Foto Skizzen, Kommentare, Überlegungen von Assoc. Prof. Dr. Andreas Becker, Tōkyō. Über diese Seite
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2022.12.31

Einen guten Rutsch!

Wünscht Ihnen
Andreas Becker

PS: So ein schönes Feuerwerk gibt es hier in Japan leider nur im Sommer...

2022.12.30

In Erinnerung an Vivienne Westwood (*8.4.1941 †29.12.2022)

Ryokan

In diesem Ryokan hier, der 120 Jahre alt ist, gibt es so viele wunderschöne Ideen, die unpraktisch sind. Die Treppen haben kein Geländer, die Fusuma und Shoji lassen sich schieben, ohne einen direkten Sinn, die Wandnische ist einfach großartig, weil verschwenderisch. Die Tatami viel zu empfindlich, man muss eben achtsam sein. Der Futon viel zu schwer, um ihn einfach wegzuräumen. Die Shoji sind aus Papier. Ein Stoß genügt und sie reißen. Die Gänge sind labyrinthisch, gar nicht auf einen Zweck ausgelegt. Man kann sagen, dort wo das Praktische endet, beginnt das Schöne, die Ästhetik, die Welt der Kunst.

Büchner-Verlag Nachwuchspreis, Bewerbung bis 15.1.2023 möglich!

»Bereits zum fünften Mal können wir unseren Preis für Nachwuchswissenschaftler_innen aus dem kulturwissenschaftlichen Bereich ausschreiben. Wir freuen uns auf vielfältige und spannende Beiträge. Dazu heißen wir auch alle Jurymitglieder willkommen, die sich mit Rat und Tat und Sachverstand auf die eingehenden Arbeiten stürzen werden.
Welche Arbeiten werden gesucht?
Dissertationen, die erfolgreich an einer Universität eingereicht wurden (die Verteidigung kann noch in der Zukunft liegen), sowie in Einzelfällen auch Masterarbeiten, die in Hinblick auf ihren Anspruch den Rahmen einer gewöhnlichen Abschlussarbeit deutlich überschreiten.«
Infos gibt es [hier]

2022.12.29

Shōji im Ryokan

Skizze der Elemente.

Bierdegustation Ise Craft Biere

Ise Pilsener 伊勢ピルスナー, 5% Alkohol
Schöner, quellender Schaum, mildes Bier, erinnert an Yebisu, am Anfang fruchtig-malzig im Verlauf erst herb, perlend wie Pilsener Urquell. Anders als das deutsche Bier, etwa König Pilsener oder Krombacher, dominiert hier insgesamt der malzige Geschmackston. Die Herbheit ist eingefasst, schmeckt ein wenig wie ein Exportbier.
Sinto Beer, 5% Alkohol
Enormer Schaum, etwas leichter im Geschmack, weniger malzig als Ise Pilsener, geradliniger, erfrischender. Schmeckt eher wie Pilsener Urquell als Ise Pilsener. Es hat diesen leicht herben Geschmack, der im Gaumen schwebt. Das Spiel der Herbheit ist gut ausbalanciert. Ein wunderbares Bier! Es hat eine Klarheit, die mich sehr überzeugt. Keine Spielereien, nicht zu malzig, nicht zu süß, das Bier passt!
Premium Kagura Beer, 6,5% Alkohol
Ebenso wie die anderen Biere wunderbarer Schaum, im Geschmack minzig, ganz ungewöhnlich, schmeckt wie ein Pale Ale, Orangengeschmack, Grapefruit, dann Herbe. Sehr lecker! Wer es puristisch mag, dem wird dieses Bier überfrachtet sein. Im Sommer schmeckt es sicher nochmal so gut. Aber diese herb-fruchtige Dominanz im Geschmack, ich mag sie.
Mehr Infos zu diesen Bieren gibt es [hier]

Über den Ise-Schrein und Shintō

Plaktiv gesagt ist der Shintōismus für die Hochzeitsriten und lokalen Mythen zuständig, der Buddhismus für die Beerdigungszeremonien und die Zen-Meditation. Das stimmt natürlich nur grob, hilft aber, diesen Dialog der Glaubenswelten zu ordnen. Ich selbst verstehe den Shintōismus nicht. Es ist auch kein Glaube, der dazu anhält, etwas zu tun, außer die eingeschreinten Götter zu verehren. Er zeigt sich nicht, ist nicht dialogisch, schon gar nicht interpretierend. Auch heute, wo viele Japaner schonmal vor Neujahrstag dem Naiku-Schrein (Kōtaijingu-Naiku, 皇大神宮 内宮) [Karte] in Ise einen Besuch abstatten, gleicht das Ganze einer Prozession. Eigentlich plante ich zu zeichnen, ahnte natürlich schon, wie viel los sein würde, aber es war ein einziger Strom von Menschen. Ich kann nicht sagen, dass es zu voll war, aber man hatte keine Ruhe. Bänke oder ähnliche Sitzgelegenheiten suchte man vergeblich. Man soll sich hier nicht lange aufhalten. Die Schreine selbst sind sowieso verschlossen, im Falle des Hauptschreins sogar noch umzäunt. Die Priester sieht man nur zu den Zeremonien, sie huschen. In den Schreinen sind Fetische der Urgöttin Amaterasu-Omikami (ihr Spiegel) und anderer aufbewahrt, aber das wird nicht präsentiert. Die Objekte sind versteckt und wie in einem kunstvollen Holztresor, dem Schrein, verschlossen. Niemand darf sie sehen. Es ist, als ob sich ein Glaube vor den eigenen Leuten abschottet. Man würde meinen, dass ein solcher nicht-missionierender Glaube ausstirbt, verblasst, vergessen wird. Aber das ist nicht so. Riesige Flächen, so groß wie Paris, wie es im Flyer heißt, in Tōkyō ebenso der Meiji-Schrein, mittendrin in der Stadt. Woran liegt das? Was verbindet die Menschen mit dieser Religion? Es ist sicher dieser lokale Bezug, dazu vielleicht dieses Moment der Scham vor den Göttern, das mehr wiegt als der Wunsch, an deren Welt Anteil zu nehmen. Man erweist ihnen Respekt, indem man sie in Ruhe lässt. Man bittet sie um gute Ernte, gutes Wetter etc., kauft Talismänner und Glücksbringer (Omamori), aber es entsteht keine Kommunikation mit den Göttern. Sie sollen nicht antworten, nicht irdisch werden. Man will und soll sich kein Bild machen, man kann es aber auch nicht. Natürlich gibt es Phantasien, aber diese werden nicht aufgegriffen. Die Götter werden nicht angerufen. Man bittet sie nur ganz kurz, durch diese kleinen Gesten. Die Schreine sehen archaisch aus, weisen immer die gleiche Bauweise auf. Es gibt Schreine, neben denen eine leere Fläche ist, genauso groß wie die daneben liegende, bebaute. Diese Gebäude werden alle 20 Jahre seit 2.000 Jahren wechselweise neu errichtet, nach dem immergleichen Bauplan. So entsteht also ein Zeit-Kunstwerk, Architektur als Flickering-Effekt der Jahrhunderte. Das ist alles zu langsam, um es als Mensch wahrzunehmen. Es hat auch keine Richtung, besteht aus Wiederholung. In Miniaturform begegnet uns der Glaube dann im Hausschrein wieder. Auch hier wird geopfert, wie auch bei buddhistischen Gräbern, eigentümliche Verschränkungen der Riten. Es gibt noch einen zweiten Schrein in Ise, zentraler gelegen, den Toyōkedaijingu (Geku) (豊受大神宮 外宮) [Karte]. Zu dem werde ich morgen fahren. Ich bin nicht sicher, ob ich heute schon diese Bauweise sah, etwa im Takimatsuri-no-kami, wo eine leere Fläche mit einem einzigen kleinen Modell-Schrein belegt war, wie am Anfang beim Schach. Aber im Geku gibt es den Mikiden, der immer wieder wechselweise auf die Nachbarfläche Kodenchi und umgekehrt gebaut wird, eben alle zwanzig Jahre.
Heute, an diesem sonnigen Wintertag, ruhte alles im Schatten der alten Bäume, teilweise wunderschöne, uralte Zypressen. Die Riten der Verehrung scheinen einfach, das in die Hände Klatschen, Verbeugen. Manche pilgern zu einem Fluss und werfen Geldstücke hinein. Das erinnert natürlich an die italienischen Brunnen. Aber sie halten sich nicht auf. Viele bringen ihre Kinder mit. Sie legen Fährten für die nächste Generation. Aber es ist scheinbar so wenig, was sie ihnen zeigen können. Ich hörte mehrfach das Wort Kamisama, also die Götter seien dort. Irgendwie glauben das die Kinder. Die Erwachsenen sagten das wie ein Märchen auf, als würden sie selbst nicht daran glauben, aber es ihren Kindern erzählen.

2022.12.27

Break on through...

2022.12.26

Neue Filme, alte Musik

Warum schauen die Massen nur die neuesten Filme? Bei der Musik ist das anders. Das Spektrum ist weiter, es reicht gar bis in das Mittelalter. Bei den Romanen ist es auch anders. Aber es gibt kaum Kinos, die alte Filme spielen. Natürlich, die Programmkinos. Aber warum sieht man nicht im Multiplex auch gerne alte Filme? Sie sind doch meistens besser. Was von dem Neuen übrigbleibt, ist nur ein Bruchteil.

ASMR, Ambient Music

Man müsste einmal diese ASMR-Szene untersuchen, die Retardierungen durch Geräusche, hypnotische Schleifen, die in Verbindung von Blick und Sound entstehen, die synästhetischen Rhythmen, die das Ganze anleiten, Stimmenkünstlerinnen wie ASMR Maddy [Link]. Apples amerikanische Siri-Stimme Susanne C. Bennett [Link] oder Heike Hagen [Link] [Link]. Dazu die schönen Soundatmosphären von Ólafur Arnalds [Link], Hildur Guðnadóttir [Link], Stefan Will [Link] [Link], Nils Frahm [Link]. Zum ersten Mal wahrgenommen habe ich diese Effekte bei Pink Floyd und der Musik der 1960er Jahre, Jefferson Airplane, The Doors, Velvet Underground und Nico, dann natürlich bei Kate Bush und Björk [Link]. Man kann diese Atmosphären auch automatisch generieren, mit Asoftmurmur [Link]. In der Kürze der Zeit fand ich nur dieses Paper von Andrew Shumway [Link].

2022.12.25

Kommunikation und Technik

Immer wieder wundert es mich, dass das Internet, die E-Mail, die sozialen Medien die Direktkommunikation verringert haben. Es gibt eine Menge Streukommunikation, einer sendet etwas, die anderen abonnieren den Kanal, konsumieren also. Das ist Massenkommunikation im Kleinformat. Aber dass ein Mensch den anderen bewusst kontaktiert, ist kaum der Fall. Es geschieht aus institutionellem Anlass, aber kaum aus wissenschaftlichem oder thematischem Interesse. Woran liegt das? Marx, die Politaktivistinnen und Aktivisten des 19. Jahrhunderts, Bertolt Brecht, sie träumten von solchen Möglichkeiten. Nun haben wir sie, aber wir navigieren nur im Datenraum, sind passiv aktiv, erzeugen nichts, sondern suchen nur. Eine Direktkommunikation erscheint heute offenbar vielen als Störung, sie haben Angst, sie sehen keinen Sinn in einem direkten Kontakt und Austausch. Alles scheint es schon zu geben. Der Andere könnte antworten, dass man doch alles nachlesen könne, ob man das nicht wisse, die Veröffentlichungen denn nicht kenne.

Alfred Hitchcocks Saboteur (1942)

Hitchcocks großes Thema ist das des unschuldigen Mannes, der von einer anonymen, quasi-staatlichen Instanz verfolgt wird. Das erlaubt ihm einerseits eine Spannungsorientierung, ohne sich um die Logik der Geschichte kümmern zu müssen, garantiert aber auch eine Verankerung in Diskurse der Moderne. Offensichtlich ist doch, dass der Staat und große Organisationen handeln wie Meta-Menschen, Leviathane eben. Sie haben eine eigene Logik, die wir nicht verstehen. Und das zeigt Hitchcock. Der Film hatte am 22. April 1942 Premiere, zur Zeit des Russland-Feldzugs der Nazis.
Saboteur ist immer noch spannend. Aber der Zuschauer ist heute intelligenter, als Hitchcock noch annahm, vieles ist überdeutlich. Wir erahnen die Überraschungen und überschauen die Fährten, bevor sie ausgeführt werden. Der Film ist in mancherlei Hinsicht altmodisch, die Raumorganisation etwas stereotyp, gerade in den Innenräumen und den Dialogszenen. Aber die Grenzlinien Innen-Außen sind großartig gestaltet. Die Lady Liberty-Szene skizziert bereits die Mount Rushmore-Szene in North by Northwest (Der unsichtbare Dritte, 1959). Wunderbar sind natürlich die Überschreitungen der medialen Inszenierung, Priscilla Lane blickt uns aus Werbeplakaten an, im Kino finden Schießereien nicht nur auf der Leinwand statt. Lane (als Patricia ›Pat‹ Martin) und Robert Cummings (als Barry Kane) passen so gut in diesen Film, weil sie durchschnittlich aussehen. Sie wirken wie Simulationen, jeder kann sich mit ihnen identifizieren. Patricia ist passiv, Kane aktiv. Sie ist seine Gefährtin, die die Abenteuer mitmacht, eine involvierte Beobachterin. Lane spielte danach nur noch in wenigen Filmen, zog sich ab 1948 offenbar zurück.
Schön ist die Photographie. Hitchcock 01 Einmal steht Patricia auf einer Landstraße und winkt um Hilfe. Sie bemerkt nicht, was wir genießen: Die Landschaft. Das erinnert an Andrew Wyeths Bilder.
Ein andermal sitzt sie im Taxi und verfehlt uns als Zuschauer mit ihrem Blick nur minimal. Hitchcock 02 Da spannt Hitchcock eine voyeuristische Situation auf, ohne sie auszuführen. Diese Andeutungen des Erotischen aus dem Alltag heraus, die gibt es später natürlich noch viel mehr, etwa in Vertigo (1958). Das Make-Up, die Frisur und Kleidung, etwa der flauschige Pelzschal im flimmernden Licht (wir sehen ihn in der Sonne und im Schatten), das ist alles sehr kunstvoll gestaltet und mit viel Liebe zum Detail ausgesucht. Lane vermag es auch, diese Acessoires mit einer gewissen Beiläufigkeit zu tragen und sie so zu veredeln. Wenn diese Mode-Inszenierung auch dem Plot widerspricht, sie verleiht dem Film etwas Schickes, Stilvolles und Elegantes, das die Bilder jenseits der Erzählung erhaben wirken lässt.

