
Becker, Andreas: »Ein einziger Strahlentreffer kann tödlich sein. Gespräch mit dem Nuklearmediziner Horst Kuni«, in: Becker, Andreas (Hg.); Reither, Saskia (Hg.); Spies, Christian (Hg.): Reste. Umgang mit einem Randphänomen, Bielefeld 2005, S. 255-260, zit. S. 258, online: https://www.zeitrafferfilm.de/ hoerstation_reste_leseprobe.pdf [Link]

2020.08.05

Günther Anders und der Ausdruck ›Atomwaffen‹

Am 6. und 9. August 1945 wurden die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki mit atomaren Bomben zerstört. Günther Anders, Philosoph, Schriftsteller, Kritiker, Essayist, widmete einen Teil seines Schaffens, um diese Katastrophe zu verarbeiten und um einen atomaren Weltkrieg zu verhindern. Er reiste nach Japan, hatte einen Briefwechsel mit dem Hiroshima-Piloten Claude Eatherly und schrieb (wohl im August 1958) in Hiroshima in sein Tagebuch:
»Schon vor fünf Jahren habe ich davor gewarnt, die ›Gegenstände‹, um die es sich handle, als ›Waffen‹ zu bezeichnen, und sie monströse Katastrophengeräte genannt, da ihre Effektgröße grundsätzlich jede mögliche Zielgröße übertreffe und ihr Einsatz durch kein denkbares Ziel gerechtfertigt werden könne. Nicht nur die ›Atomwaffen‹ müssen abgeschafft werden, sondern auch der Ausdruck ›Atomwaffen‹. Dieser Ausdruck ist ›ideologisch‹«1
Nachweis:
1Anders, Günther: Hiroshima ist überall, München 1995, S. 74.
Auf Arte ist noch bis zum 10. August 2020 die Dokumentation Count-down in ein neues Zeitalter: Hiroshima von Lucy Van Beek aus dem Jahr 2014 zu sehen.

2020.08.04

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 25)

Da der Profit bei den regulären Produktionsmethoden abnimmt, hat der Kapitalismus drei Möglichkeiten erfunden, um Umsätze zu generieren. Alle drei Formen erlauben es, viel Geld auszugeben, ohne dass dem ein entsprechender Einsatz auf Produktionsseite entgegenstünde. Diese sind:
I) Die Eventkultur: Konzerte, Spiele, Massenveranstaltungen, Feste erzeugen eine nach dem Prestige gestaffelte Preisgestaltung. Wer in der ersten Reihe sitzt, besondere Vorzüge genießt, wohlfeine Speisen und Getränke kostet, kann und muss mehr dafür bezahlen.
II) Der Tourismus: Das vororganisierte Reisen in andere Länder, oftmals nach klimatischen Gesichtspunkten (im Winter fliegt man in den Sommer, im Winter will man den garantierten Winter mit Schnee etc.), klischeehaften Bildern (Palmen und Strandurlaub, Sehenswürdigkeiten, Wahrzeichen von Städten) verspricht ›Erholung‹. Diese besteht nicht darin, für eine bestimmte Zeit einfach in Ruhe zu leben, sondern sie besteht darin, zielgerichtet ausgesuchte Erlebnisse zu bahnen. Man hat Anspruch darauf, dass die Reise diese Erlebniserwartung erfüllt, folgt aber wie im Berufsleben auch Optimierungsstrategien, möchte möglichst viel sehen etc. Auch hier gilt: Je beliebter oder seltener, je exquisiter und luxuriöser die Ziele, desto horrender die Preise.
III) Die Medien: Gerade die Streamingmedien erlauben es, mit einem vergleichsweise geringen Aufwand Gewinn zu generieren, da die Menschen bereit sind, für Bilder, Filme, Programme höchste Preise/Abonnements zu bezahlen.
Sowohl die Eventkultur als auch der Tourismus sind durch Corona nahezu vollständig eingebrochen. Auch die Kinos und Vergnügungsstätten sind geschlossen, nur die Online-Streamingmedien verbuchen Gewinn, da sie ohne Außenkontakt konsumiert werden können. Das Problem ist meiner Meinung nach folgendes: Die Wohlhabenden wissen nicht mehr, wofür sie ihr Geld ausgeben sollen. Die Reichen können keine Events besuchen, keinen teuren Urlaub machen und auch keine Stätten der Vergnügung mehr aufsuchen. Wie schafft man es in einer solchen Situation, Geld auszugeben? Es bleiben Investitionen in Produkte, aber irgendwann hat man genug Computer, Autos, Mobiliar etc. Auch die Renovierung des Hauses ist abgeschlossen. Es bleibt dann der Erwerb von Immobilien - viele tun das, also steigen die Preise. Nur: Keiner will die Häuser bewohnen oder nutzen, es gibt ja kein Interesse mehr daran, Geschäfte zu öffnen. Das Kapital also liegt gewissermaßen brach. Es wartet auf einen neuen Besitzer und keiner findet sich. Das sind die Probleme der Reichen in Zeiten von Corona. Man könnte hier anknüpfen und eine neue Linie der Bildungsinvestition aufmachen. Diese läge neben den Events, dem Tourismus und den Medien. Sie bestünde in einer angeleiteten geistigen Verfeinerung der Menschen, für die sie zahlen würden. So wäre das Problem der Wohlhabenden gelöst!

2020.08.02

Zeitfiktionen

»Zeitfiktionen« erschienen

Der von Andreas Blödorn und Stephan Brössel herausgegebene Sammelband »Zeitfiktionen. Reflexionen und Funktionen von Zeit in Literatur und Film« ist im LIT-Verlag erschienen. Mit vielen Beiträgen zur Zeit in den Künsten. Es »wird ein historischer Bogen vom ersten Drittel des 19. Jahrhunderts bis in das 21. Jahrhundert gespannt und epochenspezifischen, medienspezifischen und generischen Reflexionen von Zeit und ihrer jeweiligen funktionalen Einbindung in Textzusammenhänge nachgegangen«, wie es in der Verlagsbeschreibung heißt. Informationen auf: https://www.lit-verlag.de/publikationen/literaturwissenschaft/73649/zeitfiktionen [Link]


Krisenszenario für die Wahl in Amerika

Lawrence Douglas, Professor für Recht, Rechtsprechung und soziales Denken am Amherst College in Massachusetts, erklärt in Der Freitag, warum in den anstehenden Wahlen in Amerika ein Krisenszenario historischen Ausmaßes schlummert. Man sollte seine Warnung sehr ernst nehmen. Nicht nur dieses, auch andere Szenarien würden ähnliche Ergebnisse liefern:
»Bei der Arbeit an einem Buch über friedliche Machtwechsel wurde mir klar, dass in die US-Präsidentschaftswahlen ein Tschernobyl ähnelnder Defekt eingebaut ist. Bei einer bestimmten Kombination von Faktoren ist das System anfällig für einen katastrophalen Zusammenbruch. Das Risiko für eine solchen Wahl-Meltdown ist in den USA normalerweise eher gering. Aber im November könnte eine Kombination aus Stressfaktoren, die auf ähnliche Weise zuletzt 1876 vorgekommen sind, zusammenwirken und zu einer Katastrophe führen.«
Siehe dazu Der Freitag, 29.07.2020, https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/verlieren-ist-keine-option, [Link]

2020.07.29

Zitate aus der Pressekonferenz des Auswärtigen Amts vom 17.07.2020 über die Regelungen für die Einreise ausländischer Staatsbürger nach Japan

FRAGE: Frau Fietz, die Bundeskanzlerin hat gestern eine Videokonferenz mit dem japanischen Premierminister Abe durchgeführt, über die auch das BPA danach schriftlich informiert hat. Von japanischer Seite verlautbarte dazu, dass es in dem Telefonat oder in dem Videogespräch auch um Visaregelungen und Einreiseregelungen für ausländische Staatsbürger in Japan ging. Es gibt ja hier immer noch die Situation, dass auch schon seit Langem in Japan ansässige deutsche Staatsbürger nicht nach Japan einreisen dürfen. Sie haben das nicht erwähnt, aber laut japanischer Seite wurde dieses Thema eben angesprochen. Es hieß, dass die Bundeskanzlerin die Forderung gestellt habe, dass die Einreiseregelungen bearbeitet werden, sodass Leute mit langfristigen Visa eben wieder einreisen dürfen. Können Sie dazu etwas sagen? Hat die Bundeskanzlerin solche Forderungen gestellt oder das Thema angesprochen? Wie wurde das beschieden?

FIETZ (BReg): Wie Sie wissen, berichten wir über das, was wir hinterher offiziell mitteilen, hinaus nicht aus den vertraulichen Gesprächen der Bundeskanzlerin mit anderen Staats- und Regierungschefs. Deshalb kann ich Ihnen dazu keine konkrete Angabe machen.
Das ausführlichere Gespräch auf: Regelungen für die Einreise ausländischer Staatsbürger nach Japan, Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­pressekonferenz vom 17.07.2020, https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/regierungspressekonferenz/2369446#content_2[Link]

2020.07.27

Hundenasen und Corona

Wie der SWR berichtet, können Hunde am Geruch des Urins das Corona-Virus erschnüffeln:
»Hunde können charakteristische Duftstoffe erschnüffeln, die mit dem Coronavirus infizierte Patienten mit dem Urin ausscheiden. Das haben erste Pilotversuche in Finnland gezeigt. Nach Angaben der Forscher der Universität Helsinki schnitten die Tiere teilweise sogar besser ab als klassische Covid-19-Tests. Nun soll eine klinische Doppelblindstudie folgen.«
Wäre das nicht viel günstiger und besser, Hunde patrollieren zu lassen - anstatt diese chemischen und dazu noch teuren Tests zu machen?
Nachweis: Anja Braun: Hunde können Corona-Infektion im Urin erschnüffeln, SWR, https://www.swr.de/wissen/hunde-sollen-corona-erschnueffeln-100.html [Link]


Einreisebedinungen für Japan

Seite der japanischen Botschaft
https://www.de.emb-japan.go.jp/itpr_de/konsular_InformationenCoronavirus.html [Link]

2020.07.21

Was ist ein Bild? Eine phänomenologische Antwort

In diesem neunseitigen Script skizziere ich eine phänomenologische Antwort auf die Frage »Was ist ein Bild?« Dabei nehme ich insbesondere Bezug auf Edmund Husserls phänomenologische Theorie.
[pdf. Was ist ein Bild?]
[epub. Was ist ein Bild?]

2020.07.20

Elon Musks Starlink-Projekt

Clemens J. Setz schreibt in der FAZ über Elon Musks Starlink-Projekt:
»Denn wenn am Ende wirklich 42 000 Satelliten da oben kreisen, wird man auf dem Land oder an einer ähnlich lichtverschmutzungsfreien Stelle der Erde in den Dämmerstunden nicht mehr in den Sternenhimmel hochblicken können, ohne dass es da oben gewaltig würmelt. Es wird aussehen wie unaufhörlich dahinfließende, rechtwinklig zueinander stehende Perlenketten, entweder in tatsächlich vollkommen geraden Bändern oder in weiß Gott was für leicht verschobenen Formationen. Der Frevel an der ganzen Sache wäre die Regelmäßigkeit.«1
Man fragt sich, wie es sein kann, dass ein Unternehmen die Sichtverbindung zum Kosmos mit einem Netz von Satelliten stört. Setz bezieht sich vor allem auf die Anti-Metaphern des Kosmischen, die geometrischen Formen etc. Da sind aber insgesamt Dinge im Gange, die sich mit solch einer Geschwindigkeit vollziehen, vorbei an jeder regulierenden Staatlichkeit, von denen wir überhaupt nicht wissen, was das mit der Menschheit macht, ja mit der Menschheit macht.
Nachweis:
1 Clemens J. Setz: Elon Musks Starlink-Satelliten: Der zerstörte Himmel, FAZ, 01.05.2020, https://www.faz.net/-gsf-9yu6l[Link FAZ]
Weitere Informationen dazu:
DLR, Felix Huber, Manfred Gaida: Per­len­ket­ten am Nacht­him­mel – Das Sa­tel­li­ten-Pro­jekt Star­link, https://www.dlr.de/content/de/artikel/news/2020/02/20200515_das_satelliten-projekt-starlink.html [Link Interview DLR]
Dirk Lorenzen: Gigantisches Projekt Starlink. Der Schrecken der 40.000 Satelliten, DLF, https://www.deutschlandfunk.de/gigantisches-projekt-starlink-der-schrecken-der-40-000.732.de.html?dram:article_id=462100 [Link DLF]

2020.07.19

Verfassungsschutzbericht 2019. Horst Seehofers Unterschrift. Skizze einer graphologischen Analyse

Was mir bei der Lektüre des Verfassungsschutzberichts 2019 ins Auge stach und mich dann weiter beschäftigt hat, war die Unterschrift von Horst Seehofer, Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, auf Seite 5. Es ist dies eine zittrige Handschrift. Das »H« von Horst ist mit Bögen angedeutet, wie man es in der Grundschule lernt. Aber die Schleifen sind nicht miteinander verbunden, auch fehlt eine. Zwei Schleifen oben, dann unten ein Abkürzungsbogen, so als ob die untere Hälfte unter Wasser tauche. Dass eigentlich eine Ausführung aller Bögen gewünscht war, merkt man am Innehalten in der Mitte des Buchstabens. Nach der unteren Schleife dann eine gerade Linie - wie mit dem Lineal gezogen. So werden die Buchstaben »ors« ausgelassen. An Stelle eines »t«'s dann eine Grenzlinie, kein Kreuz, wie es für ein kleines »t« auch möglich wäre. Dann der Nachname »Seehofer« mit Schwung begonnen, ein Comic-»S«, danach zittrige und ungelenke Kleinbuchstaben. Der Abschluss »fer« nach unten gerückt. Da ist noch etwas zu tun, Silben machen sich selbstständig, bilden eine zweite Ebene. Interessanterweise ist der Stil des Vornamens anders als der des Nachnamens. Offenbar ist Seehofer die Familie wichtiger als er selbst. Er streicht sich selbst (seinen Vornamen) regelrecht durch, andererseits nähert er den Buchstaben »H« durch die Auslassung der Schleife auch dem Anfangsbuchstaben »S« des Nachnamens an. Der Vorname zieht Grenzen, opfert sich gewissermaßen, indem er sich unleserlich macht für die Sache, der Nachname fabuliert dann aus. Auf die Metaphorik, See und Hof, nimmt Seehofer in seiner Unterschrift außer dem Anfangsbuchstaben des Vornamens nicht Bezug. Der Vorname wartet, dreht Schleifen und zieht dann ohne Vorwarnung die Grenzlinie. Irgendwann ist der Kompromiss zu Ende. Der Nachname kümmert sich mit den krakeligen Schleifen um den Rest, bessert aus, zeigt an, wo es hakt. Die Schleifen sind ein Merkmal, das wiederkehrt. Aber es sind Schleifen, die sich nicht entfalten konnten. Mehrfache Versuche, aber etwas wartet da. Ein Kindertraum vielleicht, der hier verfolgt wird. https://www.verfassungsschutz.de/de/download-manager/_vsbericht-2019.pdf [Link Verfassungsschutzbericht 2019]


Sprachfetzen

Er muss es wissen, er gehört zu denen, die sich immer gekümmert haben und die die Arschkarte gezogen haben. | ... im Hotelzimmer, da haben wir die Auswahl | ... und da hat sie komischerweise eingelenkt, hat sie wohl gemerkt, einfach abprallen lassen, ich verdränge das auch | ... das ist bei der Hitze | Ja, ich auch. Ich hab' einfach weitergebabbelt. Und bei dir, läuft's einigermaßen? | Vorsicht! Da waren wir. Es war hier. Du musst den ganzen Park kennenlernen. | Warte. Ich wollt euch nur was zeigen. Wartest du? | Waren wir beim letzten Mal links ... | Ja, aber andererseits ... | Das müssen wir unbedingt noch machen, in diesem Leben.

2020.07.15

Nepomuk Zettls Dissertation Eingeschlossene Räume. Das Motiv der Box im Film ist im transcript-Verlag erschienen und im Open Access frei verfügbar:
»Die Schachtel, deren Inhalt verborgen bleibt, fasst die Grundeigenschaft des filmischen Mediums in einem Paradox zusammen: Die Box im Film ist sichtbar, inszeniert aber zugleich einen Raum, der sich der unmittelbaren Einsicht entzieht. Die Box scheidet ein Innen von einem Außen, führt eine eigene Dramaturgie auf, sie ref lektiert narrative Strukturen (insbesondere komplexe Erzählstrukturen), visualisiert implizite Bedeutungsdimensionen, eröffnet Denkräume und inszeniert epistemologische Fragen in der Diegese des Films. Die Box verweist außerdem auf die Grenzen und Relationen zwischen Bild und Ton, dem aktuell Sichtbaren (›cadrage‹) und dem Unsichtbaren, jenseits der Bildeinstellung (›hors-champ‹). Vor diesem Hintergrund wird zu untersuchen sein, wie unauffällige Objekte den Schlüssel zu einer kritischen Perspektive auf das bergen können, was scheinbar selbsterklärend vor unseren Augen liegt.« (Ebenda, S. 12)
Download unter:
Nepomuk Zettl: Eingeschlossene Räume. Das Motiv der Box im Film, transcript 2020, https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/27/42/e7/oa9783839448953.pdf[Link]


Das TAB des Bundestags hat einige interessante Publikationen herausgegeben, u.a. zu Dark Patterns - Mechanismen (be)trügerischen Internetdesigns und über Digitale Lebensgefährten, siehe hierzu: http://www.tab-beim-bundestag.de/de/aktuelles/20200108.html [Link]


Kristina Beer, Martin Holland und Jürgen Kur diskutieren in der Heiseshow über das deutsche Anti-Hass-Gesetz:
»Mitte Juni hat der Bundestag einem umstrittenen Gesetz zugestimmt, das der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität im Internet dienen soll. Es macht sozialen Netzen weitgehende Vorgaben, wie sie mit strafbaren Inhalten umgehen sollen, und verpflichtet sie auch, in solchen Fällen das Bundeskriminalamt zu informieren. Während die Justiz nicht nur eine wahre Flut derartiger Meldungen befürchtet und es völlig unklar ist, wie die bewältigt werden soll, kommt Kritik nicht nur von den üblichen Seiten.«
https://www.heise.de/news/heiseshow-Kritik-sogar-aus-Bruessel-wie-schlimm-ist-das-Anti-Hass-Gesetz-4839114.html [Link]


Werner Herzogs neuer Film Family Romance, LLC handelt von gemieteten Schauspielern in Japan, die ihre Leistung auch im Alltag anbieten. Ich erinnere mich an eine Szene aus Wim Wenders' Tōkyō ga, in der er Herzog wohl zufällig im Tōkyō Tower trifft und dieser enttäuscht darüber ist, dass in der asiatischen Metropole alles künstlich sei. Siehe dazu Melanie Mühl: Menschenmarkt in Japan. Das Geschäft mit der Lüge, FAZ, 11.07.2020, https://www.faz.net/-gs6-a19qg[Link]

2020.07.13

Außenhandelsstatistik Deutschland:
»Während Exporte in die Volksrepublik China im Mai 2020 vergleichsweise moderat um 12,3 % auf 7,2 Milliarden Euro gegenüber Mai 2019 zurückgingen, nahmen die Exporte in die von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Vereinigten Staaten um 36,5 % auf 6,5 Milliarden Euro ab. Die Exporte in das Vereinigte Königreich verzeichneten mit einem Rückgang von 46,9 % auf 3,5 Milliarden gegenüber dem Vorjahresmonat einen besonders starken Rückgang.«
Quelle: Staistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 254 vom 9. Juli 2020, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/07/PD20_254_51.html [Link, Statistisches Bundesamt]

2020.07.12

Zeichnen der Natur

Die Schwierigkeiten beim Zeichnen der Natur, also Bäumen, Wolken, Gras, bestehen darin, dass es sich vom Sinnesmaterial (Hyle) her hierbei um plastische und räumlich angeordnete Texturen handelt. Wir glauben zwar, wir sähen Bäume, d.h. Formen unmittelbar, aber es sind geschichtete Texturen aufgrund derer sich die Gestalten erst konstituieren. Soll die Zeichnung realistisch wirken, so müssen wir so zeichnen, dass die Wahrnehmung Bäume etc. synthetisieren lässt. Wir ahmen also aktiv (zeichnend) unsere passive Wahrnehmungssynthesen nach, verfahren höchst indirekt. Zeichnen wir, wie man anfängt, die Bedeutungen, so ergibt sich ein merkwürdiges Bild, das mit der Impression wenig zu tun hat. Dieser Lernprozess ist sehr langsam und wir brauchen viel Geduld dazu, um die Brücke von dem Sinnesmaterial zum dargestellten Baum zu schlagen. Anders ist dies bei Porträts, dort schimmern die Konturen immerhin durch, wenngleich auch derselbe Weg sicherlich der eindrucksvollere ist. Die Photographie hat hier einerseits neue Möglichkeiten erschlossen, andererseits überspringen wir durch diese apparative Abbildungstechnik diesen Lernprozess. Man denke an Henry Fox Talbots Schilderung seines Versuchs, im Oktober 1833 die italienische Landschaft in Como am See mit Hilfe der Camera Lucida zu zeichnen, »with the smallest possible amount of succcess«1, weshalb er mit Nachdruck die neue Technik entwickelt, die er dann auch als »art of Photogenic Drawing«2 beschreibt.
Nachweise:
1 Henry Fox Talbot: The Pencil of Nature, London 1844, S. 3. Eine Reproduktion dieser, an asiatische Tuschemalerei erinnernde Zeichnung, findet sich bei Bernd Busch: Belichtete Welt. Eine Wahrnehmungsgeschichte der Fotografie, Frankfurt am Main 1995, S. 189.
2 Ebenda, S. 1


Sprachfetzen im Niddapark. Harry Potter. | Schön, dass du da bist. | やめて。疲れた。(Yamete. Tsukareta.) | だめ!(Dame!) | Informatik, irgendsowas Internationales, die jungen Leute... | ...wie Handball, die gleiche Regel, nur mit der Hand... | ...die Unebenheiten sind... | ...das müssen so etwa zwanzig Prozent sein... | ...dann wird halt nicht ans Telephon gegangen... | ...er war nach Geschäftsschluss noch da, Afterworkparty... | ... wir müssen den Berg runter... | ...Ja! | Das stört mich jetzt nicht so. | Ist das da, wo wir Fußball gespielt haben? | Bei den Geisterspielen haben sie sich per Ellbogen begrüßt! | ...la musique...

Lehrbücher des Zeichnens, die ich sehr mag:
Naturzeichnung

Harding, James Duffield: On Drawing Trees and Nature. A Classic Victorian Manual, New York 2005.
Bailey, Henry Turner: Nature Drawing from Various Points of View, New York u.a. 1900.
Brown, J. Hullah: Sketching Without a Master, London u.a. 1919.
Weigall, H. Charles: A Guide to Animal Drawing, London 1869.
Ruskin, John: Elements of Drawing, London 1857. Online: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ruskin1857/0007 [Ruskin: Elements of Drawing]
Winter, Raphael: Anleitung zur Thier-Zeichnung, München, 1819. https://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0010/bsb00109691/images/index.html?seite=00001&l=de [Winter: Anleitung]
Wagenbauer, Max Josef: Anleitung zur Landschaft-Zeichnung in Handzeichnungs-Manier, München 1816. https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11215685_00001.html [Wagenbauer: Anleitung]
Mayrhoffer, Johann Nepomuk: Anleitung zur Blumen-Zeichnung, München, 1816. https://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0010/bsb00109625/images/index.html?seite=00001&l=de [Mayrhoffer: Anleitung]
Sowerby, James: Jame's Sowerby's Botanisches Zeichenbuch oder leichter Unterricht Blumen richtig nach Natur zu zeichnen, Weimar 1797. https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10230036_00001.html [Sowerby: Zeichenbuch]

Porträt, Körper, Akt

Bammes, Gottfried: Der nackte Mensch. Hand- und Lehrbuch der Anatomie für Künstler, Dresden 1978.
Bammes, Gottfried: Wir zeichnen den Menschen. Eine Grundlegung, Berlin 1989.
Hogarth, Burne: Drawing the Human Head, New York 1989.
Loomis, Andrew: Drawing the Head and Hands, New York 1956.
Loomis, Andrew: Figure Drawing for All it's Worth, 1943
Zimmermann, Clemens von: Anleitung zum Schattiren In der Figuren Zeichnung, München, 1818. https://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0010/bsb00109523/images/index.html?seite=00001&l=de [Zimmermann: Anleitung]

Architektur, Design

Roberts, H.W.: Architecture and How to Sketch it, London 2013.
Ching, Francis D.K.: Design Drawing, New Jersey 2010.
Edwards, Brian: Understanding Architecture Through Drawing, New York 2008.

Eine schöne Einführung in die Geschichte der Zeichentechniken bietet: Heilmann, Maria; Nanobashvili, Nino; Pfisterer, Ulrich; Teutenberg, Tobias (Hgg.): Lernt zeichnen! Techniken zwischen Kunst und Wissenschaft, 1525 – 1925, Passau 2015, https://doi.org/10.11588/artdok.00003621 [Publikation Lernt zeichnen!, pdf]

2020.07.11

Christine Weders Studie Intime Beziehungen. Ästhetik und Theorien der Sexualität um 1968 ist nun online frei verfügbar als Open Access-Buch. In der Ankündigung heißt es: »Zum einen leistet die Fokussierung der Kunst- und Literaturbezüge in den Theorien der Sexualität einen neuen Beitrag zur Sexualtheoriegeschichte. Zum anderen eröffnet der Nachweis von Erotisierungstendenzen in der ästhetischen Theorie und Wissenschaft erstmals einen solchen historisierend-kontextualisierenden Blick auf diese Sphäre.«
Nachweis:
https://www.wallstein-verlag.de/9783835319479-christine-weder-intime-beziehungen-intime-beziehungen.html [Weder: Intime Beziehungen, Verlagsseite]


Marc Steinbergs und Alexander Zahltens Media Theory in Japan. Eine der wenigen Sammlungen japanischer Medientheorie. Natürlich, Michele Marras Modern Japanese Aesthetics: A Reader.
Siehe hierzu:
https://www.dukeupress.edu/edia-theory-in-japan [Steinberg/Zahlten: Media Theory in Japan]
https://www.jstor.org/stable/j.ctt6wr0jp [Marrra: Modern Japanese Aesthetics: A Reader]


Das Journal media theory hat einen Schwerpunkt auf die Philosophie Paul Virilios gelegt (media theory, 2019, Vol. 3, Nr. 2). In den 1990er Jahren haben wir im Studium seine Texte zum Krieg, zur Beschleunigung etc. gelesen, interessant, seine Positionen zu aktualisieren.
Siehe hierzu:
http://journalcontent.mediatheoryjournal.org/index.php/mt/issue/view/5 [Journal media theory, Ausgabe 2019, 3-2]
Sowie Simon Dawes Homepage
https://smdawes.wordpress.com [Link]

2020.07.10

Die Höflichkeitssprache im Japanischen

Im Japanischen gibt es bekanntlich eine komplizierte Ordnung von Höflichkeitsstufen, keigo 敬語. Man unterscheidet, grob gesagt, drei:
1) sonkeigo 尊敬語, Respektform, wird benutzt gegenüber Höhergestellten
2) kenjōgo 謙譲語, Bescheidenheitsform, wird benutzt, um über sich selbst zu sprechen
3) teineigo 丁寧語, Höflichkeitssprache, wird allgemein benutzt, um sich höflich auszudrücken
Man benutzt hier nicht nur andere Formen, sondern auch andere Kanjizeichen für die Wörter, also im Grunde genommen ein zweites Vokabular. Nun könnte man denken, dass das doch einfach sei. Man müsse nur die Vokabeln lernen, schauen, wer höher steht oder ob man über sich selbst spricht - und die Formen einsetzen. Dem ist aber mitnichten so. Denn es handelt sich hierbei um eine Höflichkeitswelt, die man verstehen muss, keineswegs nur um eine grammatische Form. Denn oft sind die Bezüge zwischen mir und den Höhergestellten unklar. Was ist etwa, wenn ich bei Dritten über sie spreche? Wie äußere ich meine Gefühle gegenüber den Höhergestellten? Wer ist eigentlich höher gestellt? Es gibt also mannigfache Bereiche der Konvention, die eben Typisierungen dessen sind, was man in einer Situation sagt. Dabei ist das Muster der Hierarchien oft sehr vielgestaltig und voller Unbestimmtheiten - und eine falsche Höflichkeit kann durchaus unerwünschte Effekte zeigen, mitunter die eigene Position schwächen. Ein Beispiel aus einem der besten Übungsbücher des Japanischen, das ich kenne:
どうぞご自由にパンフレットをお撮りください。
dōzo gojiyū ni panfuretto wo otori kudasai.1
Bitte, nehmen Sie sich einen Freiheits-Flyer (Flyer über Freiheit). (Übers. Andreas Becker)
Die Relationen, um die es hier geht, erscheinen freilich in der deutschen Übersetzung nicht. »お撮り« ist sonkeigo, also eine Sprache, die man gegenüber Höhergestellten benutzt! Der, dem der Flyer übergeben wird, ist also qua Situation als jemand definiert, der höher gestellt ist! Damit ist eine Hierarchie eingeführt, die jenseits der deutschen Anrede liegt (die man, etwa beim Verteilen von Flyern vielleicht auch gar nicht benutzen würde). Es entstehen also semantische Unschärfen und nicht durch Logik erschließbare Verwendungsweisen. Sehr viel beruht auf Konvention. Am besten, man merkt sich die Sätze. So mache ich es und schreibe diese hiermit nieder, in der Hoffnung, sie so zu memorieren.
Nachweis:
1 Etsuko Tomomatsu, Sachi Fukushima, Kaori Nakamura: 新完全マスター文法. 日本語能力試験N3. JLPT Grammar, Tōkyō 2012, Aufgabe 6, S. 55.



Philosophische Reisenotizen mit Bildern (3)

Kamakura
Kolossale Achtsamkeit. Der große Buddha im Kotokuin-Tempel Kamakura. [pdf] [epub]

2020.07.09

Günther Anders

Günther Anders (1902-1992) ist ein Autor, der viel zu wenig rezipiert wurde und wird. Das liegt vielleicht am Weltkrieg. Aber es liegt sicherlich nicht an seinen Schriften. Diese sind ihrer Zeit weit voraus, im Urteil unabhängig. Aus seinem »Hiroshima ist überall« wurde nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ein zweites Mal ein geflügeltes Wort: »Tschernobyl ist überall«. Und so könnte man auch seine Texte »Die Welt als Phantom und Matrize. Philosophische Betrachtungen über Rundfunk und Fernsehen (1956)« wie »Über prometheische Scham« wieder lesen. Zur Vita siehe die Seite der Günther-Anders-Gesellschaft, https://www.guenther-anders-gesellschaft.org/vita [Link]

2020.07.08

Lilian Harvey, Audrey Hepburn und die Starphotographie

Die Starphotographen. Images von Stars mäandern im Alltag, in den Illustrierten, Zeitungen, auf Plakaten. Otto Dyar photographiert Lilian Harvey, Joan Crawford und Anna May Wong. Dann die Metaphysik, die weitergeführt wird, erleuchteter Blick von Innen. Surrealistische Einsprengsel und Färbungen. Dopplungen mit Verschiebung: Lilian Harvey und Audrey Hepburn, Greta Garbo und Zarah Lander. Sam Lévins Photos von Romy Schneider und Brigitte Bardot. Bert Stern setzt Elizabeth Taylor, Audrey Hepburn und Marilyn Monroe in Szene. Tom Kelley auch die Monroe. Sam Shaw, Bud Fraker, George Daniell, Anthony Beauchamps, Milton Greene, Roderick Macarthur, Philippe Halsman, Cecil Beaton, Mark Shaw, Bob Willoughby, Augusto di Giovanni, Howell Conant, Steven Meisel - ikonische Porträts von Audrey Hepburn und vielen Stars.

Otto Dyar
http://lusadaran.org/artists/dyar-otto/[Link]
https://www.annenbergphotospace.org/person/otto-dyar/person/otto-dyar/[Link]

Philippe Halsman
http://philippehalsman.com/ [Link]

Bud Fraker
http://www.artnet.de/k%C3%BCnstler/bud-fraker/ [Link]
https://www.mptvimages.com/photographers/bud-fraker[Link]


2020.07.07

Die metaphysische Grundhaltung/Einstellung, die jeder kritischen Verwendungsweise von Sprache zugrunde liegt. Es ist dies die Haltung, dass Sprache abgelöst von der Person als eine zweite Instanz über einen Gegenstand spricht, ungeachtet des Sprechers/der Sprecherin, so als urteile die Sprache selbst über etwas. Demgegenüber die Haltung, man richte durch Kritik/Versprachlichung Schaden an und die Bestrafung der Urheber. Die Geschichte der freien Meinungsäußerung, John Stuart Mills Ideen (1806-1873): »All silencing of discussion is an assumption of infallibility.« (John Stuart Mill: On Liberty, Kap. II, Of the Liberty of Thought and Discussion, London 1867, S. 10).

2020.07.05

Digitalstaat (Skizze 15)

Die Erfolge der großen Internetkonzerne lassen sich mit deren enormen Fähigkeiten begründen, Informationen in einem ungeahnten Ausmaß zu erschließen und zugänglich zu machen. Die meisten Menschen halten dies für eine Leistung der Algorithmen und der ›künstlichen Intelligenz‹. Jedoch sind die Algorithmen gar nicht so mächtig. Es ist doch vielmehr das Erodieren der informationellen Seite der Privatsphäre und der Zugang zu derselben, das in größtem Maßstab genutzt wurde und wird. Auch das Ausnutzen rechtlicher Grauzonen auf Seiten der Konzerne und die Verlagerung der Verantwortung auf die User tut ein Übriges. Selbst einfachste Katalogisierungen und Musterordnungen hätten schon wie ein Blick in eine andere Welt gewirkt.

2020.07.04


Gitarrenstück Irrlichtflatterschein

2020.07.02

Rory Gallagher, in seinem Sound spiegeln sich die 1970er und 1980er Jahre, Bluesrock, »Artificial Harmonics (künstliche Obertöne), weite Bendings, Schwellereffekte mit dem Volumen- bzw. Tonregler seiner Gitarre, Behind-The-Nut-Bendings, die Verwendung dorischer Skalen in Verbindung mit der Pentatonik«1 kennzeichnen seinen Stil, wie Tom Riepl schreibt.
Nachweis:
1 Tom Riepl: Die Strat & das Leben von Rory Gallagher, Gitarre und Bass, 18.06.2020, https://www.gitarrebass.de/stories/die-strat-das-leben-von-rory-gallagher/[Link Gitarre und Bass]

2020.07.01

Der Palisanderholzbaum (Jacaranda mimosifolia) ist eine der schönsten Pflanzen, die ich kenne. Er erinnert an Mimosen und Farn, ist ein ›baumhafter Mimosenfarn‹. Im Gegensatz zur strauchhaften Mimose hat er einen einzigen Stamm. Seine Samen wirken wie schmalste Ahornsamen. Man kann kaum glauben, dass da etwas heraus keimen kann. Die kleinen und filigranen Blätter sind spiegelbildlich gelagert. Fährt man mit der Hand unter diese feinen Blätter, fühlt es sich an, als ob der Baum einen streichle. Eine Zärtlichkeit geht von diesem Gewächs aus. Das Holz ist ganz weich und dunkelbraun, hat eine schöne Maserung. https://de.wikipedia.org/wiki/Palisanderholzbaum [Link Wikipedia]

Digitalstaat (Skizze 14)

Stars und Gefährten - Gruppenkonstitution im digitalen Raum

Durch soziale Netzwerke, prozessuale Bildergalerien, Videoübertragungen, digitale Formen der Interaktion entstehen andere Modelle der Gruppenkonstitution. Früher, im massenmedialen Modell der zentralen Abstrahlung aus Rundfunkanstalten, war der Bezug zum Publikum höchst indirekt. Sein Gradmesser war die absolute Einschaltquote, man wollte Massen erreichen. Dies hatte Auswirkung auf dessen Habitus und Konstitution. Für diese mediale Epoche war der Star das Leitbild und der Fan trat als Rezipient des Stars konsumierend in Erscheinung. Der Star ist ein Idealbild, unerfüllbar und multimedial gespiegelt und arrangiert. Heute entstehen durch die digitalen Medien allerdings disparate und sehr kleinteilige Miniaturforen und Öffentlichkeiten. Jede für sich hat eine absolut gesehen kleine Einschaltquote, aber zusammen lösen sie die frühere massenmediale Kommunikationskultur sukzessive ab. Damit verliert auch das Star-Modell an Einfluss. An dessen Stelle tritt das Anhänger und Gefährtenmodell. Anhängerschaften und Gefährten werden jedoch auf geradezu spiegelbildliche Weise generiert. Zum Fan wird man, weil der Andere, der Star, perfekt ist, ein mediales Leitbild. Zum Gefährten wird man, weil dieser Schwächen hat, Fehler offenbart und sich in diesem Muster von Fehlern eine Eigenart zeigt, die man selbst auch hat. Es gibt andere Mechanismen der Identifikation. Der Gefährte ist einer wie ich, ich erkenne mich in dem wieder, was er macht, er scheut sich auch nicht, sich anfassen zu lassen. Sehe ich den Gefährten, kann ich jederzeit ein Selfi machen. Im Star erkenne ich, was ich sein will. Den Star will ich auf einer Bühne bewundern, aber mit dem Gefährten will ich als Kumpel sprechen. Ich weiß, wie er ist, er ist ein Typus wie ich. Er spricht die gleiche Sprache, im gleichen Stil, ssoziiert wie ich, ich kopiere seinen Habitus, ohne zu irritieren. Seine Tipps sind alltagstauglich. Der Star braucht den besonderen Anlass, Bodyguards, das Narrativ, den Typus, der Gefährte die Wiederholung, die Situation, den Kommentar. Der Star lebt vom Produkt, der Gefährte vom Geschenk. Der Gefährte begegnet mir im Alltag. Er wird zu meinem Alltag. Der Star transzendiert meinen Alltag. Gefährten sind antisakral in ihrem Erscheinungsbild, aber sakral in ihren Motiven. Stars sind sakral in ihrem Look und Habitus, aber profan in ihren Motiven. Auch hier die spiegelbildliche Struktur. Stars können versuchen, den Look vom Gefährten zu kopieren, sie bleiben Plagiate. Niemals wirkt das echt. Gefährten können zu Stars werden, dann haben sie Macht, weil sie ihre Gruppe genau kennen. Sie können bis zum Äußersten gehen. Der Star weiß die Masse hinter sich, der Gefährte die Gefolgschaft. Der Star ist Verkörperung des Allgemeinen, der Gefährte des Spezifischen. Gefährten können rotieren, Stars nicht. Gefährten und ihre Gefolgschaft präsentieren, während der Star auf Repräsentation setzt. Damit ist auch die Kommunikationskultur beschrieben. Der Gefährte redet von Ich zu Ich, der Star von oben herab. Er mimt bestenfalls den Fan, ist letztlich ein quasi-mythisches Wesen, ein Superheld mit dem Charaktermerkmal der Unverletzlichkeit.

2020.06.27

»Von Europa aber weiß kein Mensch, weder ob es vom Meere umflossen ist, noch wonach es benannt ist, noch wer es war, der ihm den Namen Europa gegeben hat.«
Herodot: Historien, Stuttgart 1971, übers. von A. Horneffer, Viertes Buch, 46. Kap., S. 269.

2020.06.26

Demokritos

Unter den frühen Philosophen mag ich Demokritos besonders. Erhalten sind Fragmente. Diogenes Laertius schreibt in seinem Leben und Meinungen berühmter Philosophen (220 n.Chr.), er sei etwa um die 80. Olympiade geboren, was 460/457 v.Chr. entspräche, nach anderer Quelle im Jahr der 77. Olympiade (470/469 v.Chr.), in Abdera oder Milet.1 Er reiste viel, wohl nach Ägypten, Persien, an das Rote Meer, Indien und Äthiopien.2 An Ruhm war er nicht interessiert, selbst als er in Athen lebte.3 Diogenes Laertius schreibt, er sei »im Reiche der Philosophie ein Fünfkämpfer«4 gewesen, kannte sich also offenbar in unterschiedlichsten Gebieten bestens aus, wie auch die Liste seiner Publikationen zeigt. »Er war auch, wie Antisthenes sagt, darauf bedacht, auf mannigfaltige Weise das Spiel seiner Vorstellungen zu prüfen, indem er sich ab und zu in die Einsamkeit zurückzog, ja sich sogar zwischen Gräbern aufhielt.«5 Er wurde dann, obwohl er sein Vermögen zunächst aufgebraucht hatte, hoch verehrt. Merkwürdigerweise soll Platon die Absicht gehabt haben, »alle Schriften des Demokrit, die er überhaupt aufbringen könnte, zu verbrennen, doch die Pythagoreer Amyklas und Kleinias hätten ihn davon abgehalten als von einem nutzlosen Unternehmen, denn die Bücher seien bereits weithin im Publikum verbreitet.«6 Über seine Lehre selbst heißt es dann:
»Urgründe des Alls sind die Atome und das Leere, alles andere ist nur schwankende Meinung. Es gibt unendlich viele Welten, entstanden und vergänglich. [...] Unser Sehen ist eine Folge des Eindringens von Bildern. [...] Endziel ist die Seelenheiterkeit, die keineswegs zusammenfällt mit der Lust [...] ,sondern ein Zustand, in welchem die Seele ein friedliches und gleichmäßiges Dasein führt, von keiner Furcht, von keinem Aberglauben oder sonst welcher Störung aus dem Gleichgewicht gebracht.«7
Er sei sehr alt geworden, 109 Jahre, und habe dann, weil er »nicht zur Festzeit der Thesmophorien sterben sollte«8, sich ofenfrisches Brot bringen lassen, dessen Duft ihn dann noch einige Tage über die Zeit trug. Ein Fragment bei Diels lautet: »Der Mensch, eine kleine Welt.«9
Nachweise: 1 Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen, Hamburg 1998, zweites Buch, 7. Kap., S. 177-185, zit. S. 180-181. | 2 Ebenda, S. 177. | 3 Ebenda, S. 178f. | 4 Ebenda, S. 178. | 5 Ebenda, S. 179. | 6 Ebenda, S. 180. | 7 Ebenda, S. 182.| 8 Ebenda, S. 181 | 9 Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Erster Band, Berlin 1906, Demokritos, Fragm. 34, S. 398.

2020.06.25

Jürgen Habermas bringt in einem Gespräch mit Markus Schwering wiedermal sprachlich klar zum Ausdruck, was in der Luft liegt:
»Unsere komplexen Gesellschaften begegnen ja ständig großen Unsicherheiten, aber diese treten lokal und ungleichzeitig auf und werden mehr oder weniger unauffällig in dem einen oder anderen Teilsystem der Gesellschaft von den zuständigen Fachleuten abgearbeitet. Demgegenüber verbreitet sich jetzt existentielle Unsicherheit global und gleichzeitig, und zwar in den Köpfen der medial vernetzten Individuen selbst. [...] In dieser Hinsicht – so viel kann man wissen – gibt es, anders als beim Virus, einstweilen keinen Experten, der diese Folgen sicher abschätzen könnte. Die wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Experten sollten sich mit unvorsichtigen Prognosen zurückhalten. Eines kann man sagen: So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie.«1
Nun könnte man natürlich sagen, dass das sowieso schon immer eine Täuschung war, dass man die Welt durch Technik etc. beherrsche - und man nie wirklich viel wusste. Man wog sich in der Illusion, dass dem so sei. Man denke an die Grundbegriffe selbst in den Naturwissenschaften, da gibt es überall Fragen über Fragen. Aber diese Überwältigung durch das Corona-Nichtwissen ist einzigartig. Und sie scheint durch die medialen Talkrunden nicht besser zu werden. Irgendetwas ist da grundlegend nicht verstanden. Aber was ist es? Ist es das Gewebe von Bezügen und Abhängigkeiten, das unsere heutige Gesellschaft so angreifbar macht? Ist es die Haltung, der Umgang mit dem Planeten etc.?
Nachweis:
1 Jürgen Habermas, Markus Schwering: Jürgen Habermas über Corona: »So viel Wissen über unser Nichtwissen gab es noch nie«, Frankfurter Rundschau, 10.04.2020, https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/juergen-habermas-coronavirus-krise-covid19-interview-13642491.html [Link Frankfurter Rundschau].



Georg Seeßlen fragt in einem Artikel in Jungle World nach der Liebe in Zeiten der Pandemie: »Wenn der Mindestabstand nicht mit dem Begehren vereinbar ist und körperlicher Kontakt nur im eigenen Haushalt stattfinden darf, wird Sexualität wieder anrüchig. In der Coronakrise hat sich die gesellschaftliche Kontrolle über die Sexualität verstärkt.« https://jungle.world/artikel/2020/25/liebe-zeiten-der-pandemie [Link Jungle World, 18.06.2020]

2020.06.23


Prismenexperimente...

2020.06.22

Charles Kings neues Buch Schule der Rebellen über den deutschen Ethnologen Franz Boas und dessen Umfeld Magret Mead, Ruth Benedict, Ella Cara Deloria, Zora Neale Hurston. Eine interessante Rezension von Leander Scholz auf DLF, die neugierig auf das Buch macht, https://www.deutschlandfunk.de/charles-king-schule-der-rebellen-das-ende-der.700.de.html?dram:article_id=476055 [Link DLF]



称賛, shôsan, jp., Lob, Preis, Anerkennung, Beifall. Das scheint mir ein ganz zentrales Moment im menschlichen Leben, dass man Menschen, Leistungen, Arbeit anerkennt und dieses Anerkennen auch kundtut. Oft glaubt man heute, durch Zertifizierungssysteme, Evaluationen, Tests etc. diese Anerkennungskreisläufe ersetzen zu können. Man tut dies, weil man so schneller Regulative ausbilden kann. Tests sind expliziter als Anerkennungsordnungen. Letztere sind langfristiger, basieren auf einem Sinngefüge, haben mit Erfahrung zu tun, mit Selbstbildern, mit Vertrauen. Bei den Tests sind beide Seiten voneinander getrennt. Der Tester und der Getestete, die Testerin und die Getestete etc. sind über die Regularien abstrakt und formalisiert in ein Kontrollsystem eingelassen. Dieses muss sich nicht ausweisen, da es institutionell gesetzt ist. Die Anerkennungskreisläufe verlaufen demgegenüber quer zum dienstlichen und privaten Leben. Es gibt Überlagerungen. Werden Anerkennungskreisläufe durch Testsysteme ersetzt, besteht die Notwendigkeit des Aufbaus der Kontrolle der Kontrolle, des Testens des Tests etc. Die Basis der Anerkennung sind die Gefühle des Anderen, die responsiv auch die meinigen sind. Testsysteme sind Währungen vergleichbar. Man möchte Zertifikat X erwerben und erbringt Leistung X, aber man weiß stets, dass man dabei keine emotionale Einbindung zu erwarten hat. Es gibt natürlich immer Interferenzen. Das sind interessante Felder der Überlagerung von Anerkennung und Test. Repräsentation von Wissen und dessen Vermittlung. Die japanische Kultur vermag es auf eine sehr kluge Weise, diese beiden Möglichkeiten der Wissensvermittlung miteinander zu verbinden.


Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 24)

Inmitten historischer Wendezeiten gelingt es den Menschen nicht, die neue Epoche adäquat zu erfassen. Der Zeitgeist kündigt sich überall an, durchdringt den Alltag bereits. Aber die Menschen vermögen es nicht, diese ubiquitären Zeichen zu lesen. Im Nachhinein ergibt sich dann ganz selbstverständlich eine historische Linie, auf die das hinführte. Aber im Moment der Transformation sind alle irritiert und folgen den falschen Prognosen. Mir scheinen Szenarien der einzige Weg zu sein, dennoch eine Deutungsperspektive zu erarbeiten. Man darf hierbei nicht den Gewohnheiten folgen, sollte alle Möglichkeiten ganz sachlich registrieren, so fern sie scheinen mögen. In diesen Momenten gibt es keinen direkten Erfahrungstransfer. Man kann aber zwischen den Epochenwechseln Ähnlichkeiten finden (Antike-Mittelalter-Moderne).

Philosophische Reisenotizen mit Bildern (2)

Orte, die mich inspirieren.

Griechenland, Athen

Athen
Gelassenheit. Die Akropolis und Athen. [pdf] [epub]

2020.06.20

Frühe Verfahren der Photographie:
- Henry Fox Talbot (1800-1877): Kalotypie (engl. Calotype), Negativverfahren: Das positive Photo entstand durch Neubelichtung auf Photopapier. Vorteil: Mehrere Abzüge vom Original.
http://www.bbc.co.uk/history/historic_figures/fox_talbot_william_henry.shtml [Seite der BBC zu Talbot]
https://www.metmuseum.org/toah/hd/tlbt/hd_tlbt.htm [Seite des Metropolitan Museum of Art zu Talbot]
https://www.britannica.com/biography/William-Henry-Fox-Talbot [Seite der Encyclopaedia Britannica zu Talbot]

Victoria and Albert Museum: Herstellung der Kalotypie

- Louis Daguerre (1787-1851): Daguerreotypie, Positivverfahren. Vorteil: Detailschärfe, Nachteil: Nur ein Original
https://www.br.de/fernsehen/ard-alpha/sendungen/schulfernsehen/meilensteine-fotografie-daguerre100.html [Seite des BR zu Daguerre]

Victoria and Albert Museum: Herstellung der Daguerrotypie

George Eastman Museum: Herstellung der Daguerrotypie

- Joseph Niépce (1765-1833): Heliographie (1827), Positivverfahren, Träger: Zinnplatte, Nachteil: lange Belichtungszeiten, nur ein Original
https://photo-museum.org/life-nicephore-niepce/ [Seite des Nicéphore Niépce House zu Niépce]
https://www.hrc.utexas.edu/niepce-heliograph/ [Seite des Harry Ransom Center zum Niépce-Heliograph]

- Hippolyte Bayard (1801-1887): Positivverfahren, Träger: Papier, Nachteil: Nur ein Original https://artsandculture.google.com/entity/hippolyte-bayard/m02l17k?hl=de [Seite von Google Arts zu Bayard]

2020.06.18

Noch bis zum 26. Juni ist Wolfgang Ertls neues Buch über Immanuel Kants Schrift Zum ewigen Frieden bei Cambridge University Press frei online verfügbar! Wolfgang Ertl: The Guarantee of Perpetual Peace, https://www.cambridge.org/core/elements/guarantee-of-perpetual-peace/8A1D70380556B9D1EAFDC5072CFFA2C5 [Link]

Philosophische Reisenotizen mit Bildern (1)

Orte, die mich inspirieren.

Tokyo, Japan

Rikugien
Geliehene Landschaft. Der Rikugi-en-Garten in Tokyo. [pdf] [epub]

Kamakura, Japan

Kamakura
Farbenspiel. Das Meer bei Kamakura. [pdf] [epub]

Biedenkopf, Deutschland

Kamakura
El-Niño. Ubbo Enningas Skulptur in der Lahn bei Biedenkopf (Hessen) [pdf] [epub]

Eiffelturm, Paris, Frankreich

Eiffelturm
Hauptstadt des 19. Jahrhunderts. Der Eiffelturm, Paris und die Passagen [pdf] [epub]

2020.06.16

Der japanische Sender NHK berichtet von dem Campingplatz Akameshijuhattaki (赤目四十八滝キャンプ場, H3CH+3V Nabari, Mie, Japan) in der Mie-Präfektur. Dort kann man kleine Holzappartement-Zellen mieten, mit WIFI, und von dort aus in der Natur, in der Nähe eines Wasserfalls, Telearbeit machen. Gute Idee, wiedermal alles organisiert in Japan.
Nachweise:
NHK-Artikel, 三重 名張 キャンプ場でテレワーク 自然豊かな環境で仕事を, 12.06.2020, https://www3.nhk.or.jp/news/html/20200612/k10012468371000.html?utm_int=news-life_contents_list-items_012 [Link]
Akameshijuhattaki Camping Ground, 赤目四十八滝キャンプ場, https://www.akame-camp-ground.com/ [Link]


Martin Grimsmann und Lutz Hansen1 haben Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770-1831) Philosophie mit den Sierpiński-Dreiecken illustriert. Das sind fraktalgeometrische Gebilde, die der polnische Mathematiker Wacław Sierpiński 1915 beschrieb, also Jahrzehnte nach Hegels Tod. Fraktale zeichnen sich dadurch aus, dass sie selbstabbildend sind, ihre Muster also stetig wiederkehren. Ich meine, das ist wirklich auch bei Hegel so. Was seine Philosophie so schwierig macht, ist ihr nichtprozessualer Charakter. Zwar beschreibt Hegel fortwährend die Dialektik als einen Prozess. Aber in seiner Darstellung ist alles von Beginn an vorausgesetzt. Die Dialektik lässt sich ständig wieder und wieder auf sich selbst anwenden und verfeinert bzw. erweitert sich so. Der Einstieg ist aber schwierig, weil wir es gewohnt sind, linear zu denken. Aber Hegels Philosophie ist alinear, sie durchstreicht das Gewonnene im nächsten Schritt. Hegel weist uns durch Betonung im Kursivdruck darauf hin, dass sich das Subjekt im Denken selbst negiert und auf höherer Stufe begrifflich ›restituiert‹, was eben eine Dialektik ist:
»Für den Anfang, den die Philosophie zu machen hat, scheint sie im allgemeinen ebenso mit einer subjektiven Voraussetzung wie die anderen Wissenschaften zu beginnen, nämlich einen besonderen Gegenstand, wie anderwärts Raum, Zahl usf., so hier das Denken zum Gegenstande des Denkens machen zu müssen. Allein es ist dies der freie Akt des Denkens, sich auf den Standpunkt zu stellen, wo es für sich selber ist und sich hiermit seinen Gegenstand selbst erzeugt und gibt2
Nachweise:
1 Hegel-System-Webseite von Martin Grimsmann und Lutz Hansen (2005) mit dem Sierpiński-Schema, https://hegel-system.de/de/v0methode-dreieck.htm [Link]
2Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, dritte Ausgabe, 1830, § 17


Der Photojournalist Diego Goldberg hat sich und seine Familie über Jahrzehnte in Manier von Passphotos schematisch und vergleichbar in jährlichen Intervallen aufgenommen. Einerseits zeigen diese Serien die objektive, chronometrische Zeit. Sie lassen Zeitabschnitte miteinander vergleichen. Aber vielmehr schimmert die subjektive Zeit des Werdens und Vergehens hindurch, die sich qualitativ zeigt, die Geburten, das Wachsen und Verändern, die Hoffnung, die in den Gesichtern schimmert und das Leid, das sich durch die Leiber frisst und die Gesichter in Falten legt. Mein Zeitschema Lebenszyklus des Werdens und Vergehens (links) zeigt diese letztere Zeit an. Wir sehen und wissen, dass es das gibt. Aber wir ordnen unser Leben nicht danach, verstehen auch nicht wirklich, was da mit uns passiert. Am Anfang ist viel Werden, dann viel Vergehen. Interessant sind die Momente der Fortpflanzung, der Übergänge und des Weitertragens von Werdensmustern, des familiären Tradierens. Die Zeitlichkeit bleibt ein Rätsel, auch nach Jahrtausenden der Philosophie. Zu Goldbergs Serien siehe http://www.diegogoldberg.com/arrow [Link]

2020.06.15

Die vier Grundkräfte der Physik: Gravitation, Elektromagnetismus, schwache Wechselwirkung und starke Wechselwirkung. Siehe dazu http://hydrogen.physik.uni-wuppertal.de/hyperphysics/hyperphysics/hbase/forces/funfor.html [Link]



Die Idee des Gedankenexperiments. Wichtige Stationen bei Georg Lichtenberg, Hans Christian Ørsted, letzterer durch Kant inspiriert, Entdecker der magnetischen Wirkung des elektrischen Stroms. Siehe hierzu den Artikel »Thought Experiments« in der Stanford Encyclopedia of Philosophy, https://plato.stanford.edu/entries/thought-experiment/ [Link]

2020.06.14


»Die Wolken dagegen mögen als der Beginn kometarischer Körperlichkeit betrachtet werden können. Das Gewitter aber ist die vollständige Erscheinung dieses Prozesses, an die sich die anderen meteorologischen Phänomene als Beginne oder Momente und unreife Ausführungen desselben anschließen.« Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, § 288. Gewitter in Frankfurt am Main.

2020.06.13



Balkonimpressionen an einem lauen Juniabend.

Videospieltheorie (Skizze 1)

Das Videospiel ist die Beschäftigung des Bewusstseins mit sich selbst als entäußertem. Das reaktive Moment erzeugt die Illusion, es agiere in einem Außen, aber dieses Außen ist das als Welt gesetzte kadrierte Bild, d.h. die eikonische Imagination des Spielers. Diese gedoppelte Imagination erzeugt ideale Bildräume. Die Avatare werden zu Doppelgängerleibern, indem sie den Eingaben des Controllers synchron folgen. Dabei wird die steuernde Hand verabsolutiert. Ihre Feinmotorik wird auf den Avatarleib projiziert, wobei eine Verschränkung von haptischem und visuellem Sinnesfeld erfolgt. Die Kombinationen und Eingaben der Konsole werden zu Pseudogesten, die die Perspektive des Avatarleibes versinnlichen. Dieses agierende Phantom begreift der Spieler als sein zweites Ich, er schlüpft in diesen Doppelgängerleib virtuell hinein, indem er sich in die mehrfach reflektierte Imagination hineinversetzt. Es ist dies eine Form technisch-meditativer Trance, die allerdings stets eine Gratwanderung ist, weil sie voraussetzt, dass der Spieler höchst aufmerksam in der virtuellen Welt agiert. Sein souveränes Steuern ist die Bedingung für die Erscheinung des zweiten, illusionären Ichs in der Spielewelt. Aus der Hand erwächst ein rudimentärer Marionettenleib, Fingerkombinationen bedeuten dessen Bewegungsvollzüge. Der Spieler muss sich zu Beginn des Spiels im Imaginationsraum erst finden, indem er, ähnlich einem Spiegellabyrinth, Bewegungen veranlasst. Durch reaktive Muster gibt sich jener Quasileib als Stellverteter der Spielerhand und in Konsequenz des Spielerbewusstseins zu erkennen. Es ist dies ein permanentes Sich-selbst-Beschäftigen des Bewusstseins mit sich selbst, ein Schattenspiel mit dem Marionettenleib, der in der virtuellen Welt agiert. Die angeordneten Befehle verschränken den physisch-haptischen (aktiven) mit dem visuell-akustisch abgebildeten Raum. Da die Hand sämtliche Bewegungsfunktionen des Quasi-Leibes semiotisch steuern muss, ist deren Bewegung überdeterminiert und hypersensitiv. Es entstehen fortwährend Spiegelsituationen, weil das Ich sich in den selbstbezüglichen Schleifen des Spiels wiederfindet, aber auch gleichzeitig minimal verfehlt, ungenau steuert, Fehler macht etc. Spielen heißt in dieser Hinsicht ein Hin- und Herpendeln, eine Unberechenbarkeit, Unvorhersehbarkeit. Die Aufmerksamkeit ist scheinbar nach außen orientiert, so als gehöre sie dem Marionettenleib, den sie steuert. Es entstehen Entscheidungssituationen, Bedrohungen etc. die als selbstbezüglich empfunden werden, weil die haptisch-visuoakustische Verschränkung zu einer partiellen Identifikation mit der Figur führt. Durch Regeln, Bonussysteme, Hilfsmittel und Gadgets etc. wird der virtuelle Raum nochmals aufgeladen, Gesetze, Vollzugsregeln, Verstecke, Freunde und Feinde wichten die Welt. Diese erscheint nicht nur als eine plastische mit Vorder- und Hintergrund, in ihr finden scheinbare Begegnungen mit Freunden und anderen statt, diese sind in ihrem Kern vom Subjekt supponiert, Ergänzungsleistungen und Mehrfachreflexionen, in denen sich das Ich als Anderes abspaltet oder es sich im Anderen hinein erfindet. Es ist eine prozessuale, vorgestellte Welt. Die berechneten Schablonen rastern die Imagination, sie bieten ihr die zu ergänzenden Lückenfelder. Weil diese zu erbringende Ergänzungsleistung den Spieler partiell überfordert, wirkt sie authentisch. Der Pseudorealismus ist also Ergebnis einer perzeptiven und reaktiven Überbeanspruchung des Wahrnehmungsvermögens.

2020.06.12

Echtzeit
Gerade ist der Band Echtzeit im Film erschienen. Wichtiges Thema auf 506 Seiten behandelt. Hier die Literaturangabe: Kaul, Susanne (Hg.); Brössel, Stephan (Hg.): Echtzeit im Film. Konzepte - Wirkungen - Kontexte, Fink 2020, ISBN 978-3-8467-6251-6. https://www.fink.de/view/title/53176 [Link]

2020.06.08

Boris Groys und Carl Hegemann diskutieren in der FAZ über die Corona-Pandemie. Groys sagt in der ihm eigenen Leichtigkeit:
»Das Virus ist ja genau das, was diese Internetkultur immer als ein Ideal betrachtet hat. Wenn man kunstinteressierte Leute fragte, was sie tun wollen, dann haben sie immer gesagt: viral gehen, ein virales Video machen, einen viralen Text schreiben. Für die neue Internetkultur bezeichnet das Wort Virus ein kulturelles Ideal, und dieses Ideal gibt es schon, seit man in der Moderne begann, wie Tolstoi oder Malewitsch Kunst und Kultur als Formen bakterieller Infektion zu verstehen. Und nun kommt das Coronavirus als Apotheose der Viralität. Es kommt hier tatsächlich zu einer intimen Einheit, Kollaboration und Symbiose von Internet und Virus. Corona ist wirklich das Königsvirus. Es trägt die Krone im Namen.«
Nachweis: Boris Groys, Hegemann: Das Virus ist viral, FAZ, 06.06.2020, https://www.faz.net/-gsf-9zxtl [Link]

2020.06.05

Schöne Typografie: Ligaturen und Mediävalziffern!
https://typo-info.de/ligaturen/ [Link]
https://www.typolexikon.de/mediaevalziffern/ [Link]

2020.06.03

Experimentalfilm Schattenbild 2, Andreas Becker, 01.06.2020, Dauer: 5 Minuten

2020.05.31


Experimentalfilm Schattenbild, Andreas Becker, 29.05.2020, Dauer: 10 Minuten

2020.05.29

Vogelgesang Frankfurt am Main/Dornbusch
29. Mai 2020, 4.24 Uhr

29. Mai 2020, 4.54 Uhr

29. Mai 2020, 4.59 Uhr

29. Mai 2020, 5.04 Uhr

29. Mai 2020, 5.07 Uhr

Digitalstaat (Skizze 13)

Das Internet beruht einerseits auf Technik, andererseits natürlich auch auf rechtsstaatlichen Prämissen. Derzeit versucht die Trump-Administration, diese massiv zu verändern.
Siehe dazu:
Facebook, Google und Twitter wehren sich gegen Trumps Verordnung, FAZ, 29.05.2020, https://www.faz.net/-ikh-9zwj5 [Link]
Trump droht damit, soziale Medien wie Twitter zu schließen, FAZ, 27.05.2020, https://www.faz.net/-ikh-9zu4b [Link]
Trump wirft Twitter Einmischung in den Wahlkampf vor, FAZ, 27.05.2020, https://www.faz.net/-hbi-9ztmu [Link]

2020.05.28

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 23)

Die schöne Seite des Kapitalismus fällt aus: der Luxus, die Reise, der Restaurantbesuch etc. Nun gibt man von staatlicher Seite viel Geld aus, um diese Prozesse wieder anzukurbeln, gewährt Kredite. Aber eine Nachfrage will sich nicht einstellen. Die Menschen haben Angst, sich in öffentlichen Räumen anzustecken. In der hessischen Verordnung heißt es:
»§ 4 Gaststätten und Übernachtungsbetriebe(1) Gaststätten im Sinne des Hessi­schen Gaststättengesetzes vom 28. März 2012 (GVBl. S. 50), zuletzt ge­ändert durch Gesetz vom 15. Dezember 2016 (GVBl. S. 294), Mensen, Hotels, Kantinen, Eisdielen, Eiscafés und ande­re Gewerbe dürfen Speisen und Geträn­ke [...] 2. zum Verzehr vor Ort anbieten, wenn sichergestellt ist, dass a) ein Mindestabstand von 1,5 Me­tern zwischen Personen, aus­genommen zwischen Angehöri­gen des eigenen und eines wei­teren Hausstandes, eingehalten wird, sofern keine geeigneten Trennvorrichtungen vorhanden sind, b) Name, Anschrift und Telefon­nummer der Gäste zur Ermögli­chung der Nachverfolgung von Infektionen von der Betriebsin­haberin oder dem Betriebsinha­ber erfasst werden; diese ha­ben die Daten für die Dauer ei­nes Monats ab Beginn des Be­suchs geschützt vor Einsicht­nahme durch Dritte für die zu­ständigen Behörden vorzuhal­ten und auf Anforderung an die­se zu übermitteln sowie unver­züglich nach Ablauf der Frist zulöschen oder zu vernichten; [...] c) Küchenpersonal, Kellnerinnen und Kellner sowie Servicekräfte eine Mund­ Nasen­ Bedeckung im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 2 tragen, d) keine Gegenstände zur gemein­samen Nutzung bereitgestellt werden,e) geeignete Hygienemaßnahmen getroffen und überwacht wer­den sowie f) Aushänge zu den erforderlichen Abstands- und Hygienemaß­nahmen erfolgen.«1
Das gesamte Gefüge des Kulturellen ist davon betroffen. Auch die Frage, wie Menschen sich synchronisieren. Das Surrogat der Online-Kommunikation ermöglicht nur eine Synchronisation per objektiver Zeit. Aber die subjektive Zeit, die intuitive, spontane Zeit ist für das menschliche Leben viel wichtiger. Keine noch so gute Apparatur kann das physische Zusammensein ersetzen.
Nachweis: Zwölfte Verordnung zur Anpassung der Verordnungen zur Bekämpfung des Corona­Virus. Vom 25. Mai 2020, https://www.hessen.de/sites/default/files/media/nr_28.pdf

2020.05.25

Digitalstaat (Skizze 12)

Der Programmierer Melvin E. Conway diskutiert in seinem Text How Do Committees invent? die Frage, inwiefern die Struktur von Institutionen auf deren Theorien, die sie produzieren, abfärbt:
»Is there any predictable relationship between the graph structure of a design organization and the graph structure of the system it designs? The answer is: Yes, the relationship is so simple that in some cases it is an identity. Consider the following ›proof.‹«
Conway kommt zu dem Schluss, dass eine solcher Homomorphismus zwischen Institution und deren Produkt tatsächlich besteht:
»The basic thesis of this article is that organizations which design systems (in the broad sense used here) are constrained to produce designs which are copies of the communication structures of these organizations.«
Man nennt diese Beziehung auch Conway’s Law.
Nachweis: Melvin E. Conway: How Do Committees invent?, auf [Link]

2020.05.23

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 23)

Eine Bedingung für die Handlungsmacht der Politik, für die Unterbindung jeglicher Gegenstimmen in der Corona-Krise, für die Unterordnung der Menschen unter die eilig erlassenen Verordnungen war die ubiquitäre Berichterstattung über das Virus. Zu keiner Zeit auf keinem Sender gab es Ausnahmen. Im Radio wie im Fernsehen, in den Tageszeitungen wie im Internet (durch Werbeschaltung der Regierung), unisono erklang die Pandemie. Nicht nur in Deutschland, nicht nur in Europa, weltweit.