2022.12.24

Frohe Weihnachten! クリスマスおめでとう。

2022.12.23

God's away...

2022.12.22

Alexander Kluges Lesung Im Apparat ist online

Theorie und Temperament

Jede Theorie spiegelt auch eine persönliche Gefühlsdisposition, ein Temperament. Und es ist so, dass bestimmte Tempramente sich jeweils über die Theorien assoziieren. Aber gute Theorien überschreiten diese Grenzen. Sie sind offen.

The Pogues. Star of the County Down

[Link]

2022.12.18

Ulrich Klingmanns neues Buch

... ist eine Kurzfassung zu Goethes Iphigenie auf Tauris mit einer parallelgedruckten modernen Versübersetzung ins Englische. [Link] Bild

Manchmal steh ich auf, mitten in der Nacht, und laß die Uhren alle stehen


Ȇber kurz oder lang!
Daß Ihn das Wort so kränkt.
Die Zeit im Grund, Quin-quin, die Zeit,
die ändert doch nichts an den Sachen.
Die Zeit, die ist ein sonderbares Ding.
Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts.
Aber dann auf einmal,
da spürt man nichts als sie:
sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen.
In den Gesichtern rieselt sie, im Spiegel da rieselt
sie,
in meinen Schläfen fließt sie.
Und zwischen mir und dir da fließt sie wieder.
Lautlos, wie eine Sanduhr.
O Quin-quin!
Manchmal hör ich sie fließen unaufhaltsam.
Manchmal steh ich auf, mitten in der Nacht,
und laß die Uhren alle stehen«
Richard Strauss (Komposition), Hugo von Hofmannsthal (Libretto) (1911): Der Rosenkavalier, Erster Akt.
Danke an U.K. für den Hinweis!

Ólafur Arnalds und Nils Frahm

Gremienarbeit, Aufmerksamkeit und Erinnerung

Gremienarbeit erfordert Aufmerksamkeit auf ein abstraktes Ziel hin. Wer da mal unaufmerksam ist, kann in der Gunst schnell sinken. Aber viel gefährlicher ist die Erinnerungslücke. Weiß man nicht mehr, was an entscheidender Stelle mit irgendjemandem vereinbart wurde, oder erinnert man sich falsch, dann kann das zur Folge haben, dass Andere sich hintergangen fühlen. Sie vermuten einen Komplott, einen Angriff auf die eigene Integrität, weil der/die ›das doch hätte wissen müssen‹, obwohl diese Gespräche eher einem Geraune, manchmal einem Gemurmel ähneln, weil keiner sich festlegen will. Da wird dann eine Absicht unterstellt. Manchmal interferieren geheime Gruppen und lancieren Pläne im Hintergrund. Die Gespräche interferieren mit der zukünftigen Realität. Die angedeuteten Ideen setzen sich um, aber auf ganz andere Weise, weil diverse Machtfelder sie ablenken. Welche Metapher eignet sich, um diese eigentümliche Erinnerungs- und Aufmerksamkeitsarbeit in Gremien zu beschreiben?

2022.12.13

Zeichnen im Ryōanji, Kyōto

In diesem Garten [Link], über den schon so viel geschrieben wurde, lässt sich die Zeit besonders gut studieren. Ihr Fluss ist in den Steinen kristallisiert. Als ich gestern dort war, kamen, wie vor vierzehn Jahren auch schon, Schulgruppen. Die Lehrer fragten immer das Gleiche: Wie viele Steine seht ihr? Und dann zählten die Schüler immer wieder die Steine durch. Sie sagten dann: 14, manche 15, worauf der Lehrer nachzählte und sagte, dass man nur von der rechten Seite aus alle Steine unverdeckt sehe. Die richtige Antwort wäre gewesen: Eine Million Steine sehe ich, vielleicht sind es mehr. Schon bei meinen ersten Japanbesuchen glitt ich in eine andere Zeitauffassung, die ich seit meiner Kindheit sehr mag. Es ist dies eine, die sich an die Wahrnehmung verliert. Dann fließt die Zeit anders. Wenn man spielt, zeichnet, musiziert. Die Zeit ist dann kein Instrument, kein Behältnis, man verfügt nicht über sie wie wenn man eine Veranstaltung organisiert, sondern man ist selbst Zeit, man wird zeitlich. Bei meinem ersten Besuch auf dem Observation Deck des Mori-Tower verbrachte ich Stunden damit, den Sonnenuntergang zu beobachten. Nur zwei Mönche waren ähnlich langsam. Und so blieb es auch gestern. Die meisten Menschen kommen hierher, schauen, setzen sich fünf Minuten auf das warme, glattgelaufene Holz der Veranda, machen Photos und stehen dann auf. Wer glaubt, lange zu sitzen, ist vielleicht 20 Minuten dort, dann geht es weiter. Manche unterhalten sich. Eine Frau sah in dem flachen Stein einen Hund. Ich zeichnete und so merkte ich nicht, dass es beinahe drei Stunden wurden. Die Sonne bewegte sich hinter die Bäume, die Schatten veränderten sich. Das Licht spendete Wärme. Der Steingarten ist nicht groß, aber man kann, wenn man auf der Veranda sitzt, etwa nur die Hälfte mit einem Blick zeichnen. Wenn man die andere Hälfte sehen will, muss man den Kopf bewegen. Auf dem Gelände ist noch ein schöner Teich und ein kleiner Wald. Bei diesen Bäumen hackte man den Haupttrieb ab. Dann bildete sich ein Nebentrieb. Auch den hackte man ab. Die Nebentriebe wurden immer kleiner. Aber alle Bäume sind auf diese Weise zugerichtet.

2022.12.12

Kyōtos Verkäuferinnen in Trance

Mehr als in anderen Städten, in anderen Bahnhöfen, ist mir schon vor 14 Jahren aufgefallen, was sich dieser Tage wieder bestätigt hat: Die Verkäuferinnen am Bahnhof von Kyōto spulen ihre Sätze in einem Zwischenbewusstsein ab. Sie reagieren mehr als noch in anderen Städten auf den Gast, indem sie den Arbeitsvorgang und das Aufsagen der immer gleichen Sätze aus der Trance heraus sprechen. Sie zu verstehen fällt schwer, weil es nicht nur viel zu schnell gesprochen ist, sondern auch ganz anders betont als sonst. Es sind situative Satzpassagen, die der gewöhnliche Käufer sowieso erwartet, die ich aber zuordnen muss als einen bewusst gesprochenen Satz. Das fällt mir schwer. Es ist ein Gemurmel mit monotonem Verschliff. Es muss so sein. Sie sprechen in Trance. Bei Arbeitsbeginn driften sie in die absente Welt und verlassen sie bei Arbeitsende.

Zwei Formen gesellschaftlicher Verdichtung

Es gibt zwei Möglichkeiten der Verdichtung: Beschleunigung und Taktung. Die Beschleunigung wird oft in Europa praktiziert. Man mutet den Menschen individuell zu, mehr zu leisten, setzt sie unter Druck und Stress, zwingt sie zu Optimierungen. Diese Form der Organisation ist irgendwann habitualisiert. Dann kann man unglaublich schnell auf neue Situationen reagieren und scheinbar aus dem Nichts eine Struktur aufbauen, braucht sich um die anderen nicht zu kümmern. Man ist autonom in Raum und Zeit. Die zweite Form wird in Asien, etwa in Japan, praktiziert. Kommt man von europäischen Gesellschaften nach Japan, so verwundert die Ruhe und Gemächlichkeit. Man denkt sich: Wieso haben die Menschen keinen Stress? Das liegt aber an der anderen Form der Verdichtung. In Japan taktet man. Dadurch entsteht ebenso eine Form der Intensivierung der Ereignisse, aber durch Wiederholungspulse. Dann kann etwa die Übergabe von Arbeiten ganz leicht erfolgen, weil man wie in einem Raster weiß, wer wann wo ist. Es entstehen interessante Kollektiveffekte, Synchronismen und Ballungen aus dem Nichts. Der Nachteil ist, dass man sich in diese Wiederholung hineinbegeben muss. Sie driftet in das Privatleben und den Alltag, gewährt aber außerhalb der definierten Taktungszeiten Freiheit. Die Gesellschaft wird zu einem Uhrwerk. Die Züge kommen pünktlich.

2022.12.11

Yusai Okuda

In Yusai Okudas phantastischer Villa. Wer will ihm noch etwas von Licht und Farben erzählen? Spiegelungen, Brechungen der Realität und der Natur. Imaginative Physis. Großartig, sowieso die Kimonos.

Vom Zeichnen

Eigentlich könnte man denken, dass Zeichnen eine einsame Tätigkeit ist. Aber immer, wenn ich zeichne, etwa Tempel oder Gärten, sprechen mich Menschen an. Sie, die die Photoapparate haben, lugen mir über die Schulter, können es nicht lassen, meine Zeichnungen zu loben, gehen gar ein Gespräch mit mir ein! Allein deshalb zeichne ich schon gerne. Ich warte auf die Menschen, sie kommen garantiert, assoziieren sich, möchten mit zeichnen. Ein Fest der Langsamkeit und des Anachronismus! Die Stillen sprechen miteinander! Sie verlassen ihre Einsamkeit.

Gespräche an der Bar

Die Gespräche an der Bar. Barkeeper-Weisheiten. Verlorene. Eine Frau hängt ab. Ein Mann isst eine deutsche Weißwurst. Ist es von irgendeiner Bedeutung, dass man in Kanada keinen berühmten Whisky hat, obwohl das Wasser gut ist, oder Wein? Dass es dort Tomaten-Cocktails gibt?

2022.12.10

Kaiserpalast. Skizzen

Der Kaiser verfügte über den Raum und die Zeit. Er geometrisierte die Stadt und taktete die Zeit. Auch an den Rändern des Palastes in Tōkyō ist der Raum noch auf diese Weise strukturiert. Aber diese Ordnung wurde aufgegeben, die zeitliche bis heute beibehalten. Skizzen vom Shōseien, Kyōto.

2022.12.09

Kyōto

In Kyōto, der Schachbrettstadt, sind die Bürgersteige um 22.49 Uhr hochgeklappt... Auch im Indépendants ist keiner mehr. Der Fernseher im Hotel zeigt eine Dokumentation. Weil sich alle schämen und die Informanten schützen wollen, werden die Gesichter mit Ovalen überlappt, die Stimmen wie im Anime verfremdet... alles klingt nach Micky Maus. Die Ernsthaftigkeit, die die Moderatorin in ihre Stimme legt, entgeht mir...

2022.12.08

Ähnlichkeiten. Anna Thalbach und Julia Hummer

Es gibt Ähnlichkeiten im dargestellten Typus, die mich immer wieder verblüffen. Etwa Anna Thalbach in der Rolle der Trixi in Edgar Reitz Die zweite Heimat. Chronik einer Jugend (1992) und die Nina, von Julia Hummer dargestellt, in Christian Petzolds Gespenster (2005). Hummer ist 1980 geboren, Thalbach 1973. Das sind kleine Signaturen, Gesten, Rücknahmen im Schauspiel, Übersteigerungen der Versagung, weil man die Klischees schon zu kennen glaubt, die man spielt. Die Rollen wirken beide authentisch, es sind Verlorene, die in diesem Verlorensein wohnen.