2020.05.21

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 21)

Die Coronakrise ist auch eine der Metaphysik. Die Virologen vertreten eine naturwissenschaftlich-technische Grundhaltung, indem sie für das Verbot von öffentlichen Versammlungen votieren, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Die Kirchen haben sich dem aber unterworfen. Sie haben die Kirchenräume schnell geschlossen und keinen Kompromiss gesucht oder eingefordert. Offenbar ordneten sie sich, und damit ihre theologische Grundhaltung, ganz selbstverständlich dem Urteil der Virologen unter, so als ob es keine Schattierungen gäbe. Was Giorgio Agamben feststellte, ist doch richtig. Die Kirchen verstummten.

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 22)

Die sozialen Regeln, zunächst die soziale Isolation, dann das Abstandhalten, dann die Maskierung, Desinfektion überall, Versammlungen, die jetzt erlaubt sind, aber mit Angst besetzt, das sind tiefgreifende Eingriffe in ganz grundlegende soziale Umgangsformen. Das Grüßen, Begrüßen, Umarmen, Abschiednehmen usf., Basisgesten des Sozialen, all sie sind langfristig geächtet. So als ob jemand eine Gesellschaft mit ihrem feinen Gespinst von Körperkommunikation mit einem Messer durchtrennt und nun das Ganze nicht mehr zusammenwachsen will. Es nutzt da kein Protest. Aber vielleicht ist das alles nur aufgespeichert. Weil die Menschen sich nun über Monate verinnerlichten, werden sie sich auf das Besinnen, was eben gerade in dieser Zeit nicht mehr da war. Gerade diese massive Störung im sozialen Feld kann eine schöpferische Kraft herbeirufen, weil alle diese eine Erfahrung machten. Es kann so sein.

2020.05.20

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 20)

Das Institut für deutsche Sprache hat zahlreiche Begriffe, die in der Corona-Krise entstanden sind, gesammelt und analysiert! Eine ganz wichtige Arbeit, die zeigt, wie wir manipuliert werden und uns dagegen immunisiert 😷
Christine Möhrs schreibt über den Begriff systemrelevant:
»Akteure aus Bereichen, die in der gegenwärtigen Situation nicht als systemrelevant eingestuft werden, stellen sich die Frage, ob sie und ihr Handeln (konkret ihr Gewerbe) damit für unsere Gesellschaft unbedeutend sind. Der ›griffige‹ Gegenspieler zu relevant sollte womöglich all denjenigen, die für die momentane Ausdeutung dieses Begriffes zuständig sind, sehr bewusst sein.«1

Nachweise:
1Christine Möhrs: Systemrelevant. Eine sprachwissenschaftliche Betrachtung des Begriffs aus aktuellem Anlass, Sprachreport 2 (2020), https://www1.ids-mannheim.de/fileadmin/aktuell/Coronakrise/systemrelevant_Beitrag_Moehrs_20200329.pdf [Link]
Allgemein:
Institut für deutsche Sprache: Aktuelle Stellungnahmen zur Sprache in der Coronakrise, https://www1.ids-mannheim.de/sprache-in-der-coronakrise.html [Link]



Macht ist stets in institutionelle Zusammenhänge und Prozeduren eingeschrieben. Der Machthaber, die Machthaberin sind dann in dieser Hinsicht mit Macht ausgestattet, als dass sie im Zentrum dieser Prozeduren stehen. Sie müssen diesen auch selbst gehorchen und können sie im großen Stil nur ändern mit dem Risiko des eigenen Machtverlusts. Aber die ideologischen Imperative der Machthaber sind stets diffus und müssen von den hierarchisch Niederstehenden erahnt werden. Ein Chefredakteur einer Zeitung expliziert gewöhnlich nicht, dass ein Journalist etwas nicht schreiben dürfe (es sei denn er oder sie will ein Exempel statuieren). Aber aus seiner Haltung, seinen Aussagen generiert sich ein diffuses Vorbild, das die anderen imitieren, wollen sie denn ihre eigene Position nicht gefährden. Der gesamte Habitus des Gebildes ändert sich dadurch. Es generiert sich eine eigentümliche Uniformität, die von dem Machtgebilde ausstrahlt und in es hineinwirkt. Schwierigkeiten entstehen, wenn diese Ordnung mit Neuem konfrontiert wird. In diesen Situationen sind die Machthaber auf die Niederstehenden angewiesen und müssen sich zunächst auf deren Urteil verlassen. Sind deren Urteile richtig, haben Sie Chancen, aufzusteigen. Im Falle einer Fehlentscheidung tragen sie das Risiko. Ihnen kann aber auch verziehen werden.



Digitalstaat (Skizze 11)

Kann es einen Staat ohne Rechtssystem geben? Das wäre also eine Staatlichkeit, die nicht auf sprachlicher Explikation beruhen würde, so wie sie die Gesetze darstellen. Da Staatlichkeit mit einsichtigen Verfahren und Verwaltungsprozeduren einhergeht, müssten sich diese dann auf eine andere Weise realisieren. Durch die digitalen Medien könnte man eine Universalisierung der Verfahren programmieren. Ein Beispiel hierfür: Derzeit parkt man in den Bereichen, in denen das erlaubt ist. Gesetzt den Fall, man parke falsch, kann man dafür bestraft werden, weil man gegen die Gesetze verstößt. In Zukunft (und vielleicht heute schon) könnte man Autos bauen, die diese Vorschrift einprogrammiert haben. Sie würden nicht mehr in verbotenen Bereichen parken können. Damit hätte es sich erübrigt, hier ein Gesetz zu schaffen. Bzw. das Gesetz würde nur die Blaupause sein für die Programmierer. Man könnte natürlich argumentieren, dass das Problem nur verschoben sei. Nähme man etwa den Fall, dass einer die Software umprogrammiert. Ich denke, dass das dann in Zukunft darauf hinauslaufen würde, dass - wie das Rechtssystem heute - unabhängig und autonom ist, die Programmierer einen solchen Status erhalten. Der Programmcode müsste, wie das Gesetz heute, geschützt werden. Der Code würde aber in dieser Hinsicht dann einheitlich vom Programm appliziert werden, normiert etc.

2020.05.18

»Alle Raupen, die bei ihrer Wanderung wellenartig irren.«
Aus: Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Erster Band, Berlin 1906, Demokritos, Fragm. 126, S. 408.


Etwas Besseres als den Tod findest Du überall. IPad-Zeichnung.
Die Bremer Stadtmusikanten, in: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 45f., http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/grimm_maerchen01_1857/?hl=Bremer;p=178[Link]

2020.05.17

Carolin Lano hat die Literatur über Youtube zusammengestellt. Dankeschön!
Lano, Carolin: Was war YouTube? – Plädoyer für die historiografische Plattformforschung. In: MEDIENwissenschaft: Rezensionen | Reviews, Jg. 37 (2020), Nr. 1, S. 8–27. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/13591. [Link]



Die FAZ meldet, dass Facebook 37.000 Kilometer Unterseekabel rund um Afrika verlegt.
Gustav Theile, Jessica Bazekovic: Facebook verlegt 37.000 Kilometer Unterseekabel rund um Afrika, FAZ, https://www.faz.net/-ikh-9zfm0 [Link]



Die größten Stiftungen der Welt hat arco einmal zusammengestellt. Demnach ist die Stitching INGKA Foundation auf Platz 1 (Niederlande), gefolgt von der Bill & Melinda Gates Foundation (USA). Auf Platz 3: Wellcome Trust (UK). Auch eine deutsche Rangliste gibt es. Aber mit den milliardenschweren Stiftungen kann unsere Landschaft nicht mithalten.
arco-Liste: https://www.arcolab.org/en/worlds-100-largest-philanthropic-foundations-list/ [Link]
Bundesverband deutscher Stiftungen: Liste der größten gemeinwohlorientierten Stiftungen, https://www.stiftungen.org/stiftungen/zahlen-und-daten/liste-der-groessten-stiftungen.html[Link]



Interessante Webseite zur Bestimmung von Pflanzen! https://www.pflanzen-bestimmung.de [Link]



Lina M. Khan untersucht in ihrem Artikel »Sources of Tech Platform Power« die Gründe für die Macht der großen Internet-Konzerne. Sie unterscheidet zwischen »gatekeeper power«, »leveraging« sowie »information exploitation«.
Lina M. Kahn (2018): Sources of Tech Platform Power, Georgetown Law Technology Reveiew, 325, https://georgetownlawtechreview.org/sources-of-tech-platform-power/GLTR-07-2018/ [Link]

2020.05.15

Digitalstaat (Skizze 10)

Gestern machte ich die linke Videoaufnahme des Schattens (Screenshot), den unsere Gardine in der Abendsonne auf die Wand warf - und stellte sie auf Youtube, ungelistet, um ca. 20.00 Uhr bettete ich das Video auf diese Homepage hier ein. Kurz nach 23 Uhr schaute ich mir das Ganze nochmal an - und sah folgenden Hinweis an Stelle des Videos: »Dieses Video wurde entfernt, weil es gegen die YouTube-Nutzungsbedingungen verstößt.« Nun weiß ich nicht, warum meine, natürlich selbst gemachte, Aufnahme eines Schattens, zumal noch einer Gardine, gegen die Nutzungsbedingungen verstößt. Aber offenbar ging eine Routine des neuronalen Netzwerks über das Bild, scannte es, und entdeckte darin einen Verstoß. Es mag eine Ähnlichkeit mit allem Möglichen geben, wer will es wissen? Ich beschwerte mich mit einem Button und einer kurzen Erläuterung. Man kann diese Zensurmechanismen, die niemand versteht, denn die ›künstliche Intelligenz‹ wurde ja an Mustern trainiert und entwickelte die Algorithmen als Korrelationen von Netzwerkverstärkungen, als das ›technisch Unbewusste‹ oder vielleicht auch ›digitale Unbewusste‹ beschreiben. Es wirkt auf uns zurück, aber wir wissen nicht, welche Kriterien dem zugrunde lagen. In diesem Fall ist die Kurzzensur ohne weitere Folgen. Sie kann aber, wenn etwa Zugänge ganzer Behörden oder wichtiger Internetseiten etc. automatisiert gesperrt würden, schlimmste Folgen haben. Selbst, wenn dies nur kurrzzeitig geschieht. Aber auf eine Weise ist es auch wiederum eine interessante Reaktion. Ich hatte offenbar das Unbewusste der Maschine gekitzelt mit dem Bild, das ich ja auch interessant fand. Das digitale Gebot lautet: Verhalte Dich konform, mache nichts Ungegenständliches, Vages, Abstraktes, jenseits des noch Ungefilmten, Ungedachten, sonst verschwinden Deine Bilder und Arbeiten. Nachtrag vom 15. Mai, 14.25 Uhr: Gerade sehe ich, dass meine Beschwerde Erfolg hatte! Das Video ist wieder freigeschaltet!

2020.05.14


Schattenspiel an der Wand, 14. Mai 2020, 19.00h

Clemens Mitschers unglaubliche Photographie Götterdämmerung (1998). Das Bild zeigt das Kabinett Schröder I, posierend auf der Treppe der Villa Hammerschmidt. Die meisten lachen selbstzufrieden in die Kameras, nur Christine Bergmann (Familie, Senioren, Frauen und Jugend) ist reserviert. Die Gesten deuten Überschwang an. Glücklich nun - man ist auf die andere Seite der Macht gewechselt. Mitscher zeigt diese Szene von der Seite aus, wo wahrscheinlich niemand sonst stand. Er blickt auf und zugleich hinter die Fassade.
Links:
Clemens Mitscher: Götterdämmerung (1998), https://www.hfg-offenbach.de/system/attachments/files/5474992768666734c71a0000/c6/mitscher_1998_goetterdaemmerung__100x100_lambda-c-print.jpg?1418133392 [Link]
Ein offizielles Photo, https://www.hdg.de/lemo/bestand/objekt/foto-kabinett-schroeder-herzog.html [Link]
Homepage Clemens Mitscher, https://www.hfg-offenbach.de/de/people/clemens-mitscher#person[Link]

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 19)

Seitdem die Corona-Lockerungen Anfang Mai in Kraft traten, hat sich die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland tendenziell sogar verringert! Man könnte hierfür mehrere Gründe anführen:
a) Die Gesellschaft wurde durchseucht, so dass sich das Virus insgesamt langsamer verbreitet.
Dies scheint mir nicht der Fall zu sein. Die meisten Menschen hatten noch keine Infektion.
b) Es wurde anders getestet.
Auch das scheint eher umgekehrt zu sein. Jetzt wird mehr getestet.
c) Die Ausbreitung des Virus verlangsamt sich, weil alle Masken tragen und Hygiene- und Abstandsregeln einhalten.
Dies scheint doch so zu sein.1 Das heißt aber auch, dass der Lockdown vorher unnötig war. Zwar hat der Lockdown die dann exponentielle Verbreitung des Virus gebremst, aber sicher hätte doch eine frühere Reaktion: Masken aufziehen, Abstand halten, putzen und waschen, viel mehr gebracht und wäre günstiger gewesen. Folgt man dem, so müsste man entweder sagen, dass die Maßnahmen ungeheuer teuer, aber unnötig waren. Man könnte dann fragen, warum das so gemacht wurde - und warum niemand nach den Verantwortlichen für diesen Fehler sucht. Sicherlich hat es politische Gründe. Man wollte mehr (National-)Staatlichkeit, eine schnellere Einführung der Digitalisierung, Grenzkontrollen - und die Maßnahmen waren der Preis dafür. Ein anderer Grund, der mir einfiele, ist kultureller Art. In Europa gibt es keine Tradition des Maskentragens. Daher brauchte es diesen irrationalen Schnitt, um die Etikette zu ändern. Dieser alltägliche Habitus ist offenbar so träge, dass diese martialischen Maßnahmen in dieser Hinsicht notwendig schienen. Es handelte sich hierbei also um einen politisch initiierten Lernprozess. Gibt es noch andere Gründe? Habe ich etwas übersehen?
Nachweis:
1 Siehe dazu die Statistik der WHO: https://covid19.who.int/region/euro/country/de [Link]



2020.05.13

Nun fühlen sich die Virologen nicht nur für die Pandemien, sondern auch noch für die Infodemien zuständig! In dem offenen Brief Ärzte schlagen Alarm wegen Infodemie auf Social Media heißt es:
»Die Flutwelle an falschen und irreführenden Inhalten über das Coronavirus ist kein isolierter Ausbruch von Desinformation, sondern Teil eines globalen Problems. [...] Deswegen rufen wir heute die Technologieunternehmen dazu auf, sofort und systematisch aktiv zu werden, um die Flut an medizinischen Fehlinformationen sowie die dadurch ausgelöste Gesundheitskrise zu stoppen. [...] Die Diagnose sieht finster aus, was kann also getan werden? Die sozialen Medien müssen mit zwei offensichtlichen und dringenden Schritten vorangehen. Zunächst einmal müssen sie Richtigstellungen zu den Gesundheits-Fehlinformationen veröffentlichen. Das bedeutet, dass jede einzelne Person, die auf ihren Plattformen mit Gesundheits-Fehlinformationen in Berührung gekommen ist, gewarnt und benachrichtigt wird, und dass eine gut konzipierte und unabhängig überprüfte Korrektur angezeigt wird -- etwas, das nachweislich dabei helfen kann, dass Benutzer nicht an gefährliche Lügen glauben. [...] Zweitens müssen die Plattformen ihre Algorithmen entgiften, die bestimmen, was den Benutzern angezeigt wird. Das bedeutet, dass gefährliche Lügen sowie diejenigen Seiten und Gruppen, die sie verbreiten, in den Benutzer-Feeds herab- und nicht heraufgestuft werden. [...] Die Algorithmen konzentrieren sich derzeit mehr darauf, die Benutzer online zu halten, als ihre Gesundheit zu schützen. Und das führt zu einer Beeinträchtigung des gesellschaftlichen Wohlbefindens.«
Nachweis:
Ärzte schlagen Alarm wegen Infodemie auf Social Media, AVAAZ, https://secure.avaaz.org/campaign/de/health_disinfo_letter/ [Link]




Digitalstaat (Skizze 8)

Heute berichtigen die Programme die Rechtschreibung und geben Vorschläge. Morgen werden sie Sätze ergänzen. Übermorgen eine Rohfassung eines Textes, der nahezu so strukturiert sein wird, wie man es vorhatte. Man wird dann nur noch anfangen und bereits die Skizze vorfinden - und bestätigen. Das wird zumindest bei Verwaltungsaufgaben sicherlich ziemlich gut funktionieren. Ähnlich wird man auch automatisierte E-Mails erhalten, die so gut sind, dass man nicht mehr weiß, ob sie von Menschen geschrieben wurden. Das funktioniert durch eine Textgenerierung und Übersetzung, die den Sinn nicht erfasst, sondern mit Korrelationen arbeitet, einen Text als reine Struktur versteht.

Digitalstaat (Skizze 9)

Home Office. Wie könnten zukünftige Unternehmen aussehen, deren Mitarbeiter zu einem Großteil im Home Office arbeiten? Was auffällig anders wäre gegenüber heutigen Unternehmen, wäre die fehlende Repräsentationsarchitektur. Es würde dadurch zwar Symbolkraft verloren gehen, aber dafür würden Kosten für Gebäude und deren Unterhaltung gespart. Da Unternehmen das Bedürfnis haben, ihren Einfluss und ihre Macht symbolisch kundzutun, werden sie vielleicht mehr Werbung schalten, Stadien umbenennen, Plätze, Förderprogramme und Stiftungen gründen etc., um ihre Sichtbarkeit zu garantieren.
Die Schwierigkeit der Arbeitsorganisation läge sicherlich darin, die vereinzelten und räumlich verteilten Mitarbeiter zu koordinieren. Diesen Koordinator-Positionen käme eine Schlüsselstellung zu. Sicherlich würden viel mehr Menschen als jetzt in kurzzeitigen Arbeitsverhältnissen, ähnlich den Freelancern, beschäftigt werden. Da sich das Team kaum persönlich kennt, werden innerbetriebliche Freundschaften, der Zusammenhalt, aber auch Konflikte unwichtiger. Die Menschen im Homeoffice hätten zeitliche Freiheit und Unabhängigkeit gewonnen, sie könnten und müssten ihre Aufgaben eigenverantwortlich lösen. Sie müssten auch nicht ihren Wunschort verlassen, aber sie würden mehr nach ihrer erbrachten Leistung beurteilt. Die Bindung zum Betrieb also würde sehr instrumentell sein. Das Corporate Image würde genauer festgelegt. Die Bedeutung von Schulungen aufgewertet, um die Arbeitsformen zu vereinheitlichen. Auch die Frage der Anonymität, der Datensicherheit etc. würde anders beantwortet als heute. Man würde sicherlich ähnliche Aufgabentypen vergeben und dann - so wie in heutigen Großraumbüros - Konkurrenzen stiften, Leistungsvergleiche nach abstrakten Vorgaben ziehen.

2020.05.12

Ein Kind liegt im Krankenhaus. Blinddarm-Operation. Es liest Marvel-Comics, Sammelband. Ein anderes Kind nimmt einen Kugelschreiber und reißt einen Strich durch mehrere Blätter, unvermittelt. Das Kind liest weiter. Der Kugelschreiber-Attentäter kam kein zweites Mal.

2020.05.11

Digitalstaat (Skizze 7)

Viele Homepages enthalten eine kleine Datei namens robots.txt. Diese Datei sehen die menschlichen Leserinnen und Leser gewöhnlich nicht. Es ist dies eine Nachricht an die Informationsmaschinen, an Crawler, also Routinen, die das Internet automatisiert durchsuchen. Mann kann hier angeben, welche Dateien der Homepage durchsucht werden dürfen und welche nicht, außerdem kann man bestimmte Suchmaschinen explizit nennen, andere ausschließen. Es ist eine Nachricht, die dann indirekt - über die Informationssysteme - die Sichtbarkeit der Webseite erhöht bzw. diese in den Suchmaschinen verschwinden lässt. Informationen zu robots.txt auf http://www.robotstxt.org/robotstxt.html [Link] sowie auf https://seo-ranking-tools.de/seo-tools/technische-tools/robots-txt-generator/ [Link]


Virenjäger 007 Schneider ist unterwegs. Er hat ›den‹ Virus gefasst. Jetzt kann nichts mehr passieren, https://www.dctp.tv/filme/ich-hab-den-virus?thema=corona-2020 [Link]



Kino/Fernsehen. Würde man Menschen in einem großen Raum vor einen großen Public Display setzen, würden sie sagen: »Das ist kein Kino, das ist Fernsehen!« Es würden zwei Momente fehlen: Die Dunkelheit und das Projektions-Dispositiv. Beide gehören zum Kino.

2020.05.09

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 18)

Rassismus und Corona. Dass der Grund des Rassismus nicht im Fremden liegt, sondern dass das Fremde lediglich der Projektionsort für Rassismen ist, wird in der Corona-Krise anschaulich. Als das Virus gerade aus China nach Europa kam, galten vorübergehend asiatisch aussehende Menschen für einige als potentiell infektiös. Nhi Les Twitter-Account wurde versehentlich gesperrt, weil sie sich gegen Rassismus engagierte. In einem am 6. Februar veröffentlichten Interview mit der FAZ sagt sie:
»Die Gleichung, die viele jetzt aufmachen, ist: asiatisches Aussehen gleich Chinese gleich Ansteckungsgefahr. Das ist Rassismus. Sich von einem Menschen im Bus wegzusetzen, nur weil er asiatisch aussieht, ist eine rassistische Verallgemeinerung. Angst vor Ansteckung rechtfertigt das nicht. Das ist irrational. Viel sinnvoller ist es, bei Menschen mit offensichtlichen Erkältungssymptomen Abstand zu halten. Dieser Generalverdacht ist eine Grenzüberschreitung. Das Coronavirus wird so rassifiziert.«1
Die Medien schwingen darauf ein und verstärken und erzeugen weitere Dynamiken:
»Auch in Deutschland druckt ›Der Spiegel‹ die Schlagzeile ›Corona-Virus: Made in China‹ auf seine Titelseite, dazu ein Bild eines asiatisch-aussehenden Mannes mit Atemmaske und rotem Umhang. Dasselbe Foto verwendet übrigens auch das Magazin Focus, verzichtet auf dem Cover allerdings auf einen China-Bezug.«2
,wie es in der FAZ heißt. Als sich dann das Virus in Europa weiter ausbreitete und im Grenzgebiet von Frankreich mehr Infektionen gemeldet wurden als auf deutscher Seite, konnte man nun eine Art Spinwechsel beobachten. Nun waren es die Landesnachbarn, die zum Objekt des Hasses wurden:
»Autos mit französischen Kennzeichen seien mit Eiern beworfen, französischsprechende Kunden in Supermärkten beschimpft und zur Rückkehr nach ›Corona-Frankreich‹ aufgefordert worden. Robinet liegen auch Berichte Beschäftigter einer deutschen Reinigungsfirma im Saarland vor, die ›von heute auf morgen‹ den französischen Mitarbeitern den Zutritt verweigert haben soll.«3
Als schließlich auch in Deutschland die Infektionszahlen stiegen, während in China die Zahlen wieder sanken, waren auf einmal die Europäer die Bösen und man substantialisierte sie:
»Ein erstes Vorzeichen, dass es unangenehm werden könnte, gibt es am Bahnhof. Der Beamte, der die beiden Ausländer registrieren soll, macht trotz seines Ganzkörperschutzanzugs drei Schritte zurück, als die Deutsche auf ihn zukommt.«4
So problematisch es in dieser Hinsicht ist, mit dem Finger auf andere zu zeigen, sollte man doch die Problematik klar benennen. So titelt Tagesschau.de Corona zeigt Chinas Rassismusproblem:
»Ausländer müssen draußen bleiben. Das macht der grimmige Wachmann vor dem Sanyuanli-Textilmarkt in Guangzhou deutlich. ›Sie können den Code nicht scannen‹, ruft er immer wieder und meint damit den ausgedruckten QR-Code, den er vor sich auf seinem Tisch hat. Normalerweise scannt man mit dem Smartphone diesen Code und bekommt eine Art digitalen Passierschein, mit dem man dann in das Gebäude reinkommt. Doch normal läuft zur Zeit zumindest für Ausländer vieles nicht in Guangzhou. Der Wachmann lässt nur Chinesen ins Gebäude.«5
Manchmal richten sich diese Feindlichkeiten auch gegen die ›eigene‹ Bevölkerung, wie die japanische Schriftstellerin Sayaka Murata zu berichten weiß:
»In Japan kursiert gerade der Begriff der ›Selbstbeschränkungspolizei‹. Seit ich in den Nachrichten gesehen habe, dass Geschäfte, die nicht freiwillig schließen, von selbsternannten Corona-Polizisten mit diffamierenden Zetteln beklebt und Autofahrer mit Nummernschildern anderer Präfekturen belästigt werden, erscheinen die Blicke der Menschen mir zunehmend bedrohlich.«6
Aber mit Viren kann bekanntlich nur gemeinschaftlich umgegangen werden. Ein Hass auf den Fremden, wie auch immer er oder sie aussehen mag, hilft niemand und schürt nur gesellschaftliche Konflikte, wo man doch Einigkeit bräuchte.

Nachweise:
1 Manon Priebe: Vorurteile wegen Coronavirus. ›Das ist Rassismus‹, FAZ, 06.02.2020, https://www.faz.net/-ivn-9w8gd [Link]
2 Manon Priebe: Wie Rassisten das Coronavirus für sich nutzen, FAZ, 03.02.2020, https://www.faz.net/-ivn-9w3iu, [Link]
3 Mona Jäger, Michaela Wiegel: Feindseligkeiten im Saarland. ›Franzosen wurden wie Aussätzige behandelt‹, FAZ, 17..04.2020, https://www.faz.net/-ivn-9ykux [Link]
4 Friederike Böge: Am Ground Zero des Virus. Verheddert in Wuhan, FAZ, 16.04.2020, https://www.faz.net/-gq5-9yj5m, [Link]
5 Steffen Wurzel: Corona zeigt Chinas Rassismusproblem, Tagesschau.de, https://www.tagesschau.de/ausland/china-corona-119.html [Link]
6 Sayaka Murata: Japan. Angst vor der Erschütterung, Süddeutsche Zeitung, https://www.sueddeutsche.de/kultur/welt-im-fieber-coronavirus-japan-sayaka-murata-1.4900098, [Link]

2020.05.07

Unanschauliche Vorstellungen. Während die plane, euklidische Geometrie anschaulich ist, bewegen wir uns ganz schnell in Bereichen unanschaulicher Vorstellungen, wenn wir uns ein Dreieck vorstellen, das auf einer Kugeloberfläche liegt. Man nennt dies sphärische Geometrie. Wir können uns durch den Verstand erschließen und durch Formeln beschreiben, wie diese Flächen sich berechnen ließen. Aber es gehören mehrere gedankliche Schritte dazu, um solch ein Dreieck (oder Zweieck) zu beschreiben. Siehe dazu die interessante Studie von Andreas Filler: Euklidische und nichteuklidische Geometrie, 1993, pdf, https://www.mathematik.hu-berlin.de/~filler/publikat/filler_eukl-ne-geom.pdf#page20, S. 13 f. [Link]



Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung des deutschen Bundestags gibt zahlreiche Studien in Auftrag, die die mögliche Wirkung von Techniken skizzieren, http://www.tab-beim-bundestag.de/de/untersuchungen/alle-untersuchungen.html [Link]

2020.05.06

»έδιζησάμην έμεωυτόν.« - »Ich habe mich selbst gesucht.«
Heraklit
(Aus: Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Erster Band, Berlin 1906, Herakleitos, Fragm. 101, S. 76)

2020.05.05

Digitalstaat (Skizze 7)

Am 11. Mai 1997 verliert Garry Kasparov gegen IBM’s Schachcomputer Deep Blue. Der Computer gewinnt von sechs Matches zwei, eines gewinnt Kasparov, drei Remis.1 Das Programm konnte bis zu 200 Millionen Figurenkonstellationen pro Sekunde berechnen.2 Einer der Entwickler von Deep Blue, Feng-hsiung Hsu, schrieb ein Buch über das Ereignis und die Geschichte des Projekts.3. Für Kasparov war das eine empfindliche Niederlage. Aber auch die Menschheit wurde dadurch in ihre Schranken gewiesen. Bestimmte Fähigkeiten, sogar so komplexe wie die des Schachspielens, konnten eindeutig besser vom Computer erledigt werden. Und selbst solche einzigartigen Talente wie Kasparov, der dazu noch sein Leben dem Schachspiel widmete, verloren gegen den Computer. In einem Interview mit dem Magazin Wired sagt Kasparov Jahrzehnte später:
»1997 was an unpleasant experience, but it helped me understand the future of human-machine collaboration. We thought we were unbeatable, at chess, Go, shogi. All these games, they have been gradually pushed to the side [by increasingly powerful AI programs]. But it doesn’t mean that life is over. We have to find out how we can turn it to our advantage.«4
Die Analyse, die Kasparov dann bringt, klingt wie eine Wiederauflage von Marxens Thesen über den Einsatz von Maschinen:
»Every technology destroys jobs before creating jobs. [...] That means 96 percent of jobs, I call them zombie jobs. They’re dead, they just don’t know it. For several decades we have been training people to act like computers, and now we are complaining that these jobs are in danger. Of course they are. We have to look for opportunities to create jobs that will emphasize our strengths. Technology is the main reason why so many of us are still alive to complain about technology. It’s a coin with two sides. I think it’s important that, instead of complaining, we look at how we can move forward faster. When these jobs start disappearing, we need new industries, we need to build foundations that will help. Maybe it’s universal basic income, but we need to create a financial cushion for those who are left behind.«5
Kasparovs Prognose ist wohl realistisch. Er spricht dann noch über AlphaZero, ein Programm, das nur aufgrund der Regeln die Spiele lernt.6 Der neue Schachweltmeister Magnus Carlsen hat offenbar Konsequenzen daraus gezogen. Er sagt in einem Interview: »Ich spiele nie gegen Computer. Ich habe das nie gemocht. Ich bin ohne Computer aufgewachsen.«7 Vikram Jayantis Film Game Over: Kasparov and the Machine (2003) dokumentiert das Match Kasparov-Deep Blue.
Nachweise:
1 IBM: Deep Blue, https://www.ibm.com/ibm/history/ibm100/us/en/icons/deepblue/ [Link]
2 Ebenda: »The IBMers knew their machine could explore up to 200 million possible chess positions per second.«
3 Feng-hsiung Hsu: Behind Deep Blue. Building the computer that defeated the world chess champion, Princeton 2002.
4 Will Knight: Defeated Chess Champ Garry Kasparov Has Made Peace With AI, Wired, 21.02.2020, https://www.wired.com/story/defeated-chess-champ-garry-kasparov-made-peace-ai/ [Link]
5 Ebenda.
6 Wikipedia: AlphaZero, https://de.wikipedia.org/wiki/AlphaZero [Link]
7 Ulrich Stock: Der schnellste Kopf. Schachspieler Magnus Carlsen, Die Zeit, 31.10.2013, https://www.zeit.de/2013/45/schach-weltmeisterschaft-magnus-carlsen/komplettansicht [Link]

2020.05.04

Tropfenmenschen. Ipad-Zeichnung, Sommer 2019.