2022.12.04

Mediale Wellen der Angst

Seit den 1990er Jahren kann man beobachten, wie verschiedene Narrative der Angst in Wellen die Medien weltweit dominieren. Ich meine, dass nach 1989 ein Zustand der Freiheit und des Glaubens einer friedlichen, globalen Welt vorherrschte. Dieser wurde dann wenig später durch den Zweiten Golfkrieg massiv in Frage gestellt. Man könnte folgende Chronik aufstellen:
9.11.1989 Fall der Berliner Mauer. Freiheitszustand, Hoffnung.
16.1.1990 Zweiter Golfkrieg.
Dann gab es nach Ende der Kampfhandlungen im Mai 1991 eine mehrjährige Ruhephase, in der die weltweite Stimmung positiv war. Über Konflikte und Kriege wurde berichtet, diese waren aber lokal bzw. wurden in den Nachrichten so dargestellt. Eine Zäsur war dann der Angriff auf die Twin-Towers am
11.9.2001. Hier begann eine globale Infektion mit ikonischen Angstbildern, wie ich sie vorher nicht kannte. Zwar war in den 1970er Jahren die RAF in Deutschland medial präsent, aber diese agierte nicht global. Die Zerstörung der Twin-Towers wurde von Beginn an als Angriff auf den Kapitalismus und den Westen eingeordnet und nicht nur als eine Tat einer einzelnen terroristischen Gruppe. Damit war dann als Antwort darauf alles möglich. Man konnte Kriegshandlungen begründen, Kontrollstaatsmaßnahmen folgten, die Öffentlichkeit polarisierte sich. Der Afghanistan-Krieg ab Oktober 2001 und der Dritte Golfkrieg ab dem 20.3.2003 waren die Antworten auf die Anschläge der Terroristen und wurden medial begleitet. Zwischenzeitlich aber herrschte ein regelrechtes Vakuum an Angstbildern. Erst die Terroranschläge am 13.11.2015 in Paris und der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin Breitscheidplatz am 19.12.2016 rückten die Gefahr wieder stärker in die mediale Aufmerksamkeit. Im
Februar 2020 gingen Berichte aus Italien um die Welt, wo die COVID-Pandemie besonders schlimme Folgen hatte. Danach wurden vor allem nationale Maßnahmen erlassen, wenn auch weltweit, die man sich vorher kaum vorstellen konnte: Grenzschließungen, Einstellung des Flug- und Reiseverkehrs, Lockdown, Ausgangssperre wie zu Kriegszeiten, Kontrollen, Massentests, Impfzwang etc. Auch hier herrschte nicht ein neutraler Berichtsstil vor, sondern man suchte das kulturelle Gedächtnis nach Angstbildern ab und aktualisierte diese. Man empfand offenbar eine regelrechte Genugtuung, die Menschen in Panik und Angst zu versetzen, mit allen Mitteln. Das Wichtigste Prinzip bestand darin, dass alle Medien rund um die Uhr homogen nur über das eine Thema berichteten. So dominierte die mediale Welt den Alltag, flankiert von staatlichen Maßnahmen und Eingriffen. Dieses Angstnarrativ wurde dann schließlich am
24.2.2022 abgelöst durch die Kriegsberichterstattung des Überfalls Russlands auf die Ukraine.
Ich will in keiner Weise die Berechtigung der Berichte in Frage stellen. Auch geht es mir nicht darum zu klären, warum diese Narrative sich bildeten. Es gab hier kein Zentrum, obwohl diese Berichte global und einander relativ ähnlich waren. Das wäre eine eigene Betrachtung wert. Worum es mir geht, ist die emotionale Aufladung mit Existenzängsten, die in allen den Phasen zu beobachten ist und die weit über die neutrale Berichterstattung hinausging. Es gibt hier eine Disproportionalität zwischen dem Geschehen des Attentats, auf dem Schlachtfeld, der Pandemie und dem Alltag der Menschen. Offenbar haben die Medien es verlernt, die Menschen positiv zu erreichen. Sie können auch nicht mehr einfach sachlich berichten, sondern bedienen sich neben der Dramaturgie verschiedener Angst auslösender Mechanismen. Diese sind primitiv, wirken aber, weil sie nach dem Agenda Setting-Prinzip erfolgen und dann auf allen Kanälen wiederholt werden. Vielleicht ist dies auch eine Antwort der klassischen Medien Fernsehen und Zeitung auf das Internet, das lokal funktioniert und dezentral, oftmals den individuellen Alltag in das Zentrum rückt. Man konkurriert hier mit Aufmerksamkeiten. Aber ist das die ganze Erklärung? Bemerkenswert ist, dass in den Wechselphasen die wenig vorher noch geschürten Angstbilder nahezu aufgegeben werden, wenn über eine neue Bedrohung berichtet wird. Sie werden schnell durch andere ersetzt. Das Ganze wirkt, mit Distanz betrachtet, surreal.

2022.12.03

Wer, wenn ich schriee. Rilke-Nachlass


Gestern las ich in der FAZ, dass der Nachlass Rainer Maria Rilkes nach Marbach geht. [Link] Welch ein Schatz! Man kann jetzt erschließen, wie die Duineser Elegien entstanden, Skizzen dazu ansehen. Ich hoffe, dass diese Dokumente bald gescannt werden. Sie sollten der Allgemeinheit kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Sie sind Menschheitsgut. Ich las dann nochmal die Erste der Duineser Elegien, wo es zu Beginn heißt:
»Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.«
Da schreit also keiner mehr, denn »schriee« ist Konjunktiv II. Es will auch keiner mehr schreien, sondern da denkt jemand vorher, ob denn der Schrei gehört werden könne und unterlässt es deshalb. Anstelle eines spontanen Ausbruchs der Emotion tritt also das Kalkül des Erfolgs, der Resonanz, der Abstraktion. Es ist dies also kein Umgang mit Gefühlen, sondern ein Wandel, wie wir in unseren Gefühlen leben, ein Selbstverhältnis, das sich verändert hat. Dann die pessimistische Sicht, die Angst, Engel auch nur anzurufen, das metaphysische Gefühl der Ohnmacht im Gegensatz zur Aufgehobenheit in der mythischen Ordnung. Das ist sehr vielschichtig, sicherlich nicht weniger kompliziert als bei Friedrich Hölderlin, etwa im Ister.
Vertonung des Anfangs

2022.12.01

Dreisphärentheorie der Intersubjektivität

Das Diagramm stellt drei Formen intersubjektiven Zusammenseins dar. Die alltägliche Sphäre ist die der sinnlichen Wahrnehmung. Hier erscheinen die Menschen und agieren physisch miteinander, sprechen, nehmen einander wahr. Intersubjektivität wird hier wie von selbst erzeugt. Sie ergibt sich scheinbar ohne Zutun. Einer spricht, der Andere antwortet. Es entsteht eine gemeinsame Präsenz, beruhend auf Sinnlichkeit. Diese Gegenwärtigkeit kann ergänzt werden, indem man spricht bzw. sich an geteilte Erfahrungen erinnert oder etwas gemeinsam tut, also einen sozialen Aufmerksamkeitsraum erzeugt. Diese Präsenz weist allerdings eine größere Fehleranfälligkeit auf. Es können leicht Missverständnisse entstehen, weil es Unsicherheiten gibt. Andererseits aber ist es erstaunlich, wie selbstverständlich die Erinnerungssphäre eine eigene Erinnerungswelt bildet, die man gemeinsam einwohnt, auf die man sich bezieht, obwohl diese rein geistig ist. Dies funktioniert auch dann, wenn man eine Erinnerung schildert, die der Andere nicht miterlebt hat. Noch interessanter wird es, wenn man einen Phantasieraum bildet, also eine kollektive Phantasiewelt erzeugt, die es niemals als physische gab, die erfahrungslos ist und die jeweils andere Nuancen hat, je nach Perspektive. Dennoch können wir uns darauf beziehen und gemeinsam eine solche Welt ergänzen. Einer sagt etwa, dass er ein Einhorn sehe, ein anderer beschreibt das Tier etc.

Tateshina Kulturseminar mit Joseph Vogl

2023 findet das Tateshina-Seminar wieder Face-to-Face statt! Mit Prof. Dr. Joseph Vogl. Hier die Ankündigung [Link]

Ansprüche der Bürokratien

Die Bürokratien stellen Ansprüche an Anwesenheit, überprüfbaren Leistungen, Aufmerksamkeit, Daten etc. Sie versagen dann Leistungen, wenn diesen Ansprüchen nicht genügt wird. Sie ahnden und sanktionieren, bestrafen gar. Dabei gelten stets die starren Regeln der Bürokratie, denen sich der Mensch fügen muss.

2022.11.29

Gallagher Now!

Diese Stimmung möchte ich wiederhaben! Aber wie kann man das schaffen? Agiert man alleine, errichten die anderen Bühnen. Dann wird man auf diesen Bühnen gezeigt, darf sie bespielen und die anderen erfreuen sich des Schauspiels. Aber es geht nicht ums Schauspiel, es geht um das Gefühl, das es noch in den 1990er Jahren gab und das seit dieser Zeit systematisch ausgelöscht wurde. Das aber ist nicht gelungen. Es wird nie gelingen. Ich möchte es aber schnell wiederhaben. Diese Freiheit, dieser Spaß!

2022.11.27

Michael Wetzel im Apparat

Morgen spricht Michael Wetzel in unserer Online-Vorlesung im Apparat!
Bild
Weitere Infos auf [Link]

Valenzen des Verstehens

Film und Literatur haben je eigene Valenzen des Verstehens. Das sind Schichten, die sich je nach Hingabe dem Werk gegenüber erschließen.
Beim Film sind dies:
1. Die Oberflächenschicht der dargebotenen Dinge, Lebewesen, Bewegungen, Geräusche, Töne.
2. Die Situation, in der sie stehen.
3. Die Handlung, die sich aus ihnen ergibt. Der Verbund von Sprache, Bild, Ton und Musik.
4. Die ästhetische Einfassung.
Zunächst muss man den Film nicht von der Handlung her begreifen, sondern man wird die schönen Bilder rezipieren, die Bewegungen genießen oder die Töne. Erst bei größerer Aufmerksamkeit erschließt sich eine Handlung, die stets tiefer und vielschichtiger wird, je genauer wir uns dem Film widmen, je mehr Aufmerksamkeit wir ihm schenken.
Bei der Literatur sind diese Schichten ganz andere:
1. Der Satz und seine Bedeutung.
2. Die Situation und Figurenkonstellation.
3. Das Gewebe der Erzählung
Insofern ist die Literatur viel abstrakter. Man muss den Satz verstehen, sonst ist einem der Zugang zur fiktiven Welt verschlossen. Eine gewisse sprachliche Aufmerksamkeit ist stets wichtig. Die Valenzen sind daher viel eingeschränkter. Filme lassen sich auch beiläufig noch rezipieren, bei der Literatur ist das nicht möglich.

Projektekultur

In unserer Projektekultur wird man für das gefördert, was man zu tun beabsichtigt und nicht für das, was man kann und was man ist. Durch die zersplitterten Projekte macht man sich kalkulierbar, unterwirft sich schon in der Form des Antrags der Autorität. Das Freiheitsversprechen, man könne für alles einen Antrag stellen, ist stets oberflächlich.

2022.11.23

The Revenant - Filme der Superlative

Es scheint immer mehr so zu sein, dass die einzige Garantie für einen erfolgreichen Film die Superlative ist. So etwa in Alejandro G. Iñárritus The Revenant (2015), den ich dieser Tage endlich sah. Ich hörte viel davon, fand aber nie die Zeit, ihn anzusehen. Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle, Länge von 156 Minuten. Man kann das ›episches Videospiel-Kino‹ nennen. Was mich an diesem Film stört, sind nicht nur die bösen Indianer, es ist die hektische Dramaturgie, dass immer etwas passieren muss, egal, wohin man schaut, ein Gewirr von Handlungen und Personen, keine Ruhe, es wird nicht erzählt, sondern nur ein Haufen von Bewegungen gezeigt. Egal, wohin die Weitwinkelkamera schwenkt, mir bleibt keine Zeit für Empathie in diesem Film. Als dann DiCaprio von einem Bären angefallen wird, ich wartete auf die Szene, wird alles vollends grotesk. Es mag wirklich passiert sein, aber in dieser Verdichtung der Gefährlichkeit wirkt es kitschig. Die starke Subjektivierung erinnert an Terrence Malick, aber letzterer nimmt sich Zeit und lässt uns schwelgen. Hier verlieren wir uns im Gemetzel wie in The Gladiator (Ridley Scott, 2000). Ryuichi Sakamoto versuchte immerhin, das Tempo aus den Bildern zu nehmen. Es konnte ihm nicht gelingen. Danach sah ich Nagisa Ōshimas Der Junge (Shōnen, 1969). Großartiges Kino mit einem heute kaum mehr möglichen Erzählexperiment, dass Eltern Kinder zu Unfällen erziehen und diese dann monetarisieren. Ebenso unglaublich sein Die Zeremonie (Gishiki, 1971), der die Beerdigungszeremonien Japans zum Thema hat und von diesen Ereignissen aus eine Familiengeschichte erzählt. Das sind politische Filme, die etwas mit den Zuschauern machen, sei es nur, sie vor Kopf zu stoßen. Aber sie regen zum Nachdenken an, provozieren und sind sparsam im Einsatz der ästhetischen Mittel.

Photos von Vulkanen

Adrian Rohnfelder, großartige Photos von Vulkanen! [Link]

Ghost Riders

Gerade schreibe ich an meinem neuen Buch zur Scham und Schuld. Zwischendurch produziere ich Krach.

Vorstellbarkeiten

Vor drei Jahren konnten wir uns eine Pandemie und die harschen Reaktionen der Regierungen nicht vorstellen. Die Menschen in den 1920er Jahren konnten sich eine Wirtschaftskrise mit Hyper-Inflation und einen Zweiten Weltkrieg nicht vorstellen. In den 1990er Jahren konnte man sich nicht vorstellen, dass sich die Welt re-nationalisieren würde, alles war dem Dogma der Globalisierung verpflichtet. Die meisten Menschen können sich Dinge nicht vorstellen, ehe sie passieren. Sie sind dann bestenfalls überrascht. Viele reagieren heute, indem sie sich bewusst de-sensibilisieren, bestimmte Alternativen nicht hören wollen. Sie empfänden einen Vergleich mit dem Möglichen als Kränkung.
Man sollte aber nicht glauben, dass diese Vorstellbarkeiten von alleine reduziert werden. Sie lassen sich medial einhegen und ideologisch steuern. Wenn man in Medien Alternativen ausblendet und alternative Sprechweisen und Kritik als Störung zeigt, dann erzeugt man eine Reduktion von Vorstellbarkeiten. Die Wiederholung der immer gleichen Muster, etwa die Reduktion einer politischen Konferenz auf wenige Statements, die immer gleichen Bilder der Politiker, die vor den Journalisten stehen und von deren knappen Reden nochmals nur ein paar Worte gesendet werden, erwecken den Eindruck einer primitiven Maschinerie. Man hegt den Geist ein, indem man solche Bilder und Formeln wieder und wieder zeigt. Es entstehen wie bei der Hypnose Trigger-Signale anstelle von Diskursen. Das wurde dann in der Corona-Pandemie perfektioniert, indem man die Menschen auch physisch in ihre Wohnungen sperrte, von wo aus sie die eingehegten Bildräume rezipieren durften.

2022.11.21

Zwei Akte von Ichijō Narumi (1877–1910)

Diese beiden Ukiyo-e Arbeiten von Ichijō Narumi (1877–1910) schätze ich sehr [Link 1] [Link 2] . Es ist ein Druck und eine Postkarte, vom Museum of Fine Arts in Boston gesammelt. Diese Akte sind stille Meisterwerke der Auslassung. Der Körper der Frau ist eine weiße Fläche. Die Wellen umströmen ihren Leib, wobei es mir keineswegs zufällig erscheint, wie sie dargestellt sind. Es gibt, ebenso in der Haltung der Frau, eine Chiffrenhaftigkeit, die erst auf den zweiten Blick auffällt. Das Abwesende, Abgewandte, Schamhafte ist das eigentliche Thema dieser Bilder.