Digitalstaat (Skizze 6)

Das Rechtssystem eines Staates lässt sich nach dem Modell eines Computerprogramms beschreiben. Das Grundgesetz (die Verfassung) ist das Betriebssystem. Die Gesetze sind die Programme, die auf diesem Betriebssystem ›laufen‹. Anders als bei einem herkömmlichen Computer braucht die heutige Judikative Menschen (Richter, Anwälte, Polizisten), die die Gesetze ›auslegen‹. Sie sorgen dafür, dass die textbasierten Normen etc. identisch angewandt werden. Diese Funktionsträger urteilen qua Amt und nicht als Personen. Sie versetzen sich also idealiter in den ›Geist‹ der Gesetze und stellen ihre persönliche Meinung, ihre Ansichten vor diesen zurück. Diese Achtung vor dem Gesetz wird im Habitus (Aufstehen bei der Gesetzesverkündung), in der Kleidung (Robe) etc. auch symbolisch ausgedrückt. Man muss sich aber klar machen, dass schon der Gesetzestext auf eine Weise formalisiert, normiert, die Sprache miteinander kompatibel sein muss. Der Text muss Prinzipien darlegen und gleichzeitig konkret sein. Es ist eine Art Vollzugssprache des Intellekts, die hier gefragt ist. Je nach Gebiet werden dann unterschiedliche Gesetze angewandt, aber sie alle haben die gleiche Form, eine ähnliche Sprache, sind aufeinander bezogen etc. Eben das ist auch die Charakteristik von Computerprogrammen.
Eine weitere Nähe besteht in der Anwendung logischer Operatoren. Es kann und darf keine zwei sich widersprechenden Gesetze geben. Ähnlich wie bei einem Computerprogramm bleibt das Rechtssystem gewöhnlich im alltäglichen Hintergrund. Nur wenige vermögen es, den Text zu lesen. Und nur eine kleine Gruppe bestimmt, wann und wie der Programmcode, die Syntax etc. geändert wird. Wir beobachten nun gerade, wie der Staat (und sein Rechtssystem) sich in die Computerprogramme, deren Architektur etc. einschreibt. Ich meine, dass der ›Digitalstaat‹ einer ist, der sich von den Computerprogrammen kaum mehr unterscheidet.
Zwar wird das Rechtssystem formaliter in Zukunft noch von der digitalen Welt getrennt werden, aber de facto sind dann die Gesetze und Vorschriften bereits in sämtliche Programmcodes eingeströmt. Das klingt wie Science Fiction, aber ganz konkret können wir schon heute diese nahe Zukunft erleben. Man nehme das Beispiel des Kopierschutzes. Früher gab es so etwas nicht. Heute sind Programme etc. kopiergeschützt. Das heißt, dass eine staatliche Vorschrift nicht erst bei einer Klage etc. greift, sondern das geistige Eigentum schon im Produkt selbst geschützt wird. Es braucht hierzu auch keine Funktionsträger mehr. Die Programme erledigen das bereits von selbst. Denkbar ist, dass auch die Strafe in Zukunft automatisiert wird. Beginge jemand Rechtsbruch im digitalen Raum, würden entsprechende Routinen bereits aktiv - und der Staat im heutigen Sinne wäre nur noch ein Rest, der angerufen würde, wenn es Probleme gäbe, eine Art Mediator des digital und autonom fungierenden Regelwerks. Auch der Verkehr, der zunehmend von Systemen geleitet und überwacht wird, ist davon betroffen. Wer heute falsch parkt, mag darauf hoffen, dass die Tat unentdeckt bleibt. Ein gewisses Kalkül in den Innenstädten lässt sich immer noch beobachten. Aber wenn die Städte lückenlose Systeme installiert haben, dann verschmilzt der Alltagsraum mit dem Digitalraum und damit mit dem Digitalstaat. Keine Ausrede etc. gilt dann mehr, denn das System erkennt, wer falsch parkte und versendet automatisiert dann den (elektronischen) Strafzettel.
Die Tendenz, den Staat in einen solchen Digitalstaat zu transformieren, ist sehr groß. Das liegt auch daran, dass eben diese Affinität von Programmcode und Gesetz seit je schon besteht. Und wenn die Systeme installiert sind, rückt die staatliche Utopie, dass der Staat alles durchdringt (wie etwa in Platons Politeia oder Nomoi), in scheinbare Nähe. Arbeitsaufwendige Aufgaben werden delegierbar und automatisierbar. Auch das Wesen des Rechts wird sich hin zu einem reaktiven ändern, je mehr es mit der digitalen Verfahrensweise verschmilzt. Wir werden dann permanent von Computerprogrammen observiert. Diese werden nur wenig Augenmaß haben. Spielräume wird es nur geben, insofern diese expliziert und dann programmiert wurden. Im Kern werden diese Routinen aber tabellenartige Registratoren sein, die dann entsprechend das Strafmaß unflexibel und abstrakt nach einem festgelegten Schlüssel ermitteln. In dieser Hinsicht ist das chinesische Punktesystem kein Sonderfall, sondern nur eine frühe und extrem technikgläubige Ausprägung einer Tendenz, die überall zu beobachten ist. Die Janusköpfigkeit dieser Entwicklung zeigt sich darin, dass der Digitalstaat als Servicedienstleistung angepriesen wird, dass man dadurch Anmeldungen des Autos etc. beschleunigen kann und man die Informationen rund um die Uhr abrufen kann, man schneller durch die Grenzkontrollen geht1.
Aber man sollte sich keine Illusionen machen. Diese Systeme werden weiterlaufen. Sie werden nahezu unveränderbar und nur sehr schwer austauschbar sein. Eine demokratische Kontrolle wird es zwar geben, aber eine Umprogrammierung der Regeln wird schon schwer werden. Und ein Aussetzen der Systeme im Nachhinein (›abschalten‹) wird man sich nicht trauen, da man dann massive Rechtsverstöße befürchten wird. Sie wird auch technisch nicht möglich sein. Die Funktionen sind dafür zu verzahnt. Gibt es in diesen Überlegungen Fehler? Oder muss man tatsächlich annehmen, dass das die Zukunft sein wird?
Nachweis:
1 So heißt es über das Verfahren: »In der Praxis läuft das EASYPASS-Verfahren wie folgt ab: Die oder der Reisende legt vor einer zunächst geschlossenen Sicherheitsschleuse den Reisepass oder (maschinenlesbaren) Personalausweis auf ein Lesegerät und betritt anschließend die Schleuse. Dort erfolgt zunächst eine elektronische Kontrolle, ob tatsächlich nur eine Person eingetreten ist. Gleichzeitig wird eine biometrische Frontalaufnahme der reisenden Person gefertigt, die elektronisch mit dem biometrischen Bild aus dem Reisedokument abgeglichen wird. Dabei erfolgt auch eine Prüfung, ob es sich tatsächlich um eine Lebendaufnahme handelt oder ob die Person in der Schleuse eine Silikon- oder Papiermaske trägt. Zeitgleich erfolgt ein Abgleich der Passdaten mit polizeilichen Fahndungsdatenbanken, wie vom Schengener Grenzkodex vorgeschrieben. Sofern das Reisedokument und die biometrische Kontrollaufnahme übereinstimmen, öffnet sich die Schleuse auf der anderen Seite und die oder der Reisende kann sie verlassen. Hinter der elektronischen Kontrolllinie befinden sich Beamte der Bundespolizei, die sowohl die Vorgänge innerhalb der Schleusen einsehen können, als auch die Abgleichergebnisse angezeigt bekommen. Hier können je nach Ergebnis der automatisierten Kontrolle auch noch weitergehende grenzpolizeiliche Maßnahmen erfolgen.« (Bundesauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit: EASYPASS - Automatisierte und biometriegestützte Grenzkontrolle, https://www.bfdi.bund.de/DE/Datenschutz/Themen/Sicherheit_Polizei_Nachrichtendienste/SicherheitArtikel/AutomatisierteBiometriegestuetzteGrenzkontrolle.html) [Link]

2020.05.03

Asklepios (Ἀσκληπιός, Asklēpiós, lateinisch Aesculapius) ist in der griechischen Mythologie der Gott der Heilkunde. Ihm widmeten die Griechen zahlreiche Kultstätten. Schlief man in den dortigen, sehr prächtigen Tempeln, so der Glaube, würde man gesunden. Man nennt das Enkoimesis (griechisch ἐγκοίμησις) oder lateinisch Inkubation. Durch Pausanias (etwa 115-180 n.Chr.) Beschreibung Griechenlands haben wir ein anschauliches Bild dieser Kultstätten:
»Bei Lessa schließt das epidaurische Land an das von Argos an. Bevor man aber zur Stadt selbst kommt, gelangt man zum Heiligtum des Asklepios... Den heiligen Hain des Asklepios umgeben allerseits Grenzsteine, und innerhalb des Heiligtums sterben keine Menschen und gebären keine Frauen, wie auch auf der Insel Delos. [...] Die Kultstatue des Asklepios ist halb so groß wie die des olympischen Zeus in Athen und aus Elfenbein und Gold gemacht; eine Inschrift besagt, der Künstler sei der Parier Thrasymedes, der Sohn des Arignotos. Er sitzt auf einem Thron, einen Stab haltend, und die andere Hand hat er über dem Kopf der Schlange, und auch ein Hund ist neben ihm liegend dargestellt. [...] Dem Tempel gegenüber ist der Ort, wo die den Gott um Hilfe Bittenden schlafen. In der Nähe ist ein Rundbau aus Marmor errichtet, die sogenannte Tholos, sehenswert. Darin ist von der Hand des Pausias ein Eros gemalt, der Geschosse und Bogen niedergelegt hat und statt ihrer eine Leier trägt. Auch Methe (›die Trunkenheit‹) ist hier gemalt, auch diese ein Werk des Pausias, aus einer Glasschale trinkend. Man sieht auch in dem Gemälde die gläserne Schale und durch sie hindurch das Gesicht der Frau. Innerhalb des heiligen Bezirks standen vor alters viele Stelen, zu meiner Zeit noch sechs. Auf ihnen sind die Namen von Männern und Frauen verzeichnet, die von Asklepios geheilt wurden, und dazu die Krankheit, an der jeder litt, und wie er geheilt wurde.«1
Der Gott, den die Griechen verehrten, wurde im Feuer geboren. Und das kam so: Seine Mutter heißt Koronis, sein Vater ist der Gott des Schönen, Apollo. Aber obwohl Koronis schwanger war, liebte sie den Gast ihres Vaters, Ischys. Durch einen weißen Raben erfuhr Apollo in Delphi von der Affäre und ließ Koronis töten. Als der Leichnam auf dem Scheiterhaufen lag, entriss er das Kind im letzten Moment den Flammen. Aus Zorn färbte er den Raben schwarz. Der Kentaur Cheiron (griechisch Χείρων ›Hand‹, lateinisch Chiron) zog Asklepios auf und unterwies ihn in der Heilkunst. Asklepios hat die Gabe, Kranke zu heilen. Wie Pausanias schon schreibt, ist ihm stets ein Stab mit einer Schlange beigegeben. Dies hat sicherlich mantischen Charakter, »die älteste Form der Heilorakel des Asklepios ist die Schlangenwahrsagung«2.
Ich meine, dass auch die Ähnlichkeit der Schlange mit dem Blitz an seine Geburt erinnert, er in dieser Hinsicht die zerstörische Kraft des Gewitters umleitet, kanalisiert. Die Träume, die die Menschen in den Asklepios-Tempeln hatten, gaben ihnen Zeichen, wie sie zu gesunden seien, indem sie von Priestern ausgelegt wurden.3 Asklepios weckte auch Tote auf, was ihm den Tod durch Zeus’ Blitz einbrachte. Er starb, wie er geboren wurde, durch das Feuer. Eine seiner Töchter ist Hygiene, von griech. Ὑγίεια, Hygíeia, Gesundheit, Göttin der Gesundheit. Ihre Mutter ist Epione (Göttin der Schmerzlinderung). Hygíeia ist Schwester u.a. von Panakeia (Göttin der Heilpflanzen, daher auch Panazee, dt. Allheilmittel). Sie wird in einer Skulptur des Vatikans neben ihrem Vater dargestellt. Die Schlange des Asklepiosstabes fütternd. Auch andere Darstellungen zeigen sie in entspannter Pose, ein Schälchen in der Hand mit einer Schlange, die über ihre Schulter hängt oder sich um ihren Arm schlingt. Beide tragen das gleiche Zeichen, beide sorgen für die Gesundheit: Der Vater durch Heilung, die Tochter durch Sauberkeit.4

Nachweise:
1 Pausanias: Beschreibung Griechenlands, Bd. 1, übers. von Ernst Meyer, Darmstadt 1967, S. 132-133. Zum Heiligtum in Epidauros siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Epidauros [Link]. | 2 Wilhelm Heinrich Roscher: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Erster Band. Erste Abteilung, Leipzig 1886, Artikel ›Asklepios‹, S. 615-641, zit. S. 626. Siehe dazu auch Zeitverlag: Welt- und Kulturgeschichte, Klassische Antike, Hamburg 2006, S. 118f. | 3 Ebenda, S. 626-627. | 4 Ebenda, Artikel ›Hygieía‹, S. 2772-2792. Ipad-Zeichnungen von Andreas Becker, Mai 2020.

2020.05.02

Die vierte Dimension. Der Hyperraum

Den Raum in Dimensionen einzuteilen, ist eine abstrakte Idee. Folgt man aber dieser Idee, so transzendiert man die Anschaulichkeit auf die Vorstellung hin und gerät schnell in Gedankenexperimente. Heinrich Tietze (1880-1964), Mathematiker an der Universität München, hat ein sehr überzeugendes Argument vorgebracht, welches die mathematische Existenz der vierten Dimension beweist. Er entwickelt die Dimensionalität anhand von kleinen Würfeln.
In eine Reihe gelegt, können wir jeden Würfel mit einer Zahl, ähnlich wie bei einer Linie, beschreiben.1 Bei einem Schachbrett, also einer flächigen Anordnung der Würfel, müssen wir für jeden Würfel zwei Koordinaten angeben. Bei einer dreidimensionalen Anordnung sind es dann schon drei (die Dimension der Tiefe kommt hinzu) - und in einem vierdimensionalen Koordinatensystem brauchen wir eben mindestens vier Angaben, um jeden Punkt (d.h. Würfel) im Raum beschreiben zu können. Diese Vorstellungsweise trägt zwar die Dreidimensionalität schon in Form des Würfels in die anderen Dimensionen hinein, aber das finde ich nicht schlimm, da wir uns ohnehin alles plastisch vorstellen. Charles Howard Hinton (1853-1907), britischer Mathematiker und Literat, benutzt eine etwas andere Vorstellungsmethode. Er entwickelt die Dimensionen aus sich selbst heraus, sagt also, dass die Linie ein Beispiel für Eindimensionalität sei:
»The straight line is said to be of one dimension because it can be measured only in one way. Its length can be taken, but it has no breadth or thickness. The square is said to be of two dimensions because it has both length and breadth. The cube is said to have three dimensions, because it can be measured in three ways.«2
Das Problem ist natürlich, wie man von einer Linie zur Fläche kommt, denn eine Linie hat ja in der zweiten Dimension keine Ausdehnung. Hinton umgeht diese Schwierigkeit, indem er den Begriff der Bewegung hinzunimmt - und damit sehr elegant die vierte Dimension einführt:
»[...] we must suppose the whole figure as it exists to be moved in some direction entirely different from any direction within it, and not made up of any combination of directions in it. What is this? It is the fourth direction.«3
Beide Verfahren zeichnen sich dadurch aus, dass wir mit etwas Unanschaulichem umgehen, also Behelfe für die Vorstellung brauchen. Im Grunde besteht die Schwierigkeit nicht nur dann, wenn wir uns die vierte Dimension vorstellen wollen, sondern auch schon bei der Vorstellung der zweiten und ersten. Natürlich gibt es Analogien, die helfen, etwa das zweidimensionale Schattenbild, das ein dreidimensionaler Körper wirft etc. Hinton geht dann aber viel weiter als Tietze, indem er sich vorstellt, was wir sähen, wenn wir aus der vierten Dimension blickten:
»So a being in four dimensions could look at and touch every point of a solid figure. No one part would hide another, for he would look at each part from a direction which is perfectly different from any in which it is possible to pass from one part of the body to another. To pass from one part of the body to another it is necessary to move in three directions, but a creature in four dimensions would look at the solid from a direction which in none of these three.«4
Hinton berechnet dann noch die Flächen des vierdimensionalen Würfels und beschreibt dessen Erscheinung: »The base of the cube, the top of the cube, and the four sides of the cube, each and all of them form cubes. Thus the four-square is bounded by eight cubes. Summing up, the four-square would have 16 points, 32 lines, 24 surfaces, and it would be bounded by 8 cubes.«5 Seine Spekulationen sind ganz wunderbar, so schreibt er: »Thus a four-dimensional being would suddenly appear as a complete and finite body, and suddenly disappear, leaving no trace of himself, in space [...]«6 Er fragt dann noch, ob es Wesen in der vierten Dimension gäbe und wie sie uns erscheinen würden.
Man müsste diese Gedankenexperimente noch weiter führen, denn mit mathematischer Vorstellung können wir uns auch die fünfte, sechste, siebte Dimension erschließen. Aber was hieße das?
Nachweise:
1 So schreibt er in seinem sehr lesenswerten Buch über mathematische Probleme: »Und darin spricht sich wieder die Dreidimensionalität des räumlichen Bereiches aus, der von dem Zimmer eingenommen wird; denn offenbar entsprechen kleinen Abweichungen in der lage des Raumpunktes P auch kleine Änderungen in den drei Zahlenangaben x, y, z, so daß die geschilderte Zuweisung von je drei Zahlen zu den einzelnen Punkten ersichtlich sachgemäß, d.h. dem Nachbarschaftsprinzip genügend ist.« (Heinrich Tietze: Gelöste und ungelöste mathematische Probleme aus alter und neuer Zeit, München 1973 [1959], Bd. 1, Sechste Vorlesung. Drei Dimensionen - höhere Dimensionen, S. 117-133, zit. S. 129). Formalisierter ausgedrückt heißt es dann: »Und da wir gesehen haben, daß der Dimensionsbegriff sich ohne jede Schwierigkeit auch auf größere Zahlen als drei ausdehnen läßt, so liegt hier eine ganz allgemeine Frage über den Unterschied von m Dimensionen und n Dimensionen vor: Ein Bereich ist m-dimensional, insofern seine Elemente durch m Zahlen x1, y 2, ..., xm sachgemäß gekennzeichnet sind; man fragt, ob es nicht möglich ist, die Elemente zugleich auch durch n Zahlen t1,t2,..., tn sachgemäß zu kennzeichnen, wenn dabei n von m verschieden ist.« (Ebenda, S. 133). Zur Geschichte der Vierdimensionalität siehe: Florian Cajori: Originas of Fourth Dimension Concepts, in: The American Mathematical Monthly 1926, Vol. 33, Nr. 8, S. 397-406 sowie George Gamow: One, Two, Three... Infinity. Facts and Speculations in Science, New York 1974 [1947], Kapitel The World of Four Dimensions, S. 64-83. Unterhaltsam hat diese Dimension auch Edwin Abbott Abbott dargestellt: Edwin Abbott Abbott: Flatland, New York u.a. 1963 [1884]. Von der Mathematik der vierten Dimension handelt: E. H. Neville: The Fourth Dimension, Cambridge 1921.
2 Charles Howard Hinton: Scientific Romances, London 1886, Kapitel What is the Fourth Dimension, S. 3-32, zit. S. 10.
3 Ebenda, S. 12.
4 Ebenda, S. 13.
5 Ebenda, S. 16. Salvador Dalí hat diesen sog. Tesserakt oder Hyperwürfel dann in seinem Gemälde Crucifixion (Corpus Hypercubus) von 1954 als Kreuz dargestellt, vor dem Christus schwebt, Herrscher über die vierte Dimension, die Zeit. [Link]
6 Ebenda, S. 25.

2020.05.01


Oper Frankfurt am Main. Wohnzimmerkonzert mit Elizabeth Reiter und Takeshi Moriuchi. Hatte bei der gestrigen Live-Premiere leider nur 72 Zuschauerinnen und Zuschauer. Aber die Zuschauerzahl wächst nun!

»Michael Snow discusses his artworks In the Way, 2011 and The Viewing of Six New Works, 2012 featured in the National Gallery of Canada exhibition Builders: Canadian Biennial 2012.«
Michael Snow ist ein Filmemacher, der sich sehr intensiv mit Symmetrien und Richtungen, Bewegungen im Raum wie auch zeitlichen Vorgängen und Täuschungen beschäftigt hat. Besonders beeindruckt mich an seinen Arbeiten, dass er den filmischen Kamerablick nicht anthropomorphisiert, sondern eine dem Kamera-Apparat adäquate Ästhetik sucht. Seine Filme sind manchmal sehr anstrengend zu schauen, aber sie zeigen, welch neuartige Sicht die Filmkamera erzeugt. Solch eine Kunst müsste es auch im Bereich der KI geben. Eine Kunst also, die die Eigenart und Fremdheit des maschinellen neuronalen Netzes in den Vordergrund rückt.

Digitalstaat (Skizze 5)

Einige interessante Internetseiten über neuronale Netzwerke und deren Programmierung:
Michael A. Nielsen: Neural Networks and Deep Learning, 2015
Freies Online-Buch
http://neuralnetworksanddeeplearning.com [Link]

Simulation eines neuronalen Netzwerks im Browser https://playground.tensorflow.org/ [Link]

Explaining Artificial Intelligence, Seite des Fraunhofer-Instituts mit interaktiven Beispielen der klassischen Feldern der KI: Handwriting, Image, Text Classification und Visual Question Answering
https://lrpserver.hhi.fraunhofer.de/[Link]

Jürgen Schmidhuber: Deep Learning in Neural Networks: An Overview, 2014
Überblick der Literatur im Bereich Deep Learning und Neural Networks
http://people.idsia.ch/~juergen/DeepLearning2July2014.pdf#page12 [Link]

Enquete-Kommission KI des Bundestags: Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale, Literaturliste
https://www.bundestag.de/resource/blob/574748/7c0ecbc8a847bb8019f2045401c1d919/Kuenstliche_Intelligenz_1-data.pdf [Link]

Metzler Lexikon Philosophie: Künstliche Intelligenz
https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/kuenstliche-intelligenz/1180 [Link]

Lexikon der Argumente, Definitionen von Intelligenz
https://www.philosophie-wissenschaft-kontroversen.de/gesamtliste.php?thema=Intelligenz [Link]

2020.04.30

Digitalstaat (Skizze 4)

Isaac Asimovs Foundation-Trilogie entwirft die Idee einer »Encyclopaedia Galactica«1. Die Foundation hat das Ziel, das Wissen in einem galaktischen Maßstab und über galaktische Zeiträume hinweg zu speichern. Das führt natürlich zu Konflikten mit der Religion. Auch entsteht eine zweite Stiftung am anderen Ende der Galaxis, es geht auch um zeitliche Tradierung. Der Gründer der Foundation, Hari Seldon, kehrt zu bestimmten Anlässen als Simulakrum wieder und spricht zu den Menschen, wodurch die Wissenschaft zum Orakel wird:
»Im Zeitgewölbe herrschte eine Atmosphäre, die sich jeder Beschreibung entzog. Es war nicht eine des Verfalls, denn der Raum war gut beleuchtet und die Klimaanlage funktionierte, die Wände zeigten ein frisches Farbmuster, und die Reihen der am Boden festgeschraubten Stühle waren bequem und offensichtlich für ewige Benutzung konstruiert. Er wirkte nicht einmal alt, denn drei Jahrhunderte hatten keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Und ganz bestimmt war nichts unternommen worden, um ehrfürchtige Scheu zu inspirieren, denn die Einrichtung war einfach und alltäglich - tatsächlich beinahe kahl.«2
Über die Bibliothek heißt es:
»Die Bibliothek war ein täuschend kleines Gebäude, das sich unterirdisch zu einem ungeheuer großen Volumen von Stille und Träumerei ausweitete.«3
Die Emotionen der Menschen werden kontrolliert4, einen Clown (das »Maultier«) lässt Asimov sagen:
»Für mich waren die Gehirne der Menschen Zifferblätter mit Zeigern, die die vorherrschende Emotion bekanntgaben. Es ist ein unzureichendes Bild, aber wie soll ich es sonst erklären? Allmählich lernte ich, dass es mir möglich war, in diese Gehirne hineinzulangen und die Zeiger an die Stelle zu drehen, wo ich sie haben wollte, dass ich sie dort für immer festnageln konnte.«5
Über Pritcher heißt es dann:
»Es war sehr schwer, sich zu erinnern. Er konnte sein damaliges Ich nicht wiederfinden. Er konnte die Fesseln, die ihn emotional an das Maultier banden, nicht brechen.«6
Spätestens an solchen Stellen wird klar, dass es keine neutrale enzyklopädische Sammlung des Wissens geben kann und jede solche Wissensordnung auch eine Machtordnung etabliert. Asimov interessiert nur oberflächlich die Technik (und er ersinnt zahlreiche Erfindungen!). In Wahrheit aber geht es ihm um die Frage, was es mit den Emotionen der Menschen macht, wenn ein Wissensstaat wie die Foundation errichtet wird. Ein totaler Wissensraum erzeugt fokussierte blinde Flecke, Machtvakuen. Die Foundation muss Gewaltzonen etablieren, damit sie sich selbst vor dem Untergang schützt. Wie sie anzugreifen wäre, darf nicht im Wissensraum selbst gespeichert werden7. Manche Sätze sind auf eine sehr angenehme Weise rätselhaft, so dieser:
»Sprache, wie wir sie kennen, war unnötig.«8
oder dieser:
»Es ist, als sei das Wissen über die Bestrafung ihnen so tief eingeprägt worden, dass die Bestrafung niemals stattzufinden braucht.«9
Warum es die Foundation gibt, wird erst am Ende angedeutet: »Doch die Gabe der direkten emotionalen Kontrolle verkümmerte, als sich vor einer Million Jahren die Sprache entwickelte. Es ist die große Leistung unserer zweiten Foundation, diesen vergessenen Sinn wenigstens zu einem Teil seiner früheren Wirksamkeit wiederhergestellt zu haben.«10 Dass der absolute Fortschritt in einen Rückfall in vorzivilisatorische Zeiten mündet, wird hier plakativ. Ich habe das Buch vor etlichen Jahren durch eine Empfehlung von Thomas LeBlanc gelesen. Dieser leitet in der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar das Projekt Future Life:
»Die Phantastische Bibliothek Wetzlar hat dazu das Projekt »Future Life« entwickelt, das die in der Science-Fiction-Literatur vorhandenen Ideen exzerpiert, systematisiert und bewertet. Dabei wird die Tatsache genutzt, dass die Science Fiction stets von dem tatsächlichen, wissenschaftlichen Weltbild ihrer Zeit ausgeht, um die dargestellten Zukunftsentwürfe plausibel erscheinen zu lassen.«11
Mir scheint dieses Verfahren, die Möglichkeiten in der Realität durch Lektüre von Science Fiction-Literatur vorwegzunehmen, sehr produktiv und wichtig. Man wird über die Chancen und Risiken in der Literatur sehr viel früher erfahren, was uns erwarten könnte als in wissenschaftlichen Studien, weil die Autorinnen und Autoren Phantasiereisen früher unternehmen, als dies in der Wissenschaft möglich ist. Eine Reflexion auf dieses narrative Wissen, verbunden eben mit wissenschaftlichem Blick, könnte da wichtige Perspektiven erschließen.

Nachweise:
1 Isaac Asimov: Die Foundation-Triologie, München 2012 [1951-1953], S. 42. | 2 Ebenda, S. 472. | 3 Ebenda, S. 544. | 4 Ebenda, S. 550. | 5 Ebenda, S. 573. | 6 Ebenda, S. 640. | 7 Ebenda, S. 656f. | 8 Ebenda, S. 601 | 9 Ebenda, S. 637 | 10 Ebenda, S. 669 | 11 https://www.phantastik.eu/projekte/future-life [Link]

Digitalstaat (Skizze 5)


Eine Gruppe von OpenAI arbeitet an einem Projekt zur ›Feinmotorik‹ der Hände:
»We’ve trained a pair of neural networks to solve the Rubik’s Cube with a human-like robot hand. The neural networks are trained entirely in simulation, using the same reinforcement learning code as OpenAI Five paired with a new technique called Automatic Domain Randomization (ADR). The system can handle situations it never saw during training, such as being prodded by a stuffed giraffe.«1
In einem Artikel vom Oktober 2019 beschreibt das Autorenteam dann, wie die Versuche durchgeführt wurden.2 Man installierte drei Kameras, arbeitete mit der ›Shadow Dexterous E Series Hand (E3M5R)‹, baute in den Rubiks Cube zusätzliche Sensoren ein (›Giiker Cube‹), ließ vorab an einem Computermodell lernen. Die mathematische Lösung eines Rubiks Cube liegt bereits vor,3 aber die ›Feinmotorik‹ ist eine Herausforderung für die Steuerung. Was für uns Menschen also das Schwierigste ist, die Lösung des Rubiks Cube, ist für das neuronale Netz das Einfachste. Was für uns das Einfachste ist, ist für dem PC das Schwierigste: Das Drehen des Würfels. Die Hypothese war, dass das Training zu einem »emergent meta-learning«4 führe, dass also das System etwas Neues erzeugen kann. Natürlich, man brauchte die Algorithmen, die ja notwendig sind, um überhaupt solche neuronalen Netze zu programmieren. In dieser Hinsicht bilden die mathematischen Formeln fungierende Sinnstrukuren, die sowieso nur der Mensch finden kann. Interessant ist, dass Störungen in diesem System offenbar von Vorteil sind und die Bewegungen der Hand beim Lösen der Aufgabe verbessern.5 Die Hand dreht auf den Aufnahmen tatsächlich den Würfel, sie dreht auch die einzelnen Achsenelemente. Ich fragte mich, warum man nur eine Hand - und nicht zwei genommen hat. Auf den ersten Blick scheint dies doch viel schwieriger zu sein, mit einer Hand den Würfel zu drehen. Aber bedenkt man das philosophische Problem, das mit einer Konstruktion von zwei Händen tangiert würde, so wird schnell klar, warum eine Hand doch einfacher ist. Denn das Problem bei zwei Händen ist die Spiegelsymmetrie des Körpers, der ja eine Anschauung von links und rechts haben muss, um beide Hälften koordiniert und aufeinander bezogen zu steuern. Kant schreibt in einer berühmten Stelle der Prolegomena:
09 Was kann wohl meiner Hand oder meinem Ohr ähnlicher und in
10 allen Stücken gleicher sein, als ihr Bild im Spiegel? Und dennoch kann
11 ich eine solche Hand, als im Spiegel gesehen wird, nicht an die Stelle
12 ihres Urbildes setzen; denn wenn dieses eine rechte Hand war, so ist jene
13 im Spiegel eine linke, und das Bild des rechten Ohres ist ein linkes, das
14 nimmermehr die Stelle des ersteren vertreten kann. Nun sind hier keine
15 innere Unterschiede, die irgend ein Verstand nur denken könnte; und dennoch
16 sind die Unterschiede innerlich, so weit die Sinne lehren, denn die linke
17 Hand kann mit der rechten unerachtet aller beiderseitigen Gleichheit und
18 Ähnlichkeit doch nicht zwischen denselben Grenzen eingeschlossen sein (sie
19 können nicht congruiren); der Handschuh der einen Hand kann nicht auf
20 der andern gebraucht werden. Was ist nun die Auflösung? Diese Gegenstände
21 sind nicht etwa Vorstellungen der Dinge, wie sie an sich selbst sind,
22 und wie sie der pure Verstand erkennen würde, sondern es sind sinnliche
23 Anschauungen, d. i. Erscheinungen, deren Möglichkeit auf dem Verhältnisse
24 gewisser an sich unbekannten Dinge zu etwas anderem, nämlich unserer
25 Sinnlichkeit, beruht.6
Und damit ist auch schon die Grenze des gesamten Versuchs beschrieben. Denn der Roboter hat keine Anschauung von sich selbst wie der Mensch. Es ist nur eine programmierte Maschine, die auf die Umwelt reagiert, so wie sie durch die Kamera und die Sensoren als Daten höchst redundant gefiltert wird. Selbst wenn es gelänge, und es wird sicherlich gelingen, solch einen Roboter zu bauen, der dann den Würfel ohne ihn zu beschädigen schneller als der Mensch in die richtige Ordnung drehen könnte, es wäre nur eine Simulation eines halben Menschen ohne das, was den Menschen ausmacht, nämlich Leiblichkeit, linke und rechte Hälfte, ohne ein Körpergefühl. Es bliebe ein Roboter ohne weitere Erfahrung, der nur Würfel gedreht hat und das schneller wird können als der Mensch. Es wäre eine einhändige, elektronisch gesteuerte Maschine, mit einer brummenden Prankenhand (vielleicht auch zwei oder mehr, aber keiner in unserem Sinne rechten und linken Leibdisposition). Nun ist es sicherlich möglich, zwei Hände zusammen zu schalten und die neuronalen Netze interagieren zu lassen, nur erscheinen die Hände dann dem System doch als fremde. Wird es gelingen, diesen Schritt zu umgehen? Aber man stelle sich vor, aus diesem Prototyp würde ein Roboter entwickelt, der dann etwa Regale im Supermarkt einräumt. Es würden viele menschliche Eigenschaften fehlen, wenn auch manche Aufgaben sogar besser (im Sinne von schneller, weniger zerstört etc.) ›gelöst‹ würden, es würde eine Logik in die Menschenwelt einbrechen, die außer der Aufgabe nichts mit dem Menschen gemein hat. Aber was könnte man tun, um dem Roboter mit der mechanischen Hand dann doch irgendetwas von der Menschenwelt lernen zu lassen? Man müsste, was ja auch gemacht wird, eben diese spielerischen Übungen machen. Es gäbe dann vielleicht irgendeinen Kontakt im Spiel. So wäre das Stofftier, das ihm hingehalten wird und ihn stören soll, damit er schneller Rechenvorschriften generieren und besser am Rubik drehen kann, irgendwann einmal das, was er aus freien Stücken ergreifen würde. Dann würde der Regaleinräumroboter vielleicht mal Pause machen und von alleine spielen! Nachweise:
1 Solving Rubik’s Cube with a Robot Hand, https://openai.com/blog/solving-rubiks-cube/ [Link] | 2 Open AI: Solving Rubik’s Cube with a Robot Hand, 17.10.2019, https://arxiv.org/pdf/1910.07113.pdf [Link] | 3 Siehe dazu etwa: https://rubiks-cube-solver.com/de/ [Link] | 4 Open AI: Solving Rubik’s Cube with a Robot Hand, 17.10.2019, a.a.O., S. 10. | 5 Ebenda, S. 13f. | 6 Immanuel Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1783), https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/kant/aa04/286.html, S. 253-384, zit S. 286. Siehe zu den umfangreichen Diskussionen über Spiegelsymmetrien u.a. bei Hermann Weyl: Wirth, K.; Dreiding, A. S. (2007). Kants Hand, Chiralität und konvexe Polytope. Elemente der Mathematik, 62(1), S. 8-29, https://doi.org/10.5167/uzh-59264 [Link] sowie Marco Giovanelli: Leibniz, Kant und der moderne Symmetriebegriff, Kant-Studien, 2011, Bd. 102, Heft 4, S. 422–454.