2022.11.20

Filme meiner Kindheit

Im Zug sitzend fragte ich mich, welche Filme mich als Kind besonders prägten. Da waren zunächst die Ritterfilme, etwa Richard Thorpes Die Ritter der Tafelrunde (Knights of the Round Table, 1953) oder Die Abenteuer des Robin Hood (The Adventures of Robin Hood, Regie Michael Curtiz und William Keighley, 1938). Was mich an letzterem faszinierte, das war die Leichtigkeit, mit der Errol Flynn sich aus scheinbar ausweglosen Situationen befreien konnte. Diese Omnipotenz ist kindlich, genauso wie bei Zorro (Im Zeichen des Zorro, The Mark of Zorro, Regie Rouben Mamoulian, 1940). Mamoulians Gruselfilme mochte ich ebenso. Natürlich durchschaute ich damals die propagandistische Färbung nicht.
Westernfilme sah ich auch, aber mein wirklicher Lieblingsfilm des Genres ist Zwölf Uhr mittags (High Noon, 1952) von Fred Zinnemann mit Gary Cooper als Marshal Will Kane und Grace Kelly als Quäkerin Amy Fowler Kane. Großartig ist die Idee, einen Echtzeit-Western zu drehen, dazu die Musik von Dimitri Tiomkin, abgesehen von den Bösewichten um Frank Miller (Ian MacDonald), darunter Lee Van Cleef. Das ganze Setting ist unschlagbar gut, die Vergangenheit Kanes und die Abgründe der Gemeinschaft, die sich stillschweigend mit den Verbrechern verbünden, weil sie Angst vor ihnen haben.
Früher liefen im Vorabendprogramm noch Mack Sennetts Slapstick-Filme und Dick und Doof (Stan Laurel und Oliver Hardy). Letztere schaute ich wieder und wieder. Da es damals keine Möglichkeit der Videoaufzeichnung gab, war das Wiedersehen eines Lieblingsfilms ein Ereignis. Besonders schätzte ich die Folgen, in denen es zahlreiche Missverständnisse gab, die zu grotesken Situationen führten. Ein auch heute noch von mir sehr geschätzter Film, bei dem ich immer wieder lachen muss, ist Der zermürbende Klaviertransport (The Music Box, Regie James Parrott, 1932). Unglaublich interessant fand ich auch, wenn Stan seine Finger als Feuerzeug benutzen konnte. Ich fragte mich, ob das möglich sei.
Ein Film, der heute auch über Weihnachten jährlich gezeigt wird, ist das Meisterwerk Ist das Leben nicht schön? (It’s a Wonderful Life, 1946) von Frank Capra, passend zum Kriegsende. James Stewart ist einfach unglaublich gut. Er kann den Tolpatsch spielen und dennoch tragisch sein. Wie der Engel durch eine einfache Off-Stimme und blinkende Sterne dargestellt ist, dann das filmische Medium als eines, das die Vergangenheit in Alternativen zu zeigen vermag. In diesem Film gibt es so viele schöne Stellen, die mich auch heute noch rühren. Ähnlich geht es mir mit Drei Nüsse für Aschenbrödel (Tři oříšky pro Popelku, 1973) von Václav Vorlíček. Der Film wagt Erotik für Kinder. Wie Libuše Šafránková auf dem Pferd reitet und blickt, das driftet in die Erinnerung. Ähnlich arbeitet schon Fanfan, der Husar (Fanfan la Tulipe, Regie: Christian-Jaque, 1952) mit Gina Lollobrigida, schon der Name klang bezaubernd. Die tschechischen Filme waren unschlagbar, sie besaßen eine Einfachheit und gleichzeitig eine Weichheit, Differenziertheit, Theatralität. Otto Šimánek als Pan Tau (Idee Ota Hofman und Jindřich Polák) konnte mit seiner Melone zaubern, stand wie selbstverständlich auf den Tragflächen eines Flugzeugs. Ähnlich die Animationsserie Der kleine Maulwurf (Krteček, Idee Zdeněk Miler, 1957ff.). Obwohl der Maulwurf nur stereotype Geräusche machte, niemals sprach, hatte ich den Eindruck, ich könne ihn verstehen. Eine weitere Serie, die immer als Pausenfüller im Fernsehen lief, was für mich aber das eigentliche Highlight war, ist La linea (1971-1986) von Osvaldo Cavandoli gewesen. Diese Interaktion mit dem Zeichner, das Freche der Figur, obwohl sie schnell verschwinden kann, die tausenden Verwandlungen, die doch so einfach waren, beeindruckten mich. Was konnte eine Linie alles machen! Die Hauptfigur der Astrid Lindgren-Verfilmung Immer dieser Michel (Emil i Lönneberga, 1971-1973, Regie: Olle Hellbom) war ein Verbündeter. Aber ich war sehr traurig, als die Serie nicht mehr lief. Hellboms Pippi Langstrumpf (1969) schaute ich auch, aber das war mir zu skurril.
Irgendwann dann sah ich auch Science Fiction-Filme, die mich auch heute noch interessieren. Einer der ersten war George Pals Die Zeitmaschine (The Time Machine, 1960) mit Rod Taylor. Wie dort die Zeitmaschine designt wurde, ein Zukunfts-Retro-Design, das war großartig. Auch der Zeitraffer-Effekt war so einfach wie genial. Ähnlich dann die unglaublichen B-Movies von Jack Arnold (The Incredible Shrinking Man, 1957; Creature from the Black Lagoon, 1954; Tarantula, 1955). Im Fernsehen gab es danach immer ein Feature, Jack Arnold erzählt, in dem er über die Tricks sprach und wie er dazu kam, diese Filme zu machen. Das war und ist für mich eine der besten Einführungen in die Filmwissenschaft, mit Truffauts Hitchcock-Buch. Natürlich prägte mich Alfred Hitchcock, mit großem Abstand Der unsichtbare Dritte (North by Northwest, 1959) mit Cary Grant und Eva Marie Saint. Die Maisfeld-Szene, die Kletterszene am Mount Rushmore, das sprengt die Phantasie selbst eines Kindes. Irgendwann dann kamen mehr Science Fiction-Filme, sowieso Star Wars, insbesondere aber Tomoharu Katsumatas Edmond Hamilton-Verfilmung Captain Future (Kyaputen Fyūchā, 1978-1979). Das ist ein unerschöpflicher Reichtum an Ideen, welchen ich mir auch heute noch gerne ansehe. Die Musik von Christian Bruhn ist radikaler als die von Yūji Ōno. Hans-Jürgen Dittberners Stimme verleiht Captain Future eine Milde, ganz im Gegensatz zum japanischen Militärton von Taichirō Hirokawa. Dass man die Kindheit Captain Futures in der deutschen Fassung herausschnitt, ist schade, aber die Serie wurde durch die zahlreichen Eingriffe pazifistischer und friedlicher. Neben Raumschiff Enterprise (Star Trek, 1966-1969, Idee Gene Roddenberry) gab einige Filme und Serien, die heute nahezu vergessen sind, etwa Mondbasis Alpha 1 (Space: 1999, Idee Gerry Anderson und Sylvia Anderson) oder Kampfstern Galactica (Battlestar Galactica, Idee Glen A. Larson). Irgendwann sah ich Michel Crichtons Westworld (1973) mit Yul Brunner. Heute hat man eine ganze Serie aus der Idee gemacht. Dann kamen die Kung Fu- und Shaolin-Filme, Bruce Lee, James Bond, Die Wikinger (The Vikings, 1958, Regie: Richard Fleischer) mit Kirk Douglas.

2022.11.19

Reisen wie der Baron von Münchhausen

»Vor Muth und Diensteifer fast ein wenig allzu rasch, stellte ich mich neben eine der größten Kanonen, die so eben nach der Festung abgefeuert ward, und sprang im Hui auf die Kugel, in der Absicht, mich in die Festung hineintragen zu lassen. Als ich aber halbweges durch die Luft [53] geritten war, stiegen mir allerley nicht unerhebliche Bedenklichkeiten zu Kopfe. ›Hum, dachte ich, hinein kommst du nun wohl, allein wie hernach sogleich wieder heraus? Und wie kanns dir in der Festung ergehen?‹« (Gottfried August Bürger: Des Freyherrn von Münchhausen Wunderbare Reisen, 1786, S. 52-53) [Link]
Welche Vorstellung vom Reisen liegt den Schnellzügen zugrunde? Man soll offenbar wie auf einer Kanonenkugel sitzend, blitzschnell, von Ort A nach B kommen. Kommunikationsarm, das Einsteigen wie beim Militär, der Drill der Umsteigezeit tut sein Übriges, nimmt man auch einen hohen Fahrpreis und Platzmangel in Kauf für die dromologische Optimierung. Die Züge springen, vibrieren und wippen. Wenn sie die zahlreichen Tunnels durchrasen, lastet ein Unter- und Überdruck noch Minuten später auf den Ohren. Gepäck ist sowieso überflüssig, wurde nicht bedacht. Man soll am Besten alleine reisen, einfach den Körper in den Schalensitz legen, eine kleine Tasche vor sich.
Diese Züge vergrößern die Metropolen und schneiden das Land noch mehr von ihnen ab. Es entstehen großstädtische In-Groups, eine sprachlose Business-Kultur ohne Nuancen, reiche Reisende sind unter sich. Luxus fühlt sich heute so an. Warum hat man sich vom Konzept des gemütlichen, aber pünktlichen Reisens des 19. Jahrhunderts so sang- und klanglos verabschiedet? Ich meine, dass das an jeder Nachfrage und jedem Wunsch, der mit Reisen zu tun hat, vorbeigeht. Die Konkurrenz Flugzeug ist aber tatsächlich eine. Es wird immmer angeführt, man müsse ebenso schnell von A nach B transportieren können. Das wird freilich nie gelingen. Aber was an diesem Argument stimmt, das ist die Erfahrung einer Kraftübertragung der Maschine auf den in ihr Sitzenden. Es entstehen Entgrenzungen des Leibes, Extasen, Vakuol-Räume. Man macht die Erfahrung, in einer Kapsel zu sein wie vorher nur Tiefseetaucher, Astronauten und Flieger. Und diese kann als einzige angeführt werden, will man denn diesen weltweiten Trend erklären.

Die Selbstähnlichkeit japanischer Städte

... ist nicht geplant. Sie ist gewachsen, aus einer Haltung heraus, die es hier überall gibt. Es ist eine Homogenität im Inneren

Die Verlagerung des Lebens in den virtuellen Raum

Die Verlagerung des Lebens in den virtuellen Raum hat mehrere historische Phasen:
1. Unbewegte Bilder, handgemachte, dann technische Bilder, die die Phantasie materialisieren
2. Bewegte Bilder, die auch die Bewegungen und den Zeitablauf mit aufweisen
3. Reaktive Bilder, die durch den Computer möglich wurden und bei denen eine Schnittstelle zum menschlichen Körper eine Interaktion ermöglicht.
4. Die Kopplung mit der Lebenswelt und deren Kolonialisierungen durch das ortlose Internet.
Im Kern führt dies zu strengeren Verhaltenskonventionen und Regeln, zu einer Verarmung mitmenschlicher Kommunikation, zu einer Haltung, die immer weniger Bezug zur Nahwelt hat und die stattdessen eine fiktive Fernwelt der technischen Imaginationen bewohnt. Das Organisationszentrum der Lebenswelt liegt immer mehr in der digitalen Informationswelt.

Vulkanlandschaft

So endet und beginnt das Leben.
Aufgenommen am Nakadake-Krater Nr. 4 des Aso-Vulkans (Kyūshū, Japan).

Reisen in den 1970er Jahren

Er kümmerte sich nicht um die Zeit. Sagte seiner Mutter Lebewohl und war mit seinen Freunden für 15 Monate weg. Tibet, China, Indien, Pakistan. In Afghanistan schossen die Taliban auf ihn. Er rannte. Nichts ist passiert. Er ging immer wieder auf Reisen und hatte ein erfülltes Leben.

Begriff für Corona-Maßnahmen

Man kann die Corona-Maßnahmen auf einen Begriff bringen: Verhaltet Euch borniert!

2022.11.17

Die Mimikry-Serviette

Neben der Schnecke im Café war ein kleines weißes Türmchen so kunstvoll drapiert und in einem Glasschälchen serviert, dass ich dachte, es sei etwas zu essen, ein aufgeschäumtes Zuckerstückchen oder so. Ich wunderte mich, warum man es nicht zerbeißen konnte. Die Konsistenz war stoffartig. Es war eine Mini-Serviette. Sie schmeckte nach Wasser.

Wohin des Entwurfs?

Auf dem Weg von Shinagawa (Tōkyō) nach Hakata mit dem Shinkansen. Brückenkonstruktionen im Entwurf, sich wiederholende Großstadt-Signaturen, Modellen ähnlich, verlaufen im Dies der Berge. Wohin entwickelt sich das? Man sieht die Modernisierung in Japan früher als in Europa, weil es nahezu keine historischen Bauten gibt. Die Häutungen geschehen schneller, sind transparenter. Es ist dies eine Technisierung, die sich wie ein Gewebe über alles legt, gelockt von der Uniformität. Sinnlich wird es bei der Stadtlandschaft, die bis zu den Horizontlinien der Berge läuft, modulare Kästen. Auffällig die Strommasten, die Adern der Elektrifizierung. Bedenkt man, wie die Kräfte schon in diesem Zug technisch gezähmt werden, so vermittelt das einen ersten Eindruck davon, welchen Weg die Zivilisation in wenigen Jahrzehnten eingeschlagen haben wird. Der Nozomi (Wunsch, Hoffnung) fährt 300 Kilometer pro Stunde und braucht nach Hakata weniger als fünf Stunden. Die Serie 700 hat eine stattliche Länge von 404,7 Meter, was man beim Einsteigen beachten sollte. Die Menschen sind also unterwegs. Macht es Sinn zu fragen, wohin sie fahren? Es sind Ströme. Innen sitzen sie, schlafen, lesen, essen. Meistens sind sie ruhig, tragen Maske. Viele Männer in Anzügen - Geschäftsreisende? Der Wind surrt, manchmal scheint der Zug nach links und rechts zu springen, was ich so vom ICE nicht kenne. Aber in der Geschwindigkeit gibt es Ruhe. Was war zuerst da, der Zug oder die Motive des Reisens? Die Technik unterwandert diese parasitär. Sie sucht nach ihnen und dann ist es nicht nur der Ortswechsel, sondern auch die Idee des Im-Zug-Sitzens an sich, die lockt. Insofern könnte der Hyperloop ein Erfolgsmodell sein. Überhaupt scheint mir Kubricks Idee des Reisens aus 2001. A Space Odyssey ganz zutreffend. Es zeigt aber auch, dass man die Zukunft vorwegnehmen kann. Nur man selbst hat nichts mehr davon, stirbt früher. Es gibt aber auch ganz materielle Merkmale, die sich in die Zukunft verlängern. Sah dieser Tage wieder Katsumatas Captain Future. Dass da in einer Episode eine Gravium-Mine im Zentrum steht, weil man den Stoff überall im Weltall braucht, ist ganz folgerichtig. Früher war es Öl, bald Silizium oder andere Stoffe, besondere Metalle, seltene Erden. Dafür wird man dann selbst zum Mars fliegen.

Anzeichen einer Nationalkultur

Das Japan (noch?) keine multikulturelle Gesellschaft ist, merke ich daran, dass man mich im Zug auf Englisch begrüßt.

2022.11.16

Kartenhaus-Theorie

Die Welt ist ein Kartenhaus. Eine kleine Unachtsamkeit. Alles stürzt ein.

2022.11.10

Das Wachsen der Tristesse und die neuen Medien. Über Entfremdung zweiten Grades

Die Atmosphäre der Tristesse verbreitet sich derzeit schneller als die des Aufbruchs, der Zuversicht und der guten Stimmung. Das liegt an mehreren Faktoren. Einer sind die neuen Medien. Es entsteht durch sie und ihrem Anspruch eine solipsistische, narzisstische Haltung. Sie kehren den Rezeptionsvorgang um, alles ordnet sich nur scheinbar um das Subjekt. Das wird etwa durch die personalisierten Ergebnisse der Suchmaschinen beschleunigt, auch durch die sozialen Netzwerke, die das Subjekt regelrecht abdichten durch sich selbst verstärkende Schleifen. Jedes Suchergebnis ist anders, je nach PC. Auch die gleiche Suchanfrage ergibt an unterschiedlichen Rechnern divergierende Ergebnisse, es sind dies doppelte Filter. Der Habitus dessen, der sucht, prägt sich in Form der Suchgeschichte und durch Aktivitätsmuster in die Auswahl der Ergebnispräsentation ein. Gibt man etwa eigene Medien ein, etwa seine Homepage, so erscheint diese auf dem eigenen Rechner bevorzugt gelistet. Man wiegt sich im Glauben, man werde von der Allgemeinheit wahrgenommen. Ähnlich ist das mit den sozialen Netzwerken.
Es gibt noch eine weitere Ebene, die ich ›Entfremdung zweiten Grades‹ nennen möchte. Die erste Entfremdung ist die Marx'sche der Produktion bzw. der Eigentumsverhältnisse der Produktionsmittel. Man arbeitet in der klassischen kapitalistischen Gesellschaft nicht für das Produkt, sondern für den abstrakten Lohn (Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844). Aber die zweite Entfremdung kommt unserer Meinung mit dem geistigen Eigentum ins Spiel. Das geistige Eigentum zwingt die Menschen, jedes Tun im informationellen Raum vom Recht und seinen Möglichkeiten her zu denken. Natürlich war Eigentum immer schon ein Verfügungsrecht. Aber bei ›Realgütern‹ konnte man die Eigentumsverhältnisse, etwa durch deren räumliche Zuordnung, sinnlich schnell einsehen und überschauen. Was wem gehörte, war einsichtigt. Aber das geistige Eigentum ist eines, in dem das Gut ganz wesentlich durch sekundäre Verträge, Gesetze, Rechte, Lizenzen etc. festgelegt wird. Die Entfremdung der Produktionsmittel ist hier auch eine vom Produkt, das imaginär wurde. Dessen Verfügungsrechte sind ganz neuer Art. Daher wird das Fühlen davon unweigerlich affiziert. Wenn man selbst ein Produkt in diesem Sinne nicht besitzen kann, dann werden auch alle sozialen Beziehungen mit diesen Produktionsmitteln verändert. Man ist unsicher, skeptisch, kann die Anderen nicht einschätzen, weil der sinnliche Raum kein Bezugsraum mehr ist. Man bemisst die sozialen Beziehungen daher immer mehr in Möglichkeitsräumen, Entscheidungsbäumchen. Sie werden instrumentell, abstrakt und kalkuliert. In diesem Sinne ist dann das Nichtverhalten, das Zurückziehen in die Wohnung und das Driften in die Tristesse immer noch sicherer als eine Handlung zu riskieren.

2022.11.07

Angst vor dem Anderen

Seit Corona wird sichtbar, was schon vorher da war. Die Menschen haben Angst voreinander. Sie misstrauen sich. Berührungen sind verdächtig. Es gibt eine Art Entfremdung zweiten Grades. Die eine war die Entfremdung durch die Lohnarbeit. Aber auf diese setzt die Elektroindustriegesellschaft eine zweite auf. Sie belegt die Lebenswelt mit Verboten und Mikro-Konventionen, schränkt Kontakte jenseits der Funktion ein, während sie der Imagination im virtuellen Raum Zuflucht bietet. Die Menschen nehmen das gerne an. Sie sitzen vor den Bildschirmen und Handys und schweifen vom Alltag ab in diese Imaginationswelt. Diese ist frei vom Verdacht. Es ist eine cleane Welt. Die realen Zusammenkünfte sind davon affiziert. Sie sind solipsistischer geworden, scheinbare Kollektivität, wenn Menschen in einem Realraum sind. Die Gesprächsfäden werden aus den dystopischen Nachrichtenwelten gesponnen. Wirtschaftsgeographin Natalja Subarewitsch hat das neulich in der FAZ für Russland klarsichtigt dargelegt, was ebenso für den Westen gilt [Link]. Die Hoffnung wird erodiert, gleichzeitig drohen Sanktionen bei Nichtbeachtung einer geahnten Regel.

Jenseits der Funktion

Die Menschen tendieren heute mehr denn je dazu, in Funktionen zu kommen. Sind sie in der Funktion, gehen sie gewöhnlich nicht in dieser auf. Viele klagen über sie. Aber die Funktion scheint ihr Leben abzustecken. Sie nehmen keine anderen Aufgaben mehr wahr. Auch Zusammenhänge jenseits der Funktion sind ihnen fremd. Demokratie lebt aber genau davon.

2022.11.06

Die neuen Pyramiden

Die Pyramiden strebten nach Unendlichkeit. Diese Bauten überdauern die Jahrtausende, solitär in der Geschichte. Sie sind anschauliches Beispiel der Unvergänglichkeit von Architektur. Mindestens eine vergleichbare Leistung ist das U-Bahn-System der Metropole Tōkyō. In Tiefenbauten von mehr als 43 Metern und täglich mehr als acht Millionen Fahrgästen ist nahezu jede dieser Bahnen auf die Minute, man möchte sagen: Sekunde, pünktlich. Es ist dies ein Höhlensystem der Akkuratesse wie auch der Stabilität. Wo die Pyramiden die Zeit überdauern, kristallisiert sich diese in dem Tōkyōter U-Bahn-System bis zur Ereignislosigkeit gesteigert. Die Raumwerdung der Zeit gelingt nicht durch Pläne oder Abstraktion, wie man denken mag, sie ergibt sich aus einer meditativen Haltung. Die Fahrer geben sich tranceähnlich ihrem Auftrag hin, ritualisieren in der Kabine an jeder Station die gleichen Handbewegungen, einer Meditation nicht unähnlich. Die Pünktlichkeit und die Wiederholungspunkte sind nur das Ergebnis dieser Haltung. Und das Ergebnis dieser Transzendenz ist die Stratifizierung der Zeit. Die Menschen wohnen 30, 40, teilweise 100 Kilometer vom Arbeitsort entfernt und pendeln täglich in und aus der Stadt. Aber durch diese Kristallwerdung der Zeit kommen sie immer pünktlich an. Auch die Benutzung des Systems ist meditativ. Gesprochen wird, sowieso durch Corona, nahezu nicht. Nickerchen werden gemacht. Manche verpassen das Aussteigen, sie sind vom rhythmischen Puls der Gleise hypnotisiert.

Sprachgefühl und die japanische Sprache

Die japanische Sprache ist eine, bei der mich das Sprachgefühl immer wieder verlässt. Ich erahne nicht, wie man etwas sagen soll. Es gibt keine Haltung in der Sprache, sondern eine Vielzahl disparater Ordnungen. Daher gelingt es mir nicht, diese zu memorieren. Man versteht mich, aber würde es niemals auf diese Weise sagen.

Über Alzheimer

Alzheimer ist eine Krankheit, bei der das Vergessen vergessen wird. Es geht daher nicht um den Verlust des Erinnerngsvermögens. Damit haben alle Menschen zu kämpfen, jeder vergisst mal etwas. Aber normalerweise erinnern wir, dass wir etwas vergessen haben, es also aus dem Fluss der Zeit hervorholen können müssten. Und diese Fähigkeit geht bei Alzheimer-Patienten verloren. Sie haben keinen Index ihres Erinnerungsvermögens mehr.

Über intellektuelle und schamanische Aufmerksamkeit

Es gibt zwei Formen der Aufmerksamkeit, die intellektuelle und die schamanische. Die intellektuelle Aufmerksamkeit versucht, alles zu behalten und zu versprachlichen, Diskurse zu memorieren und ist eine Art mnemotechnische Buchführung des Lebens. Man bekommt alles mit, kann in Präsenz Zusammenhänge explizieren. Demgegenüber gibt es auch eine schamanische Form der Aufmerksamkeit. Diese kann vergessen, nachlässig sein, Zusammenhänge übersehen, die andere ganz leicht überschauen, absent sein. Es ist gar kein Ziel der schamanischen Verfahrensart, in eine Konkurrenz dieser Explikationen zu treten oder alles in die Ereignishaftigkeit der Gegenwart zu rücken. Stattdessen stellt sie Zusammenhänge aus dem Gefühl her. Sie blitzen auf. Man weiß nicht, warum A das tat, hat aber ein Urteil.

Wenn aus Positivem etwas Negatives wird - und wie man das Beste daraus macht

Leicht passiert es, dass aus positiven Zusammenhängen negative Gefühle entstehen. Einer organisiert eine Party, vergisst aber, die Gäste über den geänderten Veranstaltungsort zu informieren. Dann sind diese enttäuscht, mitunter wütend. Nicht einfach, damit umzugehen. Man sucht nach Ursachen, sollte aber einfach die Zeit anders nutzen. Man kann es sowieso nicht ändern.

Labyrinthe der Einsamkeit. Über Japanische Wohnblöcke

Die neuen japanischen Wohnblöcke sind in der Regel auf Isolation ausgerichtet. Die Wege sind schon am Eingang so abgezweigt, dass nur eine minimalste Chance besteht, den Nachbar überhaupt zu treffen. Es sind gefängnisähnliche Wohnzellen, in denen die Menschen voneinander separiert sind. Hunderte Menschen wohnen nebeneinander und sehen sich nicht. Sie sind leise, hören sich nicht. Sie verschwinden im Privatleben. Labyrinthe der Einsamkeit.

2022.11.03

Erdbeben 19:04 Uhr

Nach einigen Wochen Ruhe wackelt es gerade wieder in Tōkyō [Link Japan Metereological Agency]

Spaziergang am Strand, nach Chigasaki

Fujisan im Blick. Schöne Luft. Black Sabbath Planet Caravan

2022.11.01

Bullitalk online!

Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die objektive Lage. Über den subjektiven Faktor

Jede Krise bemisst sich von zwei Seiten aus: in das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die objektive Lage. Manchmal kann die objektive Lage desaströs sein, aber wenn der Glaube und die Zuversicht vorhanden ist, kollektiv, wird jedes solche Problem und jeder Konflikt schnell gelöst. Umgekehrt kann eine überschaubare objektive Krise katastrophal sein, wenn niemand glaubt, er oder sie könne sie bewältigen. Dieser subjektive Faktor ist ganz entscheidend, das Vertrauen in das gemeinsame Potential. In den 1960er Jahren hatte man sehr beschränkte technische Mittel, aber man flog zum Mond und besetzte die Zukunft als einen offenen, gestaltbaren und positiven Horizont. Heute hat man Angst vor der Zukunft, obwohl man doch über technische Mittel verfügt, die in der Menschheitsgeschichte einmalig sind. Es ist merkwürdig. Jeder kann heute mit jedem per Internet reden und Kontakt aufnehmen, aber es wird nicht genutzt. Man nutzt es, um Alltagsbilder zu teilen, Befindlichkeiten, aber nicht, um Menschheitsprobleme zu lösen, Zukunftshorizonte zu erkunden, Vertrauen zu stiften, kosmopolitische Ideen zu realisieren.

Über die Notwendigkeit von Wissensvermittlung

Nicht nur die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft hängt von der Frage der Wissensvermittlung ab. Es geht auch darum, eine Demokratisierung des Fortschritts überhaupt erst zu ermöglichen. Wissensvermittlung ist auch immer eine Prüfung der eigenen Prämissen. Sie tut jeder Forschung gut. Aber ich sehe nicht, dass diese ein hohes Ansehen innerhalb der Wissenschaft genießen würde. Sie wird auch nicht honoriert. Stattdessen beruft man sich auf den Expertenstatus. Auch die Medien wollen kurze Bewertungen ohne Abwägungen oder Differenzierungen. Das führt dazu, dass die Allgemeinheit der Inszenierung und der Persönlichkeit von bestimmten Wissenschaftlern vertraut und keine Möglichkeit hat, einen Einblick in deren Forschung zu bekommen. Das wäre aber die Voraussetzung für eine demokratisch transparente Entscheidung. Es wäre eine Öffentlichkeit zu schaffen, die auf Dauer angelegt ist und Tiefe, eine semi-universitäre Plattform, die für jeden offen ist und die die Quellen preisgibt. Es geht dabei nicht um Vereinfachung, sondern um Konzentration und Vorsortierung. Die Wissenschaft müsste selbst ihre eigenen Bedingungen öffentlich machen und ihre Beweggründe.