2020.04.29




Digitalstaat (Skizze 2)

Im Bericht der Enquete-Kommission KI und Staat1 genannte Begriffe: Algorithmische Unterscheidungssysteme (ADM-Systeme), Open Data, Smart City, Internet of Things, eGovernment, Mobility, Smart Living, Gesichtserkennung, EU-Projekt Roborder, Predictive Policing, Tödliche Autonome Waffensysteme (Lethal Autonomous Weapon Systems - LAWS). Nachweise:
1 Ergebnisse der Projektgruppe KI und Staat, 19.12.2019, https://www.bundestag.de/resource/blob/672932/8dafccf73bce9d9560223d1683d82cb9/PG-2-Projektgruppenbericht-data.pdf [Link]



Digitalstaat (Skizze 3)

OpenAI hat eine Sammlung von Visualisierungen verschiedener neuronaler Netze veröffentlicht. So lässt sich vergleichen, welche Strukturen wie aktiv sind. Die Galerie lässt anschaulich werden, wie die Netze auf Lernobjekte reagieren:
»OpenAI Microscope is a collection of visualizations of every significant layer and neuron of several common ›model organisms‹ which are often studied in interpretability. Microscope makes it easier to analyze the features that form inside these neural networks, and we hope it will help the research community as we move towards understanding these complicated systems.«1
Da man die Datensätze von Bildern sieht, mit denen die neuronalen Netze gespeist wurden, kann man die Ähnlichkeiten erschließen. Es sind, je komplexer die Verarbeitungsstufen werden, zunehmend unsinnliche Ähnlichkeiten, um es mit Walter Benjamin zu sagen. Die Bilder erinnern an surrealistische Malerei, etwa die Max Ernsts, oder die Neulich-Filme Jochen Kuhns, weil die Gesichter, die auf den Lerndaten klar zu sehen sind, zu fetzenhaften Fratzen wurden, verzerrte und überlagert wiederkehrende Augen, Gesichtselemente, die umgruppiert wurden, so als müsse man alles auf engstem Raum verstauen. Es sind Verdrehungen von Ähnlichkeiten, mimetische Umordnungen, visuelle Echos, Wucherungen, Formverschmelzungen, die aber im Endeffekt dazu führen, dass diese Netze Bilder ›erkennen‹ bzw. ›unterscheiden‹ lernen.2 Irgendetwas machen diese Strukturen. Aber was? Das möchte man gerne wissen und legt visuelle »Activation Atlases«3 an. Nachweise:
1 OpenAI Microscope, https://microscope.openai.com/about [Link]
2 Besonders gut gefällt mir: https://microscope.openai.com/models/inceptionv1/mixed5b_0/9 [Link] sowie
https://microscope.openai.com/models/inceptionv1/mixed5b_0/23[Link]
3 Siehe dazu Exploring Neural Networks with Activation Atlases, https://distill.pub/2019/activation-atlas/ [Link]




»31. FILMFEST DRESDEN: Meisterklasse mit Jochen Kuhn: Zwischen Film und Kunst from FILMFEST DRESDEN on Vimeo.
Jochen Kuhn gehört zu den bekanntesten Regisseuren Deutschlands. Einen Einblick in sein Schaffen, welches sich oft zwischen Film und Kunst bewegt, zeigte das Programm Animated: Jochen Kuhn - Zwischen Film und Kunst im Rahmen des 31. FILMFEST DRESDEN. Der Filmemacher sprach in einer Meisterklasse mit Daniel Kothenschulte über sein umfangreiches Œuvre und seinen kreativen Prozess.
In Kooperation mit dem Deutschen Institut für Animationsfilm (DIAF)
Produziert vom Medienkulturzentrum Dresden, SAEK Dresden und Kulturgeflüster Dresden.«


Die Schriftstellerin Leona Stahlmann besucht Catherine Robbe-Grillet in Paris. Im Artikel genannte Autorinnen und Autoren (u.a.): Alain Robbe-Grillet, Yasunari Kawabata (Die schlafenden Schönen), Roland Barthes, Heinz G. Konsalik, Paul Nizon, de Sade, Pauline Réage, Benoîte Groult, Charlotte Roche.
(Leona Stahlmann: Warum Madame tut, was sie tut, FAZ, 22.04.2020, https://www.faz.net/-gr2-9yp0q [Link])

2020.04.28

Digitalstaat1 (Skizze 1)

Der Bundestag hat eine Enquete-Kommission zum Thema Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale eingerichtet.2 Diese hat das Ziel, »den zukünftigen Einfluss der Künstlichen Intelligenz (KI) auf unser (Zusammen-)Leben, die deutsche Wirtschaft und die zukünftige Arbeitswelt [zu] untersuchen.3 Mich interessieren besonders die Ergebnisse der Projektgruppe KI und Staat4. Die Gruppe geht offenbar von der Prämisse aus, dass der Staat die KI auf eine bestimmte Weise nutzen oder integrieren kann und fragt nach den Potentialen und Regeln. Aber man könnte bereits den Staat als eine künstliche Intelligenz auffassen. Staatlichkeit ist in sich künstliche Intelligenz, weil der Staat maschinell Unterscheidungen trifft und Urteile fällt, nach abstrakten Prinzipien ordnet etc. In dieser Hinsicht ist die elektronische KI nur ein anderer Aggregatzustand von Staatlichkeit. Der Staat in seiner heutigen institutionellen Form schreibt sich immer mehr in die Programmregeln der KI ein. Und diese vollzieht dann Urteile. Damit geht zunehmend der menschliche Faktor verloren, weil es bislang immer Menschen in Behörden waren, die die Staatlichkeit applizierten. Aber in Zukunft wird eben Staatlichkeit über die KI appliziert - und die Menschen werden nur noch dann angerufen, wenn etwas nicht funktioniert oder ungerecht war etc. Der Debatte - wie in allen Debatten über Technologie - liegt ein selbst gesetzter Zeitdruck zugrunde, so als müsse man schnell die KI einsetzen und innerhalb dieses Zeitfensters dann die Fehler vermeiden. Man habe keine Wahl, weil doch andere bereits die KI einsetzten etc. Auch scheint es so zu sein, dass die Gruppe vor allem an den positiven Folgen (»Potenzialen«) der KI interessiert ist. Mir scheint aber eine zweite Enquete-Kommission genauso notwendig, die sich mit den Gefahren der KI beschäftigte. Geht man davon aus, dass Ver-Antwortung meint, eine Antwort zu finden auf das, was uns da erwartet, so müsste man eigentlich sagen, dass man keine Antwort hat: Man weiß nicht, was die KI bald können wird. Man weiß auch nicht, was etwa der Quantencomputer dem hinzufügt. Hier wäre eine weltweite Pause gar nicht schlecht. Aber jeder will schneller sein. Wie kann man diese KI-Dynamik steuern? Die Künstlerin Hito Steyerl spricht ganz treffend von künstlicher Dummheit5, um darauf hinzuweisen, dass die KI eben oft nicht funktioniert. Nachweise:
1 Der Begriff »Digitalstaat« bzw. »digitaler Staat« wird in der Debatte meistens verwendet, um im Sinne einer Verwaltungsreform den Einsatz digitaler Techniken zu beschreiben. In dem von mir verwendeten Sinn ist dieser allerdings weiter gefasst. Siehe zur ersteren Bedeutung etwa: Göttrik Wewer: Digitalpolitik, Digitalstaat, digitale Verwaltung, in: Sylvia Veit (Hrsg.), Christoph Reichard (Hrsg.), Göttrik Wewer (Hrsg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, Wiesbaden 2019, S. 213-224; siehe dazu auch https://www.digitaler-staat.org/ [Link]
2 https://www.bundestag.de/ausschuesse/weitere_gremien/enquete_ki [Link]
3 Ebenda
4 Ergebnisse der Projektgruppe KI und Staat, 19.12.2019, https://www.bundestag.de/resource/blob/672932/8dafccf73bce9d9560223d1683d82cb9/PG-2-Projektgruppenbericht-data.pdf [Link]
5 Hans Ulrich Obist: Künstliche Intelligenz oder künstliche Dummheit?, Neue Zürcher Zeitung, 21.07.2018, https://www.nzz.ch/feuilleton/kuenstliche-intelligenz-oder-kuenstliche-dummheit-ld.1405241 [Link]





Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 17)

In den letzten Wochen wurden wir Zeugen einer plötzlichen und weltweiten Re-Nationalisierung. Diese Re-Nationalisierung erfolgte über Nacht. Ihre Mittel waren: Grenzschließung und Kontrolle, Einreisestopp, Abbruch der Luft- und Landwege, Stoppen bzw. Aussetzen des weltweiten Flugverkehrs (hier gab es Unterschiede, aber die Industrienationen machten alle mit), Schließen von Hotels und Begegnungsorten. Diese reflexhafte Re-Nationalisierung erfolgte, wie die Politik erklärte, um die Verbreitung von COVID-19 zu ›bekämpfen‹. Wie sinnvoll es ist, eine Pandemie nationalstaatlich zu bekämpfen, sei dahingestellt und wäre eine eigene Diskussion wert. Diese manifeste Grenzschließungspolitik hat und wird keineswegs nur kurzfristige Folgen haben. Selbst, wenn das Virus verschwunden sein wird, benötigt die Erholung lange Zeit. Manche Airlines sind jetzt schon auf staatliche Hilfen angewiesen, viele werden folgen. Kleine Import- und Exportunternehmen werden in Schwierigkeiten geraten. Die in den letzten Jahren mühsam (und meistens mit ökonomischen Mitteln) aufgeweichten Grenzen, verhärten wieder. Die Auswirkungen werden wir alle zu spüren bekommen. Die Begegnung mit dem Fremden, sei es in Form von Touristen, fällt nahezu aus. Wissenschaftliche und grenzüberschreitende Projekte haben es nun schwerer, da die Studierenden auch nicht mehr so mobil sind. Dazu wird und gibt es jetzt bereits Echos in den Vorstellungswelten und Ansprüche, die Grenzen, die faktisch und im Alltag gezogen wurden, ganz schnell auch im Informationsraum zu errichten. Das Instrument des Geoblockings steht bereit. Wir werden es in den nächsten Monaten sehen, wie das Internet zunehmend verarmt unter dem Anspruch, Gruppen, Gesetze, Interessen oder die Moral etc. zu schützen. Die Geschwindigkeit, mit der - zumal von Politikern, von denen man es nicht glaubte - Grenzen erzeugt und restituiert wurden, hat mich sehr überrascht. Diese Handlungen wirken vielleicht kurzfristig als entschlossene Machtdemonstration, aber sie sind letztlich hilflose Reaktionen. Eine globale Politikauffassung und eine kosmopolitische Haltung ist jeder nationalistischen überlegen, weil sie die Unterschiede zwischen den Kulturwelten mit einbezieht. Es wird viel Kraft und Geduld kosten, das Porzellan, das hier im Zuge einer (vielleicht sogar oftmals gut gemeinten) Virenbekämpfung zerschlagen wurde, wieder zusammen zu setzen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass es sich um Imaginations- und Alltagsräume handelt, die neu erschlossen werden müssen. Das braucht Zeit.

2020.04.27

Weltkarte der Schriftsysteme. Viele Erfindungen des Internets sind unscheinbar. Die meisten nutzen sie, ohne es zu wissen, kennen weder deren Namen noch die deren Erfinder. Eines dieser sehr wichtigen Projekte ist das UTF-8-Zeichensystem. Nahezu jede Internetseite nutzt es. Die Abkürzung meint: 8-Bit Universal Coded Character Set Transformation Format. Entwickelt wurde es 1992 von den Programmierern Ken Thompson und Rob Pike. Das Ziel war es, die wichtigsten (d.h. meist benutzten) Schriftzeichen der Welt (!) in einer einzigen Codierung darzustellen. Vorher musste man, wenn man Internet-Texte schrieb, immer merkwürdige Steuerzeichen eingeben. Bei dem am amerikanischen Alphabet orientierten ASCII-Format (American Standard Code for Information Interchange, seit 1963) konnte man etwa deutsche Sonderzeichen nicht darstellen, dafür war dann der Ergänzungscode ISO 8859-1 zuständig. Ein kleines »ä« wurde dann in dem HTML-Code zu »& auml;«, unleserliche Texte entstanden, die erst der Browser kompilierte. Das UTF-8 Format vollbrachte es, dass man in einem normalen HTML-Text direkt deutsche, japanische, chinesische, kyrillische etc. Zeichen benutzen konnte - ohne dass dies für Verwirrung sorgte, denn alle diese Zeichen standen in der riesengroßen UTF-8-Tabelle. Man muss nur noch am Anfang des HTML-Codes seiner Webseite »charset=UTF-8« definieren - und schon kann man frei schreiben. Alles wird überall richtig dargestellt! Das ist für mich eine der wirklich globalen und elegantesten Erfindungen.
Infos:
Weltkarte der Schriftsysteme: https://www.key-shortcut.com/schriftsysteme/weltkarte-der-schriften [Link]
UTF-8 bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/UTF-8 [Link]
Pavel Radzivilovsky, Yakov Galka, Slava Novgorodov: UTF-8 Everywhere. Manifesto, https://utf8everywhere.org[Link]




Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 14)

Eine Erklärung dafür, dass die Menschen die massiven politischen Einschränkungen, die Grenzschließungen etc. ohne zu protestieren oder zu kritisieren duldeten, ist sicherlich die Müdigkeit der Menschen. Sie zogen sich auch deshalb in ihre Häuser und Wohnungen zurück, weil sie müde waren. Sie nahmen die Bedrohung dankbar auf, weil viele das erste Mal in ihrem Leben passiv sein durften. Die Aktivität, die selbst in Form des Tourismus in das Freizeitleben diffundiert, erlosch. Die leeren Straßen machten ganz anschaulich, wie erschöpft die globale kapitalistische Kultur war.

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 15)

Politik der Zahlen. Dass Zahlen nie neutral sind, weiß jeder Statistiker. Sie werden nicht nur nach bestimmten Interessen und Vorgaben erhoben, sondern auch präsentiert. Die Macht dieser Diagramme besteht in deren ästhetischer Neutralität. Sie wirken mathematisch - und tatsächlich sind sie aufgrund von mathematischen Verfahren berechnet und gezeichnet. Aber immer gibt es auch Alternativen. Diese wurden in Zeiten von Corona nur sehr verhalten benutzt. Man nehme die Diagramme der WHO.[1] Diese zeigt zunächst eine Weltkarte mit unterschiedlich großen, transparent-blauen Punkten, die die Anzahl der Corona-Infektionen wiedergeben. Welche, wird nicht gesagt, ob es die »Confirmed Cases« sind oder die »Deaths«. Auch die relative Größe wird nicht sichtbar begründet. Schon jetzt ist Europa blaugefärbt. Links daneben dann zwei Zahlen, gerade (9.43h MEZ): »93.109 New Cases, 2.810.325 Cases, 193.825 Deaths« weist die linke Seite aus, mitsamt Graphik. Abgesehen von der Unterschiedlichkeit der Fallerhebung der jeweiligen Stellen meinen die Cases wohl mit einem COVID-19-Test bestätigte Infektionen. Man müsste sich noch durch die Dokumente der WHO arbeiten, die irgendwo sicherlich die genauen Kriterien enthalten. Aber jeder weiß, dass zum einen die COVID-19-Tests nur zum Teil sicher sind. Auch gibt es zahlreiche Fälle ohne Symptome. Insofern müsste man die Aussagekraft dieser Zahl hinterfragen. Die Zahl der Toten ist aber sicherlich äußerst problematisch. Fast nie wird differenziert zwischen an COVID-19 Gestorbenen und mit COVID-19 Gestorbenen. Vielleicht starben viele der alten Patienten an ihren Sekundärerkrankungen, COVID-19 hat diesen Prozess nur beschleunigt? Man müsste genaue Untersuchungen durchführen, auch wissen, wie hoch die Dunkelziffer an asymptomatisch Erkrankten ist, um die Zahl einschätzen zu können. So klingt sie wie ein Todesbeil. Man denke aber auch daran, dass auf der Welt, die die Karte zeigt, mehrere Milliarden Menschen leben. In einem Zeitraum von vier Monaten sterben da auch Menschen, selbst wenn es überhaupt keine Viruskrankheiten gäbe. In Relation gesetzt: Wie viele Menschen sind zeitgleich weltweit an anderen Erkrankungen gestorben?[2] Man wüsste das gerne, um die Zahl einzuschätzen.
Nun ist auch die Darstellung im Diagramm kritikwürdig, da sie die Fälle nur kumuliert. Aber die meisten, auch der COVID-19-Infizierten, überleben die Erkrankung glücklicherweise und genesen. Die Kurve in einer solchen Darstellung muss stets nach oben zeigen. Man denke, der Wetterdienst würde die Regenmenge so darstellen.
Nachweise:
[1] Statistik der WHO, https://covid19.who.int/ [Link]
[2] Bis zum Jahr 2011 wurde dies vom RKI statistisch aufbereitet. Siehe dazu: RKI, Statistisches Bundesamt: Sterblichkeit, Todesursachen und regionale Unterschiede, Heft 52 (2011), https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsT/sterblichkeit.pdf?__blob=publicationFile [Link]
Eine aktuelle Statistik findet sich auf: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/_inhalt.html;jsessionid=F31C82176FF1B671BF184F4A1A1D96D8.internet8731 [Link]

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 16)

Dass der Lockdown die Beschleunigung der COVID-19-Infektion bremste, steht außer Frage. Aber wäre nicht auch durch das Tragen von Atemschutzmasken, Händedesinfektion und Abstandsregeln das Gleiche erreicht worden? Weniger martialisch und mit weniger ökonomischen Folgen? Man müsste diese These einmal untersuchen. Sicherlich spielen auch kulturelle Gründe hinein. Das Maskentragen ist in Europa unüblich, hat wenig kulturelle Vorbilder etc.

2020.04.26

Das ist typisch für Träume: Innerhalb der Träume erinnern wir alles so, als ob es wirklich sei. Aber wenn das Traumbewusstsein zum Wachbewusstsein wechselt, kapselt sich die Erinnerung eigentümlich ab. Noch später vergessen wir die gesamten Traumerinnerungen. Schreiben wir diese auf, bleibt uns immerhin noch dieser Rest. Ich meine, das ist ein Beweis dafür, dass das Traumbewusstsein autonom sein will. Es steckt seine Grenzen zum Wachbewusstsein durch das Vergessen ab. Traumbewusstsein scheint mit dem Vergessen verschwistert zu sein. Es fingiert Erinnerung in uns, blendet sie nach Belieben aus. Traumbewusstsein erzeugt ein zweites Ich, ein Schatten-Ich im Schlaf. Dieses umschleicht uns auch am Tage. Das Schaubild stellt dieses Fading der Traumerinnerung dar.


Chizus Masken, selbstgenäht: »Die Hessische Landesregierung hat eine Maskenpflicht beschlossen, die ab Montag, 27. April, gilt. Die Bürgerinnen und Bürger müssen ab dann einen Mund-Nasen-Schutz tragen, wenn sie die Fahrzeuge des öffentlichen Personennahverkehrs nutzen oder den Publikumsbereich von Geschäften, Bank- und Postfilialen betreten.« [https://soziales.hessen.de/gesundheit/infektionsschutz/corona-hessen/maskenpflicht]




Der Damm

Photoserie Der Damm, Staudamm in Japan, Okutamako 奥多摩湖, 28. Oktober 2019, kurz nach dem Taifun. Mich interessierte, wie man in Japan mit den Kräften des Wassers umgeht, wie man sie kontrolliert und lenkt.




Die obigen Pflanzen sind Wiesenblumen. Wir haben sie im letzten Jahr gesät und im Blumenkasten vergessen. Sie überwinterten und härteten ab. Nun gieße ich sie täglich mehrfach, da kaum noch Erde im Kasten ist, und dünge sie einmal wöchentlich. Das mache ich seit ca. vier Wochen. Schon blühen sie.
Die Trauerweide heißt auf Japanisch itōyanagi 糸柳, was wörtlich übersetzt Fadenweide meint.
Vor einigen Monaten nahm ich an einem Sumi-e-Kurs von Yusan Watanabe teil. Das war sehr spannend. Nun hat Yusan eine Übung online gestellt: »Der Berg Fuji und der Wald« 富士山と森林. [https://youtu.be/sOJwA-l41EE]






2020.04.25


Die Schwierigkeit, mit Online-Systemen, Cloudspeichern, Videotelephonie-Tools etc. umzugehen, besteht darin, dass die Programmlogik höchst abstrakte Möglichkeiten kennt, die es im Alltag nicht gibt. Es wurden auch noch keine adäquaten Beschreibungen gefunden. Für Übersetzungsarbeit blieb den Programmierern weder Zeit noch sind sie sensibel dafür, denn sie selbst wissen ja, wie es geht. Gleichzeitig aber muss der Nutzer eine Auswahl treffen. Oft weiß man nicht, was man macht, oder es funktioniert nichts. Man braucht Minuten, Stunden, um herauszufinden, wo der Fehler lag. Manchmal ganz banale Unachtsamkeiten: der falsche Browser, der falsche Link, das zu kleine Fenster. Man möchte gerne etwas machen - und weiß nicht, wo man die Funktion findet. An Stelle der alltäglichen Intuition tritt ohnehin das Durchprobieren. Schnell passiert es, dass man in den Entscheidungsbäumchen den falschen Haken setzt - und schon ist das seminarinterne Papier für eine Weltöffentlichkeit verfügbar. Im Falle der Videotelephonie-Tools muss man, um diese zu testen, im Grunde bereits jemand kennen, der die Tools hat. Beide müssen dann idealiter wissen, wie es zu benutzen ist. Aber kann man das voraussetzen? Und wann weiß man, ob man falsch bedient hat oder die Technik wirklich nicht funktioniert? Ich half mir daher weiter, indem ich das Tool auf zwei Computern laufen ließ, in einen anderen Raum ging und dann die Familie darum bat, mit mir online zu telephonieren, über die Räume hinweg rufend, als es seinen Dienst noch nicht tat. Die räumliche Distanz war notwendig, weil es sonst akustische oder auch visuelle Rückkopplungen gäbe. Man bewegt sich dann ganz schnell in psychedelisch-medialen Schleifen. Besonders irritierte mich die Cloud Box, wo es drei Optionen gab: »Öffentlich zugänglich und keine Anmeldung erforderlich«, »Alle Personen in Ihrem Unternehmen, die über den Link verfügen, oder zu diesem Ordner eingeladene Personen haben Zugriff« und »Nur eingeladene Personen können auf diesen Ordner zugreifen.« Die Schwierigkeit liegt hier darin zu verstehen, was eine eingeladene Person ist und wie ich Personen einlade. Hinzu kommt noch, dass man die Option »Für Mitarbeiter« hat. Nun weiß ich aber nicht, ob Studierende als Mitarbeiter gelten - ohnehin schlägt das Programm die Universität den »Unternehmen« zu.

2020.04.24

Videokonferenzen sind zu sehr kontrolliert. Es kennzeichnet öffentliche Veranstaltungen, dass wir diese ereignissoffen betreten, d.h. ohne zu wissen, wen wir treffen und was wir erleben werden. Es gibt Spielräume der Begegnung, assoziative Momente, Überraschungen, zwischenmenschliche Irritationen und merkwürdige Einstimmigkeiten. Zufälle, die keine sind, Aufgehobenheit in einem gemeinsamen und physisch erlebten Raum der Interessen. Dagegen erzeugen Videokonferenzen abstrakte und zutrittsgeschützte Kontrollräume. Weltweit werden nahezu alle Online-Seminare der Universitäten mit Programmen von zwei oder drei Anbietern durchgeführt.

2020.04.23

Auf Artes Mediathek kann man noch bis zum 13. Oktober 2020 Jacques Rivettes Film Die schöne Querulantin (1991) mit Michel Piccoli und Emmanuelle Béart in der Langfassung sehen.[1] Dies ist ein sehr poetischer Film über die Malerei und die Leidenschaften. Er basiert auf der Novelle Das unbekannte Meisterwerk von Honoré de Balzac.[2]
Nachweise:
[1] https://www.arte.tv/de/videos/005166-000-A/die-schoene-querulantin/ [Link]
[2] https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/das-unbekannte-meisterwerk/17211 [Link]



Die FAZ meldet, Lois Weinberger sei tot.[1] Noch vor wenigen Monaten besuchte ich mit meinem Seminar die Retrospektive Visible Nature/Invisible Nature im Watarium in Tōkyō.[2] Weinberger globalisierte ›Unkräuter‹ und weckte den Blick für das Unscheinbare und für im wahrsten Sinne randständige Pflanzen. Neophyten waren sein Programm. Ein Bild in der Ausstellung zeigte ihn im Nachwende-Brachland in der Nähe des Reichstags. Gärtner da, wo keiner war.
Nachweise:
[1] Stefan Trinks: LandArtist Lois Weinberger tot: Der Feldarbeiter der Kunst, FAZ, 22.04.2020, https://www.faz.net/-gsa-9yqf5
[2] Watarium, Visible Nature/Invisible Nature, https://saveig.org/p/BzxpKOdDiOn/?lang=de


Handel und Konsum, Produktion sind schnell globalisiert. Im Grunde muss man dies von staatlicher Seite nur zulassen. Die Schwierigkeiten entstehen dann, wenn eine staatliche Regulierung, Besteuerung etc. dem Schritt halten soll. Es entstehen keine geeigneten staatlichen Institutionen, die mit den ökonomischen mitwachsen, weil dann Staaten miteinander kommunizieren und ihre Hoheitsrechte aufeinander abstimmen müssten. Man wählt dann den Weg des geringsten Widerstands und führt staatliche Parallelordnungen ein: G7, Weltbank, EU, WTO etc. Im Grunde wartet man auf Probleme und delegiert diese dann an diese diffusen und demokratisch oft nur unzureichend legitimierten Institutionen. Aber jeder Handel ›verschmiert‹ auf eine gewisse Weise die Grenzen, so dass staatliche Überlagerungen in einer globalisierten Welt de facto stattfinden. Der Weg, der über Jahrhunderte gewählt wurde, noch beim Verlegen der Unterseekabel für Telephon und Internet, funktioniert nicht mehr. Man kann die Koordination und die Probleme nicht mehr staatlich auslagern oder ignorieren, da die medialen Systeme die Welt auf eine synchrone Weise vernetzen. Dann muss irgendwann eine Meta-Institution installiert werden, die über den einzelnen Staaten steht. Aber da dies immer noch nicht eingesehen wird, schließen Staaten heute wieder reflexartig die Grenzen und unternehmen lieber größte technische Anstrengungen, das Internet (etwa per Geoblocking) zu regionalisieren, anstatt in einen produktiven Dialog zu kommen.

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 13)

Ganz zu Recht weist Giorgio Agamben in einem Kommentar in der Neuen Zürcher Zeitung auf den historischen Bruch der Corona-Pandemie hin:
»Wie konnten wir nur im Namen eines Risikos, das wir nicht näher zu bestimmen vermochten, hinnehmen, dass die uns lieben Menschen und überhaupt alle Menschen in den meisten Fällen nicht nur einsam sterben mussten, sondern dass ihre Leichen verbrannt wurden, ohne bestattet zu werden? Dies ist in der Geschichte von der mythischen griechischen Königstochter Antigone bis heute nie geschehen.«[1]
Diesen Kulturverlust zu erklären bedürfte eines weitausholenden Entwurfs, umso wichtiger, dass Agamben an das offenbar nicht mehr Selbstverständliche im Alltag erinnert. Man könnte hier sicherlich den Individualismus anführen, der im Sinne eines temporären Selbstschutzes zivilisatorische Notwendigkeiten ausblendet. Auch könnte man die in der Menschheitsgeschichte bislang nie dagewesene Bildhaftigkeit menschlicher Kultur nennen. Walter Benjamin spricht von einem Leibraum und einem Bildraum. In dieser Hinsicht wird der Leibraum peripher, mit der Krankheit ausgeblendet. An seine Stelle tritt die Interaktion mit und in einem Bildraum. Die ganze Gesellschaft wird nur noch aus den vier Wänden heraus imaginiert. Es braucht dazu nur einen Internet-Zugang - und schon fließen die Imaginationen und errichten so offenbar eine Gegenwelt. Aber das von Agamben Thematisierte ist weitaus vielschichtiger. Weiter heißt es:
»Wir haben bedenkenlos hingenommen, wiederum nur im Namen eines nicht näher zu bestimmenden Risikos, dass unsere Bewegungsfreiheit in einem Ausmass eingeschränkt wurde, wie dies zuvor nie in unserem Land geschah, nicht einmal während der beiden Weltkriege (die Ausgangssperre galt damals für bestimmte Stunden).«[2]
Das ist wirklich ein weiteres Phänomen. Es braucht nur ein Risiko, das plausibel gemacht und medial auf allen Kanälen dargestellt wird, und schon wird europaweit die Demokratie eingefroren. Die öffentlichen Räume, die Agora wird zu einem potentiell vergifteten Ort und nun gemieden, so als sei sie nur Quelle der Ansteckung. Auch hier könnte man sagen, dass die Menschen in dieser Hinsicht vernünftig reagieren, aber eben im Sinne einer instrumentellen Vernunft von statistischen Vorhersagen von Virologen und Epidemiologen. Auch Agambens Kritik an der Kirche trifft:
»Vor allem die Kirche, die – indem sie sich zur Magd der Wissenschaft gemacht hat, welche mittlerweile zur neuen Religion unserer Zeit geworden ist – ihre wesentlichen Prinzipien radikal verleugnet.«[3]
Die Kirche hat sich komplett ausschalten, ihre Gotteshäuser schließen lassen - in einer Situation, wo die Menschen doch ihren Trost bräuchten. Man predigte lieber vor laufender Kamera in einer leeren Kirche, anstatt sich zu den Kranken zu begeben. Die Beantwortung der von Agamben aufgeworfenen Punkte wird noch Zeit brauchen. Wie viel Zeit wir angesichts der sich überschlagenden Ereignisse haben, wissen wir leider nicht.
Andererseits blendet Agambens Einwurf aber auch die positiven Erfahrungen, die es auch gibt, aus: Dass ein kapitalistisches System die Ruhe, das Pausieren entdeckt (mit all den gewaltigen Krediten, die das verursacht), dass Politik (wenn auch nicht im Sinne Agambens) Leben retten will und für dieses Ziel handelt. Auch ist die Frage, ob nicht auch die Kirche in einem Prozess steckt, den Umgang mit der Leere, der in buddhistischen Kulturen immer schon gepflegt wird, zu lernen. Sicherlich sind die Risiken, die das System mit dieser Form der Pandemiebekämpfung einging, so enorm, dass man sich fragen wird, ob das den Preis wert war. Aber man weiß eben nicht, was passiert wäre, wenn man nicht auf diese Weise gehandelt hätte. Aber eine mildere, eine tolerantere und reflektiertere Form des Umgangs, die wäre sicherlich notwendig gewesen.
Nachweise:
[1] Giorgio Agamben: Giorgio Agamben zum Umgang der liberalen Demokratien mit dem Coronavirus: Ich hätte da eine Frage, Neue Zürcher Zeitung, https://www.nzz.ch/feuilleton/coronavirus-giorgio-agamben-zum-zusammenbruch-der-demokratie-ld.1551896 [Link]
[2] Ebenda.
[3] Ebenda.

2020.04.22


Auf Arte lief gestern die interessante Dokumentation iHuman von Tonje Hessen Schei von 2019. Die Bilder hatten, wie so oft in solchen Dokus, New Age-Charakter, aber die kurzen Interviewschnipsel mit sonst unbekannten Stars aus der KI-Szene waren das Warten wert. Ilya Sutskever, Jürgen Schmidhuber, Max Tegmark, Kara Swisher, Michael Kosinski, Stuart Russell, Ben Wizner, Hao Li, Ben Goertzel und Philip Alston waren zu hören. (https://www.arte.tv/de/videos/081590-000-A/ihuman/, Video verfügbar bis zum 19.07.2020, wahrscheinlich nur aus Deutschland und Europa einsehbar, da vielleicht Geoblocking benutzt wurde).

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Das Lichter Filmfest findet on demand statt, Infos dazu auf: https://lichter-filmfest.de/programm/lichter-on-demand-programm-2020/ [Link]

2020.04.21

Hans Holbeins (d.J.) Holzschnitt Der Ablasshandel von 1525. Dieser zeigt, wie aufgrund eines theologischen Narrativs ein reger Handel entsteht, der höchst konkrete Auswirkungen hat und Macht mit sich bringt. Im Rückblick der Jahrhunderte glauben wir zu erkennen, worin die Täuschung der Menschen bestand. Siehe auch seinen Totentanz. Ein Händler geht nur über das Land - und ein Skelett zerrt an ihm. Hier wird die Gefahr von Ansteckung (durch die Pest) ganz sinnlich. Der Tod macht Angst und seine Darstellung ist zugleich ein Triumph über die Seuche. Nachweise:
Hans Holbeins (d.J.) Holzschnitt Der Ablasshandel von 1525, https://www.wga.hu/html/h/holbein/hans_y/2drawing/woodcuts/3true.html [Link]
Hans Holbeins (d.J.) Holzschnitt Totentanz, http://www.zeno.org/Goetzinger-1885/I/rda00140 [Link]

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Brian W. Aldiss entwirft in seinem dreibändigen Science-Fiction-Roman Helliconia (1982-1985) eine alternative Welt, in der die Wirkung eines Virus über Epochen hin verfolgt wird. Siehe dazu http://www.armin-moehle.de/Artikel/EinJahraufHelliconia.htm [Link]

2020.04.19

Pacman
Pacman frisst Corona, Plätzcheninstallation von Brigitte Becker

2020.04.18

Andere Natur - zweite Natur: Vor einigen Jahren veröffentlichte ich einen Text über ein Motiv in Walter Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.[1] Darin ging es um die Frage, warum Benjamin den Begriff der ›anderen Natur‹ dem der ›zweiten Natur‹ vorzieht und wie sich dieser Wandel argumentativ begründen lässt. Der Begriff der ›anderen Natur‹ ist, so meine damalige und auch heutige Meinung, Benjamins Schöpfung. Aber der Begriff der ›zweiten Natur‹ findet sich bei Hegel, Georg Lukács und anderen.[2] Ich fand nun zwei Stellen in der angelsächsischen Literatur, die mir bislang entgangen sind. Man müsste die Diskussion also nochmals aufrollen und in einen weiteren Kontext setzen. Hier die Stellen:

»This all but universal illusion is one of the examples of the magical influence of costum, which is not only, as the proverb says, a second nature, but is continually mistaken for the first.« (Mill On Liberty)[3]
sowie

»Very justly is use called a second nature; and our natural and common state is one of absolute indifference, equally prepared for pain or pleasure.« (Burke A Philosophical Inquiry Of the Sublime And Beautiful).[4]

[1] Andreas Becker: »Von der zweiten zur anderen Natur. Ein Motiv in Walter Benjamins Kunstwerk-Aufsatz«, in: Barth, Thomas (Hrsg.); Betzer, Christian (Hrsg.); Eder, Jens (Hrsg.) et.al.: Mediale Spielräume, Marburg 2005, S. 177-186.
[2] Für einen aktuellen Überblick siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Zweite_Natur [Link]
[3] John Stuart Mill: On Liberty, London 1867, S. 3.
[4] Edmund Burke: A Philosophical Inquiry Of The Sublime And Beautiful, London 1889 [1757], S. 76.