2022.10.31

Über Töpfern und Zärtlichkeit

Gerade hole ich die Tassen ab, die wir im Sommer getöpfert haben. Sie sind nun lackiert und gebrannt. Man braucht zum Töpfern ein gewisses Gefühl. Ich will es Zärtlichkeit gegenüber dem Objekt nennen. Behandelt man den formbaren Ton nicht behutsam, so wird man keine schöne Tasse oder auch kein schönes Objekt formen können. So etwas gibt es auch beim Zeichnen, bei der Musik und in allen Künsten. Dieses Zurücknehmen, das Vortasten und Erspüren von Distanzen ist doch eine Quelle der Kunst. Man tut so, als sei das künstlerische Objekt ein lebendiges, fühlendes Wesen.
Ich fragte mich, worin Zärtlichkeit besteht. Zärtlichkeit ist ein alteropolares, ein zwischenmenschliches Gefühl. Es lässt sich ohne Haptik, ohne die Berühung nicht verstehen. Es kommt aber zu einer Berührung noch etwas Geistiges, was das Gefühl ›Zärtlichkeit‹ überaus kompliziert macht. Es genügt nicht, dass A den Körper von B, die Haut etwa, berührt. Zu einer zärtlichen Berührung kommt noch hinzu, dass diese in einem stillschweigenden Einverständnis und in wechselweiser Sympathie geschieht, weil Konventionen der Distanz willentlich (wenn auch im Mikromaßstab) überschritten werden. Das Zarte weist aber zugleich ein sehr fragiles Wesen auf. Eine zärtliche Berührung, die nicht vorsichtig ist, die nicht zurückgezogen werden kann, ist keine. Gleichzeitig ist es aber interessant, dass zärtliche Berührungen mitunter, wenn sie unter falschen Voraussetzungen und Annahmen geschehen, vollkommen missverstanden werden können. Ich fragte mich auch, ob es eine Geschichte der Zärtlichkeit geben kann. Diese wird gemeinhin nicht expliziert, obwohl sie zum Schönsten gehört, was Menschen erleben können. Jeder Lebenslauf weist eine Landkarte der Zärtlichkeit auf. Ich meine, dass diese Zärtlichkeit, wie alle Berührung, seit den 1980er Jahren im Schwinden begriffen ist. Das Haptische überhaupt steht nicht hoch im Kurs, das Visuelle ersetzt es. Die Feinheit einer zärtlichen Berührung lässt sich kaum ermessen. Wie winzig ist der Druck, der da ausgeübt wird? Gelernt wird dies in der Kindheit. Aber danach verschwindet die Zärtlichkeit aus dem Leben und kehrt in der ersten Liebe zurück. Heutige Rollenmuster setzen Distanz voraus, die rechtlich und sozial garantiert und sanktioniert wird. Geschähe ein uneigennütziges Verschenken von Zärtlichkeit, es könnte sehr gefährlich werden, selbst wenn der/die Andere es als angenehm empfinden würde. Ganze Lebensentwürfe stürzten ein. Das Ansehen in der Gesellschaft wäre gefährdet.

2022.10.29

Sympathie und Theorie

Viele Menschen haben eine bestimmte Theorie von und eine Sicht auf die Welt. Nach dieser Theorie richten sie ihre Sympathien aus. Sie fühlen so, wie sie denken. Glaubt zum Beispiel jemand, dass es gesund ist, Sport zu treiben, wird dieser auch sportlich aktiv sein und positive Gefühle dabei haben. Umgekehrt kann es natürlich auch sein, dass einer denkt, es sei gefährlich, in ein bestimmtes Land zu reisen. Dann wird derjenige auch nicht dorthin fahren bzw. hätte Angst davor. Diese eindeutige Kopplung von Theorie und Sympathie wirkt auf den ersten Blick authentisch und schlüssig. Das Problem aber besteht darin, dass Theorien nie ganz sicher sind und man gut daran tut, sie in Frage stellen zu können und zu prüfen. Das größte Problem aber besteht darin, dass man die Mitmenschen auch nach deren Ansichten einteilt und mitunter in Streit gerät oder überhaupt keine Gesellschaft von jenen Menschen sucht, die der eigenen Meinung nicht entsprechen. Das führt zu eigentümlichen Verstärkungseffekten der eigenen Meinung und des eigenen Fühlens, einer Art Abkapselung der Gefühle. Ich habe immer versucht, eine dritte Ebene einzufügen, die des Menschen. Das heißt also, dass jenseits der Ansichten und jenseits meines Fühlens dem Anderen ohne Vorbehalte und neutral zu begegnen ist. Dabei stellte ich fest, dass gerade die Unvereinbarkeiten, die die anderen praktizieren und durchaus auch thematisieren, die potentiellen Feindschaften etc. letztlich Schwächen sind, die man sich nicht einzugestehen traut. Andererseits weiß ich wohl, dass Institutionen oft eine Klarheit erwarten und dieses Ausloten der menschlichen Grauzone gar nicht honorieren, zumindest nicht gegenwärtig. Im Rückblick freilich ergeben sich so ungeahnte Synergien, Kompromissfelder, Kooperationen, die niemals zustande gekommen wären, hätte man denn Fühlen und Denken, Sympathie und Theorie in Übereinstimmung gesetzt und den Menschen herausgekürzt.

2022.10.27

Das Drehbuch zum Dritten Weltkrieg

... ist ein Groschenheft.

Die drei Säulen der Universität

Die Universität legitimiert sich dreifach:
1. Über Zertifizierungen (Abschlussurkunden, Verleihung von Titeln)
2. Über Prestige (Gewinn von Ansehen in der Bevölkerung und der wiss. Community durch Einwerbung von Mitteln, Erfolg von Publikationen, Öffentlichkeit)
3. Über Erkenntnis (Frage, was erkannt werden kann; Interpretationen; Erzeugung von Weltbildern etc.)
Die Zertifizierungen standen am Beginn der Institution Universität. Es ging nicht darum, wie etwa in der Platonischen Akademie, ein Wissen oder Erkenntnisse freiwillig zu erwerben, sondern diese mussten institutionell mit festgelegten Verfahren beglaubigt werden. Damit wurde ein bestimmtes Wissen einer Institution zuordenbar. Nur derjenige konnte einen bestimmten Beruf (Arzt, Anwalt etc.) ausüben, der auch dieses Verfahren durchlief und so ein Zertifikat erhielt, einen Titel, der ihm neutral bescheinigte, dass das Wissen auch überprüft wurde und einem bestimmten Verfahrensmodus entsprach. Nicht immer davon zu trennen ist das Prestige, das Ansehen in der Bevölkerung und der wiss. Community. Der Titel wird daher nicht nur erworben, um den Wissenserwerb zu beglaubigen, sondern auch, um das eigene Ansehen zu steigern. Dies kann unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen, Ruhm, Steigerung des öffentlichen Bekanntheitsgrades, Wahrnehmung als Experte/Expertin, Zugang zu bestimmten Gremien/Foren etc. In der wissenschaftlichen Community gibt es zudem einen internen Prestigekreislauf, der etwa auf den Bekanntheitsgrad der Publikationen, deren Reichweite, Einfluss, Rankingpositionen zielt. Mitunter geht es heute vor allem um die Anwerbung und Höhe von Drittmitteln oder die Anzahl von Doktorandinnen und Doktoranden, Habilitanden, die Anzahl von Mitarbeitern, Raumgröße etc. Die Erkenntnis stand meiner Meinung nach nicht am Beginn, sondern begleitete die Institution Universität nur. Die Frage also, was ich wissen kann, ist mitunter nicht lukrativ, zu kompliziert, kann ohne Vorwissen kaum von Anderen überhaupt verstanden und nachvollzogen werden. Auf eine öffentliche Wahrnehmung sollte man da lieber nicht zählen, auch nicht auf eine Anerkennung. Man muss heute im Einzelfall schauen, wie die Zusammensetzung ist. Aber ein Kriterium für erkenntnisgeleitete Kommunikation ist diejenige ohne Prestige, die also quer zu den Hierarchien liegt, der es um den Austausch von Ideen geht, ungeachtet der öffentlichen Aufmerksamkeit. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass diese freiwillige Kommunikation heute immer mehr zusammenschrumpft. Prinzipiell haben heute alle die Möglichkeit, mit allen in Kontakt zu treten. Aber das geschieht kaum. In der Regel setzt die wissenschaftliche Kommunikation heute bei den Institutionen an, sie beginnt bei Projekten, Tagungen, Anträgen, sie ist also am Beginn vom möglichen Prestigegewinn geleitet. Sie glaubt zumindest, so tun zu müssen, als gehe es ihr um den Erfolg.

2022.10.24

Nichtverstehen und negative Gefühle

Negative Gefühle entstehen häufig durch Unverständnis der Perspektive des Anderen. Weiß man nicht, warum der Andere einen zum Beispiel nicht grüßte, kann man das als Unhöflichkeit interpretieren, Konflikte können folgen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass beide Seiten ihre Gefühle zurückstellen müssen und an einem Verständnis der anderen Seite aufrichtig interessiert sind. Man könnte meinen, dass auch divergierende Interessen der Auslöser von negativen Gefühlen sind. Aber auch hier ist eine Transparenz wichtig, nie geht es ohne den Willen zum Verstehen des Anderen.

Farbigkeit

Die Welt müsste nicht farbig sein. Ich wüsste keine evolutionstheoretische Erklärung, die die Farbigkeit begründet. Die ganze Qualität der sinnlichen Erscheinungswelt ist ein ästhetisches Surplus.

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2022 geht an den ukrainischen Autor Serhij Zhadan

Hier erfahren wir, wie es ›wirklich‹ an der Front ausschaut.
Zhadans Dankesrede als [Pdf]
Rede auf [Youtube]
Leseprobe Zhadan [Himmel über Charkiw (Suhrkamp-Verlag)]
Zhadan mit Band, live [Youtube]

2022.10.19

Biedermeier 2.0

Walter Benjamins Essay Karl Kraus (1931)

Lange habe ich nicht verstanden, was Walter Benjamin meint, wenn er in seinem Essay zu Karl Kraus schreibt: »Wie aber Persönliches und Sachliches nicht nur im Gegner, sondern vor allem in ihm selber zusammenfällt, beweist am besten, daß er nie eine Meinung vertritt. Denn Meinung ist die falsche Subjektivität, die sich von der Person abheben, dem Warenumlauf einverleiben läßt. Nie hat Kraus eine Argumentation gegeben, die ihn nicht mit seiner ganzen Person engagiert hätte. So verkörpert er das Geheimnis der Autorität: nie zu enttäuschen. Es gibt kein Ende der Autorität als dieses: sie stirbt oder sie enttäuscht.« Aber es ist doch wirklich so. Eine Meinung vertreten, das wird heute von Talkshows verlangt. Aber nie ist eine Meinung rein. Es sind immer Mischungen, dazu sind die Prämissen nicht klar. Wären diese etwas andere, so hätte dies Einfluss auf meine Meinung. Ich meine, es ist gut, den Baum zu fällen. Aber ein bisschen meine ich auch, dass ich den Baum schön finde. Wenn dann die Rückfrage kommt, wie meinen Sie das, dann soll man sich auf etwas festlegen, was eigentlich nur Abwägung sein kann. Mit fixierten Meinungen kann die Medienindustrie ganz vortrefflich umgehen, nicht aber mit Differenzierungen, mit Nuancierungen und Kompromissen, die notwendig Paradoxien überbrücken.

Echolote der Wahrheit, Mosaiken der Aussagen

Wahrheit hat eine Dimensionalität, die man ausloten muss. Ein Beispiel:
A: Wie geht es Dir?
B: Sehr gut, wirklich gut, alles läuft prima!
Und dann sagt C zu A:
C: B war gar nicht fit, hatte sich ein Bein gebrochen, weißt Du das?
Nun entstehen interessante Tiefenschichtungen von Wahrheit. A könnte nun B der Lüge bezichtigen oder in einen Streit geraten oder sich von B abwenden. Aber all dies erklärt nicht, warum B nicht die Wahrheit sagte. Lag es am mangelnden Vertrauen? Wollte B sich gut stellen? Wusste B nicht, dass A die Geschichte erfährt? Dies herauszufinden braucht nun weitere Vergleiche mit Aussagen und Abschattungen des Verhaltens. Nur so lässt sich, in diesen Mosaiken der Aussagen, herausfinden, warum B glaubte, die Wahrheit verbergen zu müssen.

2022.10.15

Zwölftonmusik und ihre Motive

Gerade beschäftigt uns im Wedekind-Seminar Alban Bergs Oper Lulu [Libretto]. Diese unvollendete Oper ist nach dem Zwölfton-Prinzip komponiert. Berg selbst hat sich 1930 in dem Rundfunkbeitrag Was ist atonal? gegen den Begriff der Atonalität verwehrt, weil dieser abwertend sei. Er verweist auf einige interessante Vorläufer der Zwölftonmusik, Mozarts Don Juan, Brahms (Vergebliches Ständchen), Schuberts Letzte Hoffnung und betont den asymmetrischen Melodiebau, das Fehlen einer Geradtaktigkeit in der Zwölftonmusik: »das Eigenleben aller Stimmen ergibt ein zweites, ein neues Leben, das des Zusammenklangs.« Man kann sich den Unterschied ganz sinnlich greifbar machen. In Verdis erster Oper Rigoletto wird dessen Tochter Gilda aufgrund einer Verwechslung vom Mörder Sparafucile erstochen. Das Ganze geschieht bei Gewitter und ist dramaturgisch musikalisch eindeutig eingefasst, so als folge das komplizierte Geschehen dennoch einer schicksalhaften Logik. Kurz später kann sich die Sterbende noch von ihrem Vater verabschieden, was uns trauern lässt. Die Emotionen der Zuschauer werden mit den Figuren geleitet. Ganz anders in Bergs Wozzeck. Wozzeck ersticht Marie, aber es ertönt ein Schrei. Danach ein diffuser Klangteppich. Die Katastrophe wird erst, als Wozzeck als Mörder entdeckt wird musikalisch untermalt. Wir sind in seiner Innenwelt. Wir wissen nicht, warum das wirklich geschah. Es gibt zu viele Perspektiven auf den Mord. Schönbergs Klavierstück Opus 33a gilt als Musterbeispiel für die Zwölftonkomposition. Es klappert maschinenhaft. Aber das sind unheimliche Maschinen am Werke. Die zwölf Töne führen buchstäblich ein Eigenleben.

2022.10.13

Kalender 2023 online!

Mein Bildkalender für 2023 ist online!
Bild
Kalender 2023 als [pdf, High Res, 25 MB]
Kalender 2023 als [pdf, Standard, 1.6 MB]

2022.09.28

Echosound


Echosound Klangexperiment, einspuriger und ungekürzter Mitschnitt einer Klangprobe, Zoom G1XFour Multi-Effects Processor, Einstellungen:
1. PDL Vibe: Speed 25, Depth 68, Mode Chors, Vol 80
2. Tape Echo: Time 900, F.B. 63, Mix 56, Tail Off
3. MS 1959: Bass 50, MID 70, Treble 60, PRSNC 40, Input1 60, Input2 Off, Vol 80
4. Room: PreD 72, Decay 19, Mix 60, Tail On
5. HD Hall: PreD 143, Decay 90, Mix 62, Tail Off

2022.09.20

Dokumentation der Lesung von Gefühl und Alterität II [Link] in Marburg, in der Buchhandlung Jakobi

Hier meine Kommentare und die Diskussion der Lesung vom 10. September 2022. Vielen Dank an Frau Jakobi und das Team des Büchner-Verlags!
Alle Zitate aus: Andreas Becker (2022): Gefühl und Alterität II, Marburg: Büchner.

1222
Formen von Verschmutzung: Abgase, Strahlung (Radioaktive, Röntgen, Licht), Lärm, Gestank, Werbung (Gedankenverschmutzung).

1408
Das ›Bauchgefühl‹ gibt Hinweise.


1700
Die selbsterfüllende Prophezeiung (self-fulfilling prophecy), ein Weg, 186 bei dem der Korridor von Möglichkeiten bereits durch das eigene Verhalten und die Einstellung vorgezeichnet wird. Der Soziologe Robert K. Merton hat den Begriff geprägt und beschreibt dies wie folgt: »The self-fulfilling prophecy is, in the beginning, a false definition of the situation evoking a new behavior which makes the originally false conception come true. The specious validity of the self-fulfilling prophecy perpetuates a reign of error. For the prophet will cite the actual course of events as proof that he was right from the very beginning. (Yet we know that Millingville’s bank was solvent, that it would have survived for many years had not the misleading rumor created the very conditions of its own fulfillment.) Such are the perversities of social logic.«


1348
Heute ist das Aufmerksamkeitsregime mit seinen Ansprüchen, ständig präsent zu sein, so universal, dass es notwendig erscheint, Zuckerspeisen, koffeinhaltige Getränke usf. zu sich zu nehmen. Man befürch- tet, dem sonst nicht gerecht werden zu können. Und schon Kinder, die noch sehr wach sind, verführt man zu süßen Speisen.


1537
Das Vertrauen, dass Mensch und Kosmos eins sind, wird einem von Geburt an gründlich ausgetrieben.


1848
Die Voraussetzungen der Medien, sie sind oft pränarrativ. Monitore ziehen Aufmerksamkeit auf sich.

Siehe dazu auch Wolfgang Köhler und Hans Wallach: Figural After-Effects (1944), Proceedings of the American Philosophical Society Vol. 88, No. 4 (Oct. 18, 1944), pp. 269-357 [Link]

1785
Ein Erlebnis im Seminar in Japan. Weil die meisten Studierenden den individualistischen Unterricht, dass man sich melde, wenn man persönlich etwas wisse, nicht kennen, geschah es, dass die Studierenden meine Fragen nach der Konjugation von bestimmten Verben im Chor beantworteten. So ging es auch: Alle Verben wurden konjugiert, niemand meldete sich, alle sprachen gleichzeitig die Antwort. Meine Erklärung vorher, sie sollten und könnten sich doch melden, wurde dadurch nichtig.


1789
Semantische Spielräume und Macht. A sagt, man könne doch ein Fest gemeinsam organisieren. Dann sagt B zu, schließlich hängt alle Arbeit an B. A kann sich ›herausreden‹, er habe doch alles anders gemeint. Die Spielräume der Sprache werden oft so ausgelegt. Nor- malerweise hat man immer den Anderen im Sinn – und fragt sich, wie dieser es finden möge. Aber manchmal soll es schnell gehen, man will etwas unbedingt, dann genügt eine zögernde Zustimmung, und A ›interpretiert‹ diese als Einwilligung zum Ganzen, wie er es meint. Eine Revision ist kaum möglich. A wird sich immer im Recht fühlen, darf seine Methode des Überziehens der Semantik wie einen Kredit gar nicht zugeben.


1582
Die Choreographie beim Bezahlen in Japan. Erst die Warenübergabe an die Kassiererin. Dann legt der Kunde das Geld, meistens den Schein, auf ein kleines Schälchen mit Gumminoppen, gibt es niemals direkt in die Hand der Verkäuferin. Schließlich erhält der Kunde das Wechselgeld, aber so, als ob man ihn trösten wolle, direkt in die Hand. Die Kassiererin berührt dabei deren sensible Innenfläche ganz leicht, und hält die andere Hand schützend, ebenso oft mit einer hauchsanften Berührung, unter die Hand des Kunden. Erhält man Scheine zurück, werden diese dem Wert nach geordnet und aufgefächert präsentiert, damit man augenscheinlich sieht, welchen Wert man noch zurück erhält. Oft wird man dabei, was sonst nie der Fall ist, direkt angeblickt. Dann erfolgt die Übergabe der Ware an den Kunden. Leicht festlich, lächelnd hält das Gegenüber das schön verpackte Stück mit ausgestreckten Armen so lange, bis man es entgegennimmt, wartend in der Luft. Noch bis zum Verlassen des Geschäfts wird man mit den Augen begleitet. Die Transaktion endet nicht. Man möchte wiederkommen.

Patient Deutschland

Wie bei jeder Krankheit. Der Patient braucht Ruhe. Musik mag helfen, eine gute Atmosphäre. Es wird schon gehen.

2022.08.31

Der Balkon. Das Tor zum Kosmos

Ich bin ein leidenschaftlicher Balkonsitzer. Diese architektonische Idee, ein zweites Außen der Wohnung zu bauen, finde ich großartig. Man ist im Inneren und hält Tuchfühlung mit dem Außen, dem Kosmos. Die Wolken fliehen vorbei, der Himmel dunkelt, Sterne funkeln, Flugzeuge und Satelliten ziehen ihre Bahn. Überhaupt könnte man die Wohnungen auf Balkone verlagern. Im Sommer Pritschen bauen, auf denen man schläft, terrassenähnliche Räume, vor Regen geschützt, Gewitterbeobachtungsstationen.

Individualismus ist nichts Positives

Westliche Menschen sind oftmals stolz auf ihren Individualismus. Sie betrachten diesen als eine Stärke, selbst urteilen zu können, sich nach Belieben Freiheit zu nehmen, unabhängig zu sein, zu streiten, expressiv zu sein etc. Und dies sind auch über die Jahrhunderte entstandene Tugenden geworden, kulturelle Gewebe des Fühlens und Denkens. Aber im Kern ist der Individualismus nichts Positives. Er entsteht als Reaktion auf Verluste, auf Alleinsein, als Rückzug von Konflikten. Man bemerkt es daran, dass Individualisten gerne die Behütetheit Anderer suchen, die Vorurteilsfreiheit, die Naivität des Vertrauens.

2022.08.30

Zärtlichkeit

Worin besteht der Unterschied zwischen einer Berührung und einer zärtlichen Berührung? Ist es ein bestimmtes motorisches Muster? Oder eine Übereinstimmung? Oder kommt etwas Geistiges hinzu?

Die neuen Innenstädte

Die europäischen Innenstädte werden zunehmend von Autos befreit. In Frankfurt am Main werden Fahrradstraßen ausgewiesen, wo vorher Autos fuhren. Hautpstraßen werden zu Fußgängerzonen. Aber was macht man mit dem gewonnenen Platz? Man geht phantasielos damit um. Es entstehen eine Menge Cafés. Die Menschen, die es sich leisten können, genießen den Luxus. Der Wohnraum an solchen Straßen wird attraktiver und lukrativer. Ungewollte Gentrifizierung setzt ein. Besser wäre es, man würde einen kollektiv verwalteten Raum schaffen. Selbstverwaltete Proberäume, Theater ohne Programm, Bühnen für jeden, Speakers Corner, mietbare Küchen und Veranstaltungsräume zu einem symbolischen Preis, Proberäume, Mini-Kinos, Programmier- und Gamerstuben, Musik- und Filmproduktionsstudios und Schneideräume in Werkstattgröße, Reparaturläden, Mode- und Designstuben, Ateliers, wo sich jedermann und jederfrau ausstellen kann, Kreativräume mit Personal, das den Menschen wieder instand setzt, sich auszudrücken, Meditationsorte, Gärten überall, Lesestuben, Begegnungsorte...

2022.08.18

甘噛みハムハム - neues Spielzeug aus Japan


Gerade sah ich im Spielzeugladen auf der Ginza dieses neue Spielzeug von Yukai Engineering für Erwachsene [Link]. Amagamihamham (im Original: Amagamihamuhamu, zärtliches Zubeißen). Es ist ein Stoffhund, der den Finger lutscht. Ich glaube, dass diese Art von Spielzeug eine große Zukunft hat. Mehrfach habe ich auch solche Roboter-Haustiere in Kaufhäusern gesehen. Sie sind jetzt noch in der Prototyp-Phase. Aber die Bedürfnisse der Menschen werden durch solchen reflektierten Roboter-Fetischismus immer passgenauer umgrenzt.

2022.08.17

Gefühl und Alterität II erscheint bald!

Bild
Gefühl und Alterität II besteht aus hunderten nummerierten Anekdoten, Beobachtungen und Notizen zum Thema Gefühle. Man kann es, wie jedes Buch, alleine lesen. Interessanter ist es aber, zufällig eine Nummer auszuwählen und über diese gemeinsam mit Freunden zu sprechen. Die Anekdoten möchten inspirieren. Sie sind daher nicht abgeschlossen und bedürfen einer diskursiven und imaginativen Ergänzung. Dieser Band ist in Japan entstanden. Viele Beobachtungen thematisieren den Alltag in Tōkyō und Umgebung, die japanische Kultur und deren Weise, achtsam mit Gefühlen umzugehen.

Japanisches Lied für Kinder über einen Obstsalat

2022.08.17

Demon Slayer, One Piece, Krähen in Odawara

Die Demon-Slayer-Welle ebbt in Japan gerade ab. Die Figürchen sind jetzt überall. One Piece läuft in den großen Kinos. Gestern Krähenschwarm in Odawara gefilmt.

2022.08.16

Der Strand von Atami im Zeitraffer

Jetzt weiß ich, warum Frau Tomi Hirayama (Chieko Higashiyama) in Ozus Tōkyō monogatari auf einem Steg in Atami eine Herzschwäche erlitt.

2022.08.09

Zeitraffer am Meiji-Schrein

2022.08.08

Lesung Gefühl und Alterität II


Am Samstag, d. 10. September 2022 präsentiere ich meine neue Veröffentlichung »Gefühl und Alterität II« in der Marburger Buchhandlung Jakobi (Steinweg). Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei. Um Voranmeldung unter BENEKE@BUECHNER-VERLAG.DE wird gebeten. [Link]

Handwerk beruhigt


Handwerk beruhigt. Das Töpfern entrückt die Zärtlichkeit auf das Objekt hin. Die drehende Tonerde will mit Achtsamkeit und Ruhe, Gleichmaß behandelt werden, sonst verformt sie sich, bricht aus, bildet Schleifen. Die Aufmerksamkeit ruht auf den Gegenstand hin, der sich erst bildet. Er wächst aus der Drehung heraus, blüht in Erde.

Über Weltkriege

Wann sprach man vom »Ersten« und wann vom »Zweiten Weltkrieg«? Der Zweite Weltkrieg war in der Sprache der Nazis zunächst der »Polenfeldzug«. Historiker kamen dann zu dem Schluss, dass es ein globaler, ein Welt-Krieg war. In Japan spricht man in der Regel vom »Pazifikkrieg« (太平洋戦争, Taiheiyōsensō). Man hat also diese Epochenbegriffe irgendwann geschaffen und ordnet nun alles diesem Muster ein, so als gäbe es von Beginn an diesen »Gegenstand« Zweiter Weltkrieg. Aber bis zu einem gewissen Punkt waren das regionale und bestimmte Länder betreffende Konfliktherde, die sich aber nach einem (aus später Perspektive klar erkennbarem) Muster immer weiter ausbreiteten. Auffällig war, dass keiner es vermochte, diese einzudämmen, selbst sehr reflektierte »Appeasement«-Strategien versagten. Vielleicht werden in zehn oder zwanzig Jahren die Historiker auch zu dem Schluss kommen, dass der Dritte Weltkrieg am 24. Februar 2022 mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine begann, oder vielleicht schon am 11. September 2001?