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Das COVID-19-Blumenhaus: Entwurf eines Quarantäne-Hotels

Die folgenden Skizzen sind die ersten Entwürfe für ein auf Modulen aufbauendes Quarantäne-Hotel. Dieses soll den Gästen das zweiwöchige Leben in Quarantäne-Isolation so komfortabel wie möglich gestalten und gleichzeitig soll es sehr schnell aufzubauen sein. Der Wohnraum ist reduziert, während das Leben an der frischen Luft, auf dem Rundum-Balkon stattfindet. Der Single-Aufzug wird nur beim Betreten des Blumenhauses sowie vor dem Schlafen und nach dem Aufstehen benutzt. Die Rundum-Lebenskabinen sind mit einem Vorhang versehen, so dass der vollverglaste und klimatisierte Wohnraum verdunkelt werden kann. Zur Verpflegung der Quarantäne-Gäste dienen Päckchenkräne, die die Versorgung mit Nahrungsmitteln wie auch die Entsorgung von Abfall gewährleisten. Die Wohnkabinen sind mit High-Speed-Internet, 4K-TV-Geräten wie auch Videospielstationen und natürlich Telephon ausgestattet. Die Bewohner können sich über einen eigens eingerichteten Kanal miteinander unterhalten und per Videotelephonie in Kontakt treten.
Blumenhaus Blumenhaus

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Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 12)

Bei all den Nachrichten von den Erkrankten und Toten gibt es doch auch einige positive Aspekte, Lehren, die man aus der Corona-Pandemie gezogen hat.
Da möchte ich zunächst die Kommunikation der Bundesregierung nennen, die nicht autoritär, sondern als Ensemble fungierte und sich präsentierte. Die abwägende Sprache von Angela Merkel, auch das Appellieren an die Geduld und Vernunft werden sicherlich in Erinnerung bleiben als demokratischer Politikstil. Dazu gehört auch das Erklären, die Einladung und das Anhören von Experten in der Öffentlichkeit sowie die Korrektur von und der Umgang mit Fehlern. Andere Regierungen bedienten sich martialischer Kriegsrhetorik und machten aus diesen notwendigen Verhaltensänderungen einen Kampf gegen das Virus, wo die deutsche Regierung sehr geschickt und behutsam vorging, weil sie wusste, dass es im Kern nicht um Verbote, sondern um eine Änderung von Verhaltensetiketten geht, mit der man dem Virus Einhalt gebieten kann.
Es mussten aber mindestens Jahrhunderte alte Gepflogenheiten binnen Tagen in Frage gestellt und verändert werden: Abstand halten, Verzicht auf den Handschlag, Tragen von Gesichtsmasken, dauernde Hygiene, obwohl dies nicht notwendig schien. Ein neuer Virus-Habitus wurde appliziert - und dies ging nicht durch Verbote, sondern durch Ruhe. Im Grunde leistete die Regierung eine pädagogische Aufgabe größten Stils. Tugenden mussten umgekehrt werden: Distanz und Rückzug ins Private bedeuteten Verantwortung. Aber die meisten Bürgerinnen und Bürger haben die Einsicht gehabt, ihr alltägliches Verhalten nach einer Abstraktion und aufgrund von statistischen Verläufen auszurichten. Das ist sicherlich die größte kollektive Leistung.
Selbst wenn es nicht notwendig war, die zahlreichen schwerwiegenden Maßnahmen zu erlassen. Besser zu viel als zu wenig. Denn wenn sich das Virus zu schnell verbreitet hätte, wäre auch eine zu späte harte Maßnahme nicht erfolgreich gewesen. Auch die temporäre Außer-Kraft-Setzung des öffentlichen, und damit demokratischen, Lebens wurde stets der Verantwortung wissend vorgenommen (wenngleich meine in Skizze 11 ausgeführte Kritik dennoch am Platze ist). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Freiheit in einem Urteil vom 17. April 2020 als eine rechtlich zu beantwortende verteidigt.[1]
Auch die zahlreichen Eingeständnisse des Nichtwissens, die Amateurhaftigkeit, wenn etwa Masken im Eigenbau gebastelt werden sollen etc. machten das ganze Vorgehen auf eine Weise authentisch und glaubwürdig.
Sich wider die kapitalistische Logik zu verhalten, politisch ein kollektives Nichtstun anzuordnen, um die Dynamik der Virusreplikation zu brechen, heißt eben auch, die kapitalistische Dynamik einzufrieren. Das waren sicherlich für Generationen einmalige Erfahrungen. Dass das ganze überhastete gesellschaftliche Treiben einmal pausiert, keine Mega-Events, Kreuzschiffahrten, Großereignisse und Riesenfeste, sogar die Schule ruht, dass die Politik augenscheinlich den Primat des Handelns vor den angeblichen Sachzwängen hier zurückgewonnen hat, ist eine extrem positive Erfahrung. Man wird sehen, welche Folgen der Preis, die hohen Neuschulden, weltweit haben wird.
Aber dies scheint mir ein wichtiger Aspekt. Auch die Ruhe, die der Gesellschaft und auch der Natur dadurch geschenkt wurde, konnte man ganz sinnlich im Vogelgesang, in der Stille der Stadt, in der guten Luft und dem von Kondensstreifen einmal freien Himmel bemerken. Dieses politischen Handeln aus einer Erkenntnis heraus, das eben gegen keinen Feind gerichtet war wie im Krieg, sondern letztlich eine improvisierte und kollektive Antwort auf eine noch nicht verstandene Bedrohung: Das Virus COVID-19. In den Medien wurde oft über den familiären Stress etc. berichtet. Das ist alles richtig, aber dass es eine wochenlange Möglichkeit gibt, familiäre Erfahrung zu machen, sich einander zu widmen, zu schlafen, eine eigene Zeitrhythmik zu bilden, das war sehr wichtig. Man kann sagen, dass Deutschland und die Welt in dieser Zeit schlief, ruhte und manchmal auch träumte. Und vielleicht helfen diese Träume, um die Zukunft besser und friedlicher zu gestalten.
Nachweise:
[1] Bundesverfassungsgericht, Urteil 1 BvQ 37/20, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/04/qk20200417_1bvq003720.html

2020.04.17


Der Mond im Zeitraffer, 12. April 2020

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 11)

Für den Großteil der Bevölkerung dürften die einschränkenden Maßnahmen der Politik abstrakt sein. Dadurch sind sie einer Kritik erhaben. Die vorerst ausbleibende Überlastung des Gesundheitssystems lässt sich leicht mit der Wirksamkeit der zahlreichen Verordnungen und Gesetzänderungen und massiven Einschränkungen der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit begründen. Wer nicht daran glaubt, wenig über Viren auch nach der Dauerberieselung durch die Medien weiß, wird sich wie ein Held fühlen - und sich fragen, wozu der ganze Aufwand getrieben wurde. Als einziger Staat hat Schweden besonnen reagiert, ohne die Gefahr kleinzureden wie Großbritannien oder die USA. Die anderen Staaten, zumindest die westlichen, haben das harte Modell Chinas mehr oder weniger kopiert. Deutschland nutzte diese für die meisten gar nicht so bedrohliche Krankheit, um auszuprobieren und durchzutesten, was die Politik kann: Grenzen schließen, Einführung neuer Sicherheitssysteme wie Drohnen, Handyüberwachung als Gesundheitsvorsorge erscheinen lassen, Versammlungsfreiheit streichen, Einreisebeschränkungen und Quarantänemaßnahmen erlassen. Einige der Maßnahmen werden sicherlich weiter ausprobiert. Anstatt eine Großdemonstration mit tausenden von Polizisten zu bewachen, wird man diese in Zukunft vielleicht einfach verbieten, eine ›Ausgangsbeschränkung‹ erlassen und die nunmehr erprobten Drohnen über der Stadt kreisen lassen, mitsamt Handyüberwachung.
Was an öffentlicher Kultur übrig blieb, wurde in den digitalen Raum verlagert. Man könnte den wissenschaftlichen und schulischen Bereich daher im Sinne der neu erlassenen Sprache als ›semi-systemrelevant‹ bezeichnen. Dass man Theater, Museen, Kirchen, Bibliotheken, Galerien, Literaturhäuser angesichts von Corona quasi über Nacht schließen ließ, wird ihnen das Etikett ›nicht systemrelevant‹ auf lange Sicht einbringen, wenn man das auch niemals explizit sagte. Man sprach doch immer nur von den systemrelevanten Bereichen, die man öffnete. Wenn es jetzt im Zuge der Kürzungen und Etatverschiebungen Diskussionen gibt, kann man sich schon denken, wer als erster sparen muss. Den Begriff ›Künstlerin‹/›Künstler‹ hat man ohnehin kaum in der Debatte vernommen, diese sind in den Hilfsankündigungen sogleich den Klein(st)unternehmern zugeordnet worden. Immerhin hat die deutsche Politik den Künstlern und Solo-Selbstständigen Einmalzahlungen für drei Monate bereit gestellt, über den Bund und die Länder.[1]
Scheinbar großzügig und schnell hat die Politik Kredite in unvorstellbarer Höhe gewährt. Waren es vor der Finanzkrise 2007/08 noch Mittel in Millionenhöhe, die man zur Verfügung stellte, sprang man danach auf solche in Milliardenhöhe (was die Nachrichtensprecher damals besonders betonten) und ist jetzt bei einer weiteren Null gelandet, wenn man solche Kredite in Billionenhöhe gewährt, diesmal zum Teil ohne Sicherheiten zu verlangen. Die Billionenbeträge erscheinen nur durch die Portionierung und zeitliche Folge über Tage noch als hunderte Milliarden. Zur Erinnerung:
Eine Million: 1.000.000
Eine Milliarde: 1.000.000.000
Eine Billion: 1.000.000.000.000
zur Sicherheit:
Eine Billiarde: 1.000.000.000.000.000
Was aber ist ein Kredit? Es ist letztlich die Verpflichtung, in Zukunft höheren Gewinn zu erzielen, damit die Schulden samt Zinsen getilgt werden können.[2] Aber wie realistisch ist dies? Welcher Künstler wird dies können? Wenn die Wirtschaft spart, sinken doch die Honorare ebenso. Und die kleine Kneipe, wird sie ihre Preise erhöhen? Wer trinkt dann dort noch ein Bier? Und es ist doch naiv, wenn man glaubt, dass nach Corona nicht noch bald ein weiteres Virus uns bedroht oder eine bislang ebenso ungeahnte Katastrophe uns kollektiv heimsuchen wird. Mit welcher astronomischen Höhe von Krediten wird der Staat dann winken? Wird man dann hunderte Billionen Euro aus der Tasche zaubern und damit versuchen, Ruhe in die Märkte zu bringen? Tendenziell wird die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen den Kleinunternehmern und den globalen Konzernen, zwischen armen und reichen Staaten dadurch zunehmen.
Die exponentiell steigende Höhe der Kredite ist nicht nur dem Sonderfall Corona geschuldet. Die Kredite sind auch systemisch notwendig, sowieso auch, da viele der Finanzkrise noch nicht getilgt sein dürften. Es sind also Kredite der Kredite. Und wenn die nächste Krise droht, werden die Rückzahlungen Kredite von Krediten von Krediten tilgen und Zinsen von Zinsen von Zinsen gezahlt werden müssen. Dass Kredite auch gewaltige Machtansprüche in sich tragen, konnten nach der Finanzkrise Griechenland spüren und Spanien. Es ist dies nämlich der Anspruch der Kreditgeber auf die Bedingungen, die sie für wichtig erachten, um die Schulden tilgen zu können. Die Staaten werden sich ihrer Verantwortung stellen müssen und in all diesen Bereichen einen politischen Schutzschirm errichten.
Es lassen sich zwar im Internet leicht Tabellen mit den Staatsschulden finden, aber nur wenig findet man über die Gläubiger, da diese Kredite oft dem Bankgeheimnis unterliegen. China wird in einer Studie des Kieler IFW genannt:
Chinas Rolle als Gläubiger anderer Länder ist deutlich größer als bislang bekannt und in offiziellen Statistiken ausgewiesen. Die übrige Welt schuldete China 2017 mehr als fünf Billionen US-Dollar, was rund sechs Prozent der globalen Wirtschaftsleistung entspricht. Besonders Kredite an Entwicklungs- und Schwellenländer haben sich über die letzten 10 Jahre vervielfacht.[3]
In einem Interview mit Miseror sagt Jehan Perera, Direktor des Nationalen Friedensrates in Sri Lanka (National Peace Council, NPC).:
Die Tragödie von Sri Lanka ist, dass es gezwungen ist, China um weitere Kredite zu bitten, obwohl es bereits hoch verschuldet ist. Die Schuldenquote war im August 2018 auf ein alarmierendes Niveau von 87 Prozent gestiegen. Zudem gibt es Bedenken wegen chinesischer Projekte in Sri Lanka. Vergangenes Jahr wurde der Hafen von Hambantota, der strategisch günstig liegt, für 99 Jahre an die Chinesen verpachtet. Grund dafür ist, dass Sri Lanka das Darlehen für das 1,4-Milliarden-USD-Projekt nicht zurückzahlen konnte. Obwohl die Menschen auf Sri Lanka den chinesischen Absichten skeptisch gegenüberstehen, sagen sie gleichzeitig, dass China auch wichtig ist, um die Wirtschaft über Wasser zu halten.[4]
Nachweise:
[1] Bundesregierung: Hilfe für Künstler und Kreative: »Die Bundesregierung hat Corona-Soforthilfen für Solo-Selbständige und kleine Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Folge von Corona in Höhe von insgesamt bis zu 50 Milliarden Euro Bundesmittel beschlossen. Es besteht Einvernehmen zwischen Bund und Ländern, dass dieses Programm auch Künstlern und Kulturschaffenden als Freiberuflern offensteht. Die Bundesregierung leistet finanzielle Soforthilfe in Form von Zuschüssen zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Antragsteller und zur Überbrückung von akuten Liquiditätsengpässen. Mit den Mitteln können laufende Betriebskosten wie Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten und ähnliches bezahlt werden. Solo-Selbständige – also Selbständige ohne Beschäftigte, Einzelkünstler etc. – und Kleinstunternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten erhalten danach bis 9.000 Euro Einmalzahlung für drei Monate. Bei bis zu zehn Beschäftigten fließen bis 15.000 Euro Einmalzahlung für drei Monate.«, aktualis. am 09.04.2020, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/hilfen-fuer-kuenstler-und-kreative-1732438
[2] Max Weber hat diesen Mechanismus des Verschuldens der Staaten schon treffend beschrieben: »Daß Staat und Gemeinde heutzutage fast ausnahmslos Schulden machen, ist bekannt: Das Reich und die deutschen Staaten zusammen haben rund 8 1/2 Milliarden, England, ohne seine Kolonien, 15 Milliarden, Frankreich 20 Milliarden Mk. Staats-Schulden, und diese Schulden müssen den Gläubigern des Staates verzinst werden. Die Verschuldung eines Staates ist heute nicht etwa ein Unglück, ein Zeichen schlechter Verwaltung oder mangelnden Reichtums. [...] Die Steuerlast dafür [für die Eisenbahn, Anm. A.B.] wird dadurch auf Gegenwart und Zukunft verteilt. [...] Der Staat (resp. die Gemeinde usw.) kann das, denn den Besitzern der Schuldverschreibungen liegt gar nichts daran, ihr Geld zurückzuhalten, sie wollen vielmeher die Zinsen beziehen, sie sind Mitglieder der besitzenden Klassen, welche auf diese Weise ›ihr Vermögen anlegen‹, das heißt, sich das Recht auf den Bezug eines Tributes sichern von den mit diesen Zinsen Belasteten, also hier sden Steuerzahlern des Staates oder der Gemeinde, welche die Zinsen der Staats- und Gemeindeschuld durch Steuern aufbringen.« (Max Weber: Die Börse, in: ders.: Politik und Gesellschaft, hrsg. von Daniel Lehmann, Frankfurt am Main 2006, S. 648-700, zit. S. 655-656)
[3] IFW Kiel, Institut für Weltwirtschaft: China vergibt viel mehr Auslandskredite als bislang bekannt, 01.07.2019, https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/medieninformationen/2019/china-vergibt-viel-mehr-auslandskredite-als-bislang-bekannt/, siehe dazu auch: China nicht mehr größter Gläubiger Amerikas, FAZ, 16.08.2019, https://www.faz.net/-gv6-9q4zk. »Japan hat China als größten Gläubiger der Vereinigten Staaten abgelöst. Das zeigen am Donnerstag vom Finanzministerium in Washington veröffentlichte Daten. Demnach hielt Japan im Juni amerikanische Staatsanleihen im Volumen von 1,122 Billionen Dollar, während China nur noch auf 1,112 Billionen Dollar kam.«
[4] ›Sri Lanka steckt in der Schuldenfalle‹, Interview mit Jehan Perera, Direktor des Nationalen Friedensrates in Sri Lanka, in: Miseror Schuldenreport 2019, https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Sonstiges/Schuldenreport_2019.pdf, S. 17-18, zit. S. 17.

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Über die Inflation im Deutschland der 1920er Jahre und deren Ursachen in der Fischer Weltgeschichte:
Am 27. April 1921 gab die Reparationskommission bekannt, Deutschland sei verpflichtet, 132 Milliarden Goldmark zu zahlen.[1]
Dann heißt es zur Entwicklung:
Sicherlich hätten die deutschen Regierungen, um die Reparationsforderungen zu erfüllen, die Steuern zum Ausgleich des Haushalts stärker erhöhen müssen, als es ohne die Reparationen erforderlich gewesen wäre. Das heißt jedoch nicht, daß die Reparationen den Sturz der Mark verursacht hätten. Haben die deutschen Regierungen den Wert der Mark absichtlich zerstört, um den Reparationen zu entgehen? Nichts spricht dafür, daß sie es getan hätten. Viel wahrscheinlicher ist, daß die Theorie, der Fall der Mark sei nur die Folge der unglücklichen Zahlungsbilanz, die deutschen Behörden an allen ernsthaften Versuchen, den Haushalt auszugleichen, hinderte. Das Ergebnis war dasselbe, und die Unterlassung der von der Reparationskommission beharrlich geforderten Finanzreformen bestärkte das Ausland in dem Glauben, die Deutschen betrögen die Alliierten um ihr Recht.[2]
Nachweise:
[1] Fischer Weltgeschichte, Band 34. Das Zwanzigste Jahrhundert I. Europa 1918-1945. 4. Die Konsolidierung des Friedens: England, Frankreich und das deutsche Problem. I. Jahre der Spannung - Die Frage der Reparationen, hrsg. und verf. von R.A.C. Parker, S. 25270 (vgl. FWG Bd. 34, S. 70).
[2] Ebenda, S. 25277 (vgl. FWG Bd. 34, S. 73).

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Die Definition der Vampirfledermaus im Damen Conversations Lexikon aus dem 19. Jahrhundert:
Vampyr, eine Art Fledermaus (s. d.) mit 36 Zähnen und einer sehr langen, mit wulstigen Rändern versehenen Saugezunge; ein blutdürstiges Thier, welches schlafenden Menschen und Thieren das Blut aussaugt. In Brasilien setzen sie sich an den Hals und die Hüften der Lastthiere, die dann wie geschröpft aussehen; doch sind die Wunden, die sie machen, nicht gefährlich. – V'e nennt der Aberglaube auch jene fabelhaften gespenstigen Wesen, die in heimlicher, unnatürlich tüftelnder Gier den Lebenden Blut aussaugen und sie so tödten. Schon die Römer fabelten von harpyenartigen Wesen, – strigae – die den Müttern nebst der Milch das Blut entsaugten; und die griechischen Christen von »Buthrolakkä« oder »Tympanitä«, d. h. im Kirchenbann Verstorbenen, welche im Grabe äßen. Später hatte sich über ganz Europa der Glaube verbreitet, daß Leichen im Grabe an sich saugten und nagten, des Nachts aber aus den Gräbern hervorgingen und befreundeten Personen das Herzblut auszögen, worauf die Getödteten selbst zu V'n würden. Diesen grauenhaften Stoff benutzte Lord Byron zu einer Erzählung, und Marschner zu einer Oper.[1]
Interessante Beobachtungen zu den Fledermäusen in Brehms Tierleben:
Auch ihre Feinde kennen sie sehr gut und verstehen, ihnen schlau zu begegnen, wie sie ihrerseits wieder die kleineren Thiere, denen sie nachstellen, zu überlisten wissen. So erzählt Kolenati, daß eine Fledermaus, welche in einer Lindenallee jagte, das Weibchen eines Schmetterlings verschonte, weil sie bemerkt hatte, daß dieses viele Männchen heranlockte, welche sie nun nach und nach wegschnappen konnte. Wenn man Schmetterlinge an Angeln hängt, um Fledermäuse damit zu fangen, wird man sich stets vergeblich bemühen. Sie kommen heran, untersuchen das schwebende Kerbthier, bemerken aber auch sehr bald das feine Roßhaar, an welches die Angel befestigt ist, und lassen alles vorsichtig unberührt, selbst wenn sie wenig Futter haben sollten.[1]
Manchmal gibt es auch Unstimmigkeiten bei der biologischen Taxonomie:
Weder Halbaffe noch Fledermaus, haben die Pelzflatterer (Galeopithecus), Vertreter einer besonderen Familie (Galeopithecida oder Dermoptera, Ptenopleura und Nycteromorpha) und einzigen Sippe, den Forschern von jeher viel Kopfzerbrechen gemacht. Linné stellt sie zu den Halbaffen, Cuvier zu den Fledermäusen, Geoffroy zu den Raubthieren, Oken zu den Beutelthieren und Peters endlich, wohl mit Recht, zu den Kerbthierfressern, deren Reihe sie eröffnen. Entsprechend der Unsicherheit der Forscher heißt die bekannteste Art unter anderen noch geflügelter Affe, Flattermaki, fliegende Katze, wunderbare Fledermaus usw.[3]
Nachweise:
[1] Damen Conversations Lexikon, Vampyr, hrsg. von Carl Herloßsohn, Leipzig 1834 bis 1838, Directmedia, Berlin 2005, Digitale Bibliothek Band 118, S. 11155 (vgl. Damen-CL Bd. 10, S. 294, Directmedia, Berlin 2005, Digitale Bibliothek Band 118.
[2] Brehms Tierleben, Säugethiere: Erste Reihe: Handthiere, Kolorierte Originalausgabe, S. 882 (vgl. Brehm-TL Bd. 1, S. 288).
[3] Brehms Tierleben, Säugethiere: Zweite Reihe: Krallenthiere, Kolorierte Originalausgabe, S. 2783 (vgl. Brehm-TL Bd. 2, S. 220).

2020.04.08

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 9)

Die Geschwindigkeit, mit der die Landesgrenzen europaweit geschlossen wurden, überrascht. Und fraglich ist immer noch, wie sinnvoll das überhaupt war und welchen Eindruck es von uns in Europa hinterlässt. Auch die Schulen und Universitäten machte man binnen kürzester Zeit dicht, so als würde es gar keine Alternative geben, etwa einen stark reduzierten Betrieb. Verständlich wird diese Reaktion auf COVID-19 zum einen als radikale Maßnahme zur Bekämpfung des Virus. Sie ist aber auch im Hinblick auf die Einführung einer Fernschule, einer allgemeinen Fernuniversität etc. zu sehen. Wenn die praktische Erfahrung auf das ›Homeschooling‹ auch ernüchternd war, so könnten wir doch in diesen Wochen schonmal in die Zukunft des Bildungswesens geblickt haben. Es wird dies ein Bildungswesen sein, das auf das Digitale, also den Fernunterricht bzw. die physische Abwesenheit von Lehrern, setzt. Keineswegs, weil der Umgang mit digitalen Medien den Schülerinnen und Schülern und Studentinnen und Studenten eine bessere Zukunft gewährt oder weil der Unterricht auf diese Weise besonders interessant gestaltet werden kann. Es geht vielmehr darum, die teuren Personalkosten auch hier sukzessive zurückzufahren und in Content und Fernbetreuung zu überführen, mit einem Rest an Realpräsenz. Denkbar ist, dass die Zukunft des Bildungswesens genau so läuft, wie wir es eben sehen. Die Schüler bekommen Aufgaben. Diese müssen sie selbstständig, d.h. im Kreise der Familie, einer selbst zu finanzierenden Hilfe bzw. in einer unverhältnismäßig großen Gruppe, lösen. Wem dies nicht gelingt, der fällt schon im Vorhinein aus dem System heraus und wird auf eine moderne Weise proletarisiert. Die Selbstverfleißigung, die Selbstdisziplin, sich vorzustellen, was gelernt werden müsse, das Ertragen der sozialen Isolation - das alles gehört dazu. Nur Wohlhabende würden in diesem Szenario noch die Mittel haben, physische Lehrpräsenz zu bezahlen bzw. die Kinder auf eine adäquate Weise zu fördern. Die anderen würden einen Fern- bzw. apräsenten Unterricht bekommen mit physischer Prüfung, bei der rückwirkend die erbrachte Leistung getestet würde.

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 10)

Dass das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit (etwa als Schutz vor Infektion) in Deutschland so gering geschätzt wird,[1] hat sicherlich kulturelle Gründe. Für das Maskieren gibt es, außer in Zeiten des Karnevals, im antiken Griechenland oder der Commedia dell'arte, kein traditionelles Vorbild. Es dürfte aber auch ganz konkrete politische Gründe haben. Gesetzt den Fall, die Beschränkungen würden aufgehoben, wäre im Falle einer ›Maskenpflicht‹ auch das Vermummungsverbot tangiert.[2] Bei den zu erwartenden Demonstrationen wegen der wirtschaftlichen Einschnitte wäre dies aber ein erheblicher Faktor. Auch das Gesetz zur Gesichtsverhüllung[3] wäre davon betroffen. Und was unterscheidet eine Atemschutzmaske von einer Burka? Der Stoff, die Farbe, der Stil? Damit wäre also eine Debatte losgetreten, die man eigentlich für beendet hielt. Dies sind eben auch Gründe dafür, die Atemschutzmaske nur als freiwillig zu tragende einzuführen.
[1] Siehe dazu die Antwort von Angela Merkel anlässlich der Pressekonferenz vom 6. April 2020:
»Eine zweite kurze Frage zum Thema Masken. Die Leopoldina, die Sie ja auch gerade erwähnt haben, empfiehlt ja am Freitag eine Mund- und Nasenschutzpflicht für die gesamte Bevölkerung mit einfachen Masken. Warum zögern Sie bisher, so eine Pflicht auszurufen?
BK’in Merkel: Erstens sind wir ja noch in der Phase, in der wir uns die Ratschläge der Experten immer wieder anhören. Ich sage einmal: Am Anfang gab es mehr Zurückhaltung zu diesen Masken, zu den Alltagsmasken, wenn ich das jetzt einmal so sagen darf. Jetzt wandelt sich auch die Meinung der Experten, und der werden wir uns natürlich nicht entgegenstellen.«, Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zu den Maßnahmen der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Coronavirus, https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzlerin-merkel-zu-den-massnahmen-der-bundesregierung-im-zusammenhang-mit-dem-coronavirus-1739654.
[2] Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz), § 17a Abs. 2, https://www.gesetze-im-internet.de/versammlg/BJNR006840953.html
[3] Gesetz zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften, https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=//*%5B@attr_id%3D%27bgbl117s1570.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl117s1570.pdf%27%5D__1586358688354

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Wie verschwinden die Seuchen? Nur durch ›Herdenimminität‹ oder ›Impfung‹?

2020.04.07

Vollmond

Vollmond. 07. April 2020, 23.04h

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In die deutsche Sprache sind, vor allem seit dem 19. Jahrhundert durch Rezeption altgriechischer Schriften, viele Prä-, Suffixe und Wortstämme aus dem Griechischen eingeströmt. Das ist ein schöner Beweis dafür, wie wichtig Fremdwörter sind und wie Sprachen bereichert werden, indem sie den Reichtum anderer Sprachen integrieren. Eine Liste der
- Präfixe aus dem Griechischen findet sich auf https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_griechischer_Pr%C3%A4fixe [Link]
- Suffixe https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_griechischer_Suffixe [Link]
- der griechischen Wortstämme in deutschen Fremdwörtern auf https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_griechischer_Wortst%C3%A4mme_in_deutschen_Fremdw%C3%B6rtern [Link]

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 8)

»Eine Bedingung der auf dem Kapital basierten Produktion
ist daher die Produktion eines stets erweiterten Zirkels
der Zirkulation, sei es daß der Kreis direkt erweitert
wird oder daß mehr Punkte in demselben als Produktions-
punkte geschaffen werden. Erschien die Produktion zu-
nächst als gegebne Größe, so erscheint sie hier als be-
wegte und durch die Produktion sich selbst ausdehnende.
Danach erscheint sie schon selbst als ein Moment der Pro-
duktion. [...] Die Tendenz den Weltmarkt zu schaffen
ist unmittelbar im Begriff des Kapitals selbst gegeben.
Jede Grenze erscheint als zu überwindende Schranke.«[1]

Eine Herausforderung ist Corona deshalb, weil die gewöhnliche Logik, mit Krisen umzugehen, umgekehrt werden muss. Gewinnmaximierung erfolgt durch Expansion, Spekulation, Intensivierung, Steigerung, Verbesserung, Beschleunigung, Verteilung der Produktion, Optimierung, Effizienzsteigerung und Dynamisierung. Nun zwingt uns COVID-19 dazu, zu warten, zu ruhen und zur Stille. Das ist aber das, was das Wirtschaftssystem nicht bzw. ganz schlecht kann. Es ist, wenn man so will, ein blinder Fleck im Kapitalismus, dass das Virus den Stillstand aufzwingt, will man denn nicht Menschenleben opfern. Ruhen bedeutet aber Verlust. So ist diese Krise durch Stillstand vor allem des Luxus-, Freizeit-, Gastronomie-, Tourismus- und Eventsektors in diese Sinne durch verordnetes Nichtstun ausgelöst. Wenn ich das richtig sehe, ist diese Krise, inmitten derer wir uns befinden, damit die erste solcher Art in westlichen Kulturen und die größte in globalem Maßstab. In Japan hat die Gesellschaft schon lange Erfahrung mit kleinen Stillständen. Erdbeben, Tsunami, Taifun und auch Epidemien (SARS) zwingen die Menschen immer wieder dazu, den Alltag zu intermittieren.
Mir scheint, dass dies überhaupt eine ganz wichtige Aufgabe in Zukunft sein wird, die Ökonomie darauf vorzubereiten, unmittelbar in eine Starre verfallen zu können. Dazu braucht es dann ökonomische und humane Reserven, eine zweite (wahrscheinlich hierarchische) Kommunikationsstruktur, die ab einem Entscheidungsmoment allen Menschen zumindest empfiehlt, etwas zu lassen, mit einer Tätigkeit aufzuhören, sich nicht zu bewegen, Orte zu meiden, unmittelbar zu pausieren etc.
Die Verluste, die sich durch das Nichtstun anhäufen, u.a. weil die laufenden Kosten wie Miete etc. weiter bezahlt werden müssen, führen derzeit dazu, dass nahezu alle Regierungen Kredite gewähren. Aber das scheint mir keine wirkliche Lösung zu sein. Zum einen brauchen vor allem die Armen Kredite bzw. die Menschen, die nichts sparen konnten. Aber ihre Chance, diese Kredite zurückzuzahlen, wird nach der Krise nicht besser. Ähnlich trifft es auch Länder. Italien zum Beispiel wird immense Kredite brauchen. Aber es ist bis zu einem gewissen Grad Zufall, dass die Pandemie dieses Land so hart traf. Diese Kredite helfen daher nur kurzfristig. Mittelfristig wird die Situation der Kreditnehmer eher schlechter werden. Es wäre daher am Staat (und an Europa), diesen Menschen und Ländern direkt zu helfen und die Kosten in Bereichen zu übernehmen. Nur der Staat kann dann die Kosten einigermaßen gerecht und sorgfältig aufteilen. Sobald aber die Kredite verteilt sind, gelingt es kaum mehr, dies zu leisten. Ab einem gewissen Maß wird es ohnehin nicht mehr möglich sein, das Risiko zu individualisieren, wie dies Kredite machen. Joschka Joseph Fischer spricht daher bereits vom »Vorsorgestaat«[2].
[1] Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953 [1857-1858], S. 311.
[2] Joseph Fischer: Der Staat wird zum Vorsorgestaat, FAZ, 31.03.2020, S.8.