2022.08.02

いつでも夢を - immer wieder ein Traum

2022.07.23

Wie lässt sich unsere Zeit beschreiben? Begriffssuche

Die Atmosphäre der heutigen Zeit lässt sich schwerlich fassen. Ich erlebte die 1970er Jahre als eine Zeit des Aufbruchs. Die 1980er Jahre als eine Zeit des Wohlfahrtsstaates und des Wohlstands, die 1990er als eine Zeit, in der die Ost-West-Konfrontation verschwunden schien. Aber dann kam 9/11 und dann Corona und der Ukraine-Krieg. Seit etwa zwei Jahren kippte alles ins Negative. Es gibt nur wenige Menschen, die dem entrinnen können, auch sie mit stimmungsmäßigen Blessuren. So suche ich nach Oberbegriffen, von denen aus eine Deskription dessen, was ist, ansetzen könnte. Es sollten keine einfachen Nomen sein, sondern Adjektiv-Nomen-Konstellationen, dazu mit einer Gebrochenheit und einem Hang, den Sinn zu chiffrieren. Hier meine Liste:

- depressiver Nihilismus
- radikale Konformität
- selbstbewusster Konformismus
- fatalistische Ignoranz
- existenzieller Opportunismus
- kosmischer Defätismus
- desillusionierte Indifferenz
- barbarische Kompromisshaftigkeit
- resignative Souveränität
- reservierte Apathie
- ambivalente Apathie
- entschiedene Ambivalenz
- phlegmatische Lethargie
- teilnahmslose Passivität
- erbitterte Belanglosigkeit
- ambivalente Gram
- superiore Indolenz
- rigoroser Pessimismus
- Offensiver Isolationismus
- depressive Selbstverleugnung
- selbstbewusste Indifferenz
- ekpathische Dekadenz
- ekpathischer Hedonismus
- Enthusiastische Antipathie
- Euphorische Aversion
- universeller Skeptizismus
- obsessive Toleranz
- latenter Provinzialismus
- lakonische Severität
- theatrale Rigorosität
- universelle Distanz
- kultiviertes Ressentiment
- existenzielle Hypertoleranz
- kollektive Zerrissenheit
- versteckte Desillusioniertheit
- entschiedene Verbitterung
- kriegsbedingte Humorlosigkeit
- apokalyptischer Gleichmut
- vorausschauendes Unbehagen
- trügerische Harmonie
- universelle Besonnenheit
- gewaltbereite Selbstbeherrschung
- reflektierter Pessimismus
- diskursive Zensur
- pedantische Kontrollsucht
- reaktionärer Aktivismus
- Desinteresse am Leben
- affirmative Verbotskultur
- universeller Gleichmut
- destruktive Synergie
- wertefreie Moral
- freie Werte
- fordernder Staat
- hyperliberale Tugenden
- angepasste Moral
- voraussetzungslose Animosität
- kollektiver Individualismus
- technokratische Kreativität
- Zwang zur Neutralität

2022.07.22

Persönliche Erinnerungen an Hans-Thies Lehmann

Kürzlich las ich einen schönen Text von Hans-Thies Lehmann aus dem Jahr 1991 für mein neues Buch über Scham und Schuld. Dieser heißt Das Welttheater der Scham [Link]. Und da dachte ich: Wie interessant, dass ich immer wieder, wenn ich hier in Japan neue Projekte entwickle, Seminare vorbereite und Bücher schreibe, über das Internet zu meinen Lehrern komme. Und ich dachte mir auch, dass ich Hans-Thies Lehmann lange nicht gesehen habe. Er wollte eigentlich vor ein paar Jahren Japan wieder besuchen, ein Land, dessen Kultur er sehr mochte, aber daraus wurde wegen Corona nichts.
Sein wissenschaftliches Leben lässt sich vielleicht in seiner Spannweite gut ermessen, wenn man es von der griechischen Tragödie hin zum Noh- und Butoh-Theater fasst. Die Tragödie in der Schuldkultur Europas und das Ausbleiben eines Konflikts in der Schamkultur Japans: »In der Schamkultur befindet das Subjekt sich in einem nie endenden Theaterspiel, in einer Szene von Projektion, Spiegelung und Rückspiegelung, das sich grundlegend vom Theater als Tribunal in der Schuldkultur unterscheidet«, schreibt Lehmann in dem genannten Text (S. 827).
Ich lernte Hans-Thies Lehmann 1999 kennen. Ich hatte den Plan, über die Zeitraffung und Zeitdehnung im Film bei Burkhardt Lindner in Frankfurt am Main zu arbeiten, Lehmann wurde mein Zweitbetreuer. Lehmann und Lindner hatten das Graduiertenkolleg Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung initiiert, in dem ich schließlich promovierte und Postdoktorand wurde. Das Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft war damals in der Dantestraße, in einer Bockenheimer Villa aus der Jahrhundertwende untergebracht. Das war räumlich viel zu klein, führte aber dazu, dass permanent Partystimmung herrschte und jede(r) jede(n) kannte.
Lindner und Lehmann gaben damals gemeinsam ein Seminar zu Martin Heideggers Sein und Zeit, das mir mit dessen Antigone-Seminar und den vielen Diskussionen im Kolleg in besonderer Erinnerung blieb. Lehmann war, natürlich an Derrida geschult, oft an den Bruchlinien interessiert, ohne aber das Projekt Heideggers in seiner Architektur aus dem Blick zu nehmen. Das war überhaupt sein Vorgehen, er sah Konflikte voraus und ergriff Möglichkeiten des Kompromisses. Darin lag auch sein Interesse an Japan, dieses Nicht-Stattfinden der Tragödie durch eine bestimmte Haltung, so wie sie sich im japanischen Theater bzw. in der Theatralität der japanischen Kultur zeigt. Das faszinierte ihn. Er durchdachte die labyrinthischen Möglichkeiten und suchte nach Schnittmengen. Lehmann erforschte die Bedingungen des Theaters, Marxens Gespenster, Bertolt Brecht und Heiner Müller und förderte so viele, Theorie und Praxis in ihrer Synergie. Seine Bücher, natürlich das Postdramatische Theater, wurden in viele Sprachen übersetzt.
Als ich mich nach der Promotion neu orientierte und Japan entdeckte, also alles hinter mir ließ, was ich vordem machte, war Hans-Thies Lehmann einer der wenigen, der unmittelbar Verständnis dafür hatte und das interessant fand. Ich ging fröhlich durch Frankfurt, als ich die Nachricht erhielt, für mein Forschungsprojekt nach Japan reisen zu dürfen. Als Erster begegnete mir Hans-Thies Lehmann im Auto sitzend an der roten Ampel und gratulierte mir vom Fahrersitz aus.
Danach sah ich ihn nochmal bei seiner Abschiedsfeier vom Institut. Ein großes Fest am Campus Westend im Sommer. Danach im Mousonturm: Hans-Thies Lehmann hielt eine Rede zur Einführung in ein experimentelles Theaterprojekt. Im Gespräch merkte ich ihm die Krankheit an. Als er dann sprach, am Pult stehend, war seine Stimme angenehm und ruhig, er wirkte jugendlich. Hans-Thies Lehmann ist am 16. Juli 2022 im Alter von 77 Jahren in Athen gestorben.

Nachruf von Hubert Spiegel in der FAZ [Link]
Nachruf von Alex Karschnia [Link]
Alex Karschnia im DLF über Hans-Thies Lehmann [Link]
Eiichiro Hirata über Hans-Thies Lehmann [Link]

2022.07.18

Die Gaskrise und ihre Begründung

Derzeit argumentieren Kanzler Olaf Scholz und Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck, die zu erwartende Gaskrise sei dem Krieg in der Ukraine geschuldet. Scholz etwa schreibt in der FAZ: »Nach der Zeitenwende, die Putins Angriff bedeutet, ist nichts mehr so, wie es war. Und deshalb können die Dinge nicht so bleiben, wie sie sind! [...] Und schließlich beenden wir unsere energiepolitische Abhängigkeit von Russland. Bei der Kohle haben wir das schon erreicht. Russische Ölimporte wollen wir bis Jahresende stoppen. Beim Gas ist der Anteil der Einfuhren aus Russland bereits von 55 auf 30 Prozent gesunken. Dieser Weg ist nicht leicht, auch nicht für ein so starkes, wohlhabendes Land wie unseres. Wir werden einen langen Atem brauchen. Schon jetzt leiden viele Bürgerinnen und Bürger unter den Auswirkungen des Krieges, vor allem unter den hohen Preisen für Benzin und Lebensmittel. Mit Sorge blicken viele auf ihre nächsten Rechnungen für Strom, Öl oder Gas. Finanzielle Hilfen von weit mehr als 30 Milliarden Euro hat die Bundesregierung daher zur Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger auf den Weg gebracht. Die unterschiedlichen Maßnahmen beginnen nun zu wirken.« (Olaf Scholz: Nach der Zeitenwende, FAZ, 18.7.2022, S.6) Man stimmt die Menschen darauf ein, im Winter temporär kein warmes Wasser zu haben, die Wohnungen nur bedingt heizen zu können und richtet bereits Wärmeräume ein, wie für Obdachlose, denkt darüber nach, ob die Industrie vielleicht in Teilen pausieren könne.
Ein Blick in die Geschichte der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland zeigt, dass der Ukraine-Krieg nur eine Seite ist. Eine Statistik des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle weist aus, dass Deutschland bis 1972 kein Erdgas aus Russland bezog. [Link zur xlsm-Tabelle]
Was danach geschah, darüber gibt eine Seite des mdr Auskunft. [Link] Die Politik sollte ehrlich sein und ihre Fehler eingestehen. Sie liegen darin, dass man billiges Gas haben wollte, alles andere blieb unwichtig. Eine Risikoeinschätzung wurde nicht vorgenommen, die Idee einer robusten Wirtschaft offenbar vollkommen ignoriert im Hinblick auf deren Wachstumsdynamik. Dieser historische Fehler rächt sich nun.

Windrad-Karte Hessens

Die FAZ hat eine interaktive Windrad-Karte Hessens veröffentlicht [Link]. Die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sich. Man wird das Land nach dieser Regierung nicht mehr wiedererkennen. Überall wird man drehende Turbinen sehen und vor allem ein dumpfes Infraschallbrummen hören. Die Menschen werden sich fragen, warum sie nicht mehr schlafen können. Die Idee, klimaneutrale Energie durch die Kolosse zu erzeugen, ist absurd. »Eine Windkraftanlage im Meer wiegt 300 Tonnen; etwa 260 Tonnen davon sind Stahl – insgesamt also bestehen 87 Prozent einer Windkraftanlage mit Kabeln und Fundament aus Stahl.« [Link] Wie viel Kohlendioxid wird da in die Atmosphäre gepustet, um den Stahl zu erzeugen, die Kolosse aufzustellen und zu warten? Dann erntet man erst die ›grüne Energie‹, die aber zuvor Kohlendioxid in größtem Umfang freisetzte, durch deren Produktion! Nur eine Tugendänderung kann hier helfen, weniger verbrauchen, sparsamer sein.

2022.07.11

Vortrag zum Stipendium auf Lebenszeit online!

Womit begann der wirtschaftliche Niedergang?

Fragt man sich, womit der wirtschaftliche Niedergang Deutschlands begann, so würde ich die kleinliche Abrechnungsweise nennen, also die wirtschaftliche Grundhaltung, die alle Transaktion vom Individuum (bzw. dem einzelnen Unternehmen) her sich erschließt und Gewinn und Verlust nur von diesem Mikroelement aus errechnet. Es fängt schon in der Kneipe an, wenn jeder sein eigenes Bier bezahlen will und man unglaublich lange rechnet und erinnert, was man selbst denn konsumiert habe. Wendet man diese Betrachtungsweise auf die Volkswirtschaft an, so wird deutlich, wie schnell alles blockiert wird, weil der Einzelne seinen Gewinn in Gefahr sieht und dem Anderen nicht mehr vertraut. Weil Missgunst und Neid stets mitlaufen, wurde die Kostenrechnung immer kleinteiliger. Das Rechtssystem wie die Bürokratie tun ihr Übriges, um alles zu verkomplizieren. Wenn die Wirtschaftlichkeit der Bahn sich etwa nach Fahrgastzahlen bemisst und nicht mehr danach gefragt wird, wie pünktlich das Ganze war, wie zufrieden die Menschen sind, wie die räumliche Abdeckung ist, dann stimmt etwas Grundlegendes nicht mehr [Link Bahn]. Auch die Tatsache, dass man mit der Bahn ein Symbol schafft, ein Symbol dafür, dass die Tugend der Pünktlichkeit zählt, scheint angesichts dieser kleinteiligen Rechnungen sekundär. Und so wollte jeder Einzelne (und jedes einzelne Unternehmen) kurzfristigen Gewinn einfahren, ohne auf das Gemeinwohl und die Zukunft zu achten. Heraus kommt dann eine marode Infrastruktur. Ähnlich in der Wissenschaft. Anstatt Menschen, die etwas leisten, Vertrauen zu geben in die zukünftige Förderung, Planungssicherheit eben und Verständnis, unbürokratische Unterstützung, lässt man die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Anträgen einander konkurrieren. Werden diese abgelehnt, ist das Geleistete pfutsch. Solche Brüche gab es früher nicht, weil man sich vertraute und maßvoll Wissenschaft machte. Es ging nicht um Millionen von Fördergeldern, um teure Infrastruktur, sondern zunächst um Menschen, die dachten. Aus diesem Einfachen heraus realisierten dann Menschen unglaubliche Ideen. Ähnlich mit Nordstream 1 und 2. Auch hier: Die Gier am Anfang, günstiges Gas zu bekommen, ohne Rücksicht, woher, das Szenario politischer Krisen vollkommen ausblendend. Das rächt sich nun. Die Gewinnmarge war hoch, aber der Preis war der Verlust von Robustheit, ein Maximum an Abhängigkeit von Diktatoren. Einfachste Momente, schlichte Überlegungen hätten genügt, um das alles zu verhindern. Auch Sparsamkeit von Beginn an wäre gut gewesen. Aber nichts dergleichen.

Hier geht es zu den älteren Beiträgen 2022 (bis 10. Juli 2022)

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In meiner Arbeit Gefühl und Alterität unternehme ich den Versuch, in philosophischen Miniaturen alltägliche Gefühlsmomente darzustellen. Das Buchprojekt im Büchner-Verlag ist als Serie angelegt. Veröffentlicht sind bereits 999 Notizen. Am zweiten Band arbeite ich seit 2016, dieser ist 2022 erschienen. Ein thematischer Schwerpunkt wird auf der japanischen Kultur liegen, da ich seit dieser Zeit in Japan lebe. Die Miniaturen sind nicht abgeschlossen. Man soll sie diskutieren, weiterdenken, hinterfragen und ergänzen. Auf dieser Webseite veröffentliche ich einige Fragmente, die dann in den dritten Band einfließen werden. Da ich unter keinem Zeitdruck stehe, warte ich so lange, bis ich das Gefühl habe, der Band sei nun reif für die Publikation. Wenn Sie mir eine E-Mail schreiben möchten, erreichen Sie mich unter Andreas Becker, beckerx[at]gmx.de. Zur meiner persönlichen Homepage geht es hier https://www.zeitrafferfilm.de/.
Hier finden Sie die Seite des Büchner-Verlags. Hier finden Sie einen Überblick über alle meine Projekte im Büchner-Verlag. Die bislang entstandenen Youtube-Videos:

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