2020.04.06

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 7)

Das Konzept, dass man gegen einen »unsichtbaren Feind« »kämpfe«, wie »wartime president« Donald Trump meint,[1] scheint mir vergeblich im Hinblick auf ein Virus. Was meint denn hier kämpfen? Man kämpft im Krieg, schießt und bombardiert. Und natürlich, die Armee wird eingesetzt, um dann den bereits erfolgten Ausbruch der Krankheit so gut als möglich zu organisieren. Aber in diesem Sinne kann man gegen ein Virus nicht kämpfen. Man kann ihm nur begegnen, vielleicht mit der Einsicht der eigenen Ohnmacht, ihm ausweichen. Dieser Mikrobereich ist uns doch weithin verschlossen und wir können vor allem mit nichtpharmazeutischen Methoden die Infektion verlangsamen, vielleicht putzen, desinfizieren. Der Begriff »unsichtbarer Feind« setzt doch voraus, dass es einen Feind gibt und man diesen zumindest sichtbar machen kann. Aber das ist nicht der Fall. Wir begegnen dem Virus eben nicht aktiv (kämpferisch), sondern erduldend, uns mäßigend. Die Gesellschaft kann in eine Art von Starre versetzt werden, einen Winterschlaf. Und dieser dann verhindert, passiv, die Verbreitung des Virus. Aber sobald das Virus mit militärischen Mitteln bekämpft wird, ist es bereits zu spät. Es ist ja gerade so, dass dieser ›Feind‹ sich nicht versteckt, wie etwa die Vietcong im Vietnamkrieg, Unsichtbarkeit ist und bleibt der Wesenszug des Virus.[2]
Die Frage ist auch, was die elektronische Überwachung der Infizierten bringen soll.[3] Auch hier ist doch Augenmaß gefragt. Und eine Erfassung der Handydaten, um zu erkennen, ob man in der Nähe eines Infizierten war, ist doch im Falle von COVID-19 gar nicht möglich. Es gibt doch asymptomatische Erkrankungen. Diese würden doch durch solche Systeme gar nicht erfasst. Auch fragt sich, welchen Einfluss diese Systeme auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt hätten. Die Erkrankten würden doch sicherlich stigmatisiert. Und was macht einer, dessen Daten nahelegen, dass er einen anderen angesteckt hat? Und wenn dieser Andere vielleicht an der Erkrankung stürbe? Was wären dann für Argumentationsketten geschaffen, die letztlich auf sehr vielen Ungewissheiten beruhen? Wie würde sich dann eine Angst ausbreiten, sich überhaupt noch in der Öffentlichkeit zu zeigen? Jeder müsste doch befürchten, als ein Unverantwortlicher den öffentlichen Raum betreten zu haben. Dabei sollten öffentliche Räume doch Schutzbereiche sein, in denen wir uns in der Allgemeinheit aufgehoben fühlen.
[1] Trump: »We must sacrifice together because we are all in this together and we’ll come through together. It’s the invisible enemy. That’s always the toughest enemy: the invisible enemy. But we’re going to defeat the invisible enemy. I think we’re going to do it even faster than we thought. And it will be a complete victory. It’ll be a total victory.«; »And, yeah, I look at it — I view it as a, in a sense, a wartime president. I mean, that’s what we’re fighting.«, in: The White House, President Trump: Remarks by President Trump, Vice President Pence, and Members of the Coronavirus Task Force in Press Briefing, 18.03.2020, https://www.whitehouse.gov/briefings-statements/remarks-president-trump-vice-president-pence-members-coronavirus-task-force-press-briefing-5/
[2] »The Vietcong used the cover of the jungle, which they knew well, to their advantage. They fought a hit-and-run guerrilla war against inexperienced American soldiers, many of whom were young conscripts. The threat of an invisible enemy and hidden traps like punji sticks – sharpened sticks of bamboo which were laid in traps - had a demoralising psychological impact on US troops.«, in: The Vietnam War, BBC, https://www.bbc.co.uk/bitesize/guides/z89hg82/revision/5.
[3] Marcel Heberlein: Corona und Handydaten. Mit Tracking zurück zur Bewegungsfreiheit?, Tagesschau.de, https://www.tagesschau.de/inland/corona-handydaten-103.html


***

Der Spiegel veröffentlichte Ende März ein Interview mit Jutta Ditfurth. Dort berichtet sie von ihrer COVID-19 Erkrankung und den damit verbundenen Existenzängsten.[1] So wird es leider vielen Menschen gehen, wenn Kultur nicht mehr als ›systemrelevant‹ verstanden wird. Das ist sehr traurig, aber auch wieder mal sehr mutig, dass Frau Ditfurth ihre persönliche Situation öffentlich macht.
[1]Verena Töpper: Spendenaufruf von Grünen-Mitgründerin Jutta Ditfurth. ›Ich bin in echter Existenznot‹, Der Spiegel, https://www.spiegel.de/karriere/jutta-ditfurth-ich-bin-in-echter-existenznot-a-cc00d6d3-a5ab-4465-9675-68c1b10bdc16 [Link]

2020.04.05

Society, you’re crazy breed
I hope you’re not lonely without me
Eddie Vedder Society


Modedesignerin Tonia Merz startete eine Petition:
»Ich bin seit 19 Jahren selbstständige Modedesignerin und habe 5 Angestellte. [...] Was mir trotz überdurchschnittlich viel Arbeit nicht gelang, ist Rücklagen zu bilden, die mich und mein Team durch eine Krise, wie wir sie derzeit erleben, retten könnten.[...] Deutschland ist ein reiches Land – Sie reden von Billionenkrediten für die Wirtschaft! Was dem Land aber auch helfen würde, ist die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von 800-1200€ pro Person für 6 Monate.«[1]
Heute, Stand 21:12 Uhr, hat diese Initiative bereits 441.137 Unterstützerinnen und Unterstützer, Ziel: 500.000.
[1] Tonia Merz: Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen durch die Coronakrise, https://www.change.org/p/finanzminister-olaf-scholz-und-wirtschaftsminister-peter-altmaier-mit-dem-bedingungslosen-grundeinkommen-durch-die-coronakrise-coronavirusde-olafscholz-peteraltmaier-bmas-bund-hubertus-heil



Rigmar Osterkamp schreibt in seiner ifo-Studie Das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich: Bewertung und Reformalternativen:
»Die geringe Kosteneffizienz des deutschen Gesundheitswesens, die sich nicht zuletzt in hohen und steigenden Beitragssätzen zu den gesetzlichen Krankenkassen niederschlägt, besteht nicht erst seit gestern und ist auch nicht unbekannt. Mehrere Reformschritte wurden in den vergangenen Jahren vollzogen«[1]
Osterkamp diskutiert dann zwei Modelle, um die Kosten zu senken. Aber wie kann ein Gesundheitssystem effizient sein? Es muss doch Reserven geben, wie doch die derzeitige Corona-Krise eindeutig zeigt.
[1] Rigmar Osterkamp: Das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich: Bewertung und Reformalternativen, ifo Schnelldienst, 2001, 54, Nr. 10, 9-16, https://www.ifo.de/publikationen/2001/aufsatz-zeitschrift/das-deutsche-gesundheitssystem-im-internationalen-vergleich, S. 12. [Link]

Wiederum das Ifo Institut hat die Studie Die Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie tragfähig gestalten erarbeitet, dort heißt es:
»Selbst wenn es gelingen sollte, durch die gegenwärtigen Maßnahmen die Pandemie wesentlich zu verlangsamen, um die Zahl der notwendigen Intensivbehandlungen zeitlich breiter zu strecken, so würde eine einseitige Bevorzugung der COVID-19-Patienten im Gesundheitssystem durch Freihaltung von Intensivkapazitäten und Konzentrierung aller auch personellen Behandlungsressourcen auf dieses Krankheitsbild die Versorgung von Patienten mit allen anderen Erkrankungen wie Krebs, Herz-Kreislauf- oder Autoimmunerkrankungen etc. entsprechend verschlechtern. Um dies zu vermeiden und Patienten mit COVID-19 und andere Patienten gleichermaßen und nach gleichen Kriterien versorgen zu können, kann nur ein gewisser, ggf. der Lage anzupassender Prozentsatz der Ressourcen des Gesundheitssystems für die Versorgung von COVID-19-Fällen reserviert werden. Beide Gruppen, COVID-19-Fälle ebenso wie andere nicht aufschiebbare Behandlungen, würden so unter Kapazitätsengpässen gleichermaßen leiden.«[1]
[1] Ifo Institut (Andrea Abele-Brehm u.a.): Die Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie tragfähig gestalten. Empfehlungen für eine flexible, risikoadaptierte Strategie, S. 5, https://www.ifo.de/publikationen/2020/monographie-autorenschaft/die-bekaempfung-der-coronavirus-pandemie-tragfaehig
[Link]

Anleitung zum Bau einer Sonnenuhr. [1]
[1] Sonnenuhr zum Selberbauen, Geolino, https://www.geo.de/geolino/basteln/8123-rtkl-diy-sonnenuhr-zum-selberbauen
[Link]

Die Modulierung der Stimme und damit die Rettung individuellen Stils in der Digitalisierung. Als Beispiel die lt. Der Spiegel deutsche Stimme der Siri für iOS 5 und 6, Heike Hagen.[1]
[1]Anja Tiedge: Deutsche Siri. ›Wer sich in eine Computerstimme verliebt, tut mir leid‹, Der Spiegel, 27.03.2014, https://www.spiegel.de/karriere/deutsche-siri-stimme-a-960905.html


Die Frage ist doch, was ›systemrelevant‹ in Zeiten von Corona meint. Man versteht darunter offenbar alles, was zur ›kritischen Infrastruktur‹ gehört: Krankenhäuser, Apotheken, Arztpraxen, Drogerien, Supermärkte, Logistik, Erntehelfer. Nicht systemrelevant (und daher geschlossen) sind: Gaststätten, Restaurants, Geschäfte, Kaufhäuser, Museen, Bibliotheken, Vereine, Sport, Theater, Oper, Kulturveranstaltungen und Konzerte. Dazwischen liegen Schulen und Universität. Sie sind offenbar bedingt systemrelevant und finden daher virtuell statt.[1]
[1] Siehe dazu Wolfgang Janisch: Wer ist systemrelevant?, Süddeutsche Zeitung, 20.03.2020, https://www.sueddeutsche.de/karriere/coronavirus-job-infrastruktur-kassierer-1.4850997

2020.04.04

Der Abendduft von frischer Wiese.
Ruhe in der Stadt.
Die Sterne am blauschwarzen Himmel.
Vögel singen leise.
Schatten der Bäume.
Die Abendstadt menschenleer wie in der Nacht.
Heilende Kräfte im Hintergrund.
Leises Autorauschen in der Ferne.
Windstille.



Zen - Introduction to zen practice / full version - Taigen Shodo Harada Roshi, Youtube, https://www.youtube.com/watch?v=LL2XUTeoUsM

Tageshimmel 2020-04-04
Keine Kondensstreifen am Sonnenhimmel.
Shopping verboten.
Tourismus verboten.
Events verboten.
Die Natur ruht.
Der Mensch ruht.
Der Geist ruht.
Weltweit.
Nur so verschwindet das Virus:
Indem wir auf all das verzichten,
was wir für unverzichtbar hielten.
Das Virus vermehrt sich nicht,
wenn
wir
ruhen.

2020.04.03

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 6)


Demokratien können mit Pandemien anders umgehen als autoritäre Regime. Sie können (und müssen) passgenauer arbeiten. Die Ausbreitung von Pandemien lässt sich durch sehr einfache Schritte verhindern bzw. verlangsamen, die aber früh ergriffen werden müssen. Wenn etwa in Lokalen die Biergläser gründlich gereinigt würden, ließe sich sicherlich schon ein guter Teil der Ansteckungen reduzieren. Es gehört eine Portion Phantasie dazu, den Alltag zu entleeren und die entsprechenden Sicherheitsmechanismen einzuführen. Die Verdichtung, die auch immer eine Gewinnmaximierung ist, muss dabei aber gelockert werden. Aber ein totaler Lockdown scheint mir gar nicht notwendig, wenn früh reagiert würde. Dabei geht es doch auch darum, die ›Lebensadern‹ von Demokratien zu erhalten. Also: Wenn Supermärkte, Drogerien, Apotheken als ›systemrelevante Infrastruktur‹ geöffnet haben können, so müsste das doch auch für ein Museum, ein Theater, eine Oper gelten! Natürlich, das Orchester wäre verteilt, die Bühne entleert, ein Schauspieler auf der Bühne, das Publikum säße weit auseinander, eine kleine exklusive Schar, aber die Aufführung fände statt, die Ausstellung würde besucht! Vorstellbar wäre auch, den Ausstellungsbesuch mit einer Prise Humor und Esprit zu versehen. Damit die Abstandshaltung der wenigen Ausstellungsbesucher gewahrt bliebe, könnte man Gängelwagen (Laufställe) für Erwachsene bauen, in Kneipen Glaswände einziehen etc. Der öffentliche Raum würde massiv verändert, er stürbe aber nicht ab. Er würde wie ein Patient am Leben erhalten. Wichtig wäre hierbei auch, dass so dem Notstandsgefühl etwas entgegengesetzt würde. Der Ausnahmezustand wäre damit in Anführungszeichen gesetzt und Hoffnung auf eine Besserung erlebbar gemacht. Der Staat würde damit kommunizieren, dass ihm das seine Bürgerinnen und Bürger wert seien! Dazu arbeiten Demokratien mit Verständnis, Erklärung und Einsicht, also mit Bildung und Wissen von der Krankheit und ihrem Verbreitungsstil anstelle von Verboten. Wir leben nicht in einem Kriegszustand, sondern in einer Gesellschaft, die sich vor der Angst gegenüber dem Virus verinnerlicht, die sich in sich zurückzieht wie eine Schnecke bei Gefahr in ihr Haus zurückgleitet. Das Problem ist eben, und damit auch die Herausforderung für Demokratien, dass das Virus vor allem den öffentlichen Raum für seine Verbreitung braucht - und damit den Raum der Demokratien ›besetzt‹. Diese müssen dann mit kreativen Maßnahmen antworten, die schnell sind und effizient, aber den öffentlichen Raum weiter offen halten und dieses Hochrisikogebiet schützen. Es ist eine gesellschaftliche Pause. Das Maskentragen ist nicht nur eine Belastung, es hat durchaus auch etwas Karnevaleskes, dass man nun nahezu unentdeckt und anonym sich im übrig gebliebenen öffentlichen Raum bewegt. Wichtig ist auch, dass die kleinen Läden, die Künsterinnen und Künstler, die Freelancer, Stipendiaten alle für eine Zeit weiter finanziert werden. Sie könnten keinen Kredit zurückzahlen. Diese ›Kleinstunternehmer‹ vor dem Ruin zu bewahren und ihnen Sicherheit zu geben, hätte den Vorteil, dass sie jetzt, in der Krise, in Ruhe arbeiten könnten und Projekte vorbereiten, Theaterstücke, Texte und Abhandlungen schreiben könnten, Shops konzipieren, ein Verständnis erarbeiten, das uns allen dann einen positivem Schwung nach der Pandemie gibt!

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Auf Arte streamen gerade die Berliner DJs, da die Clubs geschlossen haben. Das Programm heißt United We Stream. Hier etwa: United We Stream #11: Triangle Agency X Hör. Mit Juliana Huxtable, Setaoc Mass, Tommy Four Seven, Ziúr, https://www.arte.tv/de/videos/096844-011-A/united-we-stream-11-triangle-agency-x-hoer/ [Link]

Der Quetzal, Pharomachrus mocinno, ein Vogel, der in den Wolken- und Nebelwäldern lebt, und von den Azteken verehrt wurde. Ein Bild bei Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Quetzal_(Vogel)#/media/Datei:Quetzal01.jpg [Link]

Die Stimme von Apples Siri, lt. MacLife: Susan Bennett. Durch die synthetischen Operationen hindurch, durch falsche Betonungen und abgehakte Wörter klingt doch eine angenehme Grundmelodie. Wir merken: Da ist noch ein Mensch! In einem Interview sagt Bennett über den Namen Siri: »Der Name Siri stammte von den eigentlichen Erfindern der Technologie, einem Team um den norwegischen Entwickler Dag Kittlaus. Seine Frau und er wollten ursprünglich das Baby, das sie erwarteten, Siri nennen, wenn es sich um ein Mädchen handeln würde. Und wie das Leben so spielt, bekamen die beiden einen kleinen Jungen. Also verpasste Dag eben seinem Sprachassistenten den Namen Siri. Der Name meint im Norwegischen übrigens ›Schöne Frau, die dich zum Sieg geleitet‹.«[1]
[1] Thomas Raukamp: Die Stimme von Siri: Susan Bennett im Mac-Life-Interview, MacLife, 03.10.2017, https://www.maclife.de/news/stimme-siri-susan-bennett-mac-life-interview-10096311.html

2020.04.01

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 5)


Ein demokratischer Umgang mit Pandemien lässt sich klar skizzieren: Es ist ein Umgang, der die demokratischen Strukturen, Umgangsformen und Entscheidungsprozesse wahrt. Das heißt konkret:
- Die Entscheidungsträger verantworten sich öffentlich, machen ihre Beweggründe transparent und stehen für kritische Rückfragen zur Verfügung. Parlamentarische Entscheidungen finden statt, aber mit geringerer Anzahl von Parlamentariern.
- Fehler werden öffentlich eingestanden und darüber debattiert.
- An Stelle von denen in Skizze (4) diskutierten freiheitseinschränkenden Maßnahmen treten prophylaktische Maßnahmen. Ein demokratischer Staat muss daher möglichst früh intervenieren, die Freiheit jedes Einzelnen wahren, Vorsorge treffen, dass der Einzelne sich schützen kann (etwa durch Bevorratung von Masken, Schutzkleidung etc.).
- Demokratisch mit Pandemien umzugehen, heißt auch, sich auf mitmenschliche Tugenden zu besinnen: Achtsamkeit, Nächstenliebe, Differenzierung anstatt Diskriminierung. Achtsamkeit kann Kontrolle (zum Beispiel der Ortung der Handys) ersetzen. Es braucht aber hierfür eine Sensibilität und Schulung.
- Ganz wesentlich scheint mir auch der Umgang mit den positiv Getesteten, also den Infizierten. Diese müssen bevorzugt und höflich behandelt werden. Dies erleichtert zum einen die Gesundung, ist aber auch Pflicht, um nicht Sekundärrassismen Raum zu geben, die die Infizierten wie Aussätzige behandeln.
- Damit es die Schwächsten der Gesellschaften nicht trifft, muss der Staat Reserven auch für sie bilden. Es sollten keine Kredite sein, denn niemand hat ja an der Infektion Schuld. Hier muss der Staat, nach filigranen Verfahren, sehr präzise und urteilsfähig entsprechende Hilfen gewährleisten.
- Es muss eine Fähigkeit der Gesellschaft ausgebildet werden, schnell in eine Ruheposition zu gehen, aus der heraus die Pandemie sich nicht verbreiten kann. Diese Zurückhaltung, Ruhe ist kein Luxus, sondern notwendig im Umgang mit Pandemien.
- Eine rasche Entdynamisierung ist wichtig, das heißt aber auch, dass die Geschwindigkeit der Abläufe insgesamt herabgesenkt werden muss. Dies wirkt sich auch in einer Milderung des Stresses aus, der wiederum Anlass ist, etwa touristische Ersatzerlebnisse zu hamstern oder etwa in einer Eventkultur einen Ausgleich zu suchen, der aber nur zu einem Mehr an Verdichtung führt. Gleichzeitig zu dieser Entdynamisierung müssen spezifische Bereiche extrem dynamisiert werden, um der exponentiellen Verbreitung des Virus zu begegnen, also etwa die Produktion von Schutzkleidung, der medizinische Sektor etc.
- Wichtig ist auch, dass Kultur, Wissenschaft, Bildung als systemrelevant verstanden werden, was man bei den derzeitigen Reaktionen oft vermisst. Eine Einübung von Abläufen, Kontaktherstellung in Zeiten ohne Pandemie ist dabei ganz wichtig. Die Verlagerung der Kultur, Schule und Wissenschaft in den virtuellen Raum führt mehr zur Repräsentation von Abläufen, ersetzt aber keineswegs die physische Präsenz. Auch hier wäre denkbar, eine Ansteckung zu verhindern, indem man etwa in den Schulen die Klassengröße so senkt, dass eine Infektion sehr unwahrscheinlich ist. Ähnliches kann auch in anderen Bereichen geschehen. Dadurch entstehen auch Pausen, Verlangsamungen, die aber ein Teil der Umgangsstrategie mit dem Virus sind. Aber so würden die Lebensadern aller Strukturen aufrecht erhalten werden. Ein totaler Lockdown ist demgegenüber ein brutaler Vorgang.
- Ein demokratischer Umgang kann die Krankheit positiv wenden. So wie ein Kind, wenn es krank ist, verwöhnt wird, so sollte auch der Staat die Bürger beschützen. Denn die Krankheit mutet ihnen sowieso schon genug zu. Der Staat aber kann Vorsorge treffen. Dazu könnte etwa auch gehören, dass man sehr flexibel auf die Situation der Menschen reagiert. Auch dazu würde gehören, dass der Staat den öffentlichen Raum entdichtet, ihn besonders pflegt, desinfiziert, putzt, reinlich hält. So würde den Bürgerinnen und Bürgern signalisiert, dass mit der Krankheit auf eine positive Weise umgegangen wird. Sie ist kein Feind, den man zu bekämpfen hat, sondern zeigt letztlich nur eigene Schwächen massiv auf. Krankheiten haben bei Individuen und auch bei Kollektiven immer auch ihre Ursachen. Diese offen zu thematisieren, wäre ein demokratischer Umgang mit Corona, der sich in der Zukunft sehr positiv auswirken könnte. Dazu gehören auch politische Bündnisse, die man stärken kann, wenn man denn auf das Kalkül mal verzichtet und Menschen wie Staaten vertraut und ihnen beisteht.


***

Platons Dialog Nomoi (dt. Gesetze) stellt die Unterhaltung dreier älterer Männer (Kleinias, Megillos und ein Athener) während einer Wanderung dar. Kleinias Motivation ist ganz praktischer Art, er soll nämlich eine griechische Siedlung vorbereiten. Der Text selbst arbeitet dann die verschiedenen Themenfelder ab, er liest sich dadurch manchmal etwas zäh. Platon versteht die Gesetzgebung letztlich als Seelenerziehung. Dies wird in verschiedenen Beispielen deutlich. Eine sehr schöne Stelle handelt vom Kinderspiel:
»DER ATHENER: Ich meine also und behaupte, dass, wer in irgend einer Sache ein tüchtiger Mann werden will, sich gleich von Kindheit auf eben in ihr üben und im Scherz wie im Ernst mit allen solchen Dingen beschäftigen muss, welche sich auf sie beziehen. Wenn etwa einer ein tüchtiger Landwirt und ein anderer ein tüchtiger Baumeister werden will, so muss das Spiel des letzteren darin bestehen, Kinderhäuschen zu bauen, und das des ersteren, Land zu bearbeiten, und jedem von beiden muss der Erzieher [C] verkleinerte Nachbildungen der wirklichen Gerätschaften in die Hand geben [...] und muss versuchen, bei ihren Spielen die Lust und Liebe der Knaben auf das hinzulenken, worin sie zum eigentlichen Ziele ihrer Tätigkeit [D] gelangen sollen. Als Hauptsache der Erziehung bezeichne ich also die richtige Anleitung, welche die Seele des Spielenden möglichst zur Liebe zu dem hinführt wodurch er, Mann geworden, allein die vollendete Meisterschaft in seiner Kunst erreichen kann.«[1]

Natürlich geht es dann auch immer um die Relation von Staat und Mensch. Eine interessante Passage behandelt das Thema Gefühle:
»DER ATHENER: So wollen wir uns denn die Sache folgendermaßen vorstellen. Wir wollen jedes von uns lebendigen Wesen als eine Gliederpuppe ansehen, welche die Götter, sei es bloß zu [E] ihrem Spielzeug, sei es zu einem ernsteren Zwecke, gebildet haben, denn das wissen wir so recht eigentlich nicht. Das aber wissen wir, dass die eben genannten Regungen in uns gleichsam wie Fäden oder Schnüre uns leiten und, wie sie einander entgegengesetzt sind, einander entgegenwirkend uns zu entgegengesetzten Handlungen hinziehen, und dass eben hierin der Unterschied von Tugend und Laster beschlossen liegt. Einem dieser Züge nun, sagt die Vernunft, müsse ein jeder folgen, sich nie von ihm losmachen und dagegen dem aller anderen Fäden widerstreben, [645 St.2 A] und dies sei die goldene und göttliche Leitung der vernünftigen Überlegung, welche auch den Namen des gemeinsamen Staatgesetzes führt, die andern Fäden seien hart und eisern, dieser hingegen, weil er von Gold ist, geschmeidig, und überdies seien die anderen auch unter sich selbst wieder von der verschiedensten Art. Man müsse demnach jener schönsten Leitung, welche eben das Gesetz ausübt, stets zu Hilfe kommen, denn da die vernünftige Überlegung zwar eine schöne, aber auch eine milde und nicht gewaltsame Führerin ist, so bedürfe sie auch der Unterstützung, damit der goldene Faden in uns aller anderen Fäden Herr werde. Und so wäre denn wohl diese bildliche Darstellung der Tugend, welche uns mit Puppen [B] vergleicht, gerechtfertigt, und wenigstens bis zu einem gewissen Grade hin klarer gemacht was das Sichselbstüberwinden und Sichselbsterliegen besagen will, und was den Staat und den Einzelnen anbetrifft, dass der Letztere, nachdem er die richtige Ansicht über diese Züge aus sich selber gewonnen, auch nach ihr sein Leben einrichten, der Staat aber, nachdem er, sei es von den Göttern oder von eben Jenem, der diese richtige Ansicht gewonnen, dieselbe [C] übernommen hat, sie als Gesetz hinstellen und nach ihr seinen inneren Verkehr sowie den mit anderen Staaten regeln müsse.«[2]

Der Mensch ist wie eine Marionette, und die Gefühle sind die Fäden. Aber der Staat vermag es, den goldenen Faden des Menschen zu leiten. Das Bild der Marionette ist schön gewählt. Ob der Staat den goldenen Faden immer findet und ob er diesen immer richtig leitet, sei dahingestellt. In einigen weiteren Passagen fragt Platon dann danach, wie man eine Gemeinde gerecht aufteilen könne. Dabei findet er eine wirklich interessante Zahl, nämlich die Zahl 5040:
»[...] die Zahl 5040 vorzuziehen, weil sie sich überdies durch alle Zahlen von Eins bis Zwölf mit Ausnahme der Elf dividieren lässt, ja auch für die Elf ist leicht Rat zu schaffen. Denn auch diese Teilung wird hergestellt, wenn man nach jeder Seite je eine Feuerstelle wegnimmt«[3]

[1] Platon: Nomoi, übersetzt von Franz Susemihl, 1863, Erstes Buch, 643 St.2 A, zit. nach http://www.opera-platonis.de/Nomoi.pdf
[2] Platon Nomoi, a.a.O., Erstes Buch, 644 St.2 A f.
[3] Platon Nomoi, a.a.O., Viertes Buch, 771 St.2 A.

2020.03.31

Sometimes I slide away
silently
Depeche Mode Heaven


Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 3)

Wer zahlt die Schulden, die durch Corona entstanden?

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 4)


Die westlichen Gesellschaften haben Chinas Reaktion des harten Durchgreifens kopiert. Da man die subperzeptiven Dimensionen des Virus nur indirekt, mit höchstem technischen Einsatz (Elektronenmikroskopie, Molekularbiologie etc.), statistisch nur erahnen kann, lässt sich die Pandemie allein durch Veränderung des Alltags verlangsamen oder gar stoppen. Das heißt konkret:
- Technische Kontrollregime schaffen und nutzen (Auslesen der Handydaten, um infizierte Kontakte zu finden, Fiebermessung und Corona-Tests an den Grenzen oder in bestimmten Regionen)
- Isolation (Quarantäne, Arrestzonen, ausgesonderte Krankenlager, die Wohnung als Schutzzelle, Ausgangssperren/Ausgangsbeschränkungen)
- Erlass von Verhaltensvorschriften und sozialen Regeln (Abstand halten, Distanz, nur Kleingruppen sind erlaubt)
- Verhüllung (Verhüllung des Leibes durch Schutzkleidung, Atemmasken, Hauben, Brillen)
- Verlangsamung gesellschaftlicher Abläufe und Kontakte (Reduktion des Verkehrs, Bahn, Stoppen des Flugverkehrs)
- Verbote, Einschränkungen und Schließungen von Orten der Öffentlichkeit: Schulen, Universitäten, Parlamenten, Museen, Cafés, Restaurants, Geschäfte, Firmen, touristische Orte, Parks, Galerien, Konzerthäuser, Theater und Clubs
- Aussetzen physischer Begegnungen und Verhaltensformen (Händeschütteln, Umarmen, körperliche Nähe)
- Verlagerung der Kontakte, Kommunikation und des Konsums in das Internet und die Medien
Man macht dies, weil man abstrakt weiß, dass sich so der Ausbruch der Krankheit verlangsamen lässt. Aber das Problem ist, dass die Öffentlichkeit als Begegnungsort selbst das Fundament von Demokratien bildet. Wenn die öffentlichen Stätten, wie zum Beispiel Museen, veröden und sämtliche Kontakte nur noch verbildlicht und medial erlaubt sind, so wird die Demokratie auf Dauer ruiniert. Es entstehen so Brachen, Raine, weil wir glauben, dass wir nur auf eine bestimmte, nämlich autoritäre Art, mit dem Virus umgehen können. So verkehren sich innerhalb von Tagen die demokratischen Tugenden: Freiheit als Maß für Demokratie wird ausgetauscht mit dem Verbot als Maß dafür, die Bürger zu schützen, Anwesenheit als Basis von Vertrauen wird durch Abwesenheit ersetzt - was plötzlich als solidarisch gilt. Die ganze Demokratie verliert ihre physische und präsente Seite, die Gesellschaft ihre Leiblichkeit und damit Jahrtausende alte Umgangsformen. Der Alltag wird an wissenschaftlichen Hypothesen ausgerichtet und das Individuum auf sich selbst gestellt und in seine Einsamkeit zurückgeworfen. Es fehlt an anschaulicher Kollektivität, Impulsivität, Responsivität. Letztere entsteht nur in einem physisch-präsentischen Raum als Gruppe von Menschen. Der Trend der letzten Jahrzehnte, die Produktion durch Roboter zu gestalten, Konsum auf Internet-Versandhäuser zu verlagern, Trends zu Monopolen der Medien beschleunigen sich so enorm. Die ganze Gesellschaft verliert ihre filigrane Seite, ihre Zärtlichkeit und damit ihre Spielräume und Gewissheiten. Je kontaktloser und mechanischer die Ökonomie gedacht wird, desto mehr wird sie in Zeiten von Corona dafür belohnt. Passivität und Ruhe sind auch neue Tugenden, aber letztlich lauert auch die Bedeutungslosigkeit, das Desinteresse an den Menschen in diesen neuen Notständen. Der Mensch wird, in seiner Wohnung in Quarantäne sitzend, sprichwörtlich nicht mehr gebraucht. Er gilt als potentieller Infektionsherd, deshalb verordnet man ihm Hausarrest, dessen Finanzierung er vielleicht selbst tragen muss. Was hier insgesamt verloren ging, wird enorm sein. Es ist dies politisches Kapital, soziale Umgangsformen, die Fähigkeit zur demokratischen Partizipation. Draufgängerisch wirkt es auf einmal, wenn sich Menschen umarmen. Es sollte also darum gehen, demokratische Formen zu finden, mit Pandemien umzugehen.

2020.03.30

Man Vergleiche die Luftqualität vom 30.03.2019 [Link] mit der vom 30.03.2020 [Link], Karte des Umweltbundesamtes.

Die Initiative Öffentliches Geld. Öffentliches Gut unterstützt die Verfügbarkeit von Medieninhalten, die mit dem Rundfunkbeitrag produziert wurden: »Wir alle ermöglichen mit unserem Rundfunkbeitrag die Produktion von Bildungsinhalten. Sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk uns diese Inhalte dann nicht auch frei zur Verfügung stellen?«, https://www.wikimedia.de/oeffentliches-gut [Link]

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 1)


Für das Ende der Pandemie lassen sich verschiedene Szenarien aufstellen:
Szenario I) Es gibt keine Impfstoffe, keine Medikamente. Dann würde die Pandemie vielleicht in einem Land besiegt sein (in China zum Beispiel), aber sich in anderen Ländern weiter ausbreiten. Das heißt konkret, dass es an den Grenzen des Corona-freien Landes Quarantäneschleusen geben müsste, damit das Virus nicht erneut eingeschleppt wird. Diese Maßnahme würde den globalen Tourismus, Geschäftsreisen, den Handel insgesamt auf unabsehbare Zeit belasten. Natürlich besteht die Möglichkeit einer verlangsamten, kontrollierten Durchseuchung, die so lange fortdauert, bis sich das Virus nicht mehr vermehrt. Eine Verlangsamung würde auch durch Testreihen ermöglicht, aber hier werden in derzeitigen Tests nur Antikörper getestet, das Virus kann vorher bereits andere Menschen infiziert haben. Sehr viel hängt auch von der Wirksamkeit der derzeitigen Maßnahmen (Quarantäne, Lockdown, körperliche Distanz, Desinfektion, Schutz durch Maske und Kleidung etc.) ab. Wir wissen nicht, welche dieser Maßnahmen die Ausbreitung wie verlangsamt/verhindert.
Szenario II) Es gibt einen Impfstoff/ein Gegenmittel. Dieser Impfstoff/dieses Gegenmittel müsste möglichst rasch möglichst vielen Menschen zur Verfügung gestellt werden. Das Risiko dabei sind immer auch die Nebenwirkungen, die man bei solch einem flächendeckenden Einsatz kaum vorhersagen wird können. Aber wenn alle Länder sich einig sind, könnte das Virus auf diese Weise systematisch bekämpft werden. Die Experten sagen aber auch, dass das Virus mutiert und daher eine Impfung sicherlich nicht für alle Virenmutationen gleich erfolgreich wäre. Dazu müsste diese stetig angepasst werden - wie heute schon die saisonale Grippeimpfung. Auch ist immer die Frage, ob das Virus nicht wieder den Artensprung vollzieht, vielleicht dann wieder auf den Menschen springt etc. Das alles verkompliziert den Umgang. Prinzipiell wäre es auch möglich, dass das Virus sich in bestimmten Ländern oder zu bestimmten Jahreszeiten oder Bedingungen nicht repliziert, also von alleine wieder verschwindet.
Egal, welche dieser Varianten man annimmt, sicherlich werden bis dahin Wochen oder gar Monate vergehen. Eine solche Zwangspause kann sich eine kapitalistische Gesellschaft kaum leisten. Man wird daher wohl auf Lockerung der Maßnahmen der Geschäftsschließungen, Quarantäne etc. drängen. Die anderen Schutzmaßnahmen müssten dann aber entsprechend konsequent durchgehalten werden, sonst ist anzunehmen, dass sich die Zahl der Infizierten wieder beschleunigt.

Überlegungen für die Zeit nach Corona (Skizze 2)


Ist das Virus erst einmal verschwunden oder seine Verbreitung massiv minimiert, werden folgende Fragen an Bedeutung gewinnen, die derzeit in den Hintergrund gerückt sind:
I) Welchen wirtschaftlichen, sozialen und menschlichen Schaden hat das Virus angerichtet? Hier eine Bestandsaufnahme zu machen, ist nicht einfach, da alleine die Kreditvergabe auf derart vielen Ebenen erfolgt, dass es schwer ist, hier einen Überlick zu gewinnen, welche Verbindlichkeiten wer eingegangen ist. Am Sichtbarsten werden die Schneisen der Verwüstung sein, die das Virus in die Städte geschlagen hat, welche Restaurants, Geschäfte, Galerien, Museen etc. dauerhaft schließen mussten, werden wir dann ganz anschaulich sehen. Natürlich ist da auch die mitmenschliche Seite. Welche Menschen sind nicht mehr da? Welche Menschen wurden krank durch das Virus (oder die Quarantäne)? Welche Diskurse, Verbindungen und Kooperationen sind abgerissen?
II) Schon jetzt zeichnet sich ab, dass bestimmte Länder mehr und andere weniger verloren haben. Aber letztlich kann dies aus heutiger Sicht noch nicht abschließend beantwortet werden. Aber es wird ein Ungleichgewicht geben, das aller Voraussicht nach die Gefälle zwischen Arm und Reich vergrößert, d.h. innergesellschaftlich wie auch in einem globalen Maßstab zwischen den Ländern. Dies wird zu Verwerfungen und Koalitionen führen. Bestehende Bündnisse wie die EU, Pakte, Nato, Handelsbeziehungen etc. werden neu bewertet und evtl. in Frage gestellt werden. Es wird um Verteilungen gehen. Es entstehen neue Hegemonien globaler Macht.
III) Ganz sicherlich wird nach dem Ende der Pandemie auch eine gegenseitige Schuldzuweisung erfolgen. Mögliche Diskursfelder sind: Woher kommt das Virus? Wer wusste von seiner Verbreitung? Wer wurde zu spät informiert? Wer hat Fehler begangen? Welche Strategie war richtig, welche war falsch? Auch diese Konflikte werden innergesellschaftliche wie auch globale sein zwischen den Ländern. Die Diskursdominanz wird dabei über die Folgeleistungen entscheiden, daher werden bestimmte Gruppierungen, sicherlich die, die vorher am mächtigsten waren und nun vom Staat abhängig sind, Forderungen stellen. Dazu wird es Staaten geben, die mehr Einfluss auf die Diskurse haben etc. Es wird viele Verlierer geben, die sich eventuell, sicherlich ganz unvorhersehbar, quer über politische Parteien assoziieren. Das könnte ganz schnell erfolgen. So schnell, wie man Grenzkontrollen eingeführt hat, werden dann auch Fakten geschaffen. Nicht auszuschließen ist, dass bestimmte Länder wegbrechen, bestimmte Regierungen handlungsunfähig werden, Nachbarländer die Situation und deren Folgen kriegerisch oder politisch ausnutzen etc. Der Staat wird einen höheren Einfluss auf Unternehmen bekommen durch die gewährten Kredite. Auch Staaten werden sich ändern, weil nahezu alle eine Art von Notstand eingeführt haben (Ausgangsbeschränkung, Ausgangssperre, Entmachtung des Parlaments, etc.).
IV) Städte werden umstrukturiert und verändert. So, wie es schon in den letzten Jahren erkennbar wurde, dass die Globalisierung Gefahren birgt, denen begegnet werden muss (Schutz vor Terrorismus, Klimaerwärmung - Fluten, Tsunami etc.), werden auch Sicherheitsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von Krankheiten (Viren, Bakterien) eingeführt werden. Ein Vorbild hierfür könnte die Flughafenarchitektur mit ihren planen Flächen und Schleusen sein. Dazu käme: Verbesserte Hygiene in den Städten (verstärkte und systematische Reinigung des öffentlichen Raums, Wasch- und Desinfektionsmöglichkeiten, architektonische Reaktion darauf), Verhaltensformen müssten sich ändern (geringere Menschendichte in den Bahnen und öffentlichen Räumen, Restaurants etc., Verlagerung von Funktionsteilen in den Außenraum), Reservenbildung von medizinischer Schutzkleidung, Nahrungsmitteln etc., die Grenzen (auch innerländische) müssten insgesamt leichter abschottbar sein, dass auf zukünftige Gefahren schneller reagiert werden kann. Diese Kosten werden dazu führen, dass der öffentliche Raum standardisierter wird und es größeren Einheiten tendenziell viel mehr gelingen wird, diese höheren Standards zu gewährleisten. Man könnte das so formulieren: Der öffentliche Raum wird teurer und weniger dynamisch werden, eine Grunddistanz/Angst wird den Raum begleiten, genauso wird die für Europa typische physische Nähe (Händedruck, Umarmung) gefährlich wirken. Man wird sich gründlich überlegen, wann man Menschenmassen zulassen kann. Die Gesellschaft muss insgesamt mehr Reserven bilden, die Fähigkeit zum Rückzug haben, zur schnellen Absage fest eingeplanter Events etc. Sie wird die Fähigkeit ausbilden müssen, reaktiver zu werden. Gibt es zukünftig eine Warnung, dass ein Virus sich ausbreite, obwohl es vielleicht de facto nur einen Fall gibt, müssen sich alle dem unterordnen, wohlwissend, dass eine Nichtreaktion massive negative Folgen haben würde.

2020.03.28

Die Frage ist doch, ob unsere Vorstellung dessen, was lebendig sei, nicht allzu anthropozentrisch ist. Sie ist ausgerichtet auf unser Zeiterleben, unsere Zeitperspektive. Sobald wir diese Perspektive, etwa mit filmischen Mitteln des Zeitraffers und der Zeitlupe, verlassen, eröffnet sich uns eine andere Natur.[1] In dieser Hinsicht könnte das Corona-Virus eine Erkrankung der Natur sein, viel weitreichender und allgemeiner, als wir dies denken, wenn wir es als menschliche Krankheit verstehen. Auch die Frage der Intelligenz, heute oft als Künstliche Intelligenz diskutiert, wäre neu zu stellen. So verhält sich das Virus, wie Alexander Kluge [2] richtig feststellt, ohne Zweifel intelligent. Der Staat kann dieser Intelligenz, die aus dem Mikrokosmos kommt und direkt in den Makrokosmos und den globalen Maßstab springt, wenig entgegensetzen als Vorsichtsregeln und den Stillstand.
[1] Siehe dazu meine Ausführungen in Andreas Becker: Perspektiven einer anderen Natur, transcript: 2004. Karl Ernst von Baer, Embryologe und Naturforscher, sagte 1860 in seiner Rede Die Abhängigkeit unseres Weltbilds von der Länge unseres Moments: »Wir würden das Wachsen wirklich sehen, indem unser Auge die Vergrößerung unmittelbar auffaßte; doch manche Entwicklung, wie die eines Pilzes etwa, würde von uns kaum verfolgt werden können, sondern wir sähen die Pflanze erst, wenn sie fertig dasteht, wie wir jetzt einen aufschießenden Springbrunnen, dem wir nahe stehen, erst sehen, wenn er aufgeschossen ist. In demselben Maaße würden die Thiere uns vergänglich scheinen, besonders die niedern. Nur die Stämme der größeren Bäume würden einige Beharrlichkeit haben oder in langsamer Veränderung begriffen sein.« (Karl Ernst von Baer: Die Abhängigkeit unseres Weltbilds von der Länge unseres Moments, in: Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft, Bd. 3 (Beiheft), Paderborn u.a. 1962, S. 264-265). Auch neuere Filme haben dies deutlich gezeigt, wenn auch oft märchenhaft verklärt, so David Attenborough The Private Life of Plants (1995), Petra Höfer und Freddie Röckenhaus Unsere Wälder (2017). Jean Painlevé ist ebenso an den Übergängen zwischen Tier- und Pflanzenreich interessiert. So hat er in einem Film das Wachstum von Kristallen und molekulare Transformationen (sog. smektische Phasen zwischen Kristall und isotroper Flüssigkeit) dargestellt und so Ähnlichkeiten zwischen anorganischen und organischen Strukturen visualisiert (Transition de phase dans les cristaux liquides, 1978).
[2| Alexander Kluge: ›Das Virus ist ein Spiegel‹, Welt am Sonntag, 22.03.2020, Nr 12, S. 47.

2020.03.27

Die Sterberate durch Corona, nach Ländern sortiert, Statista.de, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1103785/umfrage/mortalitaetsrate-des-coronavirus-nach-laendern/ [Link]

Gestern in der Talkshow Markus Lanz auf ZDF diskutierten Politiker Hubertus Heil, Manager Herbert Diess, Blogger Sascha Lobo, Virologe Prof. Alexander Kekulé und Ärztin Dr. Carola Holzner miteinander. Kekulé sprach sich dafür aus, in Deutschland umzudenken und Masken zu tragen. Endlich setzt sich diese Erkenntnis auch in den Medien durch! In Asien ist dies schon seit geraumer Zeit eine Selbstverständlichkeit. So ein kleines Utensil würde sicherlich helfen, den Stillstand in Deutschland zu verkürzen. Aber das Problem ist momentan, dass es nicht genügend bzw. gar keine Masken zu einem vertretbaren Preis mehr gibt. Die Lieferzeiten sind lang. So ein einfaches Produkt scheint eine hochindustrialisierte Gesellschaft wie die deutsche nicht zeitnah herstellen zu können. Virologe Kekulé empfahl daher, die Masken selbst herzustellen, in Handarbeit.
Die Talkshow Markus Lanz in der ZDF Mediathek (bis zum 26.04.2020), https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-26-maerz-2020-100.html [Link]
Die von Sascha Lobo empfohlene Initiative xmaske auf, mit einer Anleitung zum Selbstbau, https://maskeauf.de [Link]

Bekannte deutsche Virologen: Virologe Prof. Alexander Kekulé, Prof. Karin Moelling, Prof. Christian Drosten.
Homepage von Karin Moelling, http://moelling.ch/wordpress/ [Link]
Youtube-Kanal von Karin Moelling, https://www.youtube.com/channel/UCGODdQDZGYb0nSp9_ZhTsBQ [Link]
NDR Corona-Virus Update mit Christian Drosten, https://www.ndr.de/nachrichten/info/podcast4684.html [Link]


Karin Moellings Youtube-Kanal, Folge 1, Was sind Viren?, https://www.youtube.com/watch?v=k6Y6lrFYSsY

In einem Interview mit der Welt spricht Alexander Kluge über Viren: »Viren sind hochintelligent. Sie lernen durch Machen, wie es bei Darwin beschrieben ist: Die, die übrig bleiben, haben gelernt. Das ist das Gegenteil von Planwirtschaft, die höchste Stufe der Intelligenz«.[1]
[1| Alexander Kluge: ›Das Virus ist ein Spiegel‹, Welt am Sonntag, 22.03.2020, Nr 12, S. 47.

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Vierzig Tage


Im Schatten des Konsums schliefen Vampire.

Sie atmeten Virus ein
und impften uns mit Tod.

Freiheit ist der Freund der Infektion,
Verbote ihr Feind.

Einsamkeit ist solidarisch.
Die Verantwortlichen gehen sich aus dem Weg.

Hinter dem Fenster die Geisterstadt.
Der Frühling blüht jetzt ohne uns.

Besseres Wissen sperrt uns ein.
Das Leben im Fernsehen hat rote Punkte.

Wir erkranken an Distanz.
Schweigen und ruhen können wir nicht.

Nun lernen wir den Verzicht.
Die Statistik zeigt uns an, wie gut wir darin sind.

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Videospiele, die die Verbreitung von Viren simulieren: Infection Bio War (Kanogames), Plague Inc (Ndemic Creations).

2020.03.26

In Zeiten von Corona sind es nicht viele Unternehmen, die in der derzeitigen Situation Gewinne verzeichnen, aber es gibt sie: Lebensmittelhändler, Supermärkte, Online-Versandhäuser, Telekommunikationsunternehmen, TV-Stationen (bedingt, da die Werbeeinnahmen sicher zurückgehen werden), Pharmabranche, Bauern (bedingt, da Erntehelfer fehlen).
Verluste verzeichnen: Restaurants, Gaststätten, Cafés, Eventveranstalter, die Reisebranche, Künstler, Hotels, die Flugbranche, Messeunternehmen, Bildungsunternehmen, Fortbildung, Schulen, Universitäten, Händler vor Ort.

2020.03.25

Hygiene, von griech. Hygieía, Gesundheit, Göttin der Gesundheit, Tochter von Asklepios und Epione, Schwester u.a. von Panakeia (Göttin der Heilpflanzen, daher auch Panazee, dt. Allheilmittel). Hygieía wird in einer Skulptur des Vatikans neben ihrem Vater dargestellt. Die Schlange des Asklepiosstabes fütternd. Auch andere Darstellungen zeigen sie in entspannter Pose, ein Schälchen in der Hand mit einer Schlange, die über ihre Schulter hängt oder sich um ihren Arm schlingt.[1]
[1] Wilhelm Heinrich Roscher: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Erster Band. Erste Abteilung, Leipzig 1886, Artikel ›Hygieía‹, S. 2772-2792.


Die NDR-Talkshow sendete gestern nicht aus dem Studio, sondern machte stattdessen eine Videoschaltung - im Skype-Format [1]. Thomas Gottschalk, Oliver Pocher, Günther Jauch und andere tuen es ihnen auf RTL gleich: »Ab Montag, den 23.03.2020 sendet RTL vorerst täglich live um 20:15 Uhr eine Stunde aus der ›Quarantäne-WG‹. Mit Günther Jauch, Thomas Gottschalk, Oliver Pocher und vielen prominenten Überraschungsgästen!« [2]
[1] https://daserste.ndr.de/NDR-Talk-Show-Die-Videokonferenz,videokonferenz102.html [Link]
[2] https://www.rtl.de/cms/die-quarantaene-wg-heute-mit-oliver-pocher-thomas-gottschalk-guenther-jauch-4509211.html [Link]

Welche Filme werden im nächsten Jahr im Kino laufen?

Eine Liste der bisherigen Pandemien auf Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Epidemien_und_Pandemien#cite_note-33 [Link]

Der Schwarze Tod auf Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzer_Tod [Link]

In ihrem Text Mögliche Gefahren durch Bioterrorismus. Die Bedrohung durch vorsätzlich freigesetzte Mikroorganismen und anderer Agenzien erwähnen Timo Ulrichs, Jens Kuhn und Helmut Hahn folgende Viren, die besonders gefährliche Eigenschaften haben: Pocken, Enzephalitis-Viren, Ebola und hämorrhagische Fieber. Folgende Bakterien listen sie auf: Milzbrand, Pest, Tularämie, Brucellose, Q-Fieber, Rotz, Melioidose, https://www.fu-berlin.de/presse/publikationen/fundiert/archiv/2005_01/05-01_ulrichs/index.html [Link]

2020.03.24

Stefan Herbrechter and Michelle Jamieson haben sich im Band Autoimmunities mit dem Thema aus dekonstruktivistischer Sicht beschäftigt.
Autoimmunities, hrsg. von Stefan Herbrechter, Michelle Jamieson, Parallax 23 (2017), https://www.tandfonline.com/toc/tpar20/23/1?nav=tocList&
[Link]

2020.03.23

Antworten des Robert Koch-Instituts auf häufig gestellte Fragen zu Vitamin D:
»Niedrige Vitamin-D-Werte sind in den hiesigen Breiten meist durch eine geringe körpereigene Vitamin-D-Bildung (Eigensynthese) bedingt. Für die Eigensynthese wird UV-B-Strahlung der Wellenlänge 290 nm bis 315 nm benötigt, die ganzjährig nur in Regionen unterhalb des 35. Breitengrads vorkommt. In höher gelegenen Breiten nimmt die Intensität und Dauer an ausreichender Strahlung ab und die Vitamin-D-Bildung wird abhängig von der Jahreszeit. Dies trifft auch auf Deutschland zu, das zwischen dem 47. und 55. Breitengrad gelegen ist. Hier ist die körpereigene Bildung nur von circa März bis Oktober bei einem Aufenthalt im Freien möglich.«
,25.1.2019, https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Vitamin_D/Vitamin_D_FAQ-Liste.html


Miguel Angel Martínez und andere schreiben in ihrem Artikel Quasispecies Dynamics of RNA Viruses:
»Viral genetic diversity is important for the survival of the viral population as a whole in the presence of selective pressures favoring mutations that yield beneficial phenotypes. These mutants are expected to survive and act as founders for the next generation.« [1]
[1] Miguel Angel Martínez, Gloria Martrus, Elena Capel, Mariona Parera, Sandra Franco, Maria Nevot: Quasispecies Dynamics of RNA Viruses, in: Viruses: Essential Agents of Life, hrsg. von Günther Witzany, Dordrecht u.a. 2012, https://link.springer.com/book/10.1007%2F978-94-007-4899-6, S. 21-42, zit. S. 28.


China hat auf den Ausbruch des Coronavirus unverhältnismäßig reagiert, das war aber die vollkommen angemessene und richtige Maßnahme.

Susanne Ristow hat in ihrer Dissertation Das Virus als Medium. Virale Interaktionsmodelle in der Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts von 2018 das Virus als »Denkfigur für Interaktion, Transmission, Interdisziplinarität, Konnektivität und Interdependenz« [1] verstanden. Das Virus wird zum »grenzüberschreitende[n] Überträger« [2] und Medium.
[1] Susanne Ristow: Das Virus als Medium. Virale Interaktionsmodelle in der Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts, Diss. Heinrich-Heine-Univ. Düsseldorf, 2018, pdf, S. 1, https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-51887/Das%20Virus%20als%20Medium_Ristow_Final.pdf
[2] Ebenda, S. 8.


Wenige Filme nur thematisieren den Ausbruch von Viren. Das liegt wohl daran, dass ein Akteur fehlt und damit ein mögliches Narrativ. In den 1960er/1970er Jahren hat man versucht, Angriffe von Tierschwärmen darzustellen und so das Thema indirekt zu verhandeln. Saul Bass' Phase 4 (1974) sowie Freddie Francis The Deadly Bees (dt. Die tödlichen Bienen, 1966) wären hier zu nennen. Früh dramatisiert wurde das Motiv von George A. Romero mit The Crazies (1973), Wolfgang Petersen mit Outbreak (dt. Outbreak - lautlose Killer, 1995) und Steven Soderbergh mit Contagion (2011).

Die Wahrscheinlichkeitsrechnung mutet unserem Alltagsverständnis viel zu. Das liegt aber auch an konkurrierenden Begriffen wie Glück, Chance, Spiel etc., die wir damit in Zusammenhang bringen.

Von einem ›Placebo-Effekt‹ spricht man, wenn ein Medikament aufgrund des Glaubens an seine Wirkung hilft und nicht aufgrund pharmakologischer Eigenschaften. Um Suggestionseffekte seitens der Mediziner auszuschließen, entwickelte man sog. ›Blindstudien‹. Man spricht hier von:
»- einfachblind, wenn die Patienten nicht wissen, welche Substanz (Kontrolle oder Verum) sie erhalten (Versuchsperson ›blind‹),
- doppelblind, wenn die Patienten und auch der behandelnde Mediziner nicht wissen, wer welche Substanz erhält (Versuchsperson und Versuchshelfer ›blind‹),
- dreifachblind, wenn weder die Patienten noch der behandelnde Mediziner, noch diejenigen, die die Auswertung durchführen, wissen, wer welche Substanz erhält (Versuchsperson, Versuchshelfer und Versuchsauswerter ›blind‹). Nur der Auftraggeber der Studie weiß, wer welche Substanz erhielt.« [1]
Man kann allerdings bestimmte Effekte hier schwerlich ausschließen, denn das Krankenhaus als Institution, die medizinische Behandlung als solche findet doch auch gewusst statt und dürfte als solche bereits auch einen Glaubenseinfluss auf die Genesung haben.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Blindstudie


2020.03.22


Alexander Kluge spricht über das Lesen. https://www.kluge-alexander.de/blog/2019/ich-bin-eine-leseratte-gastkommentar-von-alexander-kluge-in-der-nzz.html

Die Vögel singen lauter als sonst.

Eine Gesellschaft von Hikikomori - und COVID-19 hat keine Chance.

Kresse
Die Kresse (Lepidium sativum) keimt!

2020.03.21


Die wunderbare Webseite von Justin Frankel, Programmierer von Winamp und Gründer von Nullsoft![1]: http://www.blorp.com/ [Link]
[1] Janko Röttgers: Nullsoft künftig ohne Winamp-Erfinder Justin Frankel, Heise online, 03.06.2003, https://www.heise.de/newsticker/meldung/Nullsoft-kuenftig-ohne-Winamp-Erfinder-Justin-Frankel-79989.html


Die Methoden, mit denen die moderne Weltgesellschaft auf den Ausbruch des COVID-19-Virus reagiert: soziale Distanz, Ausgangssperren, Absperrungen, Händewaschen, Abstand halten, Atemmasken aufsetzen, Handschuhe und Schutzkleidung tragen, Desinfektion. Mehr Mittel haben wir derzeit nicht. Immerhin wissen wir, dass es ein Virus ist.

Die Tötungsballette von John Wick (Keanu Reeves) bleiben tierhaft.

Das sogenannte ›Marburg-Virus‹ brach 1967 u.a. in der hessischen Stadt Marburg aus. 2012 wurde eine Studie veröffentlicht, die die Genese des Virus beschreibt wie auch dessen Aufbau.
Kristina Brauburger, Adam J. Hume, Elke Mühlberger, Judith Olejnik: Forty-Five Years of Marburg Virus Research, in: Viruses 2012 Oct; 4(10): 1878–1927, Published online 2012 Oct 1, doi: 10.3390/v4101878
»In 1967, the first reported filovirus hemorrhagic fever outbreak took place in Germany and the former Yugoslavia. The causative agent that was identified during this outbreak, Marburg virus, is one of the most deadly human pathogens. This article provides a comprehensive overview of our current knowledge about Marburg virus disease ranging from ecology to pathogenesis and molecular biology.« [Link]

Der Sender rbb24 meldet, Berlin richte im Eilverfahren auf dem Messegelände eine Klinik mit bis zu 1.000 Betten ein[1]. Dies kommentiert ein Hörer: »Hoffentlich geht der Bau der ›Corona-Klinik‹ schneller aus [sic!, als] beim BER. Ich empfehle, keinen der am BER beteiligten ›Manager‹ hiermit zu betrauen. Und das Gebäude steht ja schon, ein nicht unwichtiger Aspekt, und stammt noch aus den 1980er Jahren, also aus besseren Zeiten. Vielleicht findet sich aber noch rechtzeitig eine Krötenkolonie, die zuerst umgesiedelt werden muss.«[1] Darin liegt eine Grundskepsis gegenüber der öffentlichen Hand, die sich mit Ironie mischt und das subjektive Urteil mit einer Prise Humor abrundet.
[1]Corona-Klinik in der Messe Berlin wird nächste Woche gebaut, rbb24, https://www.rbb24.de/politik/thema/2020/coronavirus/beitraege/corona-krankenhaus-messe-berlin-bundeswehr.html
»Die Bauarbeiten für das neue Corona-Krankenhaus auf dem Gelände der Messe Berlin beginnen kommende Woche. Das gab der Projektleiter Albrecht Broemme am Freitag bekannt. ›Das muss jetzt alles zack, zack, zack gehen‹, so Broemme im Interview mit dem rbb. Das Krankenhaus für Coronapatienten soll bis zu 1.000 Betten bekommen.«

2020.03.20

Die Formen des deutschen Verbs in seinen Modi (Indikativ, Konjunktiv, Imperativ) und dazu noch in all seinen Zeiten (Präsens, Perfekt, Imperfekt, Plusquamperfekt, Futur I und Futur II), im Passiv und der indirekten Rede ergeben eine Matrix von nahezu undenkbaren Valenzen. Man kann diese Formen mechanisch bilden, verirrt sich aber in Labyrinthen aus grammatischen Möglichkeiten, wenn man diese semantisch explizieren will. Man weiß nicht mehr und kann kaum mehr beschreiben, wann man das sagen könnte und aus welchem Grund.

Der Städte- und Gemeindebund spricht noch von ›Ausgangssperren‹ [1], die man nicht wolle, Ministerpräsident Markus Söder nennt diese, als er sie erlässt, ›Ausgangsbeschränkungen‹ [2].
[1] Städte- und Gemeindebund gegen Ausgangssperre, FAZ, https://www.faz.net/-ivn-9xoc4
[2] Söder kündigt Ausgangsbeschränkungen für Bayern an, FAZ, https://www.faz.net/-ivn-9xoof Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit: Vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie. Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020, Az.Z6a-G8000-2020/122-98, pdf, https://www.bayern.de/wp-content/uploads/2020/03/20-03-20-ausgangsbeschraenkung-bayern-.pdf


Sollte es so sein, dass das COVID-19-Virus in China wirklich verschwunden ist, so verfolgt der Westen eine gänzlich andere Strategie im Umgang damit. China setzt darauf, mit schnellen, umfassenden und martialischen Maßnahmen keine einzige Infektion mehr im Land zu dulden [1]. Der Westen hingegen setzt auf Verlangsamung und Durchseuchung, verfolgt also keineswegs die Strategie, das Virus zu stoppen (und auch westliche Experten gehen nicht davon aus, dass es zu stoppen sei) [2]. Diese beiden Modelle also: ›Totale Hygiene‹ vs. ›langsame natürliche Immunisierung‹ bestimmen den Umgang damit. Asiatische Länder scheinen hier tendenziell mehr zur Hygiene zu tendieren und westliche zur Immunisierung. Welche Folgen hat das, wenn China virusfrei ist und der Rest der Welt monatelang mit den Folgen kämpft?
[1] Coronafälle in China rückläufig - Nur eine Neuinfektion in Wuhan, ZDF heute, 18.03.2020, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-infektionen-wuhan-rueckgang-100.html
»China hat den zweiten Tag in Folge nur noch eine einzige Neuerkrankungen mit dem Coronavirus in der Millionenmetropole Wuhan gemeldet.«
[2] Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, Bundesgesundheitsminister Spahn und RKI-Chef Wieler, 11.03.2020, https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzlerin-merkel-bundesgesundheitsminister-spahn-und-rki-chef-wieler-1729940
BK’in Merkel: »Wenn das Virus da ist und noch keine Immunität der Bevölkerung gegenüber diesem Virus vorliegt, keine Impfmöglichkeiten existieren, auch noch keine Therapiemöglichkeiten, dann wird ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung - Experten gehen von 60 Prozent bis 70 Prozent aus - infiziert, solange dieser Zustand so bleibt. Deshalb wird ja auch - darauf komme ich noch zu sprechen - so intensiv an Therapiemöglichkeiten und Impfstoffen gearbeitet.« [Link]


Die schwindelerregenden Kredite, die weltweit gewährt werden, führen, wenn sie in Anspruch genommen werden und in den nächsten Monaten nochmals angehoben werden, de facto zu einer Verstaatlichung eines guten Teils der globalen Wirtschaft.

2020.03.19

Die Größe eines Virus: 0,000.000.001 Meter, die neuen Kredite der EZB: 750.000.000.000,-€ (750 Milliarden Euro).

»Irgendwo auf der Welt
Gibt’s ein kleines bißchen Glück,
Und ich träum’ davon in jedem Augenblick.
Irgendwo auf der Welt
Gibt’s ein bißchen Seligkeit,
Und ich träum’ davon schon lange lange Zeit.
Wenn ich wüßt’, wo das ist, ging’ ich in die Welt hinein«
(Lilian Harvey Irgendwo auf der Welt, Komponist: Werner Richard Heymann im Film Ein blonder Traum von Paul Martin, 1932).

Links:
Xaver Frühbeis: Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück, BR Klassik, 27.12.2018, https://www.br-klassik.de/programm/sendungen-a-z/mittagsmusik/mittagsmusik-mit-sahne-irgendwo-auf-der-welt-100.html
[Link]
Katja Nicodemus: Das Mädchen von nebenan der 1930er-Jahre, https://www.deutschlandfunk.de/50-todestag-von-lilian-harvey-das-maedchen-von-nebenan-der.871.de.html?dram:article_id=423959 [Link]

Optimierung bis zum Limit - mit allen Mitteln vs. Reservenbildung für Katastrophen. Die größte Anstrengung, die ein auf Dynamik und Konsum ausgelegtes Wirtschaftssystem unternimmt, um sich wider seine Regeln zu verhalten: Verlangsamung bedeutet Verlust. Dies muss nun umgedeutet werden. Verlangsamung bedeutet Rettung von Menschenleben. Man erlässt Ausgangssperren, schließt nahezu alle öffentlichen Einrichtungen, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Das ist das momente Ziel und notwendig, um eine Katastrophe im Gesundheitssystem zu verhindern.

Quarantäne und Hausarrest.

Karsten Möbius fragt in einem Artikel, ob das Corona-Virus lebendig oder tot sei. Eine interessante Frage. Nach allem, was wir wissen, bewegen sich Viren nicht selbstständig, pflanzen sich nicht selbstständig fort, sind auf Wirte angewiesen etc. Welchen Sinn hat diese vom Leben abhängige, aber selbst offenbar nicht lebendige Form? Eine so kleine Lebensform ist infektiöser Mikro-Staub, 0,000000001 Meter groß. Virologe Prof. Gert Liebert sagt in diesem Artikel, Viren seien keine Lebewesen, weil sie sich nicht autonom vermehrten, andere denken, so Liebert, Viren seien »die frühste Form von lebensähnlichen Zuständen« und höhere Lebewesen hätten sich dann aus diesen entwickelt.
[Karsten Möbius: Ist das Corona-Virus lebendig oder tot?, mdr Wissen, https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/grundlagenforschung-coronoa-virus-tot-oder-lebendig100.html]

Triage, aus dem Französischen, »Der T.-Begriff bezieht sich auf Situationen der Knappheit lebenswichtiger Güter oder Behandlungen, die Auswahlentscheidungen erzwingen, von denen Leben und Tod der Betroffenen abhängen. Beispiele aus der jüngeren Medizingeschichte sind die Einführung neuer Medikamente, die zunächst nicht in ausreichendem Maße verfügbar waren.« (Metzler Lexikon Philosophie, Triage). In der heutigen Situation, in der die Intensivstationen der Krankenhäuser mit Corona-Patienten überfüllt sind, wieder eine aktuelle Frage. Es stehen nicht genügend Beatmungsgeräte zur Verfügung und der Arzt muss entscheiden, wer versorgt wird. Die anderen werden wahrscheinlich sterben.
[»Der T.-Begriff bezieht sich auf Situationen [...]«, aus: Metzler Lexikon Philosophie, Triage, https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/triage/2060]

2020.03.18

Merkel: »Es geht darum, das Virus auf seinem Weg durch Deutschland zu verlangsamen. Und dabei müssen wir, das ist existentiell, auf eines setzen: das öffentliche Leben soweit es geht herunterzufahren. Natürlich mit Vernunft und Augenmaß, denn der Staat wird weiter funktionieren, die Versorgung wird selbstverständlich weiter gesichert sein und wir wollen so viel wirtschaftliche Tätigkeit wie möglich bewahren.«
Bundeskanzlerin Angela Merkels Ansprache im Wortlaut: ›Diese Situation ist ernst und sie ist offen‹, FAZ, https://www.faz.net/-gpg-9xmj7 [Link]

Die Idee, durch einen Lockdown die Infektionskurve des Corona-Virus zu verlangsamen und damit abzuflachen, ist hoch abstrakt. Viele Menschen sehen bei dem Frühlingswetter keinen Sinn darin. Aber das ist die Funktion des Staates, hier auf Abstraktion beruhende Maßnahmen umzusetzen. Bereits die Vorstellung, dass ein Virus sich in der Luft bewege, ist vollkommen unanschaulich. Es braucht Elektronenmikroskope und Präparate, um das Virus überhaupt sichtbar zu machen. Hier greifen also wissenschaftliche Vorstellungsweisen, statistische Überlegungen etc. ganz direkt in den Alltag ein.

Geisterspiel. Hamsterkauf. Die Frage, wie es der Gesellschaft gelingt, einen Stillstand herbeizuführen, entscheidet auf einmal über Menschenleben.

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In meiner Arbeit Gefühl und Alterität unternehme ich den Versuch, in philosophischen Miniaturen alltägliche Gefühlsmomente darzustellen. Das Buchprojekt im Büchner-Verlag ist als Serie angelegt. Veröffentlicht sind bereits 999 Notizen. Am zweiten Band arbeite ich seit 2016, dieser erscheint voraussichtlich noch 2020. Ein thematischer Schwerpunkt wird auf der japanischen Kultur liegen, da ich seit dieser Zeit in Japan lebe. Die Miniaturen sind nicht abgeschlossen. Man soll sie diskutieren, weiterdenken, hinterfragen und ergänzen. Auf dieser Webseite veröffentliche ich einige Fragmente, die dann in den dritten Band einfließen werden. Da ich unter keinem Zeitdruck stehe, warte ich so lange, bis ich das Gefühl habe, der Band sei nun reif für die Publikation. Wenn Sie mir eine E-Mail schreiben möchten, erreichen Sie mich unter Andreas Becker, beckerx[at]gmx.de. Zur Homepage geht es hier https://gua.zeitrafferfilm.de/.
Hier finden Sie die Seite des Büchner-Verlags. Hier finden Sie einen Überblick über alle meine Projekte im Büchner-Verlag. Die bislang entstandenen Youtube-Videos:

